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Rubrik denken, studieren

Geschlechterworte brauchen eine Haltung

Von Andrea Günter

Was hat die jeweils persönliche Haltung mit Worten der Geschlechterfragen zu tun? Darum geht es Im Seminartagebuch von Andrea Günter zum „Denken der Geschlechterdifferenz“ im 4. Teil.

Worte sind Behausungen, die Haltungen brauchen.

Menschen entwickeln Geschlechterworten gegenüber Haltungen. Eine wichtige Seite der Ethik ist es, solche Haltungen zu reflektieren. Welche Haltung nehmen Personen zu den Worten ein, in denen über Geschlechterfragen gesprochen wird? Wie reagieren sie, wenn die Worte „Frau“ oder „Frauen“ gebraucht werden? Solche Haltungen wirken sich auf das aus, was sie den Diskussionen und Texten entnehmen (wollen).

In meinen Seminaren bin ich auf unterschiedliche Weise mit der Haltungsfrage gegenüber Geschlechterworten beschäftigt. Das Spektrum reicht von „müssen Geschlechter überhaupt thematisiert werden“ bis zu der, nicht mehr „die Frau“ und „die Frauen“ (und „der Mann“/“die Männer“) sagen zu wollen.

Texte, die das dennoch tun, stoßen bei einigen auf Widerstand. Diese Erfahrung mache ich besonders, wenn ich Texte aus anderen Kontexten, etwa aus dem romanischen Raum, verwende. Hier kommt darüber hinaus oftmals die Kritik hinzu, diese seien nicht wissenschaftlich.

Von dem, was als „wissenschaftlich“ gilt, hängt ab, ob ein Text Vertrauen verdient. Manchmal wird auch anders herum solchen Texten das Kriterium „unwissenschaftlich“ angehängt, die nicht überzeugen, nicht verstanden werden oder unvertrauten Diskurszusammenhängen folgen.

Wie eng das doch ausfallen kann, was unter „sprachlich angemessener Diskurs“ verstanden wird. Und wenn es tatsächlich um „wissenschaftlich“ ginge, dann würden beinahe nur noch die Texte aus nordwestmitteleuropäischen Kontexten der letzten 30 Jahre zählen. Denn Platon, Augustinus, Kant, Hegel, Lacan, Derrida: haben diese wissenschaftlich geschrieben? Ich habe noch nie gehört, dass den männlichen Meisterdenkern Unwissenschaftlichkeit vorgeworfen wurde. Ihre Arbeiten wären an deutschen Universitäten allerdings durchgefallen, so wie die Habilitationsschrift „Das bürgerliche Trauerspiel“ von Walter Benjamin, die Jahrzehnte später als Standardwerk anerkannt war.

Außerdem haben diese Autoren alle einen sehr unterschiedlichen Sprachstil. Das macht die Tradition lebendig, hält sie offen, lässt ihren Texten immer wieder neue Seiten abgewinnen.

Mir scheint es so, dass Signifikanten wie die Worte „die Frau“ und „die Frauen“ (bzw.  „der Mann“/“die Männer“) in einem absoluten Sinne gelesen werden, so, als stände unabdingbar schon fest, was sie besagen würden. Generalisierungen sind verdächtig, ja. Allerdings, handelt es sich bei einer Generalisierung, die sich in der Formulierung „die Frauen“ grammatikalisch andeutet, tatsächlich immer um eine solche?

Es ist der Metadiskurs zu diesen Worten, der diesem Verdacht Vorschub leistet: In biologisierenden Zusammenhängen repräsentieren diese Signifikanten ein und dieselbe Biologie, in gesellschaftstheoretischen Zusammenhängen repräsentieren sie ein und dieselbe Sozialisation. Diese Logik wird gewohnterweise auf andere Zusammenhänge übertragen, insbesondere so lange im Vordergrund steht, Frausein/Mannsein über Biologie (und Natur) oder Gesellschaft zu definieren.

Wenn nun Texte gelesen werden und diese Worte tauchen auf, besteht die Gefahr, dass solche Metadiskurse hineingelesen werden, nicht aber das Konzept, in die eine Autorin sie (neu) einzubinden versucht. Und diese Gewohnheit hält sich hartnäckig.

Dabei öffnet es die Bedeutung der Signifikanten, wenn sie einen neuen Kontext bekommen und in neue Anthropologeme eingebunden werden.

Mehrfache Strategien, mit dem Signifikanten „die Frauen“ umzugehen, sind möglich. Diese Formulierung kann einfach ausgespart werden. Dies legt sich nahe, wenn die Befürchtung vorherrscht, dass das Signifikat klar ist und in diesem Fall zu nicht gewollten Konsequenzen führt. Oder er kann tatsächlich als Signifikant betrachtet werden, als ein Bezeichnendes, dessen Bezeichnetes erst durch den Kon-Text des Textes konkretisiert wird. In beiden Fällen entscheiden wir uns für einen hermeneutischen Zirkel. Diese Entscheidungen ziehen unterschiedliche Konsequenzen nach sich: neue Leerstellen durch Streichungen von Bezeichnungsmöglichkeiten oder aber neue Bedeutungen durch Kontextualisierung in andere Konzeptionierungen.

