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Wenn sich unsichtbare Care-Tätigkeiten in Arbeit verwandeln

Von Dorothee Markert

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Care-Tätigkeiten sind für das Überleben notwendige sowie dem Wunsch nach Schönheit und Wohlbehagen entspringende Pflege-, Gestaltungs- und Reparaturarbeiten in Haus und Garten, Tätigkeiten zur Selbst-Sorge wie die Pflege und das Schmücken des eigenen Körpers und der Kleidung, das Beschaffen und Zubereiten von Nahrung, das Einkaufen von anderem Lebensnotwendigen oder von Dingen, die das Leben erleichtern und bereichern, das Entsorgen von Abfällen und vieles mehr. Hinzu kommen Care-Tätigkeiten für andere, die in der – hoffentlich fair – ausgehandelten Arbeitsteilung der Partnerschaft für eine andere Person mit übernommen werden. Auch die Pflege von Beziehungen gehört dazu, in Familie und Nachbarschaft, zu ArbeitskollegInnen sowie zu Freundinnen und Freunden. Ein Teil dieser „Beziehungspflege“ verwandelt sich hin und wieder auch in geschenkte Arbeit, in Form von Hilfeleistungen, als Tätigkeiten im Zusammenhang mit Festen, als Anteilnahme an Alltagssorgen aus Erwerbsarbeit und Familie und als Unterstützung von Projekten anderer. Vor allem gehören zur geschenkten Care-Arbeit natürlich die Tätigkeiten für eigene Kinder und Enkel sowie für pflegebedürftige Eltern, die sogenannten Generationenaufgaben.

Care-Arbeit ist der vielleicht umfassendste Begriff, der sich – ausgehend von feministischen Forschungszusammenhängen – in den letzten Jahren zunehmend für diese für ein gutes Leben grundlegend wichtigen Tätigkeiten eingebürgert hat. Diese Arbeit kommt in den meisten Wirtschaftstheorien nicht vor und ist im Bruttosozialprodukt nicht enthalten, obwohl sie die dort erfassten Tätigkeiten insgesamt zeitlich überschreitet, nach manchen Untersuchungen sogar um das 1,7-fache. Bevor die Frauenbewegung erkannte, wie politisch das sogenannte Private ist, hatte das Thema Care-Arbeit nichts in der öffentlichen Diskussion zu suchen. Sogar innerhalb der Frauenbewegung hatten es Ansätze wie die Bewegung „Lohn für Hausarbeit“ oder die „Mütterbewegung“ schwer und verschwanden schnell wieder. Noch 20 bis 30 Jahre später wurden Versuche, Care-Themen in der politischen Öffentlichkeit zu behandeln, lächerlich gemacht, beispielsweise mit der Bezeichnung „Gedöns“ durch einen Bundeskanzler. Sogar in der erst vor wenigen Jahren entstandenen Bewegung für ein Bedingungsloses Grundeinkommen mussten Frauen noch dafür kämpfen, dass das Thema Care-Arbeit nicht aus den Überlegungen ausgeklammert wurde.

Heute wird die Care-Arbeit in den Mainstream-Medien entweder im Rahmen des merkwürdigen Begriffs „Work-Life-Balance“ unter „Leben“ gefasst, zusammen mit Schlaf und Freizeitaktivitäten. Eine andere Möglichkeit, auf sie zu verweisen, ohne die dort verrichtete Arbeit wirklich zu thematisieren, ist die Rede von der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Das Ausmaß der Klage über die Schwierigkeiten mit dieser Vereinbarkeit hat sich in den vergangenen Jahrzehnten kaum verändert.

