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Nach der Wahl fängt die Politik an: Geschlechtergerechtigkeit ist mehr als Gleichstellung

Von Jutta Pivecka

Aufruf feminister Wissenschaftlerinnen “Für eine soziale, geschlechtergerechte und offene Gesellschaft.”

Im Bundestagswahlkampf 2013 spielte Geschlechtergerechtigkeit offenbar so gut wie keine Rolle. Die SPD traute sich mit einer Männer-Troika in den Wahlkampf zu ziehen wie anno 1970 und gestritten wurde bestenfalls um die Frauenquote in Aufsichtsräten oder das Betreuungsgeld für Mütter (!). An der Lebenswirklichkeit von Frauen, an der Vielfalt ihrer politischen Initiativen und Wünsche, ging dieser Wahlkampf nahezu vollständig vorbei. Ausgehend von dieser Situation entschlossen sich feministische Wissenschaftlerinnen einen gemeinsamen Aufruf zu formulieren, um das Thema Geschlechtergerechtigkeit in einen größeren Zusammenhang zu stellen, ja es überhaupt wieder zum Thema zu machen. Die Idee dazu entstand im Anschluss an einen Workshop zu „Feministische Kritik in Zeiten der Prekarisierung“, den Prof. Dr. Susanne Völker und Dr. Christina Klenner konzipiert hatten.

Die Initiatorinnen wollen mit diesem Aufruf verdeutlichen, dass sie zwar einen gleichstellungspolitischen Ansatz vertreten, aber zugleich eine wesentlich erweiterte Perspektive vorschlagen: „Uns geht es nicht nur darum, Frauen und Männer gleichzustellen, was an sich wichtig genug ist, sondern um die grundsätzliche Frage von Prekarisierung und Ausgrenzung.“  Zunehmend würden soziale Fragen von ökonomischen Interessen an den Rand gedrängt, blieben soziale und ökologische Fragen unbearbeitet. Täglich verlören Menschen, die vor Krieg und Armut fliehen, an den Grenzen Europas ihr Leben.

Die Initiative fordert daher die „Überwindung prekärer Arbeitsformen und eine Offensive für ´gute Arbeit´! Hartz IV müsse durch eine garantierte menschenwürdige Grundsicherung ersetzt werden. Zugleich geht es den Unterzeichnerinnen um die „finanzielle Absicherung, Aufwertung und geschlechtergerechte Teilung von Sorgearbeit“: „Sorgearbeit darf nicht ausschließlich als private Arbeit betrachtet werden, sondern muss als qualitativ hochwertige Dienstleistung öffentlich organisiert und finanziert werden.“ Dazu gehöre auch ein zügiger Ausbau von öffentlicher Kinderbetreuung. Diese Ziele könnten indes nur erreicht werden, wenn ein kürzerer Arbeitszeitstandard und mehr Zeit für private und gesellschaftliche Belange zur Norm würden. Zudem fordern die Wissenschaftlerinnen eine veränderte Einwanderungspolitik, die den „Zuzug von Migrant_innen als Chance und nicht nach Maßgabe ökonomischer Effizienz gestaltet“.

Den Aufruf der feministischen Wissenschaftlerinnen haben inzwischen mehr als 200 Personen unterzeichnet.

Zum vollständigen Text der Initiative: FÜR EINE SOZIALE, OFFENE UND GESCHLECHTERGERECHTE GESELLSCHAFT!

Kontakt: 

Autorin: Jutta Pivecka
Redakteurin: Jutta Pivečka
Eingestellt am: 18.10.2013
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Kommentare zu diesem Beitrag

  • Sabrina Bowitz sagt:

