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Unterdrückung und Umweltzerstörung als Konsequenz dominatorischer Systeme

Von Ulrike Brandhorst

Das Anliegen dieser Artikelserie ist es, die Gedanken von Riane Eisler zu einer Wirtschaft der Fürsorge zu verbreiten. Der folgende Text ist eine zusammenfassende Übersetzung des Kapitels 6 von Riane Eislers „The Real Wealth of Nations“.

In den ersten fünf Kapiteln legt Eisler dar, dass wir Einfluss auf die Wirtschaft nehmen müssen, wenn wir eine menschengerechte und gesunde Umwelt wollen. Einen Hauptgrund für unsere Gesellschafts- und Umweltprobleme sieht sie darin, dass alle gängigen Wirtschaftstheorien die grundlegende wirtschaftliche Bedeutung der Fürsorgearbeit übersehen, wo doch für ein funktionierendes Wirtschaftssystem nicht nur die Marktwirtschaft, sondern alle Bereiche der Wirtschaft betrachtet werden müssen. Als wichtige Voraussetzung für eine nachhaltige Form des Wirtschaftens erklärt sie den Wechsel von einem dominatorischen zu einem partnerschaftlichen Denken, deren Merkmale sie in Kapitel 2 ausführt. In den Kapiteln 3 und 4 macht Eisler deutlich, dass sich Fürsorgearbeit wirtschaftlich für Firmen, Staaten und Gemeinden auszahlt und zeigt, wie im heutigen Wirtschaftssystem zerstörerische Vorgänge als wirtschaftlicher Gewinn gewertet werden und Investitionen in Zukunft und Nachhaltigkeit als Verlust. In Kapitel 5 erklärt sie die Grundkomponenten partnerschaftlicher Systeme und wie diese in der Praxis funktionieren.

Foto: Lisa Spreckelmeyer/pixelio.de

Foto: Lisa Spreckelmeyer/pixelio.de

In Kapitel 6 erklärt Eisler die Grundlagen und Funktionsweisen dominatorischer Systeme. Zunächst stellt sie klar, dass sowohl dominatorische als auch partnerschaftliche System auf eine lange Tradition zurückblicken. Sie verweist auf die Ausbeutung der Massen unter den ägyptischen Pharaonen und chinesischen Kaisern, ebenso wie auf die partnerschaftlich geprägte Kultur der Minoer im Kreta der Bronzezeit. Ebenso zeigt sie, dass die Kulturen, die wir als die Wurzeln der abendländischen Kultur betrachten – die griechische sowie die jüdisch-christliche Kultur – stark dominatorisch geprägt waren. Dies legte die noch heute wirkende geistige Grundlage für Ausbeutung und Unterdrückung, denn wenn z.B. auch heute das Prinzip weit verbreitet ist, dass jeder seinen eigenen Körper und seine eigene Arbeitskraft besitzt, so ist die Sklaverei in der Praxis noch weit verbreitet und Fürsorgearbeit wird weiterhin ganz selbstverständlich vornehmlich ohne gesellschaftliche und finanzielle Anerkennung von Frauen geleistet.

Der Mythos des dominatorischen Imperativs

Der moderne Arbeitsplatz ist auf ein dominatorisches System zugeschnitten, da sich der hartnäckige Mythos gebildet hat, das dominatorische Prinzip sei eine Grundvoraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg. Dass das Gegenteil der Fall ist und auf welche Art der Mythos aufrecht erhalten wird, hat Eisler bereits in Kapitel 3 dargestellt. Sie weist in Kapitel 6 noch einmal darauf hin, dass nur in einem partnerschaftlichen, von Ethik getragenen System eine nachhaltige Wirtschaft entstehen kann, die für alle funktioniert. Besonders leiden auch heute noch die Frauen unter den dominatorischen Systemen, in denen sie in ihrer großen Mehrheit weltweit mehr Arbeit leisten müssen als die Männer und dabei wesentlich weniger Geld und Einfluss besitzen. Dies führt unter anderem nicht nur zu Altersarmut von Frauen, sondern auch zu Kinderarmut, wobei dieses Phänomen in Entwicklungsländern deutlicher zu sehen, aber in allen Ländern der Welt präsent ist. Das Phänomen wird dadurch verstärkt, dass vor allem in den ärmeren Ländern oft Frauen die Haupternährerinnen der Familie sind. Dazu kommt, dass selbst in Doppelverdienerfamilien weltweit die Frauen tendenziell mehr von ihrem Einkommen für Familienzwecke zur Verfügung stellen als Männer. Eisler weist in diesem Zusammenhang auf eine brasilianische Studie hin, nach der das Verhältnis von dem was vom weiblichen Einkommen bei der Familie ankommt und was vom männlichen 1 zu 18 ist.