Im marxistischen Denken kommt die Care-Arbeit unter dem Begriff „Reproduktionsarbeit“ zumindest vor. Mit diesem Begriff werden die Tätigkeiten bezeichnet, die der Wiederherstellung und Aufrechterhaltung der Arbeitskraft dienen, sowohl auf individueller als auch auf gesellschaftlicher Ebene. Dazu gehört damit auch die Neuschaffung der Voraussetzungen für weitere Produktion, also das Gebären, Aufziehen und Ausbilden der nächsten Generation von Erwerbstätigen. Da nur den Tätigkeiten gesellschaftliche Bedeutung zugesprochen werden, die für die weitere Produktion wichtig sind, fällt vieles unter den Tisch, was dem guten Leben und Zusammenleben dient, vor allem die gute Versorgung der Alten, außerdem alles, was mit Schönheit, Genuss und Lebensfreude und mit einer umfassenden Bildung zu tun hat, die mehr ist als eine Ausbildung für die zukünftigen Tätigkeiten in der Produktion. Mich stört an der Perspektive der „Reproduktionsarbeit“ zudem, dass mit dem Gebrauch dieses Begriffes stillschweigend die Einstellung bestätigt wird, Menschen seien nur dazu auf der Welt, um etwas zu produzieren, Gewinne zu ermöglichen und wirtschaftliches Wachstum zu fördern, und alles Weitere sei nur darauf ausgerichtet. Andererseits kommen durch die Perspektive der „Reproduktionsarbeit“ Bereiche in den Blick, die durch Care – „Fürsorge“, „Pflege“ – eher nicht erfasst werden: z.B. dafür zu sorgen, dass ein Familienmitglied, das frustriert von der Arbeit nach Hause kommt, durch Trost, Rat, Anerkennung, Durchsprechen von Konflikten und dgl. wieder weniger gedrückt zur Arbeit gehen kann. Wenn ich in Restaurants, Zügen oder sogar bei Spaziergängen nicht anders kann, als Gespräche von Paaren mitzuhören, staune ich immer wieder darüber, mit welcher Geduld und Anteilnahme die einen, meistens Frauen, sich dem zuwenden, was die anderen aus ihrer Arbeit erzählen, meistens geht es um die ganz normalen Arbeitsabläufe oder um Ärger mit KollegInnen und Vorgesetzten.

Als ich als Studentin das „Kapital“ las, habe ich mich sehr darüber gefreut, dass mit dem Begriff „Reproduktion“ die Haus- und Familienarbeit zumindest erwähnt und wichtig genommen wurde. Ich glaubte damals auch daran, dass diese „unproduktive“ Arbeit in Sozialismus und Kommunismus weitgehend verschwinden würde, da sie entweder „vergesellschaftet“ oder von Maschinen erledigt werden würde. In meiner Wohngemeinschaft reduzierten wir sie vorerst, indem wir kaum putzten und, um das Geschirrspülen einzusparen, gemeinsam aus einer Pfanne aßen, auch wenn Gäste da waren. Wir übten uns also darin, zusammen mit der Care-Arbeit unser Bedürfnis nach Schönheit und Wohlbefinden zu reduzieren, das heißt, am guten Leben zu sparen. Aus Büchern über das Alltagsleben von Frauen in sozialistischen Gesellschaften gewann ich den Eindruck, dass dort auf ähnliche Weise versucht wurde, die Reproduktionsarbeit zu reduzieren bzw. zum Verschwinden zu bringen, zumindest in den Phasen des Aufbaus.

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Auch im Kapitalismus ist ein zunehmender Teil der Care-Arbeit inzwischen „vergesellschaftet“ oder durch Maschinen ersetzt worden. Viele Erwerbstätige essen in Kantinen oder an Mittagstischen der Restaurants und Metzgereien, es gibt eine florierende Lebensmittelindustrie und fast in jedem Haushalt Wasch- und Spülmaschinen. Ein Teil der Kinderbetreuung und Altenpflege wird in Institutionen verlagert und dort als Erwerbsarbeit durchgeführt. Trotz alldem ist die tatsächlich in den Haushalten unbezahlt verrichtete Care-Arbeit nicht weniger geworden, denn in den meisten Bereichen haben sich die Ansprüche erhöht. Wäsche wird viel öfter gewechselt, Kinderbetreuung ist aufwendiger geworden, neue Aufgaben wie Mülltrennung sind dazu gekommen. Und die im Haushalt eingesetzten Maschinen müssen gewartet, repariert und erneuert werden.

