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Rubrik unterwegs

Die Externsteine – Annäherung an ein altes Heiligtum

Von Ursula Jung

Seit zwei Jahren beschäftigt sich Ursula Jung mit den Externsteinen, dem uralten Heiligtum ihrer Lippischen Heimat. Für bzw-weiterdenken hat sie Informationen, Hintergründe und Tipps für einen Besuch zusammengestellt.

Das Kreuzabnahme-Relief an den Externsteinen.

Das Kreuzabnahme-Relief an den Externsteinen.

Kruzifixe gibt es erst seit dem 10. Jahrhundert? Das interessiert mich aber, was ich da in „bzw-weiterdenken“ entdeckt habe. Denn bei den Externsteinen gibt es ein 4,8 mal 3,7 Meter großes Relief an einem Felsen: Jesu Kreuzabnahme aus dem 9. oder 10. Jahrhundert (Kreuzabnahmebilder finde ich weniger grausam als die Kruzifixe in den Kirchen, auf denen Jesus jahrhundertelang festgenagelt bleibt).

Die Personen tragen Kleider nach sächsischer Mode: halblange Röcke für Jesus, Josef von Arimathäa und Nikodemus. Der „Heliand“ (um das es in diesem Kapitel bei Brock/Parker unter anderem geht) ist doch auch sächsisch. So wie er will wohl auch dieses Bild die grausam geschlagenen Heiden mit dem Christentum versöhnen: Seht doch! So wie Ihr unter dem fränkischen Kaiser gelitten habt, so ging es Jesus unter dem römischen Kaiser!

Jesu Mutter (oder ist es Maria Magdalena?) beugt sich liebevoll zu dem toten Jesus hin. Ob sie ihn küsst, ist nicht zu sehen, denn gerade an dieser Stelle ist der Stein zerstört worden. Genau auf diese Stelle zeigt die große Hand Gottes. Er ist oben im Bild mit einer Fahne und einem Baby im Arm dargestellt. Soll das die Seele des Verstorbenen darstellen? Ein Hinweis auf Wiedergeburt? Mich rührt es, dass Sonne und Mond vor Trauer weinen. Ihre Tränen trocknen sie in langen Tüchern.

Josef von Arimathäa steht auf der umgeknickten Irminsul, dem germanischen Weltenbaum, der hier in heidnischer Zeit gestanden haben soll. Seine Beine sind abgeschlagen worden… Wer mag dieses großartige Kunstwerk geschaffen haben? Vielleicht ein Benediktinermönch aus dem nahegelegenen Kloster Corvey an der Weser?

Historisch belegt ist, dass 1115 eine der Höhlen in den Felsen als Kapelle für Einsiedlermönche geweiht worden ist. 814 waren Benediktinermönche aus dem Kloster Corbie bei Paris in die Gegend der Externsteine gekommen. Sie hatten bei einem Abschwörhof (Abdinghof) ein Kloster „Hetis“ gebaut. Die Mönche sind dort, in der Nähe des zerstörten Heiligtums, wohl nicht freundlich aufgenommen worden, denn schon 822 zogen sie weiter an die Weser und gründeten dort das berühmte Kloster Corvey.

Unterhalb des Reliefs ist eine andere, weniger klare Darstellung zu sehen. Sie ist älter, wohl aus heidnischer Zeit. Auf einem alten Foto sehe ich, dass dieses Bild einmal mit Zement zugeschmiert war. Warum sollte es nicht mehr sichtbar sein? Es stellt einen Drachen dar, der ein Menschenpaar umschlungen hält.

Ein Paradies unter Polizeischutz

Die Externsteine sind ein wunderbares Naturschutzgebiet des Lippischen Heimatbundes, Ausflugsziel für Familien, Schulklassen, Esotheriker_innen und göttinbewegte Frauen. Alle wandern gern über Heide- und Blaubeerflächen, durch alte Eichenhaine, in denen Uhus heimisch sind, über eine Orchideenwiese. Wer auf die Felsen klettern möchte, muss an einem kleinen Holzhäuschen Eintritt bezahlen. Wer nur das Relief bewundern will, darf umsonst durch die Sperre.

An den Jahreszeitenfesten treffen hier die unterschiedlichsten Menschen aufeinander. Gitarrenklänge, Frauengesang, ab und zu der gewaltige Ton eines Didgeridoos von den Felsen herab. Touristinnen und Touristen lächeln über die verrückten Leute, die sich schon an Walpurgis ins Wasser des aufgestauten Baches trauen. Frieden!