    Liebe Jutta, vielen Dank für die spannenden Informationen!
    Und danke für den Hinweis auf die Initiative!
    “Überwindung prekärer Arbeitsformen und eine Offensive für ´gute Arbeit´! Hartz IV müsse durch eine garantierte menschenwürdige Grundsicherung ersetzt werden”. Das erachte ich auch als sehr wichtig, da jede und jeder ein Recht auf Grundsicherung hat. Dies würde dann auch der allseits beliebten Wohlfahrt in die Hände spielen, da die Menschen nicht mehr so schnell Burnout oder sonstiges aufgrund fehlender Stabilität und fehlenden finanziellen Mitteln bekommen. Zudem wäre der Konsum, der ja auch den liberal-konservativen Parteien wichtig ist, als Motor der Wirtschaft, dadurch gefördert. Also: Warum nicht?
    Kommt noch hinzu, dass dadurch wirklich einmal die Würde
    des Menschen unantastbar wird, denn gerade Frauen leiden ja
    oft darunter, dass ihre Würde jederzeit angegriffen werden
    kann, wenn sie kein Geld haben um sich selbst versorgen
    zu können. Und die ganze Gesellschaft hätte etwas davon,
    wenn das Verhältnis zwischen den Geschlechtern, auch durch
    das Grundeinkommen, die Grundsicherung besser wird.
    Sowohl Frauen als auch Männer.
    „Sorgearbeit darf nicht ausschließlich als private Arbeit betrachtet werden, sondern muss als qualitativ hochwertige Dienstleistung öffentlich organisiert und finanziert werden”
    Hierfür bräuchte es dann auch eine klare gesetzliche Regelung, das wäre ein Fortschritt.
    Denn es ist wirklich eine Tatsache, dass jede und jeder Fürsorgearbeit braucht, Fürsorge allgemein.
    Diesen Satz möchte ich noch einmal unterstreichen:
    „Uns geht es nicht nur darum, Frauen und Männer gleichzustellen, was an sich wichtig genug ist, sondern um die grundsätzliche Frage von Prekarisierung und Ausgrenzung“.

  • Karina Starosczyk sagt:

    Danke Sabrine Bowitz für Deine wertvolle Informationen.

    Ich unterstürzte diese Initiative vom Herzen. Tag für Tag muss ich einsehen, wie systematisch im Patriarchat mit dem Menschen-Leben und Würde der Frau umgegangen wird: Alles dreht sich nur um Geld und muss den Draht-Ziehern des Systems passen und Otto-Normal-Verbraucher hat zu schlucken, was die „Gott-Herren des Systems“ einfädeln! Frau Merkel saß mit den Bilderbergern auch schon am Tisch! Und noch so nebenbei für Menschen, die mal auch zum Herrn Doktor gehen müssen: Die Anwendung unterschiedlicher Heilverfahren sollen lt. “Codex Alimentarius” stark reduziert werden. Was soll es bringen? Freie Bahn für Medizin, die lediglich ein Handgelenk der Pharma-Industrie zu sein hat!

  • Katarina Klein sagt:

    Ich habe im Internet über Codex Alimentarius nachgeforscht: http://www.youtube.com/watch?v=OcJGhRsT6fw

  • Elisabeth von Grafen sagt:

    Ich will hier nicht über die Strenge schlagen. Der „liebe Gott“ mit seinen Antreibern hier auf dieser Erde (sehe Codex Alimentarius) haben schon genug Unheil eingerichtet und unzählige Menschen-Mengen wissen mittlerweile nicht, wo sie hinten und wo vorne haben. Ich kann die „Klappe halten“, damit der faule Frieden nicht gestört wird. Das ist allerdings nicht mein Lebens-Ziel. Ich will auch eine Information „loswerden“: Vor kurzem noch wurden bei Aldi Nano-Tücher und so was verkauft. Mittlerweile ist – wie ich gehört habe – diese Fabrik, die diese „Wunder-Artikel“ produziert hat, geschlossen. Nur, wenn wir über die faulen Eier des Übels auf dieser Welt reden, können wir ruhig schlafen (s. sehe die Sendung über Codex Alimentarius)!

    Ich habe mir mal so ein „Hygiene-Wisch-&Spültuch“ gekauft. Auf der bunten Verpackung steht geschrieben: „keine unangenehmen Gerüche im Tuch“. Ich schwöre! Nachdem ich den Dreck bei mir zuhause damit abgewischt habe, stank der Lappen wie die Pest (hi hi hi).

  • Regina Frey sagt:

    Ja, klar “Geschlechtergerechtigkeit ist mehr als Gleichstellung”. Es wäre aber in der Zwischenzeit schonmal ganz gut zumindest etwas Gleichstellung zu haben. Der Aufruf http://www.gleichstellung-jetzt.net hat übrigens inzwischen fast 1.000 Unterzeichnerinnen und Unterzeichner.

