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Rubrik denken

Die Kaiser sind nackt

Von Andrea Günter

Betreuungsgeld, private Pflegeversicherung und Regierungsfähigkeit

An den Polen von Kindheit und Sterben will sich derzeit die politische Kultur und Regierungsfähigkeit der Bundesregierung profilieren, die sich als Deal zwischen FDP- und CSU-Selbstbild herauszustellen versucht. Ins Leben treten und aus dem Leben heraustreten als Bewährungspunkt eines Koalitionsvertrags? Dies könnte sinnträchtig sein. Jedoch führt die Koalitionsentscheidung gerade eine Politik vor, die das Qualitätskriterium „politisch“ gänzlich verwirkt hat.

Ins Leben starten und aus dem Leben scheiden entlang der Befindlichkeiten der Beziehung von CSU, CDU und FDP? Wer stirbt hier, und wer soll geboren werden und einen qualifizierten neuen Start ins Leben erleben dürfen? In der Wählergunst ersterbende Parteien sind auf die Solidarität der Menschen für jene Lebensphasen angewiesen, die besondere Solidarität brauchen, nämlich Kindheit und Alter, um dadurch die Gesellschaft zusammenhalten zu können. Doch das Betreuungsgeld und die private Pflegeversicherung sind ein Schachzug, der in hohem Maße entsolidarisiert.

Dass es mit einem solchen Deal also nicht um Kinder oder um Sterbende geht, das ist wohl vielen klar. Auch wenn Frau Merkel so gerne das Wort Gerechtigkeit in den Mund nimmt und vom gesellschaftlichen Zusammenhalt spricht, diese Koalition wendet Sozialpolitik vor allem auf den Koalitionszusammenhalt an.

Was also zieht sich eine politische Konstellation an menschlichem Leben hier an, um selbst ein Kleid des Lebens tragen zu können? Oder aber lässt sich gerade bei diesen Themen Nacktheit inszenieren, womit die Kostüme nicht wahrgenommen werden, die das Politische in den anderen Bereichen maskenreich fixieren? Denn was ist eine Nacktheit, die von einer der mächtigsten Frauen der Welt inszeniert wird?

Die Kaiser sind nackt – vielleicht gerade darin sichtbar, dass diese das immer gleiche Jackett überziehen. Um ihr Nacktsein öffentlich zu demonstrieren, ziehen sie selbst sich die Kleider des Anfangs und des Endes des menschlichen Lebens über, statt genau diesen Bereichen den Schutz von Kleidern und also gesellschaftlich organisiertem Schutz zu gewähren. Sie entkleiden diese, um sich selbst Kleider zu verschaffen, die jedoch wie keine andere zeigen, wie nackt sie tatsächlich selber sind. Ist das Naivität der politischen Inszenierung oder gewollte Inszenierung der Unfähigkeit im Bereich des Grundlegenden?

Im Märchen, damals waren es allein die Kinder, die das Nackte sahen. Heute bleibt offen, wie die Erwachsenen und insbesondere die Alten reagieren. Werden sie die zunehmende Ent-Kleid-ung und allzu offensichtliche Blöße oder gar Ent-Blößung der Politiker und Politikerinnen lächerlich finden? Diese Reaktion aber wird die eigentliche Entscheidung sein, wie das Politische demnächst neu arrangiert wird.

Wir wollen neue Kleider! Nicht für Politiker, sondern für den Anfang und das Ende des Lebens, zusammen mit all dem, das dazwischen liegt. Neue Kleider nähen aber, passgenau und zukunftsorientiert, sinnlich und sinnhaltend, das ist eine Kunst. Parteibefindlichkeiten hingegen derart proportional-profan zu addieren und subtrahieren, das ist eine Leistung, die das mathematische und ethische Niveau von Grundschulkindern unterläuft. Wen wundert‘s, dass die deutschen Schulen in der PISA-Studie so schlecht abschneiden, wenn unsere entscheidenden Politiker hinter das erwartbare Niveau von Grundschulkindern zurückfallen. Rechnen ohne Bildung – liebe Finanztätige, liebe Grundschulkinder, nehmt sie euch auf keinen Fall zum Vorbild. Ihr lernt falsches Rechnen und politischen Utilitarismus pur!

Autorin: Andrea Günter
Redakteurin: Christel Göttert
Eingestellt am: 09.06.2012
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Kommentare zu diesem Beitrag

  • Gré Stocker-Boon sagt:

    Liebi Lüüt,

    Beim älter werden und vielleicht sind einige Grossmütter geworden, ist immer noch die Meinung, diese Gruppe strickt Socken und hütet EnkelInnen und dann nichts mehr.Oder man/Frau schickt sie mit leise und/oder mit feste Hand in die Freiwilligen Arbeit,ob gäbe es nichts anderes mehr.Oft werden sie dann dort hingeschickt wo kaum jemand sonst hingeht.Mag sein das jene die gut ausgebildet sind, später mal so einen Dienst gerne übernehmen möchten. Hingegen andere mit weniger an Ausbildung bleibt oft nicht anderes übrig,um nicht zu vereinsamen,solche Arbeiten zu übernehmen, obwohl dies nicht immer nach Wunsch ist.Das heisst,Lücken stopfen die andere aufreissen.Darum,neue Akzente setzen,setzen können, für jedes Portmonnaie erschwinglich ist notwendig. Künstlerische Orte schaffen, wo eine Spielkultur zur Geltung kommen könnte. Einfach neu ernst genommen werden,das ist Sinn und Zweck.Ein neuer Zauber entsteht wenn ein neuer Leidenschaft für das sozialen Umfeld und die Natur berührt werden.Die Töne verdoppeln sich durch den Spieler und die Spielerin,wenn sie ein Instrument bespielen und verschiedene Lebens-und Naturgeschichten in Bewegung bringen und das,was wir damit wollen.

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