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Mutterschaft differenziert betrachten

Von Andrea Günter

© Robbic - Fotolia.com

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In Bezug auf Mutterschaft wird von Simone de Beauvoir häufig behauptet, sie lehne diese ab, so auch neuerdings wieder Hannelore Schlaffer in ihrem klugen Kommentar über die „Köhler-Schwarzer-Debatte“ und einer neuen feministischen „Epoche“ zum Mutterthema. Doch stimmt es überhaupt, ist Beauvoir tatsächlich mutterschafts- bzw. kindfeindlich? Wenn Beauvoir nun doch etwas ganz anderes sagen würde? Dann ginge es heutzutage nicht um neue feministische Epochen, sondern vielmehr um unterschiedliche Richtungen, womöglich Differenzierungsvermögen zum Mutterthema in den feministishcen Debatten.

Es spricht einiges gegen die Einschätzung, Beauvoir lehne die Mutterschaft ab. Der Blick in Beauvoirs Hauptwerk „Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau“ zeigt, dass Beauvoir die Problematik Mutterschaft sehr differenziert aufreißt und hierfür bestimmte, nämlich idealisierende Mutterbilder und deren ungute Aneignung durch Frauen kritisiert. Gleichzeitig beanstandet sie die Abwertung der Schwangerschaft, die gesellschaftliche Unterwerfung von Frauen durch die Mutterschaft, das Abtreibungsverbot, die Stilisierung der Mutter als Feindin des Mannes, ferner die „Mutterschaft“ als Lohn und Ort der Autonomie der Frau ebenso wie die Gebärfähigkeit und Mutterliebe als ausschlaggebenden Grund weiblichen Selbstbewusstseins, weiblicher Transzendenz. Dies ist eine vielseitige Kritik der Konstellation „Mutterschaft“, die Beauvoir wie kaum eine andere zuvor erst einmal zusammenstellt. In all diesen Zusammenhängen spricht Beauvoir von „solchen Frauen, die ihre Freiheit zugunsten ihres Körpers entfremden“, indem sie beständig schwanger werden. Das besagt, dass es in ihren Augen auch solche gibt, die das gerade nicht tun.

Akribisch beschreibt Beauvoir außerdem die Unvereinbarkeit von „Mutterschaft und Beruf“ und veranschlagt, dass Mütter dieselbe materielle und moralische Verantwortung für das Paar übernehmen sollen wie Väter. Und sie bringt zur Sprache, dass Frauen sich über ihre Schwangerschaft freuen, wenn ihre Lebensumstände stimmen, nämlich frei von Knechtschaft sind, sodass sie mit ihrer Schwangerschaft also einverstanden sind, diese frei und aufrichtig bejahen. Eine Schwangerschaft ist Beauvoir zufolge ein Existential und Differential im Leben einer Frau, denn eine Schwangerschaft spiegelt einer Frau ihre genaue Situation und ihre mit ihrer Situation verknüpften Ambivalenzen.

Von Beauvoirs berechtigter Kritik an Mutterbildern und Mutterkult kann also nicht geschlossen werden, dass sie Mutterschaft grundsätzlich ablehnt. Nicht nur differenziert sie genau, wovon sie jeweils spricht, wenn es um Mutterschaft geht, und unterscheidet Bilder, gesellschaftliche Umstände, historische Entwicklungen, wobei sie im- und explizit neue Maßstäbe für eine Mutterschaft entwickelt, die mit der Freiheit von Frauen vereinbar ist. Sie plädiert sogar regelrecht dafür: für eine freie Mutterschaft.

Dass die Differenziertheit Beauvoirs in der Mutterschaftsfrage ebenso wie andere Seiten von Beauvoirs Argumentationen in Deutschland kaum Beachtung finden, hat auch damit zu tun, dass Beauvoir bei uns in der Regel mit den Augen von Alice Schwarzer gelesen wird. Mag Schwarzer auch Beauvoirschülerin sein, so sind aber Beauvoirs Ideen noch lange nicht mit den Auffassungen von Schwarzer identisch. Beauvoirs Kommentar, sie hoffe, Schwarzers Interviews mit ihr tragen zum besseren Verständnis dessen bei, was ihr, nämlich Beauvoirs Anliegen sei, beinhaltet auch einen Auftrag: nämlich den, nach der Beauvoir jenseits von Schwarzer zu suchen.

Beauvoir zählt zu denjenigen Frauen, die wesentlich dafür einstehen, dass unehelich Schwangere nicht länger aus seltsamen, zumeist doppelmoralischen Gründen sozial diskriminiert werden sollen. Außerdem hält Beauvoir fest, dass es Frauen gibt, die nicht nur sexuelle Beziehungen jenseits der Ehe, sondern sogar Kinder ohne Ehe wollen (was nicht unbedingt heißt: ohne stabile Beziehung zu einem Mann oder zu Männern). Und sie führt an, dass auch ledige Frauen gerne Kinder bekommen würden, wenn sie auf die entsprechenden notwendigen Unterstützungen zurückgreifen könnten. (Männer mit Kinder-, aber ohne Ehewunsch kommen bei ihr auffälligerweise nicht vor. Ist das nur der Zeit geschuldet? Väter wiederum tauchen als Anstifter zu Abtreibung oder als Ehemänner auf, die unter Ehezwang stehen und/oder ihre Erben sichern wollen.)

