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Rubrik erzählen

Traurig, schön

Von Susanne Englmayer

Susanne Englmayer bekam eine Diagnose, aber keine Auskunft. Dafür aber schöne Röntgenbilder. Eine Erzählung.

Im Angesicht des Personals verlieren die Patienten ihre Einzigartigkeit.
(nach Ruth Velser, aus dem Gedächtnis zitiert)

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Ich lerne langsam. Das ist nicht immer so, aber wenn es um mich geht, habe ich keine Wahl. Über mich lerne ich nur schwer.

Zum Beispiel, wie dieses System mit mir umgeht, das doch im Grunde Gesundheit bringen soll. Wie es funktioniert. Menschen werden zu Patienten. Sie werden in unterschiedlich große Themenkomplexe geschnitten und so in die verschiedenen Sparten gefüllt. Auf den ersten Blick ist das sinnvoll, denn niemand kann alles wissen. Auf den zweiten und dritten Blick dagegen stehen die Einzelteile plötzlich vereinzelt da. Deplatziert. Und mich packt langsam die Angst, dass auf diese Art letztendlich nichts mehr eine verlässliche Aussagekraft haben kann.

Außerdem habe ich kein Talent in der Kommunikation mit Ärzten, geschätzte zwei Drittel solcher Begegnungen gehen mir schief. Ich verstehe die Fragen nicht, verstehe nicht einmal, dass ich sie nicht verstehe. Und antworte daher irgendetwas, das ich kurz darauf nicht mehr erinnere. Auch meine Fragen vermag ich nicht korrekt zu formulieren, immer wieder wird mir geantwortet, wie man einem Kind antwortet. (Warum? Weil das so ist! Weil wir das immer so machen! Darum!) Wenigstens zweimal in meinem Leben wurde ich von Ärzten angeschnauzt, vermutlich weil ich sie verärgert hatte. Bis heute weiß ich nicht, wie das geschehen konnte. Vermutlich wollte ich nur etwas wissen oder anders entscheiden. Keine Ahnung. Ich erinnere mich auch daran nicht.

Letzte Woche wurde mir dementsprechend keine Diagnose mitgeteilt, nur die entsprechende Ziffer auf dem Laborausdruck markiert. Selber lesen macht klug. Genau das wurde mir dann auch aufgetragen, ich solle mich informieren. (Laborwerte googeln?) Anschließend schnell noch die optionalen Medikamente, nein, nicht genannt und erläutert, nicht einmal das. Aber doch schlimm verteufelt, immerhin. (Keine Bonbons! Ständige Kontrollen!)  Und die –  nein, ebenfalls immer noch nicht benannte – Erkrankung in den schwärzesten Farben umrissen. (Zerfrisst die Knochen! Schauen Sie mal die Bilder!) Konkret waren nur die Überweisung in die Röntgenologie und der Verweis darauf, als Urlaubsvertretung lieber nichts entscheiden zu wollen. (Einzige Entschuldigung für das Desaster. Wobei letztendlich natürlich sowieso ich entscheide. Aber egal.) Den Rest durfte ich selbst recherchieren. Doch das kann ich ja, kein Problem. Auch wenn das Gemüt dabei in den Keller stürzt.

Seit gestern gibt es nun sehr schöne Röntgenbilder von meinen Händen und Füßen. Die wurden einfach nur gemacht, etwa sieben bis zehn Minuten hat das gedauert, und ich, ebenso wie alle anderen Beteiligten, habe dabei das Gesicht verloren. Keiner hat mich gesehen, niemand hat mit mir über die Bilder gesprochen. Und auch ich wüsste nicht mehr, wem ich dort begegnet bin. Ich, die ich mir zuvor überlegt hatte, was ich denn sagen muss, wenn ich gefragt werde. Für alle Fälle. Ich habe ebenfalls nicht hingesehen, habe geschwiegen. Nicht einmal nach dem Prozedere, das mir weitgehend unbekannt war, habe ich mich vorab erkundigt. Obwohl ich mir das fest vorgenommen hatte, allein zu Übungszwecken. Vollkommen vergessen, selbstvergessen, völlig verloren war ich. In dieser konsequenten Fragmentierung meiner selbst, in diesem Fall lediglich das bildgebende Subjekt. Mehr nicht.

Das alles ist systemimmanent, ich weiß. Und dennoch im Augenblick immer wieder überraschend. Atemraubend.

Das alles ist nicht so schlimm. Nein. Schlimm wäre es, ginge es um Schlimmeres als Rheuma. Ginge es nicht nur um vielleicht anstrengend und herausfordernd, eventuell lebenslänglich, möglicherweise aber auch nur halb so wild. Erstmal abwarten. Schlimm wäre es, ginge es um etwas potenziell Lebensbedrohliches, etwas womöglich Aussichtsloses, ginge es ums Leben selbst, ans Sterben letztendlich; ich wüsste nicht, was ich täte, ließe man mich auch dann ganz für mich allein derart in Einzelteile zerfallen.