Wie aufwendig Care-Arbeit ist, hat viel mit dem in einer Gesellschaft üblichen Standard zu tun. Zusammen mit mehr Wohlstand nimmt die notwendige Care-Arbeit ebenfalls zu, so dass das durch Auslagerung und Maschinen Eingesparte wieder „aufgefressen“ wird. Je mehr wir das gute Leben in den Blick nehmen, umso mehr erweitert sich die dafür notwendige Care-Arbeit. Wenn Menschen weniger bis keine Zeit mehr für Care-Arbeit haben, verschlechtert sich ihre Lebensqualität. Möglich ist sogar, Care-Arbeit auf ein absolutes Minimum zu reduzieren oder sogar noch darunter, so dass die davon betroffenen Menschen früher oder später krank werden und sterben. Dies geschah beispielsweise in Arbeiterfamilien während der industriellen Revolution, in schlimmster Form in Zwangsarbeitslagern und Konzentrationslagern.

Wenn vor der Frauenbewegung Care-Arbeit überhaupt in Erscheinung trat, dann unter dem Begriff Hausfrauentätigkeit. Die meisten Hausfrauen antworteten jedoch, wenn sie nach ihrer Arbeit gefragt wurden, sie würden nicht arbeiten, auch die Schulkinder sagten das über ihre Mütter. Gegen diese Einstellung habe ich mich seit etwa 30 Jahren immer wieder in Vorträgen und Veröffentlichungen gewandt. Und nun stelle ich fest, dass ich die von mir verrichteten Care-Tätigkeiten auch nie als richtige Arbeit ernstgenommen habe. Ich beobachtete nämlich an mir selbst, dass es mir sehr schwer fiel, meine Care-Tätigkeiten von den Rändern und Zwischenzeiten des Tages, den Wochenenden und Ferien in die „gute Arbeitszeit“ zu verlegen, nachdem ich meine Erwerbsarbeit reduziert hatte. Im Folgenden möchte ich darüber berichten, was ich erlebte und begriff, als mir das schließlich – hin und wieder – gelang, als meine Care-Tätigkeiten sich wirklich in Arbeit verwandelten.

Zunächst verlegte ich nur die unbezahlten Tätigkeiten aus meinen verschiedenen politischen „Engagements“ von den Wochenenden und Ferien in die vorherige Erwerbsarbeitszeit, das Schreiben, Übersetzen, Recherchieren, meine Redaktionsarbeiten und die Vorbereitung von Vorträgen und Workshops. Ich freute mich, dafür endlich mehr Zeit zu haben, und nahm großzügig weitere Aufgaben an. Diese Tätigkeiten galten für mich ja sowieso eher als „richtige Arbeit“, denn hin und wieder wird sie ja sogar bezahlt, z.B. wenn ich zu Vorträgen eingeladen werde. Care-Arbeiten in diese Zeit zu verlegen, fiel mir lange nicht ein. Bis heute bin ich noch nicht frei von der Vorstellung, dass sie dort nicht wirklich hingehören, sondern dorthin, wo sie mein Leben lang angesiedelt waren, in die freie Zeit nach getaner Arbeit. Wenn ich es aber zulasse, dass sie die richtige Arbeitszeit besetzen, mache ich erstaunliche Erfahrungen. Zuerst einmal merke ich – und das berichten die meisten Rentnerinnen, mit denen ich darüber geredet habe –, dass die ehemalige Erwerbsarbeitszeit sich wie von selbst mit Arbeit füllt, dass ich voll ausgelastet bin, so dass ich mich nun frage, wie ich es in all den Jahren vorher geschafft habe, all diese Care-Tätigkeiten neben Erwerbsarbeit und politischen Aktivitäten auch noch unterzubringen. Das war offensichtlich nur möglich, indem ich mich damit abfand, dass ich immer unter dem Qualitätsniveau blieb, das meinen persönlichen Ansprüchen entsprochen hätte. Ich vermute, dass ich nicht die einzige Erwerbstätige war, die das Problem auf diese Weise