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Und nochmals: „Macht und Politik sind nicht dasselbe“

Von Dorothee Markert

Im ersten Teil meines Textes geht es um einiges von dem, was mich an dem Buch beim ersten Lesen glücklich gemacht und fasziniert hat, und warum ich der Meinung war, es müsse unbedingt übersetzt werden. Im zweiten Teil gebe ich einen kurzen Überblick über die einzelnen Texte des Buches.

Was heißt „politisch sein“?

Als ich mit 15 Tanzstunde machte, hatte ich einen Tanzpartner, der in der Jungen Union aktiv war. Mich interessierte die Junge Union überhaupt nicht – und das wäre bei anderen Parteien auch nicht anders gewesen  –  und ich beantwortete seine Frage, ob ich mich auch für Politik interessiere, mit einem verächtlichen „nein“. Da wir kein gemeinsames Thema fanden, waren unsere Unterhaltungen meistens quälend öde, und was er mir schließlich aus lauter Verzweiflung doch von seinen politischen Aktivitäten bzw. von seinem angestrebten Aufstieg in der Partei erzählte, bestätigte mich nur in meinem Desinteresse. In der gleichen Zeit genoss ich zuhause beim Geschirrspülen die spannenden Diskussionen mit meiner Schwester. Nur an zwei Themen erinnere ich mich noch: Wir überlegten, wofür Sonntagskleider gut sind, und ob man die nicht besser abschaffen sollte. Und wir waren immer wieder mit dem Krieg in Vietnam beschäftigt. Wir wären nie auf die Idee gekommen, diese Gespräche als etwas Politisches zu bezeichnen.

Mein Studienbeginn fiel mit dem Beginn der Studentenbewegung zusammen. Mich begeisterten die Vollversammlungen, ich hätte gern mitdiskutiert, mir fiel auch einiges dazu ein, ich traute mich aber nicht ans Saalmikrofon. Im Weiteren engagierte ich mich meistens in mehreren Gruppierungen gleichzeitig: gegen die Notstandsgesetze, für antiautoritäre Erziehung, für freiere Wohnmöglichkeiten für Studierende, für eine demokratische Erneuerung der Schule, für die Politisierung der Seminare, für eine politische studentische Selbstverwaltung, gegen den Krieg in Vietnam, für die Erhaltung von noch bewohnbaren alten Häusern, … und schließlich in der Frauenbewegung und parallel dazu in einer gemischten Gruppe aus Hetero- und Homosexuellen, die die Gesellschaft auf dem Weg über die Befreiung der Sexualität verändern wollten. In dieser Zeit fand eine enorme Politisierung statt und eine Ausweitung des Politikbegriffs bis hin zu der Aussage von Feministinnen,  auch das Private sei politisch. Wir konnten uns damals nicht vorstellen, dass es auch wieder Zeiten geben würde, in denen das Interesse an Politik drastisch zurückgehen würde. Denn wir wussten noch nicht, dass Politik nicht immer in gleichem Maße in der Gesellschaft vorhanden ist.

Innerhalb all der Bewegungen sahen wir unsere Aktivitäten als politisch an, jeweils von außen wurde das jedoch meistens nicht so beurteilt. Meinen früheren Kampfgenossen aus der Linken konnte ich beispielsweise nicht vermitteln, dass unsere Frauenpolitik etwas anderes war als der Kampf um unsere Privatinteressen, um eine bessere Ausgangssituation für Frauen. Ich wurde die Unsicherheit nie los, ob das, was ich tat, politisch war. Diese Unsicherheit verfolgte mich auch später noch, als ich viel von den italienischen Philosophinnen gelernt hatte und von der „Politik“ der Beziehungen sprach oder noch später von der „Primären Politik“, dem Verhandeln über das gute Zusammenleben in den Familien, Nachbarschaften und an den Arbeitsplätzen, eine Politik, die mehr von Frauen als von Männern gemacht wird. Außer in unseren Nischen wurde solche Politik jedoch kaum als Politik wahrgenommen. Ich konnte es nicht fassen, als meine Tante, die ich oft besuchte und die eigentlich viel von meinem Leben mitkriegte, einmal behauptete, ich würde mich ja nicht für Politik interessieren. Interesse an Politik war für sie das Interesse an den Nachrichten und Politsendungen im Fernsehen und an den Biographien der Politiker, die mein Onkel las. Oder die aktive Mitgliedschaft in einer der großen politischen Parteien.

