beziehungsweise – weiterdenken

Forum für Philosophie und Politik

Rubrik lesen

The singer is gone – Nachdenken über Leben und Erkenntnisse von Monika Jaeckel

Von Ingrid Maria Bertram

Es gibt ein Lied mit dem Titel „hanging in mid-air“ auf der 1979 von Monika Jaeckel und der Gitarristin Barbara Bauermeister herausgegebenen Schallplatte „Witch is Witch“, das mit den Worten beginnt: „the singer ist gone …“ Das Lied erzählt von einer Zurückweisung und einer Trennung, die eine Frau von einer Freundin hinnehmen muss, weil sich ihrer beider Wege trennen. Es endet mit den Worten: „You’re both travelling on, and your journey is long, you’ll detect her, reconnect her before your day is done.”

An dieses Lied musste ich beim Lesen von Monika Jaeckels Autobiografie denken. Auch sie hat Trennungen erfahren, Verletzungen erlitten, hat Enttäuschungen und Täuschungen überwinden müssen, um ihren ganz eigenen Weg gehen zu können. Am Ende dieses Weges, wenige Wochen vor ihrem Tod am 06.  November 2009, sagt sie zu ihrer Freundin und Biografin Katrin Rohnstock: „Ich habe ein ganzes Leben gelebt und runde mit sechzig Jahren einen großen Lebenskreis ab. Das gibt mir Frieden. Ich denke nicht, etwas versäumt zu haben – im Grunde habe ich alles getan, was ich tun wollte: meine Träume verwirklicht, meine Projekte abgeschlossen und meine Missionen erfüllt. Es bleibt keine Sehnsucht nach einem nicht gelebten Leben.“

Ich kannte Monika Jaeckel in der Frauen- und Lesbenbewegung in den 1970er Jahren. Ich traf sie auf unseren Kongressen, bei Frauentreffen, im vertrauten Kreis mit Freundinnen, erlebte sie bei kontrovers geführten Diskussionen, in denen Monika unerschrocken ihre Meinung vertrat.  Für eine kurze Zeit waren wir Feundinnen. Sie gab mir Mut, Inspiration, sie hatte immer viele zündende Ideen. Ich schätzte ihre vollkommene Integrität, ihre Offenheit und Ehrlichkeit, ihren frechen Witz und ihren feinen Humor, vor allem aber die Wertschätzung, die sie Frauen entgegenbrachte. Sie konnte in den Herzen Lichter anzünden!

Als ich 1978 Deutschland verließ und dann in Frankreich lebte, dachte ich oft, dass wir uns – wie in diesem Lied – bestimmt noch einmal wiedersehen würden. Doch dazu kam es nicht, unsere Wege hatten sich für immer getrennt.

Nun halte ich ihren Lebensbericht in meinen Händen. Als erstes muss ich das Kapitel „Flying Lesbians“ lesen, woraufhin ich für eine Weile in Erinnerungen versinke … und dann mache ich  mich auf, um Monika ganz neu zu entdecken!

Ich bin fasziniert von ihrem Lebenswerk, ich bin begeistert von dieser Pionierin, die mit ihrem lebenslangen,  leidenschaftlichen Wunsch, die Welt besser zu machen, insbesondere die von Frauen, alle ihre vielen Begabungen, ihre unermüdliche Forschungs- und Arbeitskraft, ihren ganzen Willen und sehr viel Mut in die Waagschale dessen legte, was sie in ihrer Rede zu ihrem 60. Geburtstag ganz einfach und bescheiden ihre Werte und Visionen nannte.

