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Ethik in der Wissenschaft ist überlebensnotwendig

Von Ulrike Brandhorst

Das Anliegen dieser Artikelserie ist es, die Gedanken von Riane Eisler zu einer Wirtschaft der Fürsorge zu verbreiten. Der hier folgende Text ist eine zusammenfassende Übersetzung des Kapitels 8 von Riane Eislers „The Real Wealth of Nations“.

In den ersten sieben Kapiteln legt Eisler dar, dass wir Einfluss auf die Wirtschaft nehmen müssen, wenn wir eine menschengerechte und gesunde Umwelt wollen und dass für eine funktionierenden Wirtschaftstheorie nicht nur die Marktwirtschaft, sondern alle Bereiche der Wirtschaft, besonders aber die grundlegende wirtschaftliche Bedeutung der Fürsorgearbeit beachtet werden müssen. Als wichtige Voraussetzung für eine nachhaltige Form des Wirtschaftens erklärt sie den Wechsel von einem dominatorischen zu einem partnerschaftlichen Denken. Sie macht deutlich, dass sich Fürsorgearbeit wirtschaftlich für Firmen, Staaten und Gemeinden auszahlt und zeigt, wie wir neue Vorstellungen und Geschichten dafür einsetzen können, um eine Wirtschaft der Fürsorge zu verwirklichen. In Kapitel acht beschreibt sie die Chancen für die Entwicklung einer Wirtschaft der Fürsorge in unserer postindustriellen Ära.

Foto: Viktor MIldenberger / pixelio.de

Foto: Viktor MIldenberger / pixelio.de

Da die Geschichte gezeigt hat, dass jede neue technologische Entdeckung auch angewendet wird, findet Eisler es müßig darüber zu diskutieren, ob diese neuen Technologien überhaupt eingesetzt werden dürfen oder nicht. Ihr Anliegen ist es, dass die Menschen sich dafür stark machen, diese Technologien nicht zur Zerstörung und Beherrschung zu nutzen, sondern dazu, das Leben auf dieser Erde zu verbessern. Gleichzeitig warnt sie davor, in den neuen Technologien an sich eine Lösung für die globalen Probleme zu sehen – trotz technischen Fortschritts verhungern täglich Kinder, sterben ganze Tier- oder Pflanzenarten aus, werden Wälder abgeholzt, wird fruchtbares Land zu Wüste… Ob neue Technologien eine positive oder negative Wirkung auf unsere wirtschaftliche und gesellschaftliche Zukunft haben, hängt vollständig davon ab, wie unsere Regierungen, Unternehmen und jeder und jede Einzelne von uns sie verwenden.

Die Zukunft der Arbeitswelt

Gleiches gilt für den Einfluss neuer Technologien auf unsere Arbeitswelt, die sich bereits heute beim Übergang von der industriellen zur postindustriellen Ära tiefgreifend verändert hat. Durch Automatisierung bzw. die Möglichkeit der Auslagerung von Produktionsschritten und Dienstleistungen sind zahlreiche Arbeitsplätze verloren gegangen bzw. in andere Länder verlagert worden. Anders als beim Wechsel vom Agrar- zum Industriezeitalter stehen keine neuen Arbeitsplätze zur Verfügung, die den Verlust oder die Abwanderung der alten Arbeitsplätze kompensieren könnten. Als Antwort auf diese Entwicklung schlagen einige Expert_innen ein Grundeinkommen oder eine negative Einkommenssteuer vor – beides Lösungen die Eisler nicht befürwortet, da damit keine Steuerungswirkung in Bezug auf konstruktives bzw. destruktives Verhalten erreicht werden könne. Stattdessen sieht Eisler in den Umwälzungen auf dem Arbeitsmarkt eine Chance Arbeit neu zu definieren, denn all die Arbeiten, die Kreativität, Flexibilität und Fürsorge verlangen, können von Maschinen nicht geleistet werden. Staat, Wirtschaft und Gesellschaft müssten daher alles daran setzen, in die Ausbildung von kreativen, flexiblen und fürsorglichen Arbeitskräften zu investieren – also in Familien, Pflege, Bildung und Gesundheit. Gleichzeitig mit den Investitionen in der Praxis muss dafür gesorgt werden, dass Fürsorge für Mensch und Natur einen höheren Stellenwert in Staat und Gesellschaft erhalten.