Das zugrunde liegende Problem

Diesen Fakten zum Trotz basieren die herkömmlichen Wirtschaftstheorien auf der Annahme, dass die männlichen Haushaltsvorstände ihr Einkommen zum Wohl aller Familienmitglieder ausgäben. Zahlreiche Hilfsprojekte waren erfolglos, da Gelder an die Männer und nicht an die Frauen in einer Familie ausgezahlt wurden. Hintergrund ist das dominatorische Gedankengut, das die Belange des Mannes über die der Frauen und Kinder stellt. Auch in größerem Maßstab versanden Hilfsgelder aufgrund der dominatorischen Geisteshaltung, so dass Maßnahmen, die einem Land helfen sollen, letztendlich nur einer kleinen Elitegruppe zu gute kommen (oft einer Gruppe aus dem Land, aus dem die Hilfe eigentlich stammt). Dies macht auch deutlich, dass die Problematik nicht eine Mann/Frau-Problematik ist, sondern dass die Mann/Frau-Problematik nur ein Teil der übergeordneten Problematik von herrschender Gruppe zu beherrschter Gruppe ist. Sie ist für das dominatorische System typisch und das grundlegende Problem für die zahlreichen Missstände auf unserer Welt, wie etwa das Erzeugen von Mangel und die Ausbeutung der Natur.

Erzeugen von Mangel

Die bewusste Herbeiführung von Mangel ist sicherlich einer der verheerendsten Aspekte dominatorischer Systeme und gleichwohl die Grundlage ihrer Existenz. Wir reden hier nicht von einem tatsächlichen Mangel, sondern dem in dominatorischen Systemen fortwährend erzeugten Mangel durch zu starke Ausbeutung, Verschwendung, Krieg oder Kriegsvorbereitungen, Umweltzerstörung und Fehlinvestitionen aufgrund falscher Wertschätzungen. Eisler drückt dieses Phänomen drastisch aus, indem sie ein Bild wählt, in dem die einen oben prassen und die anderen sich unten um die Krümel streiten. Dieser Streit bekommt häufig eine rassistische, religiöse oder ethnische Komponente. Indem eine der unten konkurrierenden Gruppen als Sündenbock genommen wird, wird die untere Gruppe geteilt und somit im Aufbegehren geschwächt und gleichzeitig wird die Aufmerksamkeit von den eigentlich für den Mangel Verantwortlichen abgelenkt. Im Endeffekt leiden jedoch alle unter diesem hausgemachten Mangel, denn es herrscht ein Klima der Angst (auch der Oberen vor dem sozialen Abstieg) und Brutalität (was sich im alltäglichen (Geschäfts-) Leben widerspiegelt). Dies führt auch zu einem weiteren Punkt, der Ursache und gleichzeitig Ergebnis des erzeugten Mangels ist: Zu den hohen militärischen Investitionen in dominatorischen Systemen. Eisler führt hier in einigen Beispielen an, wie viele soziale Einrichtungen, z.B. Schulen, für den Preis militärischer Großprojekte finanziert werden könnten und welche Summen vom US-Kongress für Militäroperationen genehmigt und welche für Gesundheit oder Soziales nicht genehmigt werden.

Fehlinvestionen durch mangelnde Wertschätzung

Gleichzeitig zeigt Eisler, wieviel Mehrausgaben ein Staat hat, wenn er zum Beispiel nicht ausreichend in die Fürsorge für Kinder investiert. Kinder die materiell, intellektuell oder emotional an Mangel leiden, kosten den Staat später mehr, als dass sie für ihn leisten können. Ebenso wird oft übersehen wieviel Arbeitskraft in einem Land durch emotionale Belastung der Arbeitenden verloren geht. Perverserweise wird versucht, das in dominatorischen Systemen unbefriedigte Verlangen nach Sicherheit, Liebe und Anerkennung durch Konsumgüter zu stillen. Damit wird das Verlangen jedoch nur weiter angefacht, nicht jedoch befriedigt. Das Ergebnis ist eine Verschwendung von Ressourcen zur Herstellung von Konsumgütern, die nur einer kleinen Gruppe einen kurzfristigen Gewinn bringen, langfristig jedoch dazu führen, dass unser Lebensraum zerstört wird.

