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Rubrik Blitzlicht

Unbeschreiblich weiblich

Von Jutta Pivecka

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Vanessa Bell: Conversation

Sie wollen zuallererst Menschen sein, nicht festgeschrieben werden auf die Rolle als Frau oder Mann oder etwas anderes. Es geht ihnen um das Verbindende, das Allgemein-Menschliche, das was sich den Kategorien der Geschlechtlichkeit entzieht. Immer wieder wurde ich im vergangenen Jahr mit dieser Haltung konfrontiert, wenn ich in Diskussionen mein Frau-Sein als Ausgangspunkt nahm und darauf beharrte, von meinem Geschlecht weder absehen, noch es als eine einschränkende Kategorie überwinden zu wollen. 

Das brachte mich noch einmal zum Nachdenken darüber, warum ich diesen Wunsch nicht teile, warum es mir so wichtig ist, mich als Frau zu denken und von da aus verstehen zu wollen. Als ich jung war, habe ich das Geschlecht durchaus für eine verzichtbare Kategorie gehalten. Ich dachte, ich kann alles erreichen, was ich will, wenn ich mich genug anstrenge,  und hielt mich für mit gemeint, wenn in Philosophie oder Literatur vom „Menschen“ die Rede war. Erst allmählich wurde mir klar, dass ich als Frau nicht gemeint war, dass der Mensch, von dem gesprochen wurde, ausschließlich als Mann gedacht war und auch dass jenes „Andere“, das ich war, diesem Denken nicht etwa unwesentlich blieb, sondern geradezu dessen Voraussetzung bildete: als jeweils das, was dieser Mensch nicht war, aber begehrte, was er nicht hatte, aber besitzen wollte, was ihm unheimlich war  und anziehend zugleich. Das war ein Schock – und heilsam. Ich lernte, was mich nichts anging: z.B. ökonomische Modelle, in denen die sogenannte„Reproduktionsarbeit“ als selbstverständlich vorausgesetzt wurde, eine Philosophie, die auf hierarchischen Antagonismen beruhte, die immer wieder mit „männlich“ und „weiblich“ in Verbindung gebracht wurden oder eine Literatur, in der Frauen eine schöne Leiche abgaben über der männliche Hauptfiguren zu sich selbst fanden. Nur zum Beispiel. Das war befreiend: Weil mich das nichts mehr anging, gewann ich Zeit und Raum für anderes. Für die Lektüre von anderen Texten, die Betrachtung anderer Bilder und ein ganz anderes Denken, das sich nicht mehr im Kontext dieser Denkmodelle behaupten wollte.

Deshalb:  Ich will mich nicht nicht als Frau denken! Nur als Frau bin ich frei, mich mit dem zu beschäftigen, was mich etwas angeht, statt mich immer wieder im ewigen Kreislauf sinnloser Kämpfe mit einer Geschichte und einem Selbstverständnis zu verstricken, das mich nicht meint. Frausein heißt für mich nicht, Rollenstereotypen des Patriarchats zu entsprechen. Andersrum gilt: Weiblich ist alles, was eine Frau ist. Unbeschreiblich. Vielfältig. Anders. Es gibt noch viel zu viel zu entdecken für mich als Frau , bevor ich mich auf die Rolle „als Mensch“ beschränken will.

Autorin: Jutta Pivecka
Redakteurin: Jutta Pivečka
Eingestellt am: 12.01.2014

Kommentare zu diesem Beitrag

  • Ute Plass sagt:

    “………oder eine Literatur, in der Frauen eine schöne Leiche abgaben über der männliche Hauptfiguren zu sich selbst fanden.” Treffend formuliert.:)

  • Gudrun Nositschka sagt:

    Ein wunderbarer Beitrag, in dem ich mich aufgehoben fühle. Danke.

  • Liebe Jutta Pivecka, danke für diese Worte, noch nachträglich, wunderschön! Hat mich gerade wieder bestärkt und sie sind so wahr!

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