Vom Gebrauch und Missbrauch der Technik: Das wissenschaftliche Ethos

High-Tech-Kriege, Umweltzerstörung, Klimawandel… das sind die Folgen eines Missbrauchs moderner Technologien und der Grund für die Technikfeindlichkeit vieler Menschen. Doch bestimmte Technologien oder gar Technik an sich sind nicht das Problem – das Problem ist immer der Geist in dem sie genutzt werden. Dabei verweist Eisler zum Beispiel auf die Chancen und Gefahren der Bio- und Nanotechnologie und darauf, dass es „objektive Wissenschaft“ nicht geben kann. Statt weiterhin den Mythos einer „objektiven Wissenschaft“ aufrechtzuerhalten, muss ein neues Ethos der Wissenschaft geschaffen werden – ein Ethos, das auf Mitgefühl, Fürsorge beruht, eine Forschung, die nicht im luftleeren Raum stattfindet, sondern immer ganzheitlich und in Beziehungen denkt. Dabei nennt Eisler Beispiele von Wissenschaftlerinnen, die schon heute so arbeiten. Anhand eindrucksvoller Beispiele zeigt sie, dass Ethik in der Wissenschaft überlebensnotwendig ist. Das bedeutet nicht Verzicht auf Forschung, sondern das Einführen klarer Standards und Regeln – und eine Wirtschaft, die das Einhalten dieser Standards und Regeln fördert, in dem sie die Kosten fehlender Nachhaltigkeit den dafür Verantwortlichen in Rechnung stellt und nicht – wie heute – auf die Allgemeinheit verteilt. Gleichzeitig muss Nachhaltigkeit wirtschaftlich gefördert werden.

Ein neuer Ansatz

Auf dem Weg zu einem neuen wissenschaftlichen Ethos will Eisler den Begriff der Technik / Technologien neu definieren. Als technische Hilfsmittel sieht sie dabei nicht nur klassische Werkzeuge wie Hämmer oder Staubsauger, sondern auch unsere Hände und Hirne und überhaupt alle Hilfsmittel, die wir verwenden, um unsere Ziele zu erreichen. Und das ist der neue Ansatz: Die Frage, welches Ziel wir mit einer bestimmten Technik oder mit einem bestimmten Werkzeug erreichen wollen. In einer von dominatorischen Denken geprägten Welt kann jede Technologie pervertiert werden. Es ist also niemals eine Technologie an sich, sondern immer ihr praktischer Einsatz, der bewertet werden kann. In diesem Sinne unterscheidet Eisler folgende Kategorien:

Foto: Michael Hirschka / pixelio.de

Foto: Michael Hirschka / pixelio.de

1. Lebensfördernde Technologien, die dem Erhalt des Lebens und der Gesundheit dienen. Dazu zählen grundlegende Tätigkeiten wie Lebensmittelanbau, Weben, und Bauen, aber auch alles, was mit Kommunizieren oder Transportieren zu tun hat, z.B. die Sprache oder unsere Beine – oder eben das Internet oder Flugzeuge. Auch Heilmethoden oder Katalysatoren fallen in diese Kategorie, weil sie die Gesundheit erhalten bzw. die Luftverschmutzung verringern.
2. Entwicklungsfördernde Technologien, die helfen, das menschliche Potential auszuschöpfen und die menschlichen Bedürfnisse zu befriedigen. Dazu gehören Musik, Kunst und Meditation, aber auch Erziehungsgrundsätze, öffentliche Bildung, demokratische Regeln uvm.
3. Zerstörungstechnologien, deren Ziel die Zerstörung ist – angefangen vom Schwert bis hin zu den heutigen nuklearen und biologischen Waffen – oder dem Einsatz von Robotern in Kriegen.
4. Das oben in Kategorie 1 eingeordnete Flugzeug zeigt, wie wichtig die Zielorientierung bei einer Technologie ist und wie unscharf die Grenzen sind: Ab wann gilt die Nutzung eines Flugzeugs zum Beispiel als zerstörerisch, weil umweltschädigend – bei Urlaubsreisen generell? Ab einer bestimmten Anzahl von Urlaubsreisen? Und ganz klar: Kampfflugzeuge werden in Kategorie 3 eingeordnet.