Vor einigen Jahren war dieser Frieden in großer Gefahr. Neonazis und andere Störer trieben ihr Unwesen. 2008 stand in meiner Zeitung: „2000 Menschen, 300 Zelte, keine Toiletten, Müllberge!“ Das verträgt kein Naturschutzgebiet, ein Naturheiligtum erst recht nicht. Dann kontrollierte die Polizei eine zeitlang auf dem Parkplatz die Personalausweise und gab Verhaltensregeln. Ihre Präsenz sorgte für Sauberkeit und Ordnung. Viele sind seitdem weggeblieben, und das ist gut so.

Wir Frauen können nun aber leider keine Feuer mehr zu unseren Ritualen anzünden. Nur noch heimlich – die Polizei sieht nicht alles, was sich im dichten Wald verbirgt. Neulich stand in der Zeitung, dass ein empörter Förster doch wahrhaftig Steinkreise im Naturschutzgebiet entdeckt habe. Und eine Baumhöhle, in der sich eine Frau mit ihrem Hund häuslich eingerichtet habe. Sie wolle sogar den Winter über an „diesem Kraftort ausharren“. Davor hat man sie natürlich bewahrt.

Vom riesengroßen Parkplatz südlich der Stadt Horn führt ein breiter Weg direkt auf die Kulisse der Externsteine zu, vorbei an einem Restaurant und dem neuen Infozentrum. Das ist mit viel Geld erst vor zwei Jahren errichtet worden, bietet aber nur Informationen, die „wissenschaftlich gesichert“ sind.

Die verschiedenen Felsen

Extern2Der erste Felsen ganz rechts ist wohl der interessanteste: Eine Aussichtsplattform, drei künstliche Grotten, die leider nur mit einer Sondergenehmigung für Forscher_innen betreten werden dürfen, und eben das Kreuzabnahme-Relief. Zum Ententeich hin kann frau mit Fantasie das Bild einer steinzeitlichen Muttergöttin erkennen.

(Ergänzung: noch bis zum 31. Oktober 2014 ist sonn-und feiertags eine Besichtigung der Grotte möglich. Um 11 Uhr am Infozentrum zur Führung sein!)

Felsen zwei birgt die Höhenkammer, auch „Sazellum“ oder „obere Kapelle“ genannt. Durch ein rundes Loch kann hier der Sonnenaufgang zur Sommersonnenwende beobachtet werden. Der dritte Felsen hat wie der erste eine Steintreppe. Wer über die frei schwebende Brücke zur Höhenkammer im Felsen eins will, muss schwindelfrei sein.

Zwischen Felsen drei und vier verlief früher der west-östliche Hellweg. Anfang des 19. Jahrhunderts führte die Straßenbahnlinie von Paderborn nach Detmold hier entlang. Heute ist da nur ein Wanderweg. Wer die nordöstliche Seite von Felsen vier genau betrachtet, kann eine große Gestalt erkennen: „Der Hängende.“ Da, wo die Leber liegen würde, ist ein Loch. Christen können den gekreuzigten Jesus mit der Speerwunde darin sehen. In der nordisch-germanischen Mythologie oder zum Beispiel auch bei Rudolf Steiner, ist es hingegen der leidende Odin, der am Baum hängt.

Auf der Rückseite dieses Felsens schaut uns der Kopf der „großen Hindin“ oder der „Ziege Heidrun“ an. Oben auf dem Felsen vier liegt der „Wackelstein“, zur Sicherheit an eine Kette gelegt (über die Bedeutung der Wackelsteine in der Megalithischen Kultur hat Heide Göttner-Abendroth geschrieben). Felsen fünf heißt „der Rufer“ oder „Thor“. Die Felsen sechs bis dreizehn sind spirituellen Menschen am liebsten. Sie lassen Tannenzapfen-Kreise, Halbedelsteine und bunte Bänder als Geschenke da. Dort soll auch „der Sitz der Veleda“ und ihre Axt zu sehen sein.

Tipps für Besucherinnen

Noch eine Empfehlung: Wenn ich die Externsteine besuche, stelle ich mein Auto auf dem kostenlosen Parkplatz im Luftkurort Holzhausen ab (wenn ich von Detmold Richtung Horn fahre, gibt es drei Abfahrten Richtung „Holzhausen“, davon nehme ich die dritte). Von dort erreiche ich die Steine auf einem schönen Wanderweg in 15 Minuten. Noch schöner ist der Hermannsweg über den Bärenstein. Dazu etwa hundert Meter weiterfahren bis zum Hotel Bärenstein.

