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Frauen und Männer im Koran: die Schlüsselbegriffe

Von Elfriede Harth

Seit Jahren arbeitet Asma Lamrabet auf dem Gebiet der Rolle der Frauen in den Religionen, und spezifisch im Islam. Elfriede Harth stellt die Koraninterpretation der marokkanischen Medizinerin und Theologin vor. Nachdem es im ersten Teil um die theoretischen Grundlagen ihres Vorgehens ging, beschäftigt sich der zweite Teil mit Schlüsselbegriffen im Verhältnis von Frauen und Männern. In einem dritten Teil wird noch eine Auseinandersetzung mit der Frage folgen, warum sich die islamische Rechtspraxis so weit von den koranischen Quellen entfernt hat. 

Auch wenn dieser zweite Teil sehr lang ist, haben wir uns entschieden, ihn in einem Blogpost zu veröffentlichen, weil eine Aufteilung nicht sinnvoll erschien.

Foto: sukusuki, Lizenz: cc, Quelle: Flickr.com

Der zweite und umfangreichste Teil von Asma Lamrabets Buch „Frauen und Männer im Koran: die Schlüsselbegriffe“ beginnt mit der Erörterung der koranischen Schöpfungsgeschichte und wie sie sich von den biblischen Traditionen unterscheidet. Demnach wurden Frau und Mann aus einer selben Essenz (nafs wâhida) erschaffen, als (duales) Paar, und aus diesem Paar entstehen alle anderen Menschen, Frauen und Männer (Koran 4:1).

Es gibt im Korantext keine Diskriminierung oder Hierarchie zwischen den Geschlechtern (oder den Völkern oder Rassen), schreibt Lamrabet, diese sei erst später hineininterpretiert worden, auch durch den Einfluss der christlichen Traditionen. „Und aus allem haben Wir ein Paar geschaffen. Vielleicht werdet ihr mal darüber nachdenken“ (Kor 5:49) unterstreicht der Koran die von Gott in die Schöpfung angelegte Dualität mit einem Vers, der die 4. Sure eröffnet: „Die Frauen“ (an-nisâ), einen Vers, den der Prophet sehr häufig zu Beginn seiner Predigten wiederholte.

Es fehlt im Koran jegliche Erwähnung einer besonderen Schuld Evas im Sündenfall. Beide Stammeltern werden als gleich verantwortlich gesehen in ihrer freien Entscheidung, Gott den Gehorsam zu verweigern. Es gibt auch keine Erbsünde, weil Gott ihnen diesen ersten Akt menschlicher Freiheit verzeiht und ihnen bewusst macht, was sie für menschliche Fähigkeiten haben, wie sie sich ähneln und unterscheiden, und wie sie als gleiche Menschen, nämlich mit dem gleichen Ursprung, Verantwortung tragen, fähig sind zu denken und frei zu sein.

Diese Fähigkeiten, ihre Vernunft zu gebrauchen, frei zu sein und Verantwortung zu tragen, machen die Würde der Menschen aus, der Frauen wie der Männer, denen Gott gleichermaßen seine „Vertretung in der Welt“ (khilâfa) anvertraut hat. Und wenn Gott die Menschen aus einer selben Essenz erschaffen hat, so hat er doch ihre Vielfalt gewollt, „damit ihr euch untereinander kennt“ (Koran 49:13). In Gottes Augen wird besonders Wohlgefallen finden, wer moralisch integer ist.

Nach dieser Analyse untersucht Lamrabet die Beziehungen zwischen Frauen und Männern, so wie sie der Koran regelt: Die Ethik des ehelichen Bundes; Prinzipien der Scheidung; die gemeinsame Verantwortung von Männern und Frauen; Handhabung der öffentlichen und der privaten Sphäre; grundlegende Verse über das Erben; Grundlagen einer Ethik des Körpers; Gleichheit auf dem Gebiet der Zeugenaussage.

Die Ethik der Ehe

In einem zeitgenössischen Kontext (dem beginnenden 7. Jahrhundert), wo eine Frau ein Objekt war, das von Männern erbeutet, verkauft oder besessen werden konnte, revolutioniert der Koran die Sitten mit seinen Bestimmungen über die Ehe. Er gibt ziemlich genaue Anweisungen über die Bedingungen für einen ehelichen Bund. Verschiede Suren sind diesem Thema gewidmet, und angesprochen werden hauptsächlich die Männer, denen eingeschärft wird, ihre Frauen respektvoll zu behandeln.

Das beginnt damit, dass im Gegensatz zu der damals üblichen Praxis Frauen nicht einfach als Teil der Erbmasse betrachtet und gegen ihre Willen geehelicht werden dürfen. Es wird ihnen ein persönliches Eigentum zugestanden, über das sie alleiniges Verfügungsrecht haben. Teil dieses Privateigentums, das auch ihr Erbe beinhaltet, ist die bei Unterzeichnung des Ehevertrags fällige Mitgift (mahr), die der Bräutigam der Braut geben muss.

Im Falle einer Scheidung muss der Ehemann der Frau ihr ganzes Hab und Gut, einschließlich der mahr, aushändigen. Nur wenn die Frau in flagranti beim Ehebruch ertappt wird, darf der in seinen Rechten verletzte Ehemann von seiner Frau die mahr zurückfordern. Ehemänner werden auch angemahnt, ihre Frauen in keiner Weise zu misshandeln oder unter Druck zu setzen.

Die eheliche Beziehung soll auf dem allgemeinen Wohl (ma’ruf), dem guten Leben für alle, gegründet sein. „Die besten unter euch werden die sein, die am besten zu ihren Frauen sind“ ist eine Ermahnung des Propheten an die Männer, wie ein Hadith überliefert, und in seiner Abschiedsrede ermahnt er sie dreimal: „Ich lege euch ans Herz, seid fürsorglich mit euren Frauen!“

Der eheliche Bund wird als „sehr ernst zu nehmender“ Vertrag (al-mîthâd al-ghalîzh) gesehen, der das Einverständnis beider Brautleute voraussetzt. Es wird überliefert, dass der Prophet Ehen annulliert hat, weil sich Frauen bei ihm beschwerten, gegen ihren Willen verheiratet worden zu sein. Eheleute sollen in gutem Einverständnis miteinander leben oder sich wohlwollend voneinander trennen. Der innere Seelenfriede, die Gelassenheit (sakîna), soll das Zusammenleben bestimmen, nur so kann sich eine Liebe entwickeln, die durch alle Widrigkeiten des Lebens hindurch hilft, eine tiefe Liebe (mawadda wa rahma) und unendliche Güte (Koran 30:21), die natürlicherweise von Zärtlichkeit und Mitgefühl gekennzeichnet ist. Schließlich sollen beide Großherzigkeit zueinander entwickeln.

Ohne erschöpfend auf alle Aspekte der koranischen Ethik des Ehebundes einzugehen, unterstreicht Asma Lamrabet den Aspekt der Befreiung der menschlichen Sexualität von Tabus und abergläubischen Praktiken. Sie zeigt auf, wie die Vorstellung, der Koran erlaube den Männern, ihre Frauen als „Acker“ zu betrachten, den sie nach Belieben „beackern“ könnten, auf einer irrigen Interpretation des Begriffs harth fußt und völlig im Widerspruch steht zu dem Geist des Respekts vor den Frauen, der den Koran kennzeichnet. In Wirklichkeit bezeichne dieses Wort die Fülle, den Reichtum und die Fruchtbarkeit der Erde. Die Männer erhielten also die Anweisung, in ihren Frauen die Quelle des Lebens und der Fülle zu sehen, und in der Sexualität etwas Positives, Bereicherndes, Erfüllendes, das die Beziehung der Eheleute untereinander vertieft. Sie dürften sie also in aller Freiheit und ohne Ängste praktizieren.