Die Neutralität der Globalisierung

Die neuen Technologien führen nicht nur zu revolutionären Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt – unsere Welt wird durch die immer effizienteren Kommunikations- und Transportmittel immer vernetzter und Entfernungen verlieren an Bedeutung. Ob diese „Globalisierung“ genannte Entwicklung positive oder negative Auswirkung auf Umwelt und Menschen hat, liegt einzig und allein in der Art wie wir damit umgehen. So hat die Globalisierung durchaus für viele Menschen Vorteile gebracht – allerdings wird die Tendenz deutlich, dass die wirtschaftlichen Unterschiede zwischen und innerhalb der einzelnen Länder zunehmen. Es liegt an den Regierungen, Unternehmen – und vor allem an jeder und jedem Einzelnen von uns, dass der technische Fortschritt, der unsere Welt kleiner und unserer Möglichkeiten größer werden lässt, dazu führt, dass alle Menschen ein gutes Leben führen, dass keine Kinder mehr verhungern und die Natur gedeiht.

Bereits erschienen sind:

Kapitel 1      Die Entwicklung einer Wirtschaft der Fürsorge

Kapitel 2      Wandel zu einer Geisteshaltung der Fürsorge

Kapitel 3+4  Fürsorgearbeit zahlt sich aus

Kapitel 5        Partnerschaftliche Systeme brauchen die entsprechende Geisteshaltung

Kapitel 6       Unterdrückung und Umweltzerstörung als Konsequenz dominatorischer Systeme

Kapitel 7        Eine neue Wirtschaftstheorie des Partnerismus

Kapitel 9        Stress und ein pervertiertes Wertesystem als Ursache für fehlende Mitmenschlichkeit

Kapitel 10      Von Bewusstheit zur Aktion

Zum weiterlesen: Riane Tennenhaus Eisler, The Real Wealth of Nations: Creating a Caring Economics, 2008.

Autorin: Ulrike Brandhorst
Redakteurin: Juliane Brumberg
Eingestellt am: 10.11.2013
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Kommentare zu diesem Beitrag

  • Sabrina Bowitz sagt:

    Wieder ein spannender Gedanke, dass die Technik nicht an sich schlecht ist, sondern in welchem “Geist” sie benutzt wird oder wie sie verwendet wird. Schön finde ich auch die Einteilung der Technologien und generell der Ansatz die Fürsorge so hoch einzuschätzen.
    Habe ich sie aber richtig verstanden, dass sie vom Grundeinkommen nicht so viel hält? Dagegen würde ich widersprechen, weil es eine gute Grundlage wäre, um die Gesellschaft konstruktiver und kreativer werden zu lassen.
    Dadurch dass jede und jeder die Sicherheit hat sich selbst
    zu ernähren und nicht mehr Ungerechtigkeiten in der Jobverteilung oder im Leben allgemein, sowie ein Haufen an häuslicher Unterdrückung durch Geld entstehen kann.

  • Sabrina Bowitz sagt:

    Berichtigung:”enstehen können”:).