Mit dieser Analyse von Beauvoir steht im Raum: Es gibt eine Menge von Frauen, die Kinder ohne eheliches Konstrukt wollen! Dieses Wollen jenseits einer frauen- und sexualitätsverachtenden Moralität zu schützen, also Frauen und Sexualität, letztlich auch Männer nicht länger in falsche, enge gesellschaftliche Formen zu pressen, die viele Menschen in Verzweiflung und Unglück stürzen, würde bedeuten: Unverheiratet schwanger zu sein wäre nicht automatisch ein Missgeschick oder moralisches Fehlverhalten, kein moralisches oder verhütungstechnisches Versagen, sondern könnte in einigen Fällen regelrecht das Ergebnis eines freien Wunsches sein. Allerdings verbleibt gesellschaftsanalytisch anzufügen: Insofern Ökonomie und Arbeitsteilung mitspielen.

Frauen würden sogar mehr Kinder bekommen, wenn sie damit nicht von der Ehe abhängig wären, deswegen heiraten oder eine feste Partnerschaft anvisieren müssten, soviel lässt sich festhalten. Schon für die 40er Jahre des 20. Jahrhunderts kann Beauvoir konstatieren, dass sich viele Frauen aus diesem Grund die Möglichkeit einer künstlichen Befruchtung wünschen. Dabei ist mit der Abhängigkeit der Kinderwunscherfüllung von der Ehe nicht einfach nur die zeugende eheliche Beziehung zu einem Mann, gar dem Vater der Kinder gemeint, sondern die Abhängigkeit des Kinderbekommens und -habens von der „Ehe“ als der gesellschaftlichen Organisationsweise, die es Frauen (und Männern) erlaubt und ermöglicht, Kindern zu bekommen und aufzuziehen.

Eine Gesellschaft, die Kinderbekommen und -haben nicht vom Ehepaar als gesellschaftlicher, moralisierter Organisationsweise abhängig macht? Welch großer Kontrast zwischen der Vision Beauvoirs und dem Vorhaben des Schutzes der Ehe (und Familie) vor allem des deutschen Grundgesetzes, das zugleich die Würde der Frauen und wohl auch Mütter garantieren will.

Und wie zynisch erst erscheint vor dieser Vision das spezifisch deutsche Ehegattensplitting, insbesondere wenn man weiß, dass diese Konstruktion die konservativ christliche politische Reaktion darauf war, dass die meisten Frauen und viele Männer in der Nachkriegszeit zwar Kinder bekommen, nicht aber heiraten wollten. Da „christliche“ Ehe-Religionswahrheiten gerade in Anbetracht der historischen Geschlechter-Situation der Nachkriegszeit jeglichen Überzeugungswert verloren hatten, schien konservativen Katholiken wie dem damaligen Familienminister Franz-Josef Wuermeling nur ein letztes Überzeugungsmittel zu bleiben: Frauen und Männern wurde Geld angeboten, wurden Kredite und Steuernachlässe für die Eheschließung zur Verfügung gestellt. Fiskale Manipulation moralischer Freiheit für eine Moral, die in Anbetracht der Lebensverhältnisse schon damals ausgespielt hatte. Korruption der Moral aufgrund einer versagenden Moral könnte das genannt werden.

Auch heute wieder ist Heirat aus steuerlichen Gründen ein häufig genannter Grund für Eheschließungen.  Frau mag gar nicht darüber nachdenken, wie sehr die Ehe-Familien-Kinder-Korruptions-Organisation selbstverständliche Grundlage der derzeitigen gesellschaftlichen ökonomischen Verhältnisse und damit die Korruption zur moralisch legitimierten Grundstruktur menschlichen Zusammenlebens und der Ökonomie geworden ist. Eine kleine Nebentatsache, die in ihrer Wirkung allerdings kaum so klein ist: Spiegeln die Kredite für die armen „Familienhäuslebauer“ nicht auch die US-amerikanische religiöse Hypermoral und wurde das nicht zum Auslöser einer unwirklichen Finanzspekulation und folglich der Finanzkrise?

Vielleicht machen diese Kontraste die Schwierigkeiten erst so richtig deutlich, denen Feministinnen nun schon seit mehr als einem halben Jahrhundert hinterherlaufen. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verlangen, ist viel zu oberflächlich. Darauf wird es erst Antworten geben können, wenn die Mutterschaft und die gesellschaftliche Organisationsweise des Lebens von Müttern und des Versorgens und Erziehens von Kindern neu gefasst wird: jenseits von Moral und ökonomischer Manipulation und Korruption von Frauen und Männern. Das Versorgen und Erziehen von Kindern ist Arbeit, braucht Zeit, Raum, Anstrengung, Geld, Nerven: vom Zusammenleben mit Kindern zu sprechen, verharmlost die Aufgabe.

„Die freie Frau ist eben erst geboren“: Beauvoirs programmatischer Satz würde, auf Mütter bezogen, lauten: Die freie Mutter ist eben erst geboren. Ein undenkbarer, für Deutsche kaum aussprechbarer Satz? Er könnte das Scharnier sein, das zu durchschreiten ist, wenn Frausein und frei sein in fruchtbarer Beziehung zueinander zu stehen beginnen, ohne länger durch Korruption manipuliert zu werden. Wir müssen also auch unser ökonomisches Selbstverständnis entlang der freien Mutterschaft konzipieren, ferner unseren Freiheits- und Moralbegriff ändern, wenn Mutterschaft, Geschlechterbeziehungen und letztlich das Zusammenleben aller Menschen als Freie neu organisiert werden soll, sodass sie moralische Manipulation und Korruption nicht mehr nötig haben.

Autorin: Andrea Günter
Redakteurin: Antje Schrupp
Eingestellt am: 02.02.2011
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