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hinten runter gefallen – für lilith

Von Bettina Schmitz

Premiere der neuen TanzTextPerformance von Lisa Kuttner und Bettina Schmitz war am 4. März 2011 an der Evangelischen Akademie in Meißen

Copyright: Bettina Schmitz

Schmatzend, gurgelnd, zischend, beginnt die Vorstellung. Wind zieht auf. Zwei Frauengestalten sitzen sich gegenüber, gebeugt, die Köpfe aneinander geschmiegt, als wären sie eine. – Ursuppe? Platons Kugelmensch? Beschützen sie etwas? Plötzlich lösen sie sich voneinander, die eine gibt lauter werdende Geräusche von sich, Vokale und Konsonanten beginnen sich voneinander zu unterscheiden, Silben werden gebildet, vielleicht entsteht sogar ein Name, während die andere dem Geschehen tanzend Ausdruck verleiht. Laute und Bewegung sind eins und doch schon unterschiedene Formen der Gestaltung.

Die Tänzerin breitet sich aus im Raum. Die Bühne befindet sich in der Mitte; sie wird vom Kreis der Zuschauerinnen begrenzt. Die vier Himmelsrichtungen werden gerufen, getanzt, beschworen. Im Norden kommt die Tänzerin zur Ruhe; sie liegt auf dem Rücken, die Beine aufgestellt, die Hände wie eine Schale, wie ein Buch über dem Gesicht. Aus den Lauten werden Worte.  Erstaunt, sehnsuchtsvoll erklingt „rote silbe ro. blut tropft …“ – noch wissen die Zuschauenden nicht, dass dies der Refrain der Performance ist. Ein Gegenstand zieht die Blicke an. Es ist derjenige, den sie anfangs gehütet und mit ihren Körpern verborgen haben, vielleicht eine umgedrehte Schale. Unter dieser entdeckt die Sprecherin eine rote Schriftrolle und einen Stein, lässt sie dort liegen und dehnt und dreht sich über den Boden in die Mitte des Kreises.

Im folgenden Monolog gedenken sie gemeinsam vieler Frauen, die im Laufe der Geschichte „hinten runter gefallen“ sind. Von Lilith, über Hera und Xanthippe, Märtyrerinnen, als Hexen vebrannten Frauen, den Frauen der französischen Revolution, die in Konzentrationslagern gemordeten Frauen bis hin zu Frauen, die in der Gegenwart im Namen männlicher Ehre gequält oder getötet werden, geht die Litanei. Wie ein Requiem kam einer Zuschauerin dies vor. Der Refrain wird zum Übergang zur letzten Sequenz der Performance dreimal gesprochen. Nun liegt die Sprecherin, die Hände über dem Gesicht, wie eine Schale, wie ein Himmel, wie ein Buch. Sie ruft die Himmelrichtungen an.

Diese werden sowohl mit bestimmten Aufgaben – z.B. im Süden mit der Erinnerung – als auch mit den Namen mythologischer Figuren und Göttinnen verbunden. Sehnsuchtsvoll dehnt sich die Tänzerin im Westen in die Unendlichkeit des Horizonts, um gleich darauf verspielt durch die Wasser zu hüpfen. Wenn die Namen gerufen werden, nimmt sie für jede Richtung eine rituell anmutende Haltung ein, während sich die Sprecherin im Innern wie eine Kompassnadel auf dem Boden in die jeweilige Richtung dreht. Am Ende sitzen die beiden einander gegenüber, blicken sich an, und jetzt es könnte von neuem beginnen. Manche Zuschauerin freute sich, so viele ihr bereits bekannte Frauengestalten erinnert zu finden, andere sind jetzt neugierig auf die Geschichten zu den genannten Namen.

Die Performance ist eine Weiterentwicklung der Zusammenarbeit der Tänzerin Lisa Kuttner und der Dichterin und Philosophin Bettina Schmitz, beide aus Würzburg. Begonnen hatten sie 2006 mit „trägst den geheimen namen“, in dem – locker aneinander gereiht – Gedichte von Bettina Schmitz ‚vertanzt‘ wurden. In „heimat labyrinth“, das drei Jahre später Premiere hatte und 2011 noch einmal in Zürich aufgeführt wird, wuchsen Worte und Tanz weiter zusammen. Bei „hinten runter gefallen“ sind Sprache und Bewegung nun wie aus einem Guss. Die Trennung von Bewegung und Wort ist aufgehoben.

Das Textheft zur Performance mit den Texten und Gedichten von Bettina Schmitz und mit einem gemeinsam mit Lisa Kuttner verfassten Essay über Lilith ist in den éditions betweena erschienen und bei Bettina Schmitz oder über den TANZRAUM erhältlich. Eine erste Aufführung in Würzburg ist am 9. Juli im Rahmen der Ausstellung von Petra Blume “INNOCENCE” im Spitäle geplant, Beginn 17 Uhr, weitere Aufführungen, ebenfalls in Würzburg am 19. August um 20 Uhr im TANZRAUM anlässlich der Jahresversammlung der Autorinnenvereinigung und am 7. September um 19 Uhr im Radlersaal (Würzburg, Heidingsfeld) in Verbindung mit einem Vortrag von Vera Zingsem zu Lilith.

www.tanzraum.li;   www.bewegungs-raum.de;

Autorin: Bettina Schmitz
Redakteurin: Ursula Pöppinghaus
Eingestellt am: 18.05.2011
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