Den Abschluss des Kapitels bildet eine kritische Wertung der Kluft zwischen dieser Ethik und dem muslimischen Recht (fiqh). Über die Zeit, so Lamrabet, habe eine völlige Umwertung stattgefunden, die eine Tragödie für die islamische Zivilisation sei. Begriffe wurden ihres Sinnes entleert, wenn nicht in ihr genaues Gegenteil verkehrt.

Als das muslimische Recht im 9. Jahrhundert entstand, habe es sich an die Stelle der koranischen Werte gesetzt, schreibt Lambabet, und eine tiefgehende Beschneidung der Rechte der Frauen institutionalisiert. In allen Schriften des fiqh und der Rechtsschulen fänden sich Vorstellungen und Begriffe, die nirgendwo im Koran zu finden sind, sondern schlicht und einfach von den muslimischen Rechtsgelehrten erfunden wurden. Aus dem Pakt zwischen zwei freien Menschen, eine Frau und ein Mann, wurde ein Abkommen zwischen „dem Bräutigam und dem Vormund der Braut (waliyy), dessen Gegenstand die Braut und die Mitgift bilden. Die Verpflichtungen des Ehemanns bestehen darin, für den Unterhalt seiner Frau aufzukommen und ihr eine Mitgift zu zahlen, im Gegenzug wird diese ausschließliches ‚Eigentum’ des Mannes und schuldet ihm absoluten Gehorsam (ta’a)“ (S. 85f). Aus einer befreienden Offenbarung, so Lamrabet, sei eine diskriminierende religiöse Ideologie geworden.

Die Prinzipien der Scheidung im Islam

Als Katholikin war für mich dieses Kapitel besonders überraschend. Ein ehelicher Bund konnte im 7. Jahrhundert nicht nur als auflösbar betrachtet werden, es wurden sogar die Bedingungen festgelegt, zu denen diese Auflösung vollzogen werden sollte, und es gab jeweils eigene Bestimmungen für den Fall einer einvernehmlichen Scheidung, für den Fall, dass der Mann die Scheidung wünschte, und für den Fall, dass die Frau sich dafür entschied.

Für die damalige Gesellschaft auf der arabischen Halbinsel waren die Prinzipien des Korans eine unerhörte Neuerung. Galt doch die Frau dort als Besitz des Mannes. Nur dieser hatte das Recht, seine Frau zu verstoßen, wie einen Gegenstand, den man nicht mehr braucht. Leider habe das islamische Recht die im Koran enthaltenen Vorschriften einfach ignoriert und sei vielfach zu den vorkoranischen Traditionen zurückgekehrt.

Scheidung im beiderseitigen Einvernehmen

Wie gesagt stellt der eheliche Bund im Koran ein grundlegendes, sehr ernst zu nehmendes Bündnis dar, mit dem nicht leichtfertig umgegangen werden darf. Wenn aber ein gutes Zusammenleben zwischen den Eheleuten nicht möglich ist, sollen sie sich im Guten trennen. Allerdings erst, nachdem eine Vermittlung durch je einen Vertreter von beiden Familien versucht worden ist (Koran 4:35).

Ein überlieferter Hadith sagt: „Die Scheidung ist diejenige erlaubte Sache, die Gott am meisten hasst“. Beide Eheleute haben das Recht, die Scheidung zu wählen. Denn „wenn beide Eheleute es vorziehen, sich zu trennen, wird Gott großzügig für ihre jeweiligen Bedürfnisse sorgen, denn Gott ist voller Großmut und unendlich weise“ (Koran 4:130). Es kann und sollte also friedlich und respektvoll zugehen.

Lamrabet unterstreicht, dass als eine von sehr wenigen Ausnahmen das neue marokkanische Familienrecht (moudawana) diese Prozedur der Scheidung, die einem modernen internationalen Scheidungsrecht entspricht, wieder eingeführt hat.

Wie weit davon entfernt ist aber sehr oft die Praxis in islamischen Ländern, besonders wenn der Mann glaubt, seine Ehre dadurch retten zu können, dass er seine Frau „verstößt“! Hingegen ermahne der Koran die Eheleute immer wieder, auch im Prozess der Scheidung großmütig und nachsichtig miteinander zu sein.

Der Mann will die Scheidung

Wenn der Mann sich scheiden lassen will (talâq), dann kann er laut Koran seine Frau nicht mehr einfach verstoßen, außer wenn sie sich eine notorische Untat (fâhicha mubayyina), zum Beispiel einen Ehebruch, zuschulden hat kommen lassen. Stattdessen hat der Mann in diesem Fall bestimmte Regeln zu beachten: Er muss eine Zeitspanne von drei Monaten abwarten, in denen eine eventuelle Schwangerschaft der Frau festgestellt werden kann. Vor Ablauf dieser Zeitspanne darf er die Frau nicht aus „ihrer Bleibe“ verweisen, denn der Koran betrachtet das gemeinsame Heim, auch wenn es vielleicht legal dem Mann gehört, als eine ihr zustehende Wohnung. Und wie sollte es anders sein, argumentiert Lamrabet, wo sie doch mit der gesamten Hausarbeit, die wie auch sonst weltweit vorwiegend von den Frauen geleistet wird, überhaupt dafür sorgt, dass es einen Rahmen gibt, in dem sich das Ehe- und Familienleben abspielen kann.

Durch diese beiden Bestimmungen soll Zeit und Raum geschaffen werden, um durch Umbesinnung eventuell doch noch eine Trennung zu vermeiden. Ist die Zeitspanne abgelaufen, soll der Mann seine Frau entweder nach allen Regeln des Anstandes (ma’rûf) bei sich behalten oder sich von ihr nach allen Regeln des Anstandes trennen. Diese Entscheidung soll im Beisein von integren Zeugen getroffen werden. Wobei ma’rûf – ein wichtiger Begriff im Koran – gleichbedeutend ist mit Anstand, Vortrefflichkeit und dem Sinn für Gerechtigkeit und für angemessenes Verhalten. Diese „würdevolle Einstellung, entweder bei der Versöhnung oder bei der Trennung, wird zum Maßstab für eine aufrichtige Spiritualität und einem unerschütterlichen Glauben“, schreibt Lamrabet (S. 103).

Die Wirklichkeit ist jedoch sehr oft weit entfernt von dieser Ethik. Islamische Rechtsprechung spricht dem Mann häufig das Recht zu, seine Frau wegen irgendwelcher Lappalien zu verstoßen, und das meistens ohne Zeugen. Dabei werde im Koran gerade auf das Zeugnis Dritter besonderer Wert gelegt. Scheidung oder Versöhnung sollen vor den Augen integrer Dritter stattfinden, vor denen die Entscheidung für eine Versöhnung oder für eine Trennung eben Bestand haben muss.