Schon der Buchtitel „Macht und Politik sind nicht dasselbe“ half mir, aus meiner Verwirrung herauszukommen. An einer genauen Unterscheidung von beidem zu arbeiten, wie es uns die Diotima-Frauen in diesem Buch vormachen, führt nämlich weg von all den vorherigen hilflosen Versuchen einer Gegensatzbildung zwischen richtigem und falschem Politischsein. Was es zu unterscheiden gilt, ist die Distanz zu den Mitteln der Macht oder das Sich-Einlassen auf sie. In der unter Frauen weit verbreiteten Aversion gegen eine Politik, die als Wettbewerb und Kampf um die Macht verstanden wird, zeigt sich nämlich, so Luisa Muraro in ihrer Einführung, keine Ablehnung der Politik, sondern im Gegenteil ein Verlangen nach Politik. „Denn die Frauen wollen nicht auseinanderreißen, was das Begehren in der Erfahrung vieler Frauen zusammenhält: Gefühle und Denken, Geist und Materie, die Lebens- und die Arbeitszeit … Sie wollen nämlich eine Politik, in der etwas zu gewinnen ist, das eine Frau als wirklichen Gewinn für sich selbst empfindet, was nicht heißt, dass anderen dadurch etwas weggenommen wird, ganz im Gegenteil. Weder einer Frau noch einem Mann“ (S. 22).

Unter meinen Freundinnen und Freunden von früher war ich die einzige, die sich in politischen Bewegungen engagierte. Die einen waren davon beeindruckt und meinten, sich rechtfertigen zu müssen, dass sie nichts dergleichen taten, die anderen machten sich über meinen Eifer lustig und schwärmten von ihren ausgeflippten Unternehmungen oder ihrem Kulturgenuss, um mir zu zeigen, dass ich das eigentliche Leben verpasste. Mich beeindruckte das wenig. Ich fand, dass ihnen etwas fehlte, weil sie sich nicht für Gesellschaftsveränderungen engagierten. Aber so ganz sicher war ich mir nicht, ob sie nicht vielleicht doch Recht hatten.

An meine damaligen Zweifel, die auch später immer wiederkamen, erinnerte mich der Beginn von Chiara Zambonis Text „Leichtes Gepäck“. Sie erzählt von ihrem Begehren nach Politik, das sie wie ein leichtes Gepäckstück durch ihr ganzes Leben begleitet hat. Für dieses Begehren gibt es keinen vorbestimmten Ort wie beispielsweise eine politische Partei, es kann überall auftreten und sich auf alles beziehen. Und, so schreibt sie weiter: „Wenn ich dieses Gepäck nicht bei mir habe, fühle ich mich sehr unglücklich.“ Dieses Begehren nach Politik habe sich in ihrem Leben ereignet, ohne dass sie das gewählt habe. Als ich das las, verstand ich endlich, warum mein Leben so anders verlaufen war als das meiner alten Freundinnen. Und ich verstand beim Lesen des nächsten Abschnittes, der mit „Eine Weggefährtin“ überschrieben ist , womit Hannah Arendt gemeint ist, warum ich mich mit meinem Begehren nach Politik immer wieder so allein gefühlt hatte. Beispielsweise, als ich 1990 gerade einen Vortrag zum Thema „Frauenkirche“ gehalten hatte, und sich, wie ich es vorgeschlagen hatte, eine Gruppe dazu bildete. Nach wenigen Treffen merkte ich, dass ich in dieser Gruppe mit meinem Wunsch, dass Kirche und Religion sich verändern sollten, ganz allein dastand. Die anderen waren nur an neuen Liturgien und Ritualen interessiert, bei denen Frauen mehr vorkamen. Die Kirche, die Gesellschaft, die Welt hatten sie dabei nicht im Blick. Da ich mit meinem Anliegen auf keinerlei Interesse stieß, überließ ich die Gruppe schließlich sich selbst.

