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Philosophisches Lesebuch zur Geschlechterdifferenz

Von Antje Schrupp

Andrea Günter bei der Vorstellung des Buches "Paradigma Geschlechterdifferenz" im Evangelischen Frauenbegegnungszentrum in Frankfurt/Main. Foto: Antje Schrupp

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Ein philosophisches Lesebuch zur Geschlechterdifferenz hat Andrea Günter im Oktober im Evangelischen Frauenbegegnungszentrum in Frankfurt vorgestellt. Der von ihr zusammen mit Anke Drygala herausgegebene Band versammelt Texte von Simone de Beauvoir, Geneviève Fraisse, Luce Irigaray, Julia Kristeva, Judith Butler, Luisa Muraro und anderen.

Es gehe darum, wichtige Texte zum Paradigma der Geschlechterdifferenz zur Verfügung zu stellen, so Günter, denn derzeit werde oft sehr vereinfachend über das Geschlechterverhältnis gesprochen. In der feministischen Theorie seien bereits viele Differenzierungen vorgenommen worden, die oft nicht mehr präsent seien. „Sozialwissenschaftliche Ansätze reduzieren die Geschlechterfrage oft auf die soziale Funktion von Frauen und Männern, aber der Sinn von Geschlechtlichkeit darf nicht über Funktionen definiert werden.“

Die früheste Autorin in dem Buch ist Simone de Beauvoir, denn sie habe als erste thematisiert, dass es nicht genügt, über die Geschlechterdifferenz nachzudenken (was schon immer passiert ist), sondern dass es darum geht, die Art und Weise des Denkens der Geschlechterdifferenz neu zu denken. Das Geschlechterverhältnis sei nicht einfach ein „Thema“ neben anderen, sondern mit allen anderen Themen verbunden. So könne nicht über Liebe nachgedacht werden, ohne gleichzeitig auch über das Geschlechterverhältnis nachzudenken, und anders herum. Genauso sei es bei anderen Themen wie etwa der Gerechtigkeit. Je nachdem, um welches Thema es sich handelt, verändert sich auch die Bedeutung, die die Geschlechterdifferenz jeweils annimmt.

Ein wesentliches Missverständnis sei es, die Geschlechterdifferenz als etwas zu verstehen, das Gesellschaft konstituiert, und nicht als „Durchgang zur Einzigartigkeit“ (Kristeva), also als Weg zur Individualität. Der Fokus der ausgewählten Autorinnen sei nicht die Gesellschaft (die aus vielen verschiedenen Menschen eine Einheit bildet), sondern die Kultur (wo sich Individuen so begegnen, dass sie Individuen bleiben). Es gehe darum, zu verstehen, dass die Unterscheidung von Männlich und Weiblich nicht Frauen und Männer als gesellschaftliche Gruppierungen quasi „vereinheitlicht“, sondern gerade der notwendige Durchgang ist, der Individualität ermöglicht.

Günter erläuterte das an dem Satz „Ich bin eine Frau“. In soziologischer Hinsicht werde dies meistens vom Frausein her gedacht: Das „Frau“ als eine Zuschreibung, die die Person, die diesen Satz spricht, determiniert. Betont man hingegen das „Ich bin“ so steht die interessantere Frage im Raum, nämlich: Was will die Person ausdrücken, wenn sie sagt: „Ich bin eine Frau“? An diesem Punkt unterscheide sich die Diskussion in den romanischen Ländern sehr von der in Deutschland.

Die in dem Band versammelten Texte sollen die Differenziertheit, die es in den Kulturwissenschaften in punkto Geschlechterdifferenz gegeben hat, wieder in die Debatten hereinholen. Meistens handelt es sich um Textpassagen von bis zu zwei Seiten Länge. Sie sind in thematischen Kapiteln sortiert und wurden von den Herausgeberinnen jeweils eingeleitet und kommentiert und auf diese Weise zueinander und zur Fragestellung in Beziehung gesetzt.

Anke Drygala, Andrea Günter (Hg): Paradigma Geschlechterdifferenz. Ein philosophisches Lesebuch. Ulrike Helmer Verlag, Sulzbach 2010, 304 Seiten, 29,95 Euro.

Autorin: Antje Schrupp
Redakteurin: Antje Schrupp
Eingestellt am: 10.10.2010
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