Schließlich spricht der Koran auch noch davon, dass „die geschiedenen Frauen Recht haben auf eine materielle Unterstützung (matâ’) im Rahmen des Schicklichen (alma’rûf); für die Frommen stellt das eine Verpflichtung dar“ (Koran 2:141). Es handelt sich hier um eine Art „Trostgeschenk“, eine Entschädigung für den Nachteil, den der Frau durch die Scheidung erwächst, besonders wenn der Mann sich von der Frau ohne ersichtlichen Grund trennen will.

Diese vier Prinzipien: Eine Zeitpanne des Nachdenkens, das Verbot, die Frau während dieser Zeit aus der gemeinsamen Wohnung zu verweisen, ein würdevolles Verhalten und die Öffentlichkeit des Aktes waren eine Revolution vor 14 Jahrhunderten. Leider findet man im islamischen Recht der meisten Länder und in der Lebenswirklichkeit vieler Frauen heute nur noch wenige Spuren davon.

Die Frau will die Scheidung (khul’)

Khul’ kommt vom Verb khala’a, das „auflösen“ bedeutet. Es kommt allerdings im Koran nicht vor, dort ist vielmehr die Rede von fîmâ iftadat bihi, einer Kompensation, die die Frau dem Mann gibt, wenn sie beschließt, sich von ihm zu trennen. Denn die Frau hat laut Koran ebenso das Recht, den ehelichen Bund ohne Angabe eines Grundes zu lösen.

Mit der Lösung des Ehevertrags fügt sie ihrem Mann jedoch einen Nachteil zu, wenn er sich ihr gegenüber nichts hat zu Schulden kommen lassen. Und nur in diesem Fall ist laut Koran diese Kompensation fällig. Es steht der Frau auch zu, über deren Natur und Höhe selbst zu entscheiden. Daher darf das Khul’ nicht, wie es in der Praxis häufig geschieht, als ein „sich Freikaufen“ von einem Peiniger verstanden werden.

Manche Schriftgelehrten (zum Beispiel Abû Bakr ibn Abd Allâh al-Mazînî) hätten sogar die Meinung vertreten, dass der Koran es in allen Fällen dem Mann kategorisch verbietet, irgendeinen Teil des Besitzes der Frau anzutasten oder im Falle einer Scheidung zu beanspruchen, schreibt Lamrabet (S.108).

Das muslimische Recht

Das Fiqh, das muslimische Recht, geht meistens von der patriarchalischen Annahme aus, dass eine Frau unfähig wäre, ihre Gefühle zu kontrollieren und vernünftige Entscheidungen zu treffen. Deshalb, so wird argumentiert, sei es im Interesse der Frau, ihr das Recht auf Scheidung zu verweigern, um sie vor sich selbst zu schützen.

Trotzdem war es nicht möglich, alle Verbesserungen, die der Islam für die Frauen im 7. Jahrhundert gebracht hatte, völlig unter den Tisch zu kehren. So haben die Frauen auch heute meistens noch die rechtliche Möglichkeit, im Ehevertrag eine Klausel einzufügen, die ihnen die Möglichkeit einräumt, sich scheiden zu lassen. Diesen Typ Scheidung nennt man tamlîq. Darüber hinaus können Frauen aus verschiedenen Gründen die Scheidung verlangen, zum Beispiel wenn der Mann nicht ausreichend für sie sorgt oder ständig abwesend ist, wegen chronischer Krankheit oder weil er sich an eine im Ehevertrag ausgehandelten Klauseln nicht hält.

Aber die wenigsten Frauen schaffen es, die Möglichkeiten des bestehenden Rechts für sich zu nutzen, weil eine patriarchalische Kultur sich dagegen verschwört. Deshalb sei es dringend notwendig, schreibt Lamrabet, „heute zum Geist des heiligen Textes zurückzukehren, der alle Möglichkeiten bietet für die Gleichberechtigung von Männern und Frauen innerhalb der Ehe“ (S. 112).

Die gemeinsame Verantwortung von Männern und Frauen

Es gibt einen Vers im Koran, den man als das Herzstück der Gleichberechtigung von Männern und Frauen betrachten kann: „Die gläubigen Männer und die gläubigen Frauen sind miteinander verbunden (awliyâ’). Sie regen zum Allgemeinwohl (al-ma’rûf) an und raten von bösen Taten (al-munkar) ab, sie vollziehen das Gebet, zahlen die gesetzlichen Almosen, und gehorchen Gott und Seinem Propheten“ (Koran 9:71). Männer und Frauen werden hier explizit als solche genannt und nicht etwa im neutralen männlichen Plural subsumiert.

Awliyâ’ haengt zusammen mit al-Waliyy, einem der Namen Gottes: der Kraftgebende, Schützer, Unterstützer. Im Alltag bezeichnet dieses Wort auch den Betreuer (eines Minderjährigen), oder jemanden, der regieren kann. Es hängt zusammen mit Freundschaft, Treue, Nähe, Verbundenheit. Männer und Frauen sind im Glauben und durch den Glauben miteinander verbunden und gleich. Die traditionelle Exegese sieht hier lediglich eine spirituelle Gleichheit (im Gebet und Almosengeben), übersieht aber, dass dieser Vers zunächst davon spricht, dass Frauen und Männer unterschiedslos, ohne irgendwelche Hierarchien, beauftragt sind, in Solidarität und gemeinsam das Gemeinwohl, das gute Leben für alle, zu schaffen. Dann erst sollen sie auch gemeinsam beten und Almosen spenden.

„Alle Gläubigen sind solidarisch, großherzig und nachsichtig miteinander, so wie der menschliche Körper: wenn eines seiner Organe an irgendeiner Krankheit leidet, reagiert der gesamte Körper mit Fieber oder Schmerz“. (Hadith, der als Kommentar zu Koran 71:9 von Ibn Kathîr zitiert wird). Dieser Hadith fasst einen wesentlichen Aspekt menschlicher Beziehungen zusammen, anhand einer bedeutungsvollen Metapher: sich ständig einer des anderen bewusst sein.“ (S. 116).

Sich unablässig um das Gelingen des Gemeinwohls und um Gerechtigkeit zu bemühen ist eine der Hauptsäulen des Islam, wie immer wieder betont wird. Es handelt sich um einen klaren soziopolitischen Auftrag. Nur wird dabei meist vergessen, dass dieser Auftrag an Frauen und Männer gleichermaßen ergeht. Außerdem wurde dieser Auftrag im Laufe der Geschichte auf das rein Religiöse reduziert. Es sei also notwendig, so Lamrabet, den Menschen in den heutigen muslimischen Gesellschaften bewusst zu machen, dass sie vom Koran her nicht nur ein Recht auf die Verwaltung und Gestaltung des soziopolitischen Raumes haben, der ihnen zur Verfügung steht, sondern geradezu dazu beauftragt sind. Es ist notwendig, ihnen bewusst zu machen, dass sie ihre Religion nicht in Angst und Gehorsam leben sollen, wie Fatima Mernissi in ihrem Buch: „Islam und Demokratie“ analysiert.

Der Umgang mit öffentlicher und privater Sphäre

Al-Qiwâma ist der zentrale Begriff, mit dem im Allgemeinen die Übermacht der Männer über die Frauen legitimiert wird. Asma Lamrabet untersucht genau die Stellen im Koran, in denen dieser Begriff vorkommt, und unterzieht die möglichen Bedeutungen einer Kohärenzanalyse mit der Ethik des Korans. Drei Verse werden besprochen, in denen der Begriff in einer abgeleiteten Form auftaucht. (Koran 4:34, 4:135 und 5:8).

