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Paradies statt Kreuzigung

Von Antje Schrupp

Rita Nakashima Brock und Rebecca Ann Parker rollen die Kirchengeschichte neu auf

In der Kunstgeschichte ist das Phänomen schon lange bekannt, doch merkwürdigerweise hat sich die Theologie bisher kaum damit beschäftigt: Darstellungen der Kreuzigungsszene finden sich erst seit dem 10. Jahrhundert. Das älteste erhaltene Kruzifix auf der ganzen Welt ist das so genannte „Gero-Kreuz“ im Kölner Dom, es entstand zwischen 960 und 970.

„Jesus brauchte tausend Jahre, um zu sterben“ beginnen die US-amerikanischen Theologinnen Rita Nakashima Brock und Rebecca Ann Parker denn auch ihr dickes Buch (über 500 Seiten). Sie rekonstruieren darin die Geschichte des Christentums entlang der Fragestellung, wie sich die Theologie in Bezug auf die Bedeutung der Kreuzigung entwickelt hat. Ihre These ist, dass in den ersten zehn Jahrhunderten nicht das Kreuz, also der Tod Jesu, im Zentrum stand, sondern Vorstellungen vom Paradies als einer (möglichen) diesseitigen Realität, die Menschen in der Nachfolge von Jesus als „Auferstandenem“ verwirklichen können.

Bei Reisen zu den ältesten erhaltenen christlichen Kirchen fanden die Autorinnen zahlreiche Darstellungen von Fülle und gutem Leben: Gärten, Quellen, Weintrauben, die Speisung der 5000, Jesus als „guten Hirten“, Visualierungen des Psalms 23 und so weiter. Sie fragten sich deshalb, wie es im Lauf der Jahrhunderte dazu kam, dass an die Stelle solcher Visionen vom „Reich Gottes auf Erden“ die Vision vom „Leiden für das Jenseits“ ins Zentrum der kirchlichen Lehre gerückt ist.

„Das Paradies retten. Wie das Christentum die Liebe zu dieser Welt gegen Kreuzigung und Imperium eintauschte“ haben Brock und Parker ihre Studie benannt. Das Buch ist 2008 auf Englisch erschienen und leider nicht ins Deutsche übersetzt, obwohl es dafür sicher eine Nachfrage gäbe – gerade unter Frauen, die sich schon lange kritisch mit der Kreuzes- und Sühnetheologie auseinandersetzen.

Um immerhin die wichtigsten Ideen und Forschungsergebnisse auf Deutsch zugänglich zu machen, werde ich die einzelnen Kapitel hier im Forum in einer losen Serie nach und nach zusammenfassen (nach meinen subektiven Kriterien).

In der Einleitung (die es auf Englisch als pdf im Netz gibt) beschreiben die Autorinnen, wie sie zunächst einmal alte Kirchen in ganz Europa besuchen und tatsächlich keinerlei Kreuzigungsdarstellungen finden. In der Kirche St. Apollinarus in Ravenna aus dem 6. Jahrhundert zum Beispiel gibt es einen Bilderzyklus zur Passion Christi, aber eine Abbildung der Kreuzigung fehlt – nach dem Bild, in dem Simon von Cyrene das Kreuz trägt, folgt als nächstes Bild gleich eines vom Engel vor dem Grab.

Aufgrund der Abwesenheit der Kreuzesdarstellungen, die heute so selbstverständlich im Zentrum christlicher Zeichengebung stehen, fragten die Forscherinnen, was denn stattdessen damals im Zentrum gestanden haben konnte. Die Idee, das könnten Visionen und Bilder vom Paradies sein, kommt ihnen, als sie in St. Giovanni in Laterano in Rom (der ersten Papstkirche) eine schöne Paradiesdarstellung finden – und ähnliches dann in vielen anderen frühen Kirchen ebenfalls entdecken.

Sie haben dann antike Texte nach Paradiesschilderungen durchforstet und herausgefunden, dass mit „Paradies“ im frühen Christentum kein jenseitiger Ort „im Himmel“ gemeint war, sondern ein Ort mit bestimmten Qualitäten (Fülle, Gerechtigkeit, Schönheit etc.) hier auf der Erde.

