beziehungsweise – weiterdenken

Forum für Philosophie und Politik

Rubrik lesen

Zärtlich berührt

Von Juliane Brumberg

Das Leben mit einem Tumor verändert alles. Es ist eine Herausforderung für die Liebe. Davon erzählen Tina und Razvan Georgescu in ihrem Buch „Die zärtliche Berührung“. Cover "Die zärtliche Berührung"


8f3479098b99421db0628c4af6fd52d3

„Biopsie einer Liebe“ heißt der für mich etwas befremdliche Untertitel des Buches, aber geht es darin eigentlich um Liebe? Es ist ein gutes und lohnendes Buch, spannend von der ersten bis zur letzten Seite. Und es ist kein leichtes Buch, denn es geht um einen Tumor, um ein Krebsgeschwür, das zum dritten Mitspieler in einer langjährigen Zweierbeziehung geworden ist.

Tina und Razvan Georgescu, ein Mann und eine Frau, die vor mehr als 20 Jahren aus Rumänien nach Deutschland gekommen sind und jetzt in Frankfurt leben, schreiben, jeweils aus ihrer Perspektive, darüber, wie sich ihr Leben durch den 2004 im Kopf von Razvan diagnostizierten Tumor verändert hat, wie ihre Liebe durch diese Erkrankung auf die Probe gestellt wurde. Denken sie.

Ich habe dem Buch etwas Anderes entnommen. Ich habe gelesen von einem Mann, der politisch interessiert und begeisterter Journalist und Filmemacher ist. Der Visionen und Ideen hat, der stolz auf seinen ersten 90-Minuten-Film ist, der strotzt vor Kreativität und Hartnäckigkeit und ein künstlerisches Werk schaffen möchte. Und es am liebsten hätte, dass seine Frau ihn auf seinen beruflichen Reisen begleitet.

Dann habe ich gelesen von einer jungen Frau und Mutter, die sich nach Sicherheit sehnt, die im Alltag den Rahmen für die zwei heranwachsenden Kinder und ihren schaffensdurstigen Ehemann gestalten muss, die das gut machen möchte, die von finanziellen Sorgen geplagt ist, sich oft überfordert fühlt und nichts mehr wünscht, als mit ihrem Mann und den Kindern einen ganz normalen Familienalltag zu leben. – Und beide sind fest überzeugt von ihrer Liebe.

Das ist nichts Anderes, als was in vielen klassischen Ehen abläuft, wenn ein Paar zwischen 30 und 40 Jahre alt ist und die Niederungen des normalen Alltags bewältigt werden müssen. Bei Tina und Razvan allerdings ist nichts normal, da ist der Tumor, der die Probleme wie unter einem Brennglas befeuert, sodass die beiden sich einbilden, dass er es ist, der ihre Liebe bedroht.

Aber vielleicht ist das Problem, dass sie von der Liebe etwas erwarten, was die Liebe nicht erfüllen kann. Die Liebe kann nicht die Alltagsprobleme lösen. Sie kann auch nicht das Auseinanderklaffen der Wünsche eines Mannes und einer Frau an die Beziehung und für die möglicherweise nur noch sehr kurze gemeinsame Zukunft überdecken. Klar, die Vorstellung ist tröstlich, dass, wenn man schon sterben muss, dann in den Armen der geliebten Frau. Und klar auch, dass vor allem eins nicht thematisiert werden darf, nämlich, dass der geliebte Mann wirklich sterben könnte. So entfernen sich die beiden immer weiter voneinander, leben in Parallelwelten.

Faszinierend, mit welcher Treue sie trotzdem zueinander stehen, wie sie um ihre Beziehung kämpfen und mit welcher Offenheit sie das alles beschreiben: Wie kompliziert der Umgang mit Tinas Schwiegerfamilie ist, wie sich Razvan nach der alten Heimat sehnt, wie schwierig es auch ist, mit rumänischem Namen in Deutschland Fuß zu fassen. Mir stellt es sich so dar, dass nicht zuletzt das Emigrantenschicksal die beiden zäh gemacht und gleichzeitig so eng zusammengeschweißt hat, dass dadurch der Spielraum für die Liebe kleiner geworden ist und sie sie gerade deshalb immer wieder beschwören und sezieren müssen. Aber es schält sich auch heraus, wie die beiden in den fünf Jahren des Lebens mit dem Tumor gewachsen und gereift sind. Das Naheliegendste, der Tod, kommt fast nicht vor in diesem Buch, obwohl Razvan nach der ersten Operation maximal 3 Jahre Lebenszeit prophezeit waren. Das Ende des Buches stimmt hoffnungsvoll. Bei einer zweiten Operation im Jahr 2009 konnte der Tumor nahezu restlos entfernt werden.

Das Buch ist keine leichte Unterhaltungslektüre. Lieber macht man einen großen Bogen um so ein bedrohliches Thema. Aber gelesen habe ich es mit großem Gewinn, nicht nur weil beide, Tina und Razvan, eine Begabung zum Schreiben haben. „Die zärtliche Berührung“, so der Haupttitel, hat mich in der Tat zärtlich berührt, noch lange beschäftigt und zum Nachdenken angeregt: Über Liebe und Beziehungen, über Verlässlichkeit und die Einschränkungen durch selbstverständliche Treue, über die Schwierigkeiten des täglichen Lebens als Künstler und Emigrant, darüber, wie sich alles verändert, wenn das schreckliche Wort „Krebs“ plötzlich in eine Familie Einzug gehalten hat und darüber, ob Männer und Frauen nicht nur Unterschiedliches vom Leben erwarten, sondern auch unterschiedlich mit dem Tod umgehen.

Tina und Razvan Georgescu, Die zärtliche Berührung, Biopsie einer Liebe, Gütersloher Verlagshaus Gütersloh 2010, 270 S., € 19,99.

Autorin: Juliane Brumberg
Redakteurin: Juliane Brumberg
Eingestellt am: 25.01.2011
Tags:
:

Weiterdenken