Im ersten (Koran 4:34) werden die Männer aufgefordert, qawwâmun über den Frauen zu sein. Im zweiten (Koran 4:135) werden alle Gläubigen, Männer und Frauen, aufgefordert, qawwâmun in ihrem Zeugnis zu sein, im letzten (Koran 5:8) sollen die Gläubigen, Frauen wie Männer, qawwâmun zu Gott sein.

Es lässt sich daraus nicht ableiten, dass die Männer den Frauen gegenüber absolut überlegen sind, sondern bei diesem Begriff müsse vielmehr unterschieden werden zwischen seiner Bedeutung in Bezug auf die öffentliche Sphäre (was in den zwei letzten Versen angesprochen wird) und auf die private.

In der öffentlichen Sphäre will der Begriff zum gerechten, billigen und unparteiischen Handeln auffordern. Ohne Ansehen der Person soll der/die Gläubige urteilen und Gerechtigkeit walten lassen. Ein Hadith überliefert, dass der Prophet einmal sagte, eine Stunde Gerechtigkeit zu üben entspreche sechzig Stunden religiöser Praxis. Wie wichtig wäre es, heute die künftigen Generationen an diese qawwâmun zu erinnern, um die alarmierende moralische Ungerechtigkeit, die Wurzel aller herrschenden Übel zu überwinden!

Wenn man die Bedeutung des Begriffes in den letzten beiden Versen erarbeitet hat, erschließt sich sein Sinn im ersten leichter, so Lamrabet. Es gehe hier durchaus nicht darum, dass der Mann der Frau hierarchisch überlegen ist und sie ihm absoluten Gehorsam schulde, sondern darum, dass er Verantwortung für sie trägt. Er muss für sie sorgen, besonders wenn sie während Schwangerschaft, Geburt und Aufzucht der Kinder verletzlich ist.

Wieder muss daran erinnert werden, dass diese Bestimmungen aus dem Kontext des 7. Jahrhunderts stammen. Doch die frauenschädigende Umdeutung eines ursprünglich befreienden Begriffs passt zu der Entstehung und Verfestigung von politischen und gesellschaftlichen Herrschaftsstrukturen, in denen der Ehemann analog zum hâkim, dem Staatschef, gesehen wird und die politisch despotische Herrschaftsform der Gesellschaft in der Familie eingeübt und perpetuiert wird: „Despotismus in der Familie und politischer Despotismus sind die zwei Seiten einer Medaille, und darüber hinaus werden sie als einer sakralen Ordnung entsprechend angesehen“, schreibt Lamrabet (S. 131).

„Die Männer sind qawwâmun über den Frauen wegen der Vorzüge, die Allah diesen über jenen gewährt, und auch wegen der Ausgaben, die sie (die Männer, A. d. V.) mit ihren Gütern tätigen“. (Koran 4:34). Frauen werden vom Koran – im 7. Jahrhundert – von der Verpflichtung befreit, finanziell für die Familie zu sorgen.

Aber darüber hinaus sagt dieser Vers, wenn man ihn grammatikalisch genau liest, dass „gewisse Männer gewissen Frauen gegenüber favorisiert sind und gewisse Frauen gewissen Männer gegenüber“. (S. 131). Denn hätte generell ein Vorzug der Männer den Frauen gegenüber bezeichnet werden sollen, wäre nicht durchweg die männliche (=neutrale) grammatikalische Pluralform verwendet worden, sondern differenziert erst die männliche („diese“), dann die weibliche („jene“). Es handelt sich also nicht um eine allgemeine Bevorzugung der Männer gegenüber den Frauen, sondern um eine gegenseitige Bevorzugung, eine Sonderstellung, die bestimmte Männer in den Augen bestimmter Frauen und umgekehrt haben. Gleichzeitig bedeutet die qîwama nicht eine Ehre und ein Privileg für den Mann, sondern eine Pflicht, die ihm keinerlei Überlegenheit verleiht. Der Mann muss materiell für die Familie sorgen, aber dafür ist ihm die Frau keineswegs Gehorsam schuldig, sondern beide sind verpflichtet, den ehelichen Bund zu respektieren.

Qîwama und qawwâmun müssen im Gesamtzusammenhang der ehelichen Ethik des Korans gesehen werden, wo Begriffe wie der Anstand (ma’rûf) – ein Begriff, der im Koran zwanzig Mal auftaucht, während qîwama nur ein einziges Mal vorkommt – die gegenseitige Unterstützung (ba’duhum awliyâ’ ba’d), Liebe und Zärtlichkeit (rahma wa mawadda) und vor allem das gegenseitige Einvernehmen und das Miteinander Sprechen (tachâwur wa tarâdî) die eheliche Beziehung bestimmen sollen.

Es geht hier laut Lamrabet nicht um irgendwelche hierarchischen Ordnungen, sondern um die Verteilung der Lasten innerhalb der Familie, darum, dass der Mann verpflichtet ist, seinen gerechten Beitrag zu leisten zu einem Zusammenleben, zu dem die Frau bereits durch die Mutterschaft Bedeutendes beiträgt. Es geht im Koran generell darum, die Bedürftigen und Verletzlichen zu schützen, ob Schwangere, Mütter, Kinder, Alte oder Kranke. Deshalb sei es falsch zu glauben, die Frau hätte die „Berufung“, die Bedürfnisse eines Mannes zu befriedigen, und es sei ein Privileg, Mann zu sein.

Der Koran spricht den Frauen das Recht zu, ihre Habe nicht für den Unterhalt der Familie einsetzen zu müssen. Sie sollen den Männern in allem gleich sein, aber um ihre zusätzliche Belastung durch die Mutterschaft zu kompensieren und für einen Notfall gewappnet zu sein, ist der Mann verpflichtet, unabhängig von dem sozialen Status seiner Frau, allein für den Unterhalt der Familie zu sorgen und ihre Habe und ihr Vermögen nicht anzutasten.

Lamrabet schreibt, es sei notwendig, die Zeitgebundenheit dieser Bestimmungen aus dem 7. Jahrhundert zu verstehen und für die heutige Zeit neu zu rezipieren, in einem Kontext, in dem die finanzielle Mitverantwortung beider Eheleute durch eine Erwerbstätigkeit beider zu einer neuen Realität wird. Das alles auf dem Hintergrund der Idee, die der Koran vermitteln will, dass nämlich Gerechtigkeit und Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern herrschen soll.

Das Erben

Auch in der Regelung vom Erben – die sehr komplex ist – hat der Koran eine Pionierleistung in Sachen Geschlechtergerechtigkeit innerhalb des Monotheismus vollbracht. Im 7. Jahrhundert, zu einer Zeit und in einer Stammesgesellschaft, in der Kriege und Plündern an der Tagesordnung waren und Frauen als Teil der zu ergatternden Beute betrachtet wurden, revolutioniert er die Lage der Frauen gerade in Bezug auf das Recht auf Eigentum und auf Erbe.

Nicht nur die Frauen waren damals vom Besitzen und Erben ausgeschlossen, sondern auch Kinder und Alte „und all jene, die sich nicht am Kampf beteiligen konnten. Nur jene, die an der Verteidigung des Stammes teilnahmen, hatten ein Recht auf Vermögen“ (S. 139). Es war das weit verbreitete „wirtschaftliche“ Modell des Beutezugs, der physischen Kraft und des Krieges.