  • Sabrina Bowitz sagt:

    heute ist der Wurm drin:entstehen können, so ists richtig:)

  • Karina Starosczyk sagt:

    Ich lese in der Übersetzung, dass Eislers Anliegen ist, „dass die Menschen sich dafür stark machen, diese Technologien nicht zur Zerstörung und Beherrschung zu nutzen, sondern dazu, das Leben auf dieser Erde zu verbessern.. Doch bestimmte Technologien oder gar Technik an sich sind nicht das Problem – das Problem ist immer der Geist in dem sie genutzt werden.. Statt weiterhin den Mythos einer ‚objektiven Wissenschaft’ aufrechtzuerhalten, muss ein neues Ethos der Wissenschaft geschaffen werden – ein Ethos, das auf Mitgefühl, Fürsorge beruht, eine Forschung, die nicht im luftleeren Raum stattfindet, sondern immer ganzheitlich und in Beziehungen denkt. Das bedeutet nicht Verzicht auf Forschung, sondern das Einführen klarer Standards und Regeln – und eine Wirtschaft, die das Einhalten dieser Standards und Regeln fördert, in dem sie die Kosten fehlender Nachhaltigkeit den dafür Verantwortlichen in Rechnung stellt und nicht – wie heute – auf die Allgemeinheit verteilt.“ So sind sich wahrscheinlich alle Verfechter des bedingungslosen Grundeinkommens darüber auch einig.

    Eislers thematisiert in diesem Text aus verständlichen Gründen das Grund-Einkommen. „Als Antwort auf diese Entwicklung schlagen einige Expert_innen ein Grundeinkommen oder eine negative Einkommenssteuer vor – beides Lösungen die Eisler nicht befürwortet, da damit keine Steuerungswirkung in Bezug auf konstruktives bzw. destruktives Verhalten erreicht werden könne.“ Diese „negative Steuer“ haben wir mindestes seit den 70-ger Jahren des letzten Jahrtausends (http://gutesleben.org/) und heute werden immer mehr Menschen (Frauen und Männer) – geschweige denn die Kinder – systematisch missbraucht. Ich zitiere den Tex über Eislers weiter: „Stattdessen sieht Eisler in den Umwälzungen auf dem Arbeitsmarkt eine Chance Arbeit neu zu definieren, denn all die Arbeiten, die Kreativität, Flexibilität und Fürsorge verlangen, können von Maschinen nicht geleistet werden. Staat, Wirtschaft und Gesellschaft müssten daher alles daran setzen, in die Ausbildung von kreativen, flexiblen und fürsorglichen Arbeitskräften zu investieren – also in Familien, Pflege, Bildung und Gesundheit. Gleichzeitig mit den Investitionen in der Praxis muss dafür gesorgt werden, dass Fürsorge für Mensch und Natur einen höheren Stellenwert in Staat und Gesellschaft erhalten.“

    Was ich nicht so recht verstehe, ist der Satz: „Gleichzeitig muss Nachhaltigkeit wirtschaftlich gefördert werden.“ Sind wir als Gesellschaft „verdammt“ worden, alles mit Geld und bezahlter Arbeit zu messen? Im ausgehenden Patriarchat haben wir nicht mal die religiöse Legitimation des patriarchalischen Verbrechens (Vorstellung der Geburt Athens aus dem Kopf des Zeus oder die männliche Gottes-Troika im Christentum) verlassen, so werden wir in den nächsten Tagen die Welt, die jahrtausend-lang diffamiert wurde, nicht neu definieren. Ich habe auf jeden Fall keine Jahrtausende-lang Zeit, um an meinem Leben ruhig zu tüfteln…

  • Gré Stocker-Boon sagt:

    Manch einer ist schon ausgebrannt und möchte in Frühpension,oder sich selbständig machen.Wenn sie kreativ sein wollen und immer aus sich selbst herausschöpfen “müssen”,ohne beklatscht zu werden,wo sie einen Applaus verdient hätten,ist auf Dauer kaum möglich sich zu erhalten/entfalten.

  • Ulrike Brandhorst sagt:

    Danke für die vielen spannenden und weiterführenden Gedanken.
    Tatsächlich spricht sich Eisler gegen ein Grundeinkommen aus – das Buch ist sehr aus us-amerikanischer Perspektive geschrieben, und hofft noch auf die segensreiche Wirkung von Sozialleistungen etc. deren Problematik wir in Europa/Deutschland schon besser kennengelernt haben.
    Derzeit ist Riane Eisler auf der Suche nach einem Verlag, der The Real Wealth of Nation auf Deutsch herausbringt – vielleicht hat von Euch einer Ideen/Kontakte?

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