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Pausenlos arbeiten und nie mit sich zufrieden sein

Von Juliane Brumberg

Als Kollegin in der Redaktion von www.bzw-weiterdenken.de hatte ich am Rande mitbekommen, dass Dorothee Markert an einem Buch über Pietismus schreibt. Interessant, dachte ich, aber warum dieses Thema? Was hat es mit Frauen zu tun?

Dorothee Markert

Keine Zeit für Müßiggang? Die Autorin Dorothee Markert. (Foto: Juliane Brumberg)

Dass es ganz viel mit dem Alltag von vielen Frauen und auch mit dem von mir zu tun hat, merkte ich schnell beim Lesen. Die Pietisten und Pietistinnen, so meinen viele, das seien doch die ganz Frommen und von denen gibt es heute kaum noch welche. Das ist sicher richtig, doch übersehen wird dabei, dass der Pietismus eine Haltung oder eine Strömung ist, die weit über den inneren Kreis hinausgewirkt hat und die auch heute die nachfolgenden Generationen weiterbeeinflusst, ohne dass es ihnen bewusst ist. Das hat die Autorin durch Interviews mit Menschen aus pietistischen Elternhäusern und ihre persönliche Lebensgeschichte exemplarisch erklärt und mit einem differenzierten Rückblick in die Geschichte und Beispielen aus der Literatur ergänzt.

Mit seinem Eintreten für ein gottgefälliges, fleißiges Leben ist der Pietismus nach dem dreißigjährigen Krieg, primär im 18. und 19. Jahrhundert, kulturprägend in weiten protestantischen Teilen Süddeutschland und Sachsens gewesen. Ziel war es, die mit der Reformation Martin Luthers begonnene Erneuerung fortzuführen. Ein „gutes“ Leben zu führen, hieß dabei, für Andere da zu sein, nie mit sich zufrieden zu sein, die Zeit nicht mit Müßiggang zu vertun und auch sonst nicht verschwenderisch zu sein, kurz, die ganze Welt zu verbessern. Das sind, wie Dorothee Markert nachweist, Ideale, die auch in das Engagement der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung eingegangen sind. Genau diese Verbindungslinien zwischen Pietismus und Sozialismus stellt Dorothee Markert her. Und sie geht sogar noch einen Schritt weiter, in dem sie aufzeigt, wie dünn bei diesem „immer-besser-Sein-wollen“ die Grenze zum Fundamentalismus ist. Denn auch in fundamentalistischen Bewegungen geht es ja zunächst darum, die Welt verbessern zu wollen – und das dann immer radikaler.

Eindrücklich beschreibt sie ihre eigenen Erfahrungen: „Den Druck Opfer zu bringen, kenne ich aus meiner Zeit in der Linken. Gleich beim ersten Schulungsnachmittag ‚opferte‘ ich zusammen mit meinem Glauben an die Gewaltlosigkeit auch den Rest meiner kindlichen Frömmigkeit. Nun hatte ich dem ständigen Zwang, für die Revolution zu arbeiten, während andere ihre Freizeit genossen, nichts mehr entgegenzusetzen.“ Die Bereitschaft dazu führt sie auf die Prägung durch ihre pietistische Erziehung zurück. Und sie geht sogar noch weiter: „Ich betrachte es als großes Glück, dass es damals in meinem näheren Umfeld niemanden gab, der versuchte, mich für die Mitarbeit in der RAF zu rekrutieren.“ Um die Welt zu verbessern.

Gefühl mangelhafter Frömmigkeit

Wer weiß, wie viele Frauen (und Männer) inner- und außerhalb evangelischer Pfarrhäuser diesen – oft selbstgemachten Druck – kennen, immer besser sein zu wollen oder zu müssen? Deshalb ist es eine interessante Erkenntnis, die Ursache dafür nicht nur in psychologischen, persönlichkeitsbedingten Umständen zu sehen, sondern die historisch gewachsenen kulturellen Ursachen zu verstehen, die  selbst dann auf uns einwirken, wenn wir aus einem eher kirchenfernen Elternhaus kommen. Dieses Wissen ist, denke ich, klärend und entlastend insbesondere für Frauen, denn Frauen sind es, die sich immer wieder schuldig, nicht gut genug etc. fühlen.

Der breite und der schmale Weg (Abbildung: Wikimedia)

Der breite und der schmale Weg (Abbildung: Wikimedia)

Glücklicherweise verfällt Dorothee Markert nicht in die Falle, alles, was mit Pietismus zu tun hat, pauschal als schlecht abzutun. Vielmehr differenziert sie zwischen den positiven und negativen Aspekten pietistischen Einflusses, was insbesondere auch in den persönlichen Interviews, die sie geführt hat, zum Ausdruck kommt. Mir hat das Buch deutlich gemacht, wie kompliziert es ist, ein „gutes Leben“ zu führen, zu wie viel Lebensfreude religiöse Geborgenheit und ein an Arbeit orientierter Alltag verhelfen können, und wie groß andererseits die Gefahr ist, dass die Sehnsucht danach in die fundamentalistische Richtung kippt und in Enge, Unzufriedenheit und Starrheit sowie einem katastrophalen Selbstwertgefühl endet. Dass wir uns dieses „verdrängten pietistischen Erbes“ – so der Untertitel – in unserer Kultur bewusst werden und entsprechend damit umgehen können, dazu leistet das Buch einen wichtigen Beitrag.

Deshalb: unbedingt lesen, zumal es Lesevergnügen bereitet und Dorothee Markert Wege „zurück in die ganze Welt“ vorschlägt. Damit formuliert sie eine starke Gegenposition zu dem im Buch vorgestellten Bild „Der breite und der schmale Weg“ von Charlotte Reihlen und Paul Beckmann, in dem die Zweiteilung der Welt in Gut und Böse plakativ grob vereinfachend umgesetzt ist und das nach meinem Geschmack auf dem Cover und im Buch ruhig etwas größer hätte sein dürfen.

Dorothee Markert: Lebenslänglich besser. Unser verdrängtes pietistisches Erbe. BOD 2010, ISBN: 978-3-8391-9542-0, 216 S., 16,90 €.

Kommentare zu diesem Beitrag

  • Anna Bolika sagt:

    Ahhh, da wird mir ja jetzt einiges klar: Dass man nicht alles abschütteln kann, wenn man mit soo Entschiedenen Christen aufgewachsen ist, wie ich, war mir schon lange klar……muß ich mir unbedingt kaufen das Buch. Danke für die schöne Beschreibung.

  • Gré Stocker-Boon sagt:

    Liebe Dorothee,
    Hatte von Anfang an,als ich in die Schweiz kam,ein kritisches Auge auf den Pietismus.Die Lehre und Haltung gab mir keine Antworten auf mein tägliches Tun. Meine Person sollte damals ausgeformt werden wie ein Stück Ton auf der Drehscheibe. Ich gehörte so quasi nicht dazu, wenn ich nicht gleich wie sie meine Haare aufgesteckt”auf der Heubühne”trug.Obwohl,ich lernte meine ersten Schritte Deutsch aus dem Gesangsbuch,bei Mangel an Geld und Möglichkeiten. Hart arbeiten war damals die Devise.So konnte nichts Schlimmes passieren,dachten sie,die Arbeitgeber.Aber mein Freiheitsgefühl war stärker und ich trug mein Geheimnis weiter, bis ich darauf meine Antwort fand.

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