Die beiden folgenden Verse bilden die Grundlage für die Regelung einer Erbschaft:

„Es erhalten die männlichen Erben einen Teil (nasîb) aus dem von den Eltern oder Verwandten hinterlassenen Erbe; ebenso erhalten die Frauen einen Teil (nasîb) aus dem von ihren Eltern und Verwandten hinterlassenen Erbe; ganz gleich wie groß die Hinterlassenschaft, diese Menge bildet den Pflichtteil (nasîban mafrûdan)“ (Koran 4:7).

„Neidet nicht die Gnaden, durch die Gott einige unter euch über die anderen gestellt hat; den Männern wird der Teil zukommen (nasîb), den sie aufgrund ihrer Werke verdient haben, und den Frauen wird der Teil zukommen (nasîb), den sie aufgrund ihrer Werke verdient haben.“ (Koran 4:32)

Frauen und Männer werden also gleich behandelt und haben ein verbindliches Recht auf Erbschaft. Asma Lamrabet unterstreicht die Bedeutung des Kontextes, in dem diese Regelung getroffen wurde. Eine Frau, Umm Kuha, beschwerte sich beim Propheten: „Mein Mann verstarb und hat mich mit Töchtern zurückgelassen. Er hat ein bedeutendes Vermögen hinterlassen, das sich in den Händen seiner Verwandten befindet. Sie wollen uns nichts geben, weder mir noch den Mädchen, obwohl wir alle in Not sind“ (S. 141). Der Prophet rief die betreffenden Männer zu sich, und diese erklärten, keine der Frauen reite ein Pferd, bekämpfe den Feind oder trüge irgendeine Last. In ihren Augen waren sie also eine reine Belastung für die Gemeinschaft und hatten somit keinen Anspruch auf Vermögen. Als der Prophet Gott um eine Antwort bat, erhielt er sie in Form des ersten oben zitierten Verses, dass nämlich Frauen wie Männer ein verbindliches Recht auf einen Teil der Erbschaft hätten.

Die Bedeutung des zweiten Verses geht noch über die Gleichberechtigung beim Erben hinaus. Männer und Frauen sollen etwas erhalten entsprechend dem, was sie geleistet haben. Es werden hier verschiedene Dinge angesprochen. Zum einen wird die volle Geschäftsfähigkeit der Frauen, ihr Recht auf finanzielle und vermögensrechtliche Autonomie begründet, die im 7. Jahrhundert eine ungeheure Neuerung darstellte und die in der islamischen Rechtsprechung (teilweise zumindest) bewahrt wurde.

Zum anderen wird klar gesagt, dass es nicht auf das Geschlecht ankommt, sondern auf die Leistung, auf das Verdienst, das gewürdigt werden soll. Nicht das Geschlecht, der soziale Status oder die Herkunft sollen ausschlaggebend sein, sondern die (innere) Bemühung der oder des Einzelnen, zum guten Leben aller beizutragen.

Leider ist das uminterpretiert worden, indem die patriarchalische Lehre eine bestimmte Arbeitsteilung nach Geschlecht, von der im Koran nicht die Rede ist, als von Gott gewollte Norm aufgestellt und propagiert hat – die Frauen ins Haus, an den Herd und dem Manne untertan.

Auch hier ist es aufschlussreich, den Kontext zu kennen, auf den dieser Vers antwortet. Es gab nämlich Konflikte zwischen Männern und Frauen, weil Männer entsprechend ihrer Rolle in den kriegerischen Auseinandersetzungen größere Vergütungen beanspruchten. Mehrere Frauen beanspruchten deshalb, ebenfalls in den Krieg ziehen zu dürfen. Asma Lamrabet zitiert, wie eine Frau sich damals an den Propheten gewandt haben soll: „Der Schöpfer von Männern und Frauen ist Einer, und du bist der Prophet der Männer und der Frauen, und unsere gemeinsamen Eltern von Männern und Frauen sind Adam und Eva, also warum ruft Gott denn nur die Männer und uns Frauen ruft er nicht?“ (Ar-Râzi – Mafâtîh al-ghayb, S. 144).

Über die aufgezeigte grundlegende Geschlechtergerechtigkeit hinaus wird eine Erbschaft hauptsächlich nach folgenden drei Kriterien abgewickelt:

–          Der Verwandtschaftsgrad zwischen Erblasser und Erben: je näher umso größer der Erbteil.

–          Die Situation innerhalb der Generationenabfolge: Kinder erben mehr als Eltern.

–          Die materielle Verantwortung für die Familie: das ist das Kriterium, das Männern einen Anspruch auf einen höheren Anteil des Erbes einräumt, weil sie finanziell für die Familie aufkommen müssen, während Frauen von dieser Verantwortung befreit sind.

Nur für den Fall, dass Geschwister von ihren Eltern erben, ist vorgesehen, dass der Bruder das doppelte von dem erbt, was seiner Schwester zukommt: „Was eure Kinder anbelangt, Gott schreibt vor, dass ihr dem Jungen einen Teil zukommen lasst, der so hoch ist wie die Anteile von zwei Mädchen“ schreibt der Koran vor. (Koran 4:11) Das sei zu verstehen aus der Verpflichtung des Mannes, für die Familie aufzukommen, während die Frau über ihr Vermögen frei verfügen kann, so Lamrabet. In allen anderen Fällen erben Männer und Frauen laut Koran gleich viel, es gibt sogar Fälle, bei denen eine Frau mehr erbt als ein Mann.

Diese Bestimmungen sind 14 Jahrhunderte alt. Es sei wichtig, ihren Geist zu verstehen und zu respektieren. Mit den heutigen Umwälzungen, wo immer häufiger Frauen einen größeren finanziellen Beitrag zum Unterhalt der Familie leisten (können oder müssen), wo oft Männer nicht in der Lage sind, ausreichend für ihre Familie finanziell zu sorgen, sei es notwendig, diese Regelungen zu überprüfen, damit sie sich nicht in das Gegenteil von dem kehren, was ursprünglich gewollt war: dass Frauen und Männer zusammen und gleichberechtigt für das gute Leben für alle wirken.

Die Grundlagen einer Ethik des Körpers

„Die Moderne definiert sich heute mehr denn je über den Frauenkörper, der Sachzwängen folgend immer mehr zu einen wahren Kriegsschauplatz wird, auf dem sich alle gängigen Ideologien bekämpfen“ (S. 151). Aller Emanzipation zum Trotz, die diverse Fragen legal geregelt hat, herrsche immer noch zwischen den Geschlechtern ein „Verführungsverhältnis“ (rapport de séduction), kritisiert Lamrabet, das schon immer die Machtverhältnisse zwischen Frauen und Männern bestimmt hat, und gegen das jede Epoche ihre eigenen Formen des Widerstands entwickelt habe. Ich zitiere dazu einen längeren Abschnitt aus Lamrabets Buch:

„In den hypermodernen Gesellschaften antwortet dieses Verführungsverhältnis auf ein gleichgebliebenes Machtverhältnis, denn die Frauen bleiben unverändert das Objekt der Vorstellung eines dominierenden und allgegenwärtigen männlichen Begehrens.