Demnächst folgt an dieser Stelle dann eine Zusammenfassung von Kapitel 1. Es trägt den Titel: „Am Anfang … das Paradies auf Erden“. Wer es nicht abwarten kann: Auch dieses Kapitel steht als pdf auf der englischsprachigen Internetseite zum Buch, ebenso wie weitere Infos zu dem Projekt, Fotos und Abbildungen).

Rita Nakashima Brock und Rebecca Ann Parker: Saving Paradise. How Christianity Traded Love of This World for Crucifixion and Empire. Barnes and Noble, 2008, 21,99 Euro.

Kapitel 1: Am Anfang… Das Paradies auf Erden (über antike Paradiesvorstellungen)

Kapitel 2: Am Anfang… Gottes große Liebe (über Paradiesvorstellungen in den Evangelien)

Kapitel 3: Eine solche Wolke (über Märtyrerinnen und Märtyrer)

Kapitel 4: Die Kirche als Paradies in dieser Welt (die Veränderungen rund um die konstantinische Wende)

Kapitel 5: Das Tor zum Paradies (über die Taufe in frühen christlichen Gemeinden)

Kapitel 6: Das schöne Festessen des Lebens (über das Abendmahl)

Kapitel 7: Götter, die Gott sehen (über die Theosis, die Gottgleichheit der Menschen)

Kapitel 8 und 9: Die Vertreibung aus dem Paradies (über Kruzifixe und Neuinterpretation des Abendmahls)

Kapitel 10: Friede durch das Blut des Kreuzes (über die Kreuzzüge und die Sühnetheologie des Anselm von Canterbury)

Kapitel 11: Sterben aus Liebe (12. Jahrhundert: Bernard von Clairvaux, Hildegard von Bingen, Héloise und Abaelard)

Kapitel 12: Fluchtwege (über die christliche Gewaltverherrlichung im 13. Jahrhundert und die “apokalyptische Wende” durch die Pest im 14. Jahrhundert)

Kommentare zu diesem Beitrag

  • Benni sagt:

    Nur hundert Jahre nach dem ersten Kreuz also der erste Kreuzzug. Wohl auch kein Zufall.

  • Antje Schrupp sagt:

    @Benni – Nein, kein Zufall natürlich. Dazu gibt es ein eigenes Kapitel.

  • Bruni Krüger sagt:

    Danke! Das wurde ja mal Zeit, dass das thematisiert wird.
    Ich bin schon gespannt auf die weiteren Beiträge.
    Ob sich nicht doch jemand findet, der / die das Buch schnellstens ins Deutsche übersetzt?

    Liebe Grüße
    Bruni

  • Jan Rüggemeier sagt:

    Ich habe ja durchaus etwas für verwegene Theorien übrig, aber es erscheint mir doch sehr abwegig, dass man aus dem Fehlen bildlicher Darstellungen auf die geringe Bedeutung des Kreuzestodes schließen will und dass auch noch in Kontrast zu einer präsentischen Eschatologie rückt. Selbstverständlich liegt der Fokus von Anfang an auf der Auferstehung und damit auf Bildern des Lebens. Aus diesem Grund ist in den frühen Hauskirchen auch immer – als Nr. 1 der Hitliste – die Jonaerzählung zu sehen (sowohl als Überwindung des Todes als auch als Ausdruck für Gottes Barmherzigkeit). Diese Konzentration auf das Leben (und Gottes Güte) resultiert aber doch eben aus dem Kreuzesereignis und der damit verbundenen Überwindung des Todes. Ein Zusammenhang, der bereits in den ntl. Schriften explizit gemacht wird: z.B. Röm 6 als bereits geschehene Überwindung des Todes in der Taufe durch Partizipation am Heilswerk Christi. Das Fehlen expliziter Kreuzigungsszenen erklärt sich nach wie vor am einfachsten durch die Pietät, die man diesem Ereignis gegenüber empfunden hat: Deswegen “fehlt” eine entsprechende Szene etwa in Ravenna oder es lässt sich beobachten, wie KünsterlInnen in andere Bilddarstellungen ausgewichen sind: z.B. Jesus als Kosmokrator, der die Welt in seinen Händen hält etc. In der antichristlichen Polemik kommen Kreuzigungsdarstellungen ja bereits im 3. Jhdt vor (z.B. das berühmte Grafiti: Alexamenos betet seinen Gott an)

  • juelis sagt:

    …wer das Kruzifix anbetet, glaubt nicht,
    dass Jesus auferstanden ist…. kann deshalb auch nicht an seine Wiederkommst denken…

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