Chiara Zamboni erklärt, bezogen auf Hannah Arendt, dass Politik nicht zur Ordnung der Notwendigkeit gehört, also nicht zu dem, was für alle Menschen unmittelbar wichtig ist im Leben. Daraus folgt, dass Politik auch verschwinden kann, dass es Zeiten geben kann, in denen die Gesellschaft nur von der Macht und den Privatinteressen geprägt ist, und das Leben geht trotzdem weiter. Politik entsteht da, wo es einen lebendigen und besonnenen Austausch zwischen Menschen im Hinblick auf die gemeinsame Welt gibt. Politik ist also etwas Zusätzliches, etwas Besonderes, etwas sehr Kostbares, dessen Wert in sich selbst liegt. Dies zu wissen, hat für mich etwas sehr Entlastendes. Ich kann einfach akzeptieren, dass sich Politik in meinem Leben ereignet – und im Leben vieler anderer nicht.

Wie halten wir es mit der Macht?

Die Verunsicherung darüber, ob das, was wir taten, „richtig“ politisch war und die Frage, ob es überhaupt etwas bewirke, führte immer wieder zu Überlegungen, ob wir es nicht doch mit der Macht versuchen sollten. So setzte ich mich mit anderen zusammen ernsthaft mit der Frage auseinander, ob ich nicht doch Schulleiterin werden müsste, um Schule wirkungsvoller verändern zu können. Ob wir nicht doch eine Frauenpartei gründen bzw. die dann gegründete mit aller Kraft unterstützen müssten. Ob ich nicht doch für die Unabhängigen Frauen in Freiburg als Stadträtin kandidieren sollte. Ob ich nicht doch die Frauenbeauftragte, die für den Posten der Oberbürgermeisterin kandidierte, mit aller Kraft unterstützen sollte. Einmal immerhin probierte ich es aus und ließ mich in den Bundesvorstand des Lesben- und Schwulenverbands wählen, gab den Posten aber nach eineinhalb Jahren wieder auf. Hätte ich damals schon klarer zwischen dem unterscheiden können, was an dieser Arbeit politisch war und was mit dem Einsatz von Macht zu tun hatte, mit dem ich nichts zu tun haben wollte, hätte ich vielleicht weitermachen können. So begründete ich meinen Ausstieg damit, dass mir Lobbyarbeit einfach nicht so liege.

Luisa Muraro kritisiert in ihrem einleitenden Text zwei Haltungen zum Umgang mit der Macht, die sich häufig bei Frauen finden: Die Vorstellung, man könne sie für eigene, bessere Ziele nutzen oder das Bemühen, sich von ihr fernzuhalten. Aus dieser falschen Alternative konnte ich jetzt aussteigen. Denn mir wurde klar, dass es nicht notwendig und auch nicht sinnvoll ist, sich von der Macht und ihrem Umfeld fernzuhalten, um nicht von ihr infiziert zu werden. Dass es aber auch nicht möglich ist, die Mittel der Macht zu nutzen, ohne von ihr infiziert zu werden. Macht und Politik sind eng miteinander verzahnt, und zwar nicht nur dort, wo „Macht“ oder „Politik“ draufsteht, sondern überall. Wir können beides unterscheiden, doch es besteht auch eine große Nähe zueinander. Wie es vor sich geht, wenn Politik in Macht umkippt, zeigt Luisa Muraro eindrucksvoll am Beispiel des Films „Milk“ über einen Führer der Homosexuellenbewegung in den USA, der später Stadtrat in San Francisco wird. Doch das Umkippen geht glücklicherweise auch in die andere Richtung. Überall, auch mitten in von der Macht geprägten Bereichen, ist ein Umkippen in Politik über die Verführung zur Politik möglich. Diesen Gedanken finde ich ungeheuer tröstlich und ermutigend.