Orient wie Abendland verherrlichen das gleiche Körperbild, wenn auch mittels unterschiedlicher kultureller Register: das Bild übersexualisierter Körper, ewig jung, bis zum Äußersten ausbeutbar und dem „äußeren Blick“ des großen Konsummarktes ausgeliefert. Und es ist paradoxerweise gerade in jenen Ländern, wo jahrhundertealte Traditionen die Sichtbarkeit des weiblichen Körpers eingrenzen, wo dieser Markt des Konsums und Körperbildes besondere Bedeutung erlangt. (Der Prokopfverbrauch von Kosmetika und Parfum ist in den Ländern des persischen Golfs unter den höchsten in der Welt, einer Schweizer Studie von 2008 zufolge). Es ist auch in diesen selben Gesellschaften, wo man parallel zu dem Körperkult und dem Kult der äußeren Erscheinung die traditionalistischsten und rigoristischsten islamischen Diskurse zum Kleidungsverhalten von Frauen findet.

Diese Diskurse vermitteln ein kodifiziertes Bild von Körper- und Kleidungsnormen, welche sich zusammenfassen lassen als eine extreme Fokussierung auf den Frauenkörper. Frauen werden als die ‚Hüterinnen der Ehre’ des Islams und der Muslime betrachtet.

Wie es in dieser hyperglobalisierten Kultur eine echte Ideologie des Körperkults gibt, die den Frauenkörper instrumentalisiert und sein Bild kontrolliert und gleichzeitig den Frauen dabei vermittelt, sie seien befreit, so gibt es auch in den gegenwärtigen islamischen Kulturideologien die gleiche Logik der kulturellen Herrschaft, die im Namen des Islam auf das Einsperren des Frauenkörpers in Kleidercodes abzielt, die als „Sharia-konform“ erklärt werden. Es ist die Rede dann von el-libas ach-char’i , einer ‚der islamischen Rechtsprechung konforme Kleidung’.

Man findet im gegenwärtigen islamischen Diskurs eine mehrheitliche Tendenz, die Gesamtheit der islamischen Ethik des Körpers auf ein rechtliches Verhalten zu reduzieren, das strikt erarbeitet und wesentlich auf die Frauen zentriert ist.

Mit anderen Worten, die Debatte über die Ethik des Körpers und der Kleidung im Islam dreht sich nur um eine einzige Dimension, die des hijâb oder Schleiers, den muslimische Frauen tragen sollen. Dieser Begriff des hijâb, der übrigens völlig inadäquat ist, wie wir später sehen werden, symbolisiert im kollektiven muslimischen Imaginären DAS grundlegende Kriterium, auf dem die gesamte islamische Deontologie in Bezug auf den Körper ruht.

Jede Rede über das Verhältnis des Islams zum Körper und zu der Ethik des Körpers führt heute systematisch zu einem Diskurs über den sogenannt ‚islamischen“Schleier hijâb für die Frauen, der mittels ständiger ideologischer Berieselung das Symbol des Islams geworden ist, seiner Identität, seines Widerstandes gegen die Verrohung der Sitten, die angeblich allein der westlichen Kultur innewohnt! Doch das ist völlig falsch, denn alle Gesellschaften leben in unterschiedlichen Abstufungen ihr Los an moralischem und sozialem Verfall.

Aber was sagt denn der Koran wirklich über dieses Thema? Und welches sind denn die Grundlagen der Ethik des körperlichen Verhaltens und der Kleidung im Koran?“ (S. 152f)

Eine Ethik der Innerlichkeit

Folgender Vers kann als zentral angesehen werden: „O Kinder Adams, Wir haben euch Kleider (libâs) gegeben, damit ihr eure Nacktheit bedeckt, und ebenso Geschmeide (rich), aber die beste Kleidung ist zweifelsohne das der taqwa (libâs at-taqwa); das ist eines der Zeichen Gottes, damit sie sich erinnern“ (Koran 7:26).

Drei Sorten „Kleidung“ werden also unterschieden, die erste libâs dient der Bedeckung der Nacktheit; das natürliche Schamgefühl eines Menschen soll respektiert werden, gleich welchen Geschlechts. Durch eine schöne und kostbare Kleidung (rîch) soll zweitens die göttliche Großherzigkeit akzeptiert werden. Aber die wichtigste ist die libâs at-taqwa, die „Kleidung der Innerlichkeit“, durch die die Harmonie zwischen Äußerem und Innerem betont und obendrein gut geheißen werden soll – also weder Körperfeindlichkeit noch Körperkult.

Deontologie des Respekts des Anderen

„Sag den gläubigen Männern, dass sie einen Teil ihres Blicks senken (yaghuddû min absârihim) und ihre Keuschheit (yahfazhû furûjahum) beschützen sollen, es wird für sie reiner sein. (…) Sag den gläubigen Frauen, dass sie einen Teil ihres Blickes senken (yaghdudna min asârihinna) und ihre Keuschheit beschützen sollen (yahfazhna furûjahunna)“. (Koran 24:30-31)

Wieder werden parallel beide Geschlechter explizit angesprochen und ermahnt. Es geht um die „Philosophie der Lust, des Begehrens des Anderen, der fleischlichen Beziehungen zwischen Männern und Frauen“ (S. 156). Sie sollen ihr Gegenüber mit genügender Distanz anblicken, um als erstes ihre Menschlichkeit zu sehen, statt sich von oberflächlichen äußeren Aspekten begrenzen zu lassen. Es geht also um eine Ethik des Blicks, des Ansehens.

Gleichzeitig geht es aber auch um das Prinzip der Meisterung seiner Selbst, der Meisterung des Begehrens. Diese beiden Prinzipien, Ethik des Blickes und Meisterung des eigenen Begehrens, gehören zusammen. Es geht um die „Regulierung der Sexualität“, die nicht zu verwechseln ist mit einer Körper- oder Sexualfeindlichkeit. „Da die Sexualität im Islam nur innerhalb der Ehe erlaubt ist, mit anderen Worten innerhalb einer festen und verantwortungsvollen Beziehung, geht es darum, die Fähigkeit zu erlangen, die menschlichen Triebe auszubalancieren und eine Ethik zu meistern, die Harmonie zwischen Spirituellem und Fleischlichem schafft (…) Diese Vorstellung von Schamgefühl, Zurückhaltung und Respekt vor dem Körper des Anderen und seiner Intimität werden heute besonders wichtig, wo uns diese Kultur überschwemmt, die vehement den Körper und extreme Lüste „sakralisiert“ und die mittels einer hemmungslosen Libertinage die Ausbreitung sexuellen Gewalt banalisiert, die sich immer häufiger bei den jungen Generationen bemerkbar macht “. (S. 157) Lamrabet zitiert die Modekritik von Mariette Julien: „Kleine Mädchen werden in Objekte des Begehrens verwandelt, wo sie doch noch nicht über die Mittel verfügen, Subjekte des Begehrens zu sein.“

Gleichzeitig warnt Lamrabet davor, Schamgefühl mit Prüderie zu verwechseln, und prangert die klassischen islamistischen Diskurse an, die in jeder Beziehung zwischen Mann und Frau erst einmal etwas Verdächtiges sehen bis das Gegenteil bewiesen wird. Schamgefühl, Zartgefühl (Pudeur) sind wir auch Gott gegenüber schuldig, so der Prophet, von dem in einem Hadith berichtet wird, dass er die Gläubigen ermahnte: „Habt Schamgefühl eurem Schöpfer gegenüber, wie es sich gehört“.