Wie es jetzt aussieht reicht meine Kraft, natürlich, vermutlich, um mich aus mir selbst heraus wieder zusammenzufinden. Auch diesmal, mich zu entscheiden, wo ich mich entscheiden muss. So war es immer, so ist mein Leben. Nicht schlimm, nicht wirklich.

Doch es ist traurig, einfach nur traurig.

Die Bilder dagegen sind wirklich wunderschön. Ich habe sie mir selbst angesehen, gleich als ich mit ihnen wieder zu Hause, bei mir war. Weil das bislang vermutlich sonst niemand getan hat, so denke ich mir das. Natürlich habe ich keine Ahnung. Ich habe die Bilder lange betrachtet, Stück für Stück, vor einer hellen Lampe mit der Lesebrille im Gesicht. Da sind sehr sauber gezeichnete Knochenstrukturen, zauberhafte Linien und Muster, sogar Fingernägel und Hautfalten zu erkennen. Da ist der Geist von Bewegung und Handlung zu erkennen, der in allen Händen wohnt. Da ist Begegnung und Berührung, die mich überrascht und anrührt. Das sind meine Hände, meine Füße. Was mich am meisten fasziniert, ist die Feinheit, die sich darin offenbart. Fast wie bei Kindern, ganz zart und zerbrechlich. Geblieben. So bin ich, seit jeher. Und dennoch (noch?) völlig intakt, über die Jahre und Jahrzehnte. Wie immer, voll ungeahnter Kraft.

Meine wunderbaren Hände, leichtfertig und hochtalentiert, die mir vieles zu tragen wussten. Die halten können und bauen, die jedes Werkzeug bedienen. Ohne zu fragen, ohne zu zweifeln. Einfach so. Meine Hände, die ich dennoch im Alltag derart hässlich finde und für die ich mich so unendlich schäme, dass ich sie nur ungern herzeigen mag.

In Gegenwart anderer möchte ich sie am liebsten unter den Tisch nageln, mit einem Luftdrucktacker, schnell und präzise. Vor etwa einem Jahr habe ich das auszusprechen gewagt, einmal, und es wurde sofort mitgeschrieben und protokolliert. Gut so! Denn das zu sagen, war vermutlich eine Unverschämtheit, ein unsinniger Akt der Verteidigung und ohne Zweifel brutal. Gespeist aus einer mir tief innewohnenden Selbstverachtung, womöglich reine Gewalt, definitiv aber ein totales Verkennen der Lage. Nicht nur der beiwohnenden Kamera und meinen wundervollen Händen gegenüber.

Nicht nur das.

Und jetzt betrachte ich diese Röntgenbilder, die innerhalb des Systems entstanden sind, das Gesundheit wie auch Krankheit wortlos in feine Scheiben geschnitten begutachtet. Und ich erkenne eine Wahrheit, die keine medizinische ist.

Das ist Schönheit.

 

Autorin: Susanne Englmayer
Redakteurin: Antje Schrupp
Eingestellt am: 27.04.2014
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Kommentare zu diesem Beitrag

  • …welch wundervolle Worte für einen eigentlich unsagbaren Zustand ! Es sind Worte, die mir bisher im Halse stecken geblieben sind,die ich nicht aussprechen konnte, nicht einmal finden konnte, sondern nur gefühlt und geahnt habe. Danke für dieses Geborenwerden und in der Welt sein und nun sind wir schon Zwei und es wird sich mehren und wir werden die Kraft haben, all das auszusprechen und am direkten Ort und zur direkten Zeit klar und laut und deutlich und unaufgeregt zu Wort kommen zu lassen.
    Danke.

  • Anne Büscher sagt:

    Danke für diesen Artikel, der benennt, wie die
    Dinge – in diesem Falle das Gesundheitsystem, ÄrztInnen –
    auch sind. Sprachlosigkeit und Fragmentierung erleben zu müssen ist das Eine – der adäquate Umgang damit das andere.
    Mich berühren die präzisen Benennungen und die Kraft der Autorin, die deutlich wird im um – Worte – ringen.
    Ganz dankbar, ganz froh bin ich, dass eine sich die Mühe macht, sich mit der Thematik auseinander zu setzen. Ich habe ganz ähnliche Erfahrungen hinter mir – allein mir bleiben immer die Worte im Halse stecken….DANKE fürs Schreiben und Benennen – möge die Schönheit beständig wachsen!

  • engl sagt:

    vielen dank für die blumen, für das erkennen und wiederspiegeln. für die wünsche auch, die weite. und immer wieder auf die schönheit, natürlich. denn die ist das wichtigste daran.

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