Um die enge Verzahnung von Macht und Politik zu verdeutlichen und zu zeigen, welches Missverstehen von Situationen sich daraus ergeben können, haben die Autorinnen ein Bild gefunden, das ich sehr hilfreich finde: Auf einem einzigen Spielbrett werden gleichzeitig zwei unterschiedliche Brettspiele gespielt, Schach und Dame. Schach gilt hier als Spiel der Macht, Dame als Spiel der Politik. Um das Bild verstehen zu können, musste ich mich erst einmal von meinen persönlichen Vorlieben freimachen: Dame konnte ich noch nie leiden, da gefiel mir Schach schon etwas besser. Es geht hier aber nicht um eine Charakterisierung und Bewertung der beiden Spiele, sondern nur um das gleichzeitige Spiel auf einem Brett, von zwei Spielen, die unterschiedlichen Logiken und Regeln folgen. Die Dame-Figuren können sich frei bewegen, die jeweils möglichen Züge der Schachfiguren sind festgelegt, sind an eine bestimmte Position in der Hierarchie gebunden. Es passiert nun, dass die Züge von politischen Damefiguren interpretiert werden, als ob sie nach der Machtlogik der Schachfiguren funktionieren würden oder umgekehrt, und solche Verwechslungen können den Schach- bzw. Damespielenden selbst oder ihren jeweiligen Gegnern passieren. Mir fielen sofort zahlreiche Situationen ein, in denen andere, hauptsächlich Männer, mein Verhalten als machtorientiert gedeutet hatten, aber auch solche, in denen ich das Verhalten anderer auf diese Weise missverstanden hatte. Oder auch Situationen, in denen eine Zusammenarbeit nicht gelingen konnte, weil beide in unterschiedlichen Logiken dachten.

Dieses Buch hilft beim Einüben einer gedanklichen Unterscheidung von Macht und Politik, die es uns merken lässt, wenn wir oder andere aus unserem Umfeld vom politischen Handeln in ein Machthandeln umkippen. Wir können dann auch besser die Gelegenheiten erkennen, bei denen es möglich ist, dass wir Vertreter der Macht für ein politisches Gespräch gewinnen können. Jeder der in diesem Buch versammelten Texte leistet dazu einen Beitrag. Vor allem wird vorgeführt, wie diese Arbeit an ganz unterschiedlichen Orten möglich wird: eben auch im Rahmen von Parteipolitik, auch beim Kampf gegen eine Militärbasis, auch in der psychotherapeutischen Praxis, auch in der Schule. Wenn wir uns selbst und die anderen daraufhin beobachten lernen, ob wir oder sie gerade das eine oder das andere Spiel spielen, können wir unserem Begehren folgend in allen Lebensbereichen überall auf der Welt politisch handeln. Wir werden unabhängiger  von den bestehenden Einteilungen in rechts und links, fortschrittlich und rückschrittlich, die ja oft zu Frontenbildungen führen oder dazu, dass wir bestimmte gesellschaftliche Bereiche meiden und uns in unsere Wohlfühlnischen zurückziehen.

Die Texte im Einzelnen

Im Vorwort von Luisa Muraro und Chiara Zamboni wird das Thema im Kontext gegenwärtiger Veränderungen betrachtet und in den Zusammenhang mit der gesamten Arbeit von Diotima gestellt. Die Autorinnen geben sich nicht mit der Erklärung zufrieden, der gegenwärtige Niedergang und die Beschädigung von Politik seien eine Folge des zunehmenden Machthungers bestimmter Personen und Institutionen.

Über Luisa Muraros Einführung ins Thema habe ich schon einiges gesagt. Am Ende dieses Textes zeigt Luisa Muraro noch anhand eines Paulus-Texte, wie es möglich ist, symbolische Unabhängigkeit von der Macht zu gewinnen.