Schamgefühl ist also im Koran nicht nur beschränkt auf Fleischliches, sondern beinhaltet Respekt vor dem Anderen, Zurückhaltung, Sinn für Billigkeit, für Angemessenheit. Jedoch nicht Heuchelei. Gerade heute müssen wir das Recht auf eine Ethik des Schamgefühls pochen, wo uns im Namen der Moderne und der individuellen Freiheiten eine Kultur des Voyeurismus und der Schamlosigkeit aufgezwungen werden.

Jenseits von Kleidung…

Es gibt einen Vers im Koran, der vorsieht, dass Frauen einen jilbâb, einen Mantel oder Überwurf über ihre Kleidung tragen sollten: „O Prophet, sag deinen Frauen, deinen Töchtern und den Frauen der Gläubigen, dass sie sich mit einem Stück ihres jilbâbs bedecken sollen. Das ist das beste Mittel, um sich so erkennbar zu machen und zu vermeiden, das sie gekränkt werden.“ (Koran 33:59)

Wieder einmal muss diese Weisung in ihrem Entstehungskontext verstanden werden. Der Koran brachte eine Revolution der Geschlechterverhältnisse in die damalige Gesellschaft, die ihre überlieferten Sitten und Gebräuche erst überwinden musste. Zweierlei Dinge sind von diesem Vers heute bedeutungsvoll: Zum einen, dass es im Koran immer darum geht, verletzliche Menschen zu schützen, so zum Beispiel Frauen, die in der Dunkelheit aus dem Haus gehen, weil sie am öffentlichen oder religiösen Leben teilhaben wollen. Zum zweiten, dass es eben gerade legitim ist, dass Frauen in der Dunkelheit ihr Haus verlassen, um am öffentlichen oder religiösen Leben gleichberechtigt teilzuhaben.

Der sogenannte „islamische“ Schleier: khimâr oder hijâb?

Dieses Symbol wird zum Kristallisationspunkt für ein Durcheinander von Begriffen wie Tradition, Moderne, Freiheit, Frauenkörper, Identitätstragödien, Zusammenleben in multikulturellen Gesellschaften… Der Westen befindet sich in einem Prozess der Restrukturierung seiner Identität. Welcher Platz kommt darin dem Islam zu, dessen Sichtbarkeit unablässig wächst?

Was sagt der Koran denn überhaupt zum hijâb? Das Wort wird insgesamt sieben Mal verwendet und bedeutet jedes Mal dasselbe, nämlich Vorhang, Trennung, Wand, oder Schleier, der etwas bedeckt oder schützt. So heißt es im Vers (Koran 17:45): „Wenn du den Koran rezitierst, setzen Wir einen unsichtbaren Schleier (hijâb) zwischen dir und denen, die nicht an das zukünftige Leben glauben“. Oder: „Es ist einem Menschen nicht gegeben, dass Gott unmittelbar zu ihm spricht, außer es geschieht durch Eingebung oder hinter einem Schleier (hijâb) oder durch Sendung eines Gesandten, der ihm, mit Seiner Erlaubnis, offenbart, was Er will.“ (Koran 42:51).

Derjenige Vers, der als Rechtfertigung herhalten muss für die „Pflicht“ für Frauen, sich zu verschleiern, ist folgender: „O Ihr Gläubigen, betretet nicht die Gemächer des Propheten, außer ihr werdet dazu aufgefordert! Und wenn ihr die Frauen des Propheten etwas fragt, dann tut dies hinter einem Schleier (hijâb).“ (Koran 33:53).

Es geht hier also nicht im Geringsten um irgendwelche Kleiderordnungen, sondern um den Schutz der Privatsphäre des Propheten und seiner Ehefrauen, und darüber hinaus um den Respekt der Privatsphäre eines jeden Menschen. Dieser Vers war eine Antwort auf eine konkrete Situation, dass nämlich manche Gäste des Propheten kein Feingefühl dafür hatten, wann sie sich verabschieden sollten, um dem Propheten und seiner Familie ein Privatleben zu ermöglichen. Durch diesen Vers werden aber auch die Ehefrauen des Propheten in ihrem besonderen Status als die „Müttern aller Gläubigen“ konsekriert.

Von welchem Schleier spricht der Koran?

„Sag des gläubigen Frauen, dass sie von ihrer Schönheit (zînatahunna) nur das sichtbar lassen sollen, was davon sichtbar ist, und ihre Schals (khumurihinna) über ihre Brust (juyûbihinna) zu decken und ihre Reize nicht zu zeigen, es sei denn ihrem Mann, ihrem Vater, ihrem Schwiegervater, ihren Söhnen, ihren Brüdern, ihren Neffen…“ (Koran 24:31)

Der khumur ist also ein Schleier oder Schal, der auf jeden Fall Gesicht und Hände der Frau frei lassen soll. Sonst hätte auch die Ethik des Blickes (ghadd al’basar) keinen Sinn mehr. Es ist übrigens verboten, die Kaaba in Mekka mit verschleiertem Antlitz zu betreten.

Nicht von Ungefähr hat eine semantische Verschiebung stattgefunden, die dazu geführt hat, dass man nicht korrekterweise von khumur spricht, wenn es um die Kopfbedeckung der muslimischen Frauen geht, sondern von hijâb. Das hatte schwerwiegende Folgen. Man rechtfertigt damit nämlich die Abtrennung der Frauen, ihren Ausschluss aus dem öffentlichen Raum und auch innerhalb der religiösen Praxis, weil sie durch den hijâb abgetrennt und eingeschlossen werden.

„Der hijâb wird zum Symbol der Eingrenzung des Frauenkörpers in der Sphäre der fitna oder Versuchung, und der ’awna die gleichbedeutend ist mit Schamlosigkeit und Schande. Innerhalb dieser beiden Begriffe fitna und ’awna, regelrechte „kollaterale Folgen“ des hijâb – die nirgendwo im Koran mit dieser Bedeutung auftauchen -, wird man die muslimischen Frauen einsperren und sie entlang der Geschichte der islamischen Zivilisation in alle Ewigkeit verdammen“, schreibt Lamrabet (S. 167)

Für die Frauen, die sich die befreiende Botschaft des Korans aneigneten, war der khimâr ein Symbol der Befreiung und der Würde. Es gab ihn schon in vorislamischen Zeiten, daher ist er an sich unwichtig. Wichtig wurde nur seine neue Bedeutung. „Der Schleier ist ein Teil der Ethik, ihn zu tragen ist ein Recht der Frauen. … Diese müssen das Recht haben zu entscheiden in Kenntnis der Zusammenhänge, ob sie ihn tragen wollen oder nicht“, so Lamrabet (S. 170). Bislang gilt er den einen als Zeichen der Unterdrückung, den anderen als Zeichen des Glaubens. Aber Glaube lässt sich nicht an äußeren Kriterien messen.

„Wichtigstes Ziel des Korans ist es, Männer und Frauen aufzurütteln, sich von allen materialistischen Entfremdungen zu befreien und von allen Kodizes der Verführung, die jeder Epoche eigen sind, und die letztendlich nichts weiter sind als konkrete Projektionen der herrschenden immer wiederkehrenden Ideologien in der Geschichte der Menschheit.“ (S. 170)

Gleichheit im Zeugnis

Es gibt einen Vers, der den Rat gibt, Verträge, mit denen finanzielle Fragen geregelt werden sollen, im Beisein von Zeugen zu schließen, entweder zwei Männern oder einem Mann und zwei Frauen. Aus diesem Ratschlag, der nicht im geringsten ein bindendes Gesetz ist, zu schließen, dass Frauen (oder ihr Wort) nur halb so viel Wert seien, wie Männer, ist laut Lamrabet ein typisches Beispiel frauenfeindlicher Interpretation des Korans. Es sollte vielmehr daraus geschlossen werden, dass Frauen ebenfalls an diese Transaktionen herangeführt werden sollten.

