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Eine solche Wolke

Von Antje Schrupp

In einer Serie fasst Antje Schrupp kapitelweise das Buch „Saving Paradise“ von Rita Nakashima Brock und Rebecca Ann Parker zusammen. Kapitel 3: Eine solche Wolke.

Perpetua und ihre Sklavin Felicitas wurden 203 von den Römern in Karthago ermordet. Von Perpetua stammen auch die ältesten christlichen theologischen Schriften, die zweifelsfrei von einer Frau verfasst wurden.

In diesem Kapitel geht es um Klageliteratur und darum, wie die Lebenden und die Toten im Judentum und im frühen Christentum miteinander verbunden blieben, speziell um die Bedeutung der Märtyrerinnen und Märtyrer. Die Überschrift ist ein Zitat aus dem Hebräerbrief (12,1-3):

Da uns eine solche Wolke von Zeugen umgibt, wollen auch wir alle Last und die Fesseln der Sünde abwerfen. Lasst uns mit Ausdauer an dem Wettkampf teilnehmen, der uns aufgetragen ist, und dabei auf Jesus blicken, den Urheber und Vollender des Glaubens; er hat angesichts der vor ihm liegenden Freude das Kreuz auf sich genommen, ohne auf die Schande zu achten, und sich zur Rechten von Gottes Thron gesetzt.

Die Rede von der „Auferstehung der Toten“ war eine verbreitete Figur im jüdischen Denken zwischen 200 vor und 200 nach Christus. Die Vorstellung war, dass die (zu Unrecht von Rom oder sonstwem) Ermordeten an einem himmlischen Ort weiterlebten. Daraus entwickelte sich die Vorstellung, dass Gott für die Glaubenden einen Ort geschaffen hat, wo sie sich nach ihrem Tod aufhalten und von ihren Unterdrückern nicht erreicht werden können.

Dieser Ort der Toten nahm bis zum 3. Jahrhundert im Christentum sehr ähnliche Züge an wie die Paradiesvorstellungen, mit Wasser, Blumen, Früchten und so weiter. Es ist ein Ort, den das Böse nicht erreichen kann, der aber auch nicht völlig getrennt ist von der Erde. Die „zu Unrecht Gestorbenen“ konnten sozusagen „zu Besuch kommen“, Rat erteilen und so weiter. Brock/Parker vergleichen das mit Verwandten, die von New York nach Florida umgezogen sind, mit denen man aber weiter in Kontakt bleibt (59).

Erinnerungs-Festmähler mit den Toten wurden beliebt, die meistens abends in der Nähe von Friedhöfen abgehalten wurden. Zur selben Zeit entstanden auch die ersten erhaltenden christlichen Abbildungen in den Katakomben. Sie zeigen keine Bilder von der Kreuzigung, dafür aber von Jesu Geburt, von Jesus als Wunderheiler, vor allem aber von Jesus als „gutem Hirten“.

Brock/Parker glauben, dass das Bild vom Hirten als Alternativmodell zur imperialen militärischen römischen Kultur entwickelt wurde und auch das Vorbild für „Leadership“ in den christlichen Communities wurde. Gemeindeleiter_innen hatten wie „gute Hirten“ für die Versorgung von Kranken zu sorgen, den Kontakt zu denen im Gefängnis zu halten, gemeinschaftliche Güter zu verwalten und zu verteilen, Armen- und Altenfürsorge zu organisieren, Debatten zu moderieren und Konflikte zu schlichten.

In dem Zusammenhang wurden auch (im Zuge der Christenverfolgungen) die „Märtyrer_innen“ wichtig. Anders als heute sah man in ihnen keine ohnmächtigen „Opfer“, sondern im Gegenteil Menschen, in denen sich Gottes Macht besonders stark manifestiert hatte. Sie wurden von ihren römischen Verfolgern getötet, aber entschlossen sich, am paradiesischen Leben festzuhalten, das sie (in der christlichen Gemeinschaft) zu Lebzeiten bereits kennengelernt hatten. Sie waren überzeugt, dass der Tod ihnen das nicht wegnehmen konnte, und insofern bezeugten die Märtyrer_innen die Macht Gottes und die Impotenz Roms.

Es entstanden aber auch schon erste Konflikte zwischen den Märtyrer_innen und den Kirchenführer_innen, von denen einige Verständigung mit Rom suchten, da die Gemeinden ja auch die Infrastruktur Roms nutzten und auf Akzeptanz angewiesen waren. Es gab also erste theologische Kontroversen darüber, ob und wann Martyrium richtig ist. Dennoch wurden Märtyrerinnen und Märtyrer von vielen bewundert.

Ausführlich schildern Brock/Parker die Geschichte des Martyriums von Perpetua und Felicitas (ermordet am 7. März 203 in Karthago). Von Perpetua ist eine Paradiesvision überliefert ist. Elemente ihrer Vision sind in frühe Eucharistiefeiern eingegangen, wo für die Toten gebetet wurde und im Brotbrechen ihre Gemeinschaft mit dem auferstandenen Christus gefeiert wurde (vgl. Kapitel 6). Auch die Inhaftierten feierten ein solches Mahl im Gefängnis in der Nacht bevor sie starben.

Die Wahl, vor der verfolgte Christinnen und Christen standen, war: Entweder sie hielten an der göttlichen „Macht, die nicht von dieser Welt ist“ fest und blieben auch nach ihrem Tod im Paradies, oder sie verleugneten diese Macht und unterwarfen sich der ungerechten und unterdrückerischen Macht Roms.

Im 3. Jahrhundert entstand eine verbreitete christliche Infrastruktur mit Diakonen, Presbyterinnen und Bischöfen. Die Gemeinden verteilten Ressourcen und sorgten für ihre Mitglieder. Kirchenlehrer aus dieser Zeit (zum Beispiel Tertullian und Justin) beschrieben, wie Christen und Christinnen auf persönlichen Reichtum verzichteten und ihr Vermögen in die Gemeinschaft einbrachten. Um 250 soll die Kirche in Rom um 1500 Witwen, Waisen, Alte, Gefangene und Kranke versorgt haben.

Unter Kaiser Diokletian um 303 wurden die Christenverfolgungen stärker, der Besitz der Gemeinden wurde konfisziert, allerdings gelang es Diokletian nicht, die Bewegung zu stoppen. Die Frage, wie man sich in akuten Verfolgungssituationen verhält, wurde immer akuter. Ebenso entwickelte sich die Reliquienverehrung – in den Gemeinden wurden Hinterlassenschaften von Märtyrerinnen und Märtyrern aufbewahrt und verehrt.

Weiter zu Kapitel 4: Die Kirche als Paradies in dieser Welt

Autorin: Antje Schrupp
Eingestellt am: 03.06.2012
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Kommentare zu diesem Beitrag

  • heli voss sagt:

    kirchengeschichte

    danke

  • gabi Bock sagt:

    Sehr schön, vertraut, ein anderes Beisammensein, wo Frauen arbeiten (nicht immer), aber ZB jetzt in Düsseldorf: die Frauenkoalition bringt einen anderen ton in die Politik…

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