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Eine Pionierin der feministischen Theologie

Von Hanna Strack

Als Jugendliche war ihr sehnlichster Wunsch, Priester zu werden, und sie klagte, dass sie „nur ein Mädchen“ sei. Dann wurde Helen Schüngel-Straumann eine der bedeutendsten Theologinnen Deutschlands. Hanna Strack hat ihre Autobiografie gelesen.

Helen Schüngel-Straumann bei der Vernissage ihrer Autobiografie. Foto: Alois Schuler/Kirche heute

Dieses Buch liest sich streckenweise wie ein Krimi: Komplotte, Intrigen, Demütigungen, Prozesse musste Helen Schüngel-Straumann ertragen und durchstehen. Doch schon als Elfjährige wusste sie, dass sie „der Sache auf den Grund gehen will.“ Zwar gab es einen Pater, der sie beraten und unterstützt hat. Doch gab es keine Vorbilder.

In vielerlei Hinsicht ist Schüngel-Straumann, Schweizerin, multilingual, katholische Theologin, Dozentin in Bonn, Professorin in Kassel für Altes Testament und Bibelwissenschaften, dann im Lauf ihres Lebens Pionierin gewesen: Sie schrieb „die erste Promotion eines Laien“ (sic!) an der katholisch-theologischen Fakultät in Bonn, in zahlreichen Gremien war sie die erste Frau. In Deutschland arbeitete sie als erste Alttestamentlerin mit feministischer Fragestellung, zum Beispiel über die Gottebenbildlichkeit der Frau, über Eva, über den weiblichen Begriff „Ruach“ (Geist), immer basiert auf sehr gründlichen vorurteilsfreien Exegesen.

In den 1980er Jahren folgte der große Aufbruch der kirchlichen Frauenbewegung. Es war die Zeit der Frauenforschung, des Einbringens feministischer Theologie in die Fakultäten, und auch des Hineintragens von Frauenthemen in die Kirchenlandschaft – überfüllte Hörsäle, Akademien, Tagungshäuser.

Von 1987 bis 2001 ist Helen Schüngel-Straumann Professorin in Kassel, eine Zeit der fruchtbaren katholisch-evangelischen Zusammenarbeit mit der Neutestamentlerin Luise Schottroff. Zusammen mit Elisabeth Moltmann-Wendel, Elisabeth Gössmann und anderen gründet sie Netzwerke, darunter 1986 die Europäische Gesellschaft für theologische Forschung von Frauen (ESWTR).

Als deren Präsidentin 1995-1997 hatte sie ein Gespräch mit dem damaligen Kardinal Ratzinger in Rom, dem heutigen Papst. Es ging darum, dem „nihil obstat“, der offiziellen katholischen Lehrerlaubnis, für fünf jüngere Wissenschaftlerinnen den Weg zu bereiten. Ratzinger habe damals betont, dass die Männlichkeit Jesu „essentiell/theologisch zentral“ sei. Erlösungswerk und Kreuzigung „wären einer Frau nicht zumutbar gewesen“. Helen Schüngel-Straumann schreibt dazu: „Dieses Argument – in Anbetracht dessen, was Frauen in der Geschichte schon alles zugemutet wurde – hat mich fast vom Stuhl gerissen.“ Das „nihil obstat“ immerhin wurde im folgenden halben Jahr wenigstens für vier der fünf betroffenen Theologinnen erteilt.

In ihrer Autobiografie schreibt Helen Schüngel-Straumann von persönlichen Erfahrungen in der Kindheit, mit der eigenen Familie oder von ihren Wanderungen in den Alpen. Empfindungen bringt sie auch in kurzen Gedichten zum Ausdruck, in Nachdichtungen von Bibeltexten oder in Träumen.

Mit dem Ruhestand ab 2001 verwirklicht sie die Gründung ihrer Stiftung für Feministische Theologie (www.feministische-theologie.de), die eine Bibliothek für feministische Forschung tragen wird. Diese konnte sie im Zentrum Gender Studies an der Universität Basel einrichten und dort angliedern. Nachlässe sind eingegangen von Herlinde Pissarek-Hudelist, der ersten Theologieprofessorin und Dekanin in Innsbruck, von Marga Bührig, deren Biografie „Spät habe ich gelernt, gerne Frau zu sein“ für viele Frauen das Tor geöffnet hat zum eigenen Weg, von anderen bekam sie Bücher, so von Ursula King, der weltweit renommierten Religionswissenschaftlerin aus Bristol/UK.

Manchmal kommt Bitterkeit hoch über die Verletzungen und Demütigungen, aber: „Die Räume wurden immer weiter“ – so kann sie über die Theologie hinaus für Menschenrechte zusammen mit Juristinnen, Historikerinnen und Gleichstellungsbeauftragten kämpfen.

Das Buch bietet jungen Frauen und Männern die Chance, einen Einblick in die Arbeit der Pionierinnen und der Gestaltwerdung der feministischen Theologie, des Ökofeminismus und der Befreiungstheologie zu gewinnen. Für uns Zeitgenossinnen ist es bewegend, immer wieder Bezugspunkte zu den eigenen Erfahrungen in Familie und in der Wissenschaft zu entdecken, oder die Armut bis in die Studentinnenzeit: Reisen war nur per Autostop möglich.

Helen Schüngel-Straumann lebt nach einigen Jahren im Münstertal/Schwarzwald jetzt wieder in Basel, wo sie einst zur Schule ging.

Helen Schüngel-Straumann: Meine Wege und Umwege. Eine feministische Theologin unterwegs. Autobiografie, Ferdinand Schöningh, Paderborn 2011 , 24,90 Euro

 

Autorin: Hanna Strack
Redakteurin: Antje Schrupp
Eingestellt am: 08.07.2012
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Kommentare zu diesem Beitrag

  • gabi Bock sagt:

    vielen Dank für den Artikel , ich traf Helen Sch.-St. vor 3 Monaten hier in Bonn, in der ev. Akademie, wo sie mit Elisabeth Moltmann-Wendel ein 2tägiges Seminar hielt. Wie ebenbürtig und vertraut die 2 Feministinnen sich die Bälle zuwarfen, es war eine Freude für uns alle.
    Ihre Bücher lagen dort aus.
    Viele Grüße und Dank . Gabriele Bock

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