Die Lebensreise von Monika Jaeckel und spätere Ehefrau von Marieke van Geldermalsen beginnt in Japan, wo sie 1949 in Tokio, als Tochter eines deutschen Missionars und als die Jüngste von fünf Geschwistern zur Welt kommt. Sie verlebt dort eine glückliche Kindheit in einem humanistisch und weltoffen geprägten Elternhaus. Als sie elf Jahre alt ist, kehren ihre Eltern mit ihr nach Deutschland zurück. Das ist ein Einschnitt in ihrem Leben, den sie nie ganz verkraften wird, denn sie muss ihr geliebtes Japan, ihr „Kinderparadies“ verlassen und in der ihr völlig fremden Welt einer hessischen Kleinstadt mit allen Attributen der spießigen deutschen Sechziger-Jahre-Ära zurechtkommen. Sie fühlt sich als Außenseiterin und leidet sehr darunter, lässt sich aber nicht unterkriegen, erringt Anerkennung über Leistung. Mit dem Beginn ihres Studiums der Soziologie in Tübingen und später in Frankfurt bei Professoren wie Theodor W. Adorno und Jürgen Habermas öffnet sich ihr eine neue, ihr gemäße Welt des intellektuellen und politischen Denkens und Handelns. Monika Jaeckel schließt sich der Studentenbewegung an, nimmt teil am „Frankfurter Häuserkampf“, verbringt mehrere Jahre in besetzten Häusern, wird Mitglied der Gruppe „Revolutionärer Kampf“, innerhalb derer sich eine Frauengruppe mit eigenen Aktionen und Denkansätzen bildet. Von hier ist es nicht mehr weit bis zur autonomen Frauenbewegung, zu deren Mitbegünderin Monika wird. Sie wird Sängerin bei den „Flying Lesbians“, entdeckt ihre Liebe zu Frauen, nimmt an vielen Aktionen, u.a. auch an denen gegen den Abtreibungsparagraphen 218 teil. Nach dem Abschluss ihres Studiums und mit ihrem Eintritt in die Forschung beim Deutschen Jugendinstitut in München beginnt sie damit, was ihre größte Herausforderung, ihre größte Leistung und ihr Lebenswerk werden wird. In einem Team mit gleich gesinnten Partnerinnen und Partnern bringt sie das Mütterzentrums-Projekt auf den Weg, aus dem eine internationale Mütterzentrumsbewegung mit heute 850 Mütterzentren weltweit entsteht, die sich immer weiter ausbreitet.

Kurz zusammengefasst sind das die wichtigsten biografischen Stationen auf Monika Jaeckels Lebensreise. Sie geben noch keinen Aufschluss über die Fülle und die Vielfalt ihres bewegten Lebens. Die Liste ihrer Projekte, ihrer Forschungsarbeiten und Publikationen ist lang. Ich gebe zu, dass ich etliche Stunden auf entsprechenden Seiten im Internet unterwegs war, mir aber nur einen groben Überblick verschaffen konnte. Ausführlich berichtet sie von den  Projekten und Netzwerken, die sie gegründet hat, wie beispielsweise die „Grassroots Women’s International Academy“: GWIA,  das „Mütterzentren – Internationales Netzwerk für Empowerment“: MINE, sowie das Unternehmen M & M mit dem Untertitel „Coaching and Research in Social Innovation“.

Während Monika Jaeckel Katrin Rohnstock ihre Lebensgeschichte erzählt, ist ihre Krankheit, der Krebs, schon weit fortgeschritten. Sie weiß nicht, wie viel Zeit ihr noch bleibt. In ihren  circular letters (in englischer Sprache) an ihre community spricht sie offen über den Verlauf ihrer Krankheit, über love – zu Marieke, ihrer Lebensliebe, and pain – ihre Kämpfe gegen den Schmerz und zuletzt auch über ihr Sterben. Sie spricht über die spirituelle Hilfe, die sie von ihrer Ridhwan Gruppe erhält und darüber, dass für sie der Tod ein cross over to the other side ist, eine andere Daseinsform des Lebens. Sie schreibt mit großer Dankbarkeit und Ergriffenheit über die Liebe, die Hilfe, die Anteilnahme, die sie von ihrer community erhält. Ich wollte immer Gemeinschaften bilden, jetzt stelle ich fest, dass ich selber eine habe. Diese Briefe sind sehr schön. Sie sind ehrlich, Wärme und Zärtlichkeit spricht aus ihnen, die Worte kommen ganz aus dem Herzen. Und sie enthalten Botschaften, die, so glaube ich, auch über den Kreis der community hinaus ihre Wirkung haben werden.