  • Angela Melkfeld sagt:

    Ich kann auch noch was zur Systematisierung im Patriarchat sagen. Es ist nichts Schönes oder Aufbauendes. Leider gehört es zu der Rubrik „Das Leiden der Frau als Mutter im Patriarchat“: Mir sind viele Frauen bekannt, die ernorm darunter leiden, dass ihre Töchter sie als natürliche Autoritäten nicht achten, sondern nach dem „verträumten“ Blick des Vaters ächzen…

  • Sabrina Bowitz sagt:

    Hallo Angela Melkfeld, spannend. Gestern erst hat mir eine Coachin erzählt, dass es ganz normal sei, dass ihre Tochter in irgendeinem Alter nur noch den Vater sehen will. Ich finde das nicht normal, genauso wenig wie ich mit den Einteilungen von Freud einverstanden war (der sich ja sowieso öfter widersprochen hat in dem was er gesagt hat). Es wird so viel als völlig normal verkauft.
    Ich habe es auch gemerkt, dass in vielen Berichten, vor allem psychoanalytisch orientierte, den Frauen viel zu viel Verantwortung aufgelastet wird. Wo ist denn der Mann in der Verantwortung wenn es in der Familie schief läuft?
    Wo ist die Gesellschaft verantwortlich die Frauen ihre
    Autorität abspricht?
    Ich finde immer, dass man den Status Quo nicht so hinnehmen muss und ich wünsche mir, dass spätere Generationen mit mehr Gerechtigkeit aufwachsen als ich.
    Das wäre wirklich mein Wunsch.

  • Angela Melkfeld sagt:

    „Ich finde immer, dass man den Status Quo nicht so hinnehmen muss und ich wünsche mir, dass spätere Generationen mit mehr Gerechtigkeit aufwachsen als ich. Das wäre wirklich mein Wunsch.“

    Danke Sabrina Bowitz für Deine Worte. In diesem Sinne habe ich einen hoffnung-schildernden Roman gelesen „Die Rückkehr des weiblichen Prinzips.“ (http://www.inaqiawa.net/weibliches-prinzip.html)

  • Sabrina Bowitz sagt:

    Liebe Angela Melkfeld,danke für deinen Hinweis, da werd ich mal schauen! Ich bin immer etwas vorsichtig mit der Unterscheidung zwischen weiblich-männlich, weil das eh schon so viel angerichtet hat. Ich benutze eher neutrale Eigenschaftsbeschreibungen, weil es doch auch darauf ankommt, dass sowohl Frauen als auch Männer menschenwürdig leben können. Und wenn das möglich ist in dieser Gesellschaft auch Tiere menschenwürdig behandelt werden, da seh ich dann auch nicht so viel Unterschied. Ich denke da wieder an Alice Schwarzer, die meinte, dass an der Weise wie wir Tiere behandeln sehr klar deutlich wird, wie wir auch Menschen behandeln können. Daran denke ich immer wieder und es zeigt mir jedes Mal wieder die ganze Grausamkeit die in diesem System steckt und in dem fehlenden Respekt für Fürsorge, für Freundschaft, für Respekt gegenüber anderen und für Differenz, für andere Arten zu leben und zu denken.
    Das finde ich schade und ich hoffe jedes Mal, dass es anders wird und ich meine Teil dazu beitragen kann.

  • Angela Melkfeld sagt:

    An Sabrina Bowitz:

    „Ich bin immer etwas vorsichtig mit der Unterscheidung zwischen weiblich-männlich, weil das eh schon so viel angerichtet hat.“ Es geht mir auch so. „Die Rückkehr des weiblichen Prinzips“ kündigt nicht die Ankunft „starker“ Frauen, die endlich die bösen Buben zürnen würdenn, sondern lässt das Potenzial erkennen, das darin steckt, die weiblich formulierten Qualitäten in „unserer“ patriarchalischen Gesellschaft leben zu lassen…

  • Sabrina Bowitz sagt:

    Liebe Angela Melkfeld, damit kann ich mich schon mehr anfreunden:). Das klingt sehr spannend und lesenswert, danke für den Tipp!

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