Besonders gut gefallen mir Texte, die genau diese Öffnung der Bedeutung zu ihrer Strategie erheben. „Der Weg der Tugend und der symbolischen Sprache“ von Chiara Zamboni ist ein solcher Text.[1] Wiederholt sagt die Autorin „die Frauen“. Die Autorin scheint zu generalisieren, wenn die Wahl dieser Formulierung von gewohnten Bedeutungen abhängig gemacht wird. Allerdings wählt Chiara Zamboni eine Generalisierungsgröße, die einen ganz anderen Zusammenhang aufmacht und damit letztlich nicht länger generalisiert: das Sprechen einer Frau als Durchgang zur Individuierung.

Individuierung, das geht gerade damit einher, sich entlang persönlicher Maßstäbe in das Gesellschaftliche zurückzubinden und diese damit zu verändern. Das Sprechen, das Individuierung besagt, ist transzendierend. Es transzendiert Biologisches ebenso wie Gesellschaftliches. Aber es transzendiert auch vermeintlich Transzendentes, es transzendiert Werte und Tugendhaftigkeit.

Sich durch Sprechen individuieren meint eine Tugendhaftigkeit, die keiner Tugend folgt außer der, zu sprechen, um sich zu individuieren, also sich gerade nicht in vorgegebene Maßstäbe und Kategorisierungen zu flüchten.

Eine Frau sagt sich. Die Frauen sagen sich. Gesellschaftliche Normierungen ebenso wie Generalisierungen des Frauseins werden tugendhaft transzendiert.

Vom FrauSein wird nicht auf Ethik geschlossen. Dennoch werden Ethik und Sein verknüpft. Sich selbst sagen ist das Sein, das tugendhaft gebraucht das Ethische hervorbringt. Seine vermittelnde und seine öffnende Größe ist das Wort. Es können auch die Worte „die Frauen“ und „die Frau“ sein.

 1. Stimme aus den Lerntagebüchern

„Die Idee, bzw. den Anstoß, den Fokus weg von der engen sprachlichen Problematik ‚Die –  Frau/en; Die – Männer‘ zu nehmen, um sich vor allem mit den ethischen Seiten dieser Ansätze auseinandersetzen zu können, empfand ich zuerst als sehr sinnvoll. Umso mehr hat es mich dann doch überrascht, dass unsere Seminargruppe sich genau davon nicht lösen konnte.“ … „‘Weil die Gegenwart mangelhaft ist, wenden wir uns den Tugenden zu.‘ Die Anstöße, die Zamboni unter anderem mit diesem Satz auslöst, setzen wie ich finde, einen Prozess in Gang, der eine ständige Optimierung der ethischen Grundsätze fordert bzw. bei richtigem Verständnis bzw. richtiger Umsetzung dem Verfall unserer Gesellschaft entgegenwirkt. Ich muss zugeben, dass ich den von Zamboni geäußerten Thesen, rückblickend, doch mehr abgewinnen kann, als ich es zu Beginn des Lerntagebucheintrages geglaubt habe.“  (Anja Mohnhard)

2. Stimme aus den Lerntagebüchern

„Die Texte, die sich mit Geschlechterfragen beschäftigen, müssen also weniger das Problem ‚an sich‘ lösen, als eine Anregung des Denkens, eine Bereitschaft, sich auf ein anderes Denken einzulassen erreichen zu suchen.

Bezieht man diese Überlegungen auf Konzepte der Ethik allgemein, so kann für mich Ethik nicht leisten, dass ich durch das Lesen ethischer Theorien einen festen Rahmen moralischer Handlungsmaxime ergründe und mir diese kompromisslos zu Eigen mache. Ethische Überlegungen und Konzepte erfüllen doch vielmehr ihren Sinn, wenn sie das Sein und Denken jedes Menschen, seinen eigenen Willen insofern öffnen, dass der Geist sich auf neue Denkweisen einlässt. Die Bereitschaft, ethische Konzepte mit meinem Geist arbeiten zu lassen, mich intellektuell mit ihnen auseinander zu setzten, formt das moralische Kapital eines Menschen nachhaltig.“ … „Gerade deshalb scheint mir die Formulierung, die eine Gruppe im Seminar gefunden hat, nämlich dass die ethische Seite von Texten darin liegt, Verwirrung zu stiften, recht treffend. Meiner Meinung nach ist ein wichtiges Kriterium für ethische Texte, dass sie aufrütteln, die Lesenden packen, ihre Gedanken nicht in Ruhe lassen. Ethische Texte sollten Texte sein, die zu einem Diskurs anregen. Sie sollten dafür sorgen, dass die Leserin oder der Leser das Bedürfnis verspürt, über sie zu sprechen, zu argumentieren, kritisch zu reflektieren.

Es überrascht mich aus diesem Grund, zu der Überzeugung gekommen zu sein, dass ethische Texte deshalb keinem bestimmten Konzept von Wissenschaftlichkeit folgen müssen, sondern vielmehr durch die Andersartigkeit ihres Aufbaues und dem damit verbundenen neuen Denken Raum öffnet. Dieser Andersartigkeit scheint also den Anspruch der AutorIn an die Lesenden, sich auf eine neue Denkweise einzulassen, sich damit zu beschäftigen, sichtbaren Ausdruck zu verleihen.“ (Josephine Wild)

[1] Zamboni, Chiara: Der Weg der Tugend und der symbo­lischen Sprache, in: DIOTIMA: Die Welt zur Welt bringen. Po­li­tik, Ge­schlech­terdifferenz und die Arbeit am Symbolischen, Königstein 1999, 235-244

Autorin: Andrea Günter
Redakteurin: Christel Göttert
Eingestellt am: 17.07.2012
Tags:

Weiterdenken