Umweltzerstörung als Konsequenz dominatorischen Denkens

Foto: Katharina Wieland Müller/pixelio.de

Foto: Katharina Wieland Müller/pixelio.de

Dass Umweltzerstörung in dominatorischen Systemen keine Erscheinung der Neuzeit ist, dokumentiert Eisler am Beispiel der Sahara. Bis ungefähr 3000 v. Chr. war dieses Gebiet fruchtbar und grün. Erst dann begann die Verwüstung, die keineswegs alleine auf das Klima zurückzuführen war. Die Menschen passten sich nicht an die klimatischen Bedingungen an, sondern fällten Wälder um sich neues Weideland zu erschließen. Die fehlende Vegetation trieb die Verwüstung voran, die Menschen fällten weitere Wälder und so entstand eine Wüste, die wir heute als Sahara kennen. In dem vom Menschen selbstgeschaffenen menschenfeindlichen Umfeld weitete sich die Ausbeutung von der Mitwelt auch auf die Mitmenschen aus. Es kam zu Kämpfen um die knappen Ressourcen. In diesen Zeiten liegt für manche Historiker_innen der Ursprung der Aufteilung in die „wertlose“, von Frauen geleistete Fürsorgearbeit und die anerkannte, nach außen gerichtete Arbeit der Männer. Die Menschen, die durch den zum Teil selbst erzeugten Mangel an Ressourcen, dominatorische Formen des Miteinanders entwickelt hatten, fielen nun in fruchtbare Regionen ein und setzten dort ihre Art des Denkens und Miteinander-Umgehens durch.

Kein Ende in Sicht

Doch während diese Berichte wie Geschichten aus längst vergangenen Zeiten klingen, sind die Menschen heute mehr denn je dabei ihre eigene Lebensgrundlage zu zerstören. Entgegen besseren Wissens werden die Meere überfischt und verseucht, riesige Waldflächen gerodet und Berge giftigen und radioaktiven Mülls angehäuft, die in einer unüberschaubaren Anzahl von Generationen noch gefährlich sein werden. Und dies ohne Not. Im Gegenteil. Trotz dieser Ausbeute gibt es immer noch Hunger und Armut in dieser Welt, obwohl es möglich wäre, die Weltbevölkerung ausreichend zu versorgen ohne dabei die Erde zu zerstören.

Bereits veröffentlicht wurden:

Kapitel 1      Die Entwicklung einer Wirtschaft der Fürsorge

Kapitel 2      Wandel zu einer Geisteshaltung der Fürsorge

Kapitel 3+4  Fürsorgearbeit zahlt sich aus

Kapitel 5        Partnerschaftliche Systeme brauchen die entsprechende Geisteshaltung

Kapitel 7        Eine neue Wirtschaftstheorie des Partnerismus

Kapitel 8        Ethik in der Wissenschaft ist überlebensnotwendig

Kapitel 9        Stress und ein pervertiertes Wertesystem als Ursache für fehlende Mitmenschlichkeit

Kapitel 10      Von Bewusstheit zur Aktion

Zum weiterlesen: Riane Tennenhaus Eisler, The Real Wealth of Nations: Creating a Caring Economics, 2008.

Kommentare zu diesem Beitrag

  • Nennen wir es doch gleich beim Namen: die dominatorischen Systeme wurden ausschliesslich von Männern für und nur für das Wohl der Männer errichtet:politisch,wirtschaftlich und spirituell,d.h. zur Sicherung ihrer nicht infrage zu stellenden Macht,dies über einen Zeitraum von mehreren tausend Jahren.Eine andere Bezeichnung für diese Art von Systemen bringt es auf den Punkt – es handelt sich dabei um patriarchalische Gesellschaftssysteme,seit ca.3000 v.u.Z. nachgewiesen.Ebenso wird die minoische Kultur heute unzweifelhaft als eine mutterrechtlich organisierte Gesellschaft dargestellt,die matriarchal genannt wird und deren frühgeschichtlichen Zeugnisse über ganz Europa verstreut wahrzunehmen sind.Wir müssen uns nur an unsere frühgeschichtlichen Wurzeln erinnern und daran,woher wir kommen: aus dem Recht (und Bauch) der Mutter,die uns in diese Welt geboren und jeder/m von uns das Leben geschenkt hat,also am Anfang jeden irdischen Lebens steht und deshalb – und auch aus vielen anderen Gründen – kulturbildend ist.Wieso ist es nach wie vor so schwierig,die Dinge bei ihrem wirklichen Namen zu benennen?

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