Abgesehen von diesem einen Vers gibt es verschiedene Belege dafür, dass das Zeugnis von Frauen genauso viel Wert ist wie das von Männern. Sie sind gleichberechtigt als Zeugen des Glaubens. Und sie sind gleichberechtigt als Zeugen, wenn es um einen Ehebruch geht: „Die die Ehe brechen, Frauen wie Männer, sollen hundert Peitschenhiebe erhalten.“ (Koran 24:2). Wie in allen monotheistischen Religionen ist auch im Islam der Ehebruch ein schweres Vergehen. Und dennoch will der Koran Milde einführen in den Formen der Bestrafung von Vergehen. Die damals unter den Juden in Medina übliche Praxis der Steinigung wird abgelöst durch die Flagellation. Aber es wird auch im Vorfeld verlangt, dass sichergestellt wird, dass ein Ehebruch wirklich stattgefunden hat. Vier Augenzeugen, die dem Vollzug des Ehebruchs beigewohnt haben, sind notwendig, um jemanden als des Ehebruch schuldig verurteilen zu können (Koran 4:7). Und ein Meineid wird sehr schwer geahndet. Wer sich des Meineids schuldig macht, erhält achtzig Peitschenhiebe und verwirkt auf immer sein Recht Zeuge zu sein (Koran 24:4).

Wenn ein Ehemann seine Frau oder umgekehrt eine Frau ihren Mann ohne weitere Zeugen beim Ehebruch ertappt, dann greift das li’ân, die „gegenseitige feierliche Verfluchung“. Viermal müssen beide jeweils öffentlich vor einem Richter schwören, dass sie die Wahrheit sagen und ein fünftes Mal Gottes Fluch auf sich herab rufen, falls er oder sie lügt. „Diese Vorschrift zeugt von der Güte und der Barmherzigkeit Gottes mit euch, denn Gott in Seiner Weisheit liebt es zu verzeihen.“ (Koran 24:9).

Aber die alten Sitten und Gebräuche haben ein zähes Leben. Auch in den europäischen vom Christentum geprägten Gesellschaften gab es Ehrenmorde. So wurde in Frankreich erst 1791 der Ehrenmord durch das „Verbrechen aus Leidenschaft“ ersetzt, das dem betrogenen Ehemann (nicht der Ehefrau) mildernde Umstände für die Tötung seiner Frau und gegebenenfalls ihres Liebhabers einräumte. Der Koran hat schon im 7. Jahrhundert diese Themen behandelt und im Sinne der Gleichberechtigung gelöst. Es ist aber notwendig, sich wieder auf die Quellen zurück zu besinnen.

Autorin: Elfriede Harth
Redakteurin: Antje Schrupp
Eingestellt am: 11.11.2012
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Kommentare zu diesem Beitrag

  • Das Problem bei dieser ganzen riesigen Debatte um “Frau und Religion” besteht darin, dass immer wieder der Eindruck entsteht, die Würde der Frauen sei davon abhängig, dass Männer sie ihnen zugestehen. Dem ist aber nicht so. Frauen haben Würde, weil sie einander respektieren, oder religiös ausgedrückt: die Würde wird ihnen vom LEBENDIGEN selbst, nicht von den vermeintlichen Vertretern GOTTES auf Erden verliehen. Und deshalb bin ich dafür, dass Frauen aufhören, sich am Thema “Frau und Religion” abzuarbeiten und sich bei Männern zu bedanken, wenn die ihnen ein bisschen von ihrer vermeintlich selbstverständlichen GOTT-Nähe abgeben. Was es braucht, sind Texte von Frauen aller religiösen Zugehörigkeiten, in denen sie DAS EWIGE ohne solche devoten Verbeugungen denken.

  • gudrun sagt:

    Ich finde diese Einschätzung zu absolut.
    Die Ursprünge von Religionen zu kennen und das wie und warum ihrer Veränderungen, hilft mir, mich besser zu orientieren. Vielleicht auch, diejenigen, die diese Religion ( eventuell sogar mit dem Wunsch, “Gutes Leben” in die Welt zu bringen)praktizieren, besser zu verstehen. Weil die ursprünglichen Intentionen / Bedeutungen nachvollziehbar werden. Das hilft mir in den Beziehungen zu diesen anderen.
    Ich finde aber auch, dass Frauen sich dem “EWIGEN”
    direkt zuwenden sollten und dass sie es auch besonders gut können, gerade wegen ihrer emotionalen Offenheit und Bereitschaft, genauer/tiefer hinzuschauen.

  • Antje Schrupp sagt:

    @Ina – das kommt natürlich darauf an, welche Motive du Asma Lamrabet unterstellst. Es ist möglich, dass sie sich diese ganze Arbeit nur macht, um den Männern zu beweisen, dass die Frauen eine eigene Würde haben. Das wäre in der Tat Mummpitz. Es könnte aber auch sein, dass sie es macht, weil sie den Koran für eine wichtige/die wichtigste Quelle göttlicher Offenbarung hält und anderen (Frauen und Männern) den Zugang dazu wieder ermöglichen möchte, der durch patriarchale Okkupation dieser Quelle quasi verstellt ist. Das wäre dann ein wichtiges Unterfangen. Vermutlich ist es eine Mischung aus beidem.

  • Wo das Problem liegt, wird sichtbar, wenn ich mir klar mache, dass bis heute niemand – weder Frau noch Mann – auf die nahe liegende Idee gekommen ist, einen vergleichbar umfangreichen Diskurs zum Thema “Mann und Religion” aufzuziehen. Vorausgesetzt wird nach wie vor, dass die Gott-Nähe des männlichen Geschlechts fraglos gegeben ist, wohingegen diejenige des weiblichen Geschlechts immer und immer wieder aus den Schriften bewiesen werden muss. Und weil die Heiligen Schriften fast durchgehend ebenso verfahren, also die Nähe von Gott und Mann voraussetzen und die von Gott und Frau begrenzen bzw. an der männlichen Position messen, muss dabei immer ein schlechteres “Vorher” (der alte Orient, das altisraelitische Patriarchat, das polytheistische Arabien…) vorausgesetzt bzw. konstruiert werden, damit die Herabsetzung des Weiblichen in den fraglichen Schriften, die als “gut” erscheinen sollen, als “Fortschritt” erscheinen kann. Das ist ein Muster, das sich beständig wiederholt (Asma Lambaret ist ja bei weitem nicht die erste, die die Gleichheit der Frauen im Koran oder in der Bibel so “beweist” ). Mein Vorschlag demgegenüber wäre: Wir setzen die längst bewiesene Würde der Frauen voraus, statt sie immer wieder uns und anderen zu “beweisen” und interpretieren von hier ausgehend die Schriften als Ganze. So kommen wir dann selbstverständlich auch in irgendeinem Kapitel auf die Geschlechterdifferenz zu sprechen, aber sie dominiert nicht mehr die gesamte Schriftlektüre der Frauen, während Männer in Ruhe weiterhin ihre “allgemeine” Auslegung praktizieren.

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