Spiritualität verbreitet Liebe und schafft Gemeinschaft. Genau das bewirken die Mütterzentren. In Mütterlichkeit steckt Spirtualität, und in der Spiritualität geht es um mütterliche Qualitäten, sagt Monika am Anfang ihres Erzählens, und plötzlich entdeckte ich Verbindungen, die ich vorher nie gesehen hatte. Mit diesem Gedanken hat sie die spirituelle Kraft der Mütterlichkeit erkannt, von der sie selbst und die Frauen, mit denen sie verbunden war, getragen und mitgetragen wurden. Aber schon lange vorher hat sie ein Wissen darüber gehabt, dass die spirituelle Kraft der Mütter nicht wirkmächtig werden kann, wenn sie allein mit ihren Kindern in den Räumen ihrer Wohnungen eingesperrt und vom öffentlichen Leben ausgesperrt sind, dass sie öffentliche Räume – vergleichbar den Frauenzentren – brauchen, in denen sie präsent sind und ganz im Sinne des motherings, der gelebten Mütterlichkeit, das bekommen und weitergeben, was ihnen Zuwendung, Wertschätzung, Verbundenheit gibt und was sie froh macht.

Damit geht der Mütterzentrums-Gedanke weit über das hinaus, was in sehr unterschiedlichen Weisen Feminismus genannt wird. Der Mütterzentrums-Gedanke lässt matriarchales Wissen und Handeln wieder aufleuchten. Die Mütter zuerst! Das ist der Leitspruch und das Ziel, denn ohne die Mütter gibt es kein neues Leben, weil sie es sind, die Töchter und Söhne zur Welt bringen.

Mütter haben hier das Sagen, sagt Monika Jaeckel, und finden Anerkennung, weibliche Kultur und mütterliche Erfahrung dominieren – es herrscht Mütterkultur; der Rhythmus im Mütterzentrum sollte dem Rhythmus eines Lebens mit Kindern folgen und die weibliche Kultur das Leben prägen; (es) hat sich gezeigt, wie umfassend mütterliches Wissen sein kann. Alles geschieht vom mütterlichen Ansatz her. Zum Exponat eines Mütterzentrums auf der Expo 2000 sagt sie, die mütterliche Kultur blieb erhalten, was nicht zwangsläufig gelingt, wenn Projekte so groß werden.

Beim Lesen von Monika Jaeckels Lebensgeschichte wurde mir bewusst, dass sie mit ihrem Lebenswerk in Verbundenheit mit den Frauen an ihrer Seite Neues in die Welt gebracht hat, das darauf wartet, mit einem neuen Blick angeschaut zu werden. Nicht mit dem alten Blick auf Altgewohntes, der uns geläufig ist, sondern mit dem neuen, unverstellten Blick, welcher sieht, dass das Neue, auf das in dieser Zeit der großen Veränderungen so viele Menschen warten und hoffen, an vielen Orten weltweit und in vielen Formen seines Erscheinens in der Zeit angekommen ist.

Monika Jaekels Biografie ist ein starkes Buch, das in seiner Vielschichtigkeit mal locker und leicht daherkommt, dann wieder tiefgründig und weise ist. Es ist sehr bewegend, regt zum Nachdenken an und ist in seiner unbeirrbaren Erzählweise spannend zu lesen. Es ist ein Buch für alle, die wie sie die Welt besser machen wollen, für die, welche erkannt haben, und die, welche erkennen sollten, dass den Müttern dieser Welt Respekt und Wertschätzung gebührt. Es ist ein Buch für Pionierinnen und Visionärinnen, für spirituell denkende Menschen, sowie für die, welche sich für Zeitgeschichte interessieren, und ganz sicher für die Menschen, die Monika Jaeckel auf ihrem Lebensweg begegnet sind.

Monika Jaeckel: (M)ein bewegtes Leben. Die von Katrin Rohnstock und Rosita Müller aufgeschriebene Lebensgeschichte von Monika Jaeckel. Ulrike Helmer Verlag 2011., 196 S., 19,95 €

Autorin: Ingrid Maria Bertram
Redakteurin: Christel Göttert
Eingestellt am: 19.12.2011
Tags: ,
img src="http://vg03.met.vgwort.de/na/3e26b645b7b24ca880516627d50d2115" width="1" height="1" alt="">

Kommentare zu diesem Beitrag

  • Was ein andachtsvolle und wertschätzender Rezension haben Sie geschrieben Ingrid Maria Bertram! Das wird bestimmt beitragen zu dass was Monika mit das Buch im Gedanken hatte: begeistern so da die Visionen weitergetragen werden.
    Ganz vielen Dank.

Weiterdenken