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Rubrik denken

Die Männer und das Patriarchat

Von Antje Schrupp

Foto: Robert Kneschke - Fotolia.com

In einer der letzten Ausgaben von „Via Dogana“, der Zeitschrift des Mailänder Frauenbuchladens (Juni 2011), gibt es einen Artikel von Riccardo Fanciullacci, der sich unter dem Titel „Das Patriarchat ist zu Ende. Und wir?“ mit der Frage beschäftigt, mit welchen Themen und Herausforderungen es Männer heute zu tun haben. Mir scheinen seine Überlegungen interessant, und vielleicht sind sie das ja auch für den ein oder anderen Mann im deutschen Kontext. Wobei er aus der Position eines Mannes schreibt, der vom Feminismus viel gelernt hat, der die Freiheit von Frauen als Chance und nicht als Bedrohung sieht und an konstruktiver Zusammenarbeit mit Frauen interessiert ist.

Fanciullacci unterrichtet Philosophie an der Universität von Verona und daher bezieht er sich zunächst auf eine These, die vom italienischen Differenzfeminismus angestoßen wurde, aber hier in Deutschland nicht so bekannt ist, weshalb ich sie vorab kurz rekapituliere. Der Gedanke, dass das Patriarchat möglicherweise schon zu Ende ist, stammt von Luisa Muraro, die ihn 1996 in einem Artikel namens „Freudensprünge“ formuliert hat (in deutscher Übersetzung abgedruckt in: Diotima: Die Welt zur Welt bringen, ich habe darüber 1998 ein Interview mit ihr geführt) und der dann auch Grundlage einer Flugschrift des Mailänder Frauenbuchladens wurde, dem so genannten „roten Sottosopra“ mit dem Titel „Es ist passiert – nicht aus Zufall“.

Gemeint ist offensichtlich nicht, dass mit dem Ende des Patriarchats das Paradies auf Erden angebrochen sei, sondern dass die Aufgabe, vor der freiheitsliebende Frauen stehen, nicht länger die bloße Kritik an patriarchalen Zuständen ist, sondern dass „die konstruktive Arbeit an einer erneuerten symbolischen Ordnung wichtiger wird als die Kritik an der vergehenden Zweiteilung“ – so formuliert es Ina Praetorius in ihrem neuen Buch, die dafür im deutschsprachigen Raum auch den Begriff des „postpatriarchalen Denkens“ geprägt hat.

Mir hat damals der Gedanke, dass der Kampf gegen das Patriarchat längst nicht mehr der Anknüpfungspunkt für feministisches Handeln sein sollte, sofort eingeleuchtet, aber es war schwer, das in Deutschland zu vermitteln (was ich eine Zeitlang versucht habe). Aber der Widerstand gegen diesen Gedanken war groß und die Diskussionen meist unfruchtbar, zu fest verankert war im Feminismus die Idee, dass „das Patriarchat“ noch immer in voller Blüte stünde.

Inzwischen meine ich, dass – auch wenn die Formulierung vom „Ende des Patriarchats“ im deutschen Feminismus noch immer oft zu Stirnrunzeln führt – die konkreten Entwicklungen diese Diagnose bestätigt haben. Denn so unterschiedlich die Aktionsweisen und Denkansätze von politisch aktiven Frauen auch sind, so offensichtlich ist es doch, dass sie alle der Arbeit an einer postpatriachalen Gesellschaft faktisch den Vorrang vor dem Kampf gegen klassische „Männerherrschaft“ geben:

Zum Beispiel, wenn Feministinnen keine Lust mehr haben, Männern weiterhin zu erklären, worum es eigentlich geht, sondern sie darauf verweisen, dass das längst überall nachgelesen werden kann. Oder wenn Frauen sich von der Politik der Separation verabschieden und den starken Wunsch haben, die Gestaltung der Welt gemeinsam mit Männern in Angriff zu nehmen. Oder wenn sie keine Lust mehr haben, sich an gläsernen Decken in Institutionen abzuarbeiten, sondern die Angelegenheit jetzt endlich mal mit Hilfe einer fixen Quote hinter sich bringen wollen. Oder wenn ein „sexpositiver“ Zugang zu Pornografie verlangt wird, weil sich das Thema nun wirklich nicht in der Kritik an gewaltförmigen Sexdarstellungen erschöpft. Oder wenn Politikerinnen von Angela Merkel bis Marina Weisband ganz selbstverständlich mit vollster Autorität agieren, ohne aus ihrem Frausein ein Geheimnis oder ein großes Bohei zu machen.

Ich bin bekanntlich nicht mit allem davon einverstanden, und teilweise sind die Anliegen dieser Frauen auch miteinander unvereinbar, aber das Gemeinsame daran ist, dass die Kritik an Männerherrschaft nicht mehr im Zentrum ihrer Interessen steht, sondern dass sie darüber hinaus wollen. Dass für sie die weibliche Freiheit nichts mehr ist, was gerechtfertigt und erklärt werden muss, sondern der selbstverständliche und nicht zur Diskussion stehende Ausgangspunkt.

Das heißt natürlich nicht, dass es nicht noch Relikte von patriarchalen Mustern gibt, die sehr gefährlich und problematisch sein können. Aber der Umgang mit ihnen ist – von Seiten der Frauen – von einem inhaltlichen Herzensanliegen zu einem pragmatischen In-die-Schranken-Weisen geworden, ob nun Merkel die Patriarchen in ihrer Partei auf Eis legt oder ob feministische Blogs entsprechende Kommentare einfach bei hatr.org abliefern. Die Überreste des Patriarchats sind heute nicht mehr Gegenstand ernsthafter feministischer Analyse, sondern ein Ärgernis wie schlechtes Wetter, mit dem man zwar rechnen und gegen das man etwas unternehmen muss, wobei aber die eigentlichen Aufgaben längst ganz andere sind.

Die These von Riccardo Fanciullacci ist nun, dass Frauen sich diese pragmatische Abwendung vom „Patriarchat“ als Kategorie leisten können, weil für sie das Thema tatsächlich in dem Moment inhaltlich erledigt ist, in dem sie patriarchalen Denkmustern die Glaubwürdigkeit entziehen. Männer hingegen nicht. Männer könnten nicht bloß pragmatisch mit den Ausläufern des Patriarchats umgehen, weil sie in ihrem eigenen Mannsein davon betroffen sind. Freie, also postpatriarchale Männer, so seine These, können sie nur werden, wenn sie „die Aufarbeitung der dunkelsten und tiefgreifenden Wurzeln der patriarchalen symbolischen Ordnung wieder aufnehmen. Die kritische Arbeit am männlichen Symbolischen könnte für uns Männer der direkteste Weg sein, um uns weiterzubringen und die Formen zu verändern, die unseren inneren Weg und unser Begehren prägen.“

Er hat dabei natürlich den Berlusconismus vor Augen, der ein extremes Beispiel für ein „Neopatriarchat“ ist, das politische Verantwortungslosigkeit direkt mit Männlichkeit verknüpft – Berlusconi ist ja nicht einfach nur ein schlechter Politiker gewesen, sondern er hat sein Handeln konsequent mit einer bestimmten Performanz von Männlichkeit verbunden. Auch in Deutschland gibt es Beispiele für eine solche Vermischung von gesellschaftsschädlichem Verhalten mit Männlichkeit, zum Beispiel in Teilen der Männerbewegung oder im organisierten Antifeminismus, aber auch in bestimmten Toppositionen der Wirtschaft oder in bestimmten Bereichen der Populärkultur. Deshalb, so Fanciullacci, sei es für Männer heute notwendig, das Wort „Patriarchat“ weiter zu verwenden, als Analysekriterium, um sich „von einer Erbschaft zu lösen, die ohne eine genaue symbolische Vermittlungsarbeit nicht verschwinden wird.“

Der Weg, den er dafür vorschlägt ist, eine Art und Weise zu finden, sich „auf nicht patriarchale Weise zu einer Frau in Beziehung zu setzen.“ Dafür gebe es keine bestimmte Methode und keine festen Regeln, und vor allem dürfe man nicht allgemein „die Frauen“ dabei im Blick haben. Sondern es gehe darum, sich in der konkreten Beziehung zu einer bestimmten Frau ihrer „jeweils einzigartigen Weise, Frau zu sein“ auszusetzen, und zwar „mit ein bisschen Liebe“. Dafür sei es notwendig, „Vertrauen zu haben in ihre Fähigkeit, uns zu sagen, wenn die Art und Weise, mit der wir ihr begegnen, nicht in Ordnung ist“.

Aber das sei nicht alles. Ein Hauptproblem des patriarchalen Erbes sei es, dass „Männer die außerordentliche Fähigkeit haben, jede Frau in die Position der Mutter zu bringen, und sei sie auch zwanzig Jahre jünger: Um diese Dynamik abzuschalten ist es notwendig, darauf vorbereitet zu sein, indem man sich bemüht, das Knäuel zwischen der jeweils besonderen Form des eigenen Begehrens und dem, was von historisch bedingten symbolischen Ordnungen herrührt, zu entwirren“.

Zum Schluss schlägt Fanciullacci drei Ziele vor, um die es aus seiner Sicht bei der „Transfomation des männlichen Selbst“ geht, und die ich hier zum Schluss wörtlich zitiere:

Erstens: Zu lernen, vor einer Frau zu stehen und ihre Erfolge, ihre Bewegungsfreiheit und die Interessen, die sie irgendwo hin führen, wahrzunehmen, ohne die leiseste Sehnsucht aufkommen zu lassen nach dem alten Bild der Frau als Spiegel, die dem Mann seine eigene Figur in doppelter Größe zurückwirft.

Zweitens: Zu lernen, ihr unsere Bedürftigkeit zu zeigen, ohne gleichzeitig von ihr zu verlangen, unsere Mutter zu sein; oder auch: Die eigene Mutter zu lieben, ohne von jeder anderen Frau die Liebe einer Mutter zu erwarten.

Drittens: Zu lernen, ihr eine hingebungsvolle und ernst gemeinte erotische Kreativität anzubieten, die nicht die Liebe kleinmacht und an ihrer Stelle den immer wieder selben sexuellen Phantasien Raum gibt.

(crosspost von http://antjeschrupp.com/2011/11/19/die-manner-und-das-patriarchat/)

Autorin: Antje Schrupp
Eingestellt am: 20.11.2011
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