Extern1Mit dem Bärenstein verbindet mich ein seltsames Erlebnis: Im Jahr 1994 war es, als ich eine Ritualgruppe von „Frauenkirche im Ruhrgebiet“ im Dunkeln über diesen Berg führte. An einer steilen, steinigen Stelle verlor ich die Orientierung. Noch ehe ich Angst bekam, säumten jedoch kleine Lichter den Weg. Glühwürmchen? Aber es war doch Herbst-Tag-und-Nachtgleiche?

Übernachten lässt es sich gut im nahegelegenen Yoga Vidya. Es bietet Meditation, preiswerte Vollwertkost und sogar veganes Essen. Ich habe einmal von dort an einem Ausflug zu den Externsteinen teilgenommen. Die wunderten sich sicher über die neuen Gesänge, die sie nun zu hören bekamen: „Om – om – om – shanti – shanti – shanti –om“ anstelle von „We all come from goddess“ „ oder „Lobe den Herren“ oder „Gregorianischer Gesang“ oder „Lieder der Edda“.

Schwierige Geschichte

Die Externsteine haben schlimme Zeiten erlebt: Im 9. Jahrhundert wütete Karl der Große. Im 17. Jahrhundert baute der Lippische Graf ein Jagdschloss in die Felsen. Das sieht auf den Abbildungen aber gar nicht wie ein Jagdschloss aus. Man vermutet, dass Freimaurer hier ihre Geheimnisse hatten. Zum Glück ließ die beliebte Gräfin Pauline von Lippe alles wieder abreißen.

Im „Dritten Reich“ hat Hitler hier Ausgrabungen vornehmen lassen. Er suchte nach esoterischem Wissen, das seine Macht stärken könnte. Nach 1945 ist alles zugeschüttet und mit Zement versehen worden. Leider ist dadurch ein Megalith-Tisch vor dem Felsen eins verschwunden.

Über das Naturheiligtum Externsteine ist viel geschrieben und gestritten worden. Den ersten Deutungsversuch unternahm 1564 der Lemgoer Pfarrer und Historiker Hermann Hamelmann. Er hielt die Sandsteine für ein germanisches Heiligtum, das von Karl dem Großen in ein christliches umgewandelt worden ist (Ich tue das auch, auch, aber nicht nur, weil ich auch aus Lemgo komme.)

Hermann Wirth (1885-1981) ist ein umstrittener Urgeschichtsforscher. Er kam aus der Holländischen Arbeiter- und Wandervogelbewegung und wurde im Nationalsozialismus ein bedeutender Volkslied- und Matriarchatsforscher. Er wurde aber von Himmler aus der Partei ausgeschlossen, weil er geschrieben hatte: „Das 3. Reich ist nicht der Gang zu den Müttern. Darum wird es nicht von Dauer sein.“ 1945 wurde Wirth als Nazi inhaftiert, konnte aber nach Schweden fliehen, wo er einen Freund in Willy Brand fand.
Seine „Sammlung für Urgemeinschaftskunde“ ist heute in der „Burg Thallichtenberg“ in der Pfalz einzusehen.

Wilhelm Teudt (1860-1942) durfte im Nationalsozialismus die Ausgrabungen an den Extersteinen leiten. Er fiel aber ebenfalls später in Ungnade. Seine Heimatstadt Detmold hatte ihn zum Ehrenbürger ernannt, 2010 diese Auszeichnung aber wieder zurückgezogen. Ich finde das falsch, denn er ist ein großer Forscher gewesen.

Ich habe am meisten von Usch Henze gelernt. Sie geht in ihrem Buch „Osning – die Externsteine“ davon aus, dass sie das „bedeutendste Felsenheiligtum der Großen Göttin in Europa sind, verbunden mit Stonehenge, Avebury“. Hier am Rand der großen europäischen Eisdecke könnte die Edda gespielt haben. Die Seherin Veleda könnte hier ihren Sitz gehabt und dem Cheruskerfürsten Hermann beigestanden haben, im Jahr 9 die Römer in den Sümpfen des Teutoburgerwaldes zu besiegen – dort, wo jetzt das berühmte Hermannsdenkmal steht.

Autorin: Ursula Jung
Redakteurin: Antje Schrupp
Eingestellt am: 30.04.2014
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