Diana Sartori beleuchtet in ihrem Text „Irdische Indizien. Zwischen dem Mehr der Politik und dem Weniger der Macht“ die Macht und die Politik jeweils unter ganz unterschiedlichen Gesichtspunkten, sie erstellt eine Art Landkarte von Indizien, die auf Macht bzw. auf Politik hinweisen, beispielsweise unter den Stichworten „Ziele“, „Mittel“, „Ideale“, „Orte“, „Zeiten“, „Möglichkeiten“, „Praktiken“, „Körper“, „Begehren“, „Ängste“, „leidenschaftliche Bindungen“. Dabei arbeitet sie sich durch eine Menge politikwissenschaftlicher und philosophischer Literatur hindurch und geht auf die Diskussion in ihrer ganzen Breite ein. Sartori betont besonders die von Hannah Arendt genannte aber viel zu wenig aufgegriffene menschliche Bedingtheit, auf der Erde mit ihrer rauen Oberfläche zu leben. Man müsse die Realität viel mehr in ihrer Dimension von gleichzeitiger Klarheit und Trübheit sehen.

Viele Parallelen zur schulischen Situation in Deutschland entdeckte ich in dem Text „Dienstvorschrift“ von Giannina Longobardi. Sie beschreibt, wie Lehrerinnen durch die „Mogelpackung“ „Schulische Autonomie“ dazu verführt wurden, eine Umgestaltung des Schulwesens in Richtung Verwirtschaftlichung so lange mitzutragen, bis sie fast nicht mehr rückgängig zu machen ist. (In Deutschland geschieht das vielleicht durch die Begriffe “Schulentwicklung” oder „Qualitätsmanagement“). Dabei geht Longobardi besonders auf die veränderte Rolle der Schulleiter und auf die Entpolitisierung der Lehrerkonferenzen ein. Die Lehrerinnen leisten individuellen passiven Widerstand, wodurch die Schule und sie selbst Autorität verlieren. Damit wieder politische Gespräche in den Schulen möglich werden, schlägt Giannina Longobardi vor, Redegruppen zu bilden.

Fulvia Bandoli kommt aus einer Familie, in der beide Eltern parteipolitisch aktiv waren. Sie selbst war lange in Parteien politisch aktiv und betont, dass ihr jetziger Ausstieg nicht bedeutet, dass Politik dort nicht mehr möglich ist. In ihrem Text „Parteien, Macht, Undurchlässigkeit“ beschreibt sie, wie sich Parteien immer mehr von dem entfernt haben, wozu sie ursprünglich gegründet wurden.

Antonella Cunico erzählt in ihrem Text „Für eine Andere Stadt“ sehr ausführlich, wie sich aus dem Kampf gegen den Bau einer zusätzlichen amerikanischen Militärbasis in Vicenza eine politische Arbeit für eine Andere Stadt herausbildete und welche Rolle es dabei spielte, dass sich aus dem gemeinsamen Kampf heraus eine Frauengruppe bildete. Obwohl fast die ganze Bevölkerung deutlich machte, dass sie die Basis nicht will, wurde sie schließlich doch gebaut. Cunico zeigt, wie wichtig es ist, gerade in solchen Kampfsituationen innezuhalten, einen Schritt zur Seite zu gehen, wie es die Frauengruppe hier tut, um nicht von der Dynamik mitgerissen zu werden. Solche Situationen erscheinen oft als Notsituationen, in denen es sich aufdrängt, schnell entscheiden und handeln zu müssen. Dabei geht dann das Eigene, das eigentliche politische Anliegen verloren. Ich denke, dass der „Schritt zur Seite“ in solchen Situationen der Ansatzpunkt ist, um zu verhindern, dass Frauen nach scheinbar gleichberechtigten Kampfphasen mit Männern hinterher wieder an den alten oder einen noch schlechteren Platz verwiesen werden, wie wir es bei zahlreichen Revolutionen, zuletzt auch bei der Revolution in Ägypten beobachten konnten.

Anhand von Beispielen aus ihrer psychoanalytischen Praxis zeigt Cristina Faccincani in ihrem Text „Affektive Macht und Desidentifizierung“ wie durch Übertragung von Beziehungsstrukturen aus der Herkunftsfamilie eine Verführung zur Macht geschehen kann und wie genau eine Therapeutin hinschauen und hinspüren muss, um ihr nicht zu erliegen. Faccincani beschreibt die beteiligten innerpsychischen Konflikte innerhalb des Ich und zeigt, wie durch das Sich-Einlassen auf die Macht beide Beteiligte geschädigt werden.

Auch von Chiara Zambonis Text „Leichtes Gepäck“ habe ich schon einiges erzählt. Ganz wichtig ist noch, dass sie davor warnt, sich in den Beziehungen zu verlieren und die Welt aus den Augen zu verlieren, so wichtig gute, stärkende  Beziehungen unter Frauen auch sind. Sie findet dafür folgendes Bild: Beziehungen seien wie Brücken, doch wenn wir beginnen, uns dort wohnlich einzurichten, kommen wir nirgends mehr hin und verlieren die Welt aus dem Blick.

Der Text „Souveräninnen“ von Annarosa Buttarelli wurde von Antje Schrupp und der Denkgruppe „Kulturschaffen“ schon weitergedacht und führte unter anderem zum Bild der Fünf schönen Königinnen. Mich hat auch fasziniert, was Buttarelli über die Vorgeschichte zur Entstehung der Demokratie in Athen herausgefunden hat.

In Verona gebe es inzwischen zahlreiche Gruppen von Frauen, die gemeinsam Diotima-Bücher lesen. Das erzählte uns Chiara Zamboni, die extra zur Buchvorstellung nach München gekommen war. Vielleicht gibt es im deutschsprachigen Raum auch bald wieder mehr solcher Lesegruppen? Dieses Buch bietet sich jedenfalls dafür an.

Diotima, Macht und Politik sind nicht dasselbe, Ulrike Helmer Verlag, Sulzbach 2012, 194 S., € 19,95

Autorin: Dorothee Markert
Redakteurin: Dorothee Markert
Eingestellt am: 21.06.2012
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Kommentare zu diesem Beitrag

  • heli voss sagt:

    danke
    hvoss

  • Ich habe nicht wirklich die Unterscheidung verstanden, die hier gemacht wird.

    Eine der Rollenerwartungen, die die traditionelle Frauenrolle mit sich bringt im Patriarchat, ist meiner Meinung nach:
    das Frauen sich selbst nicht mit Macht assoziieren sollen.
    In dem irgendwie anarchistischen Lied ” Keine Macht für Niemand” von Ton Steine Scherben, wird ebenso von einem begativen Machtbegriff ausgegangen, wo ich eher Herrschaft einsetzen würde. Ganz im Gegensatz dazu definierte
    Hannah Ahrend Macht postiv, als das was entsteht, wenn Menschen zusammenwirken, um die Schieflage ihrer Welt zu verändern. Was dem entgegensteht, ist das “Teile und herrsche!” das Herrschaft als Macht über die Gesellschaft
    seit Machiavelli als quasi Norm patriarchaler Governementalität zu Politik umdeutet. Es ist das gängigste Misverständnis in meinen Augen: das zwischen Herrschaft un Macht, aber es ist sehr nah an dem, was im Patriarchat als männliche Rollenerwartung mit Männlichkeit als “Macht” kodiert wird. Strukturell wiedergespiegelt in dem Besitz der Frauen und Kinder durch den Mann als Familienoberhaupt. “Männer” werden durch diese GenderRollenerwartung eben im Gegenteil dazu angehalten sich selber mit Macht (im Sinne von Herrschaft) zu assoziieren, sie lernen damit einhergehend einen eher funktionellen Bezug zu Aggression.
    Den ganz anders gearteten postiven Begriff von Macht, den Hannah Ahrend vertreten hat, fand ich schon immer sehr sehr anziehend und würde hoffen, dass Frauen, sich mit ihm assoziieren und dies auch natürlich im Sinne des Feminismus tun, statt ihren GenderRollenerwartungen zu gehorchen und dazu noch Macht mit Herrschaft zu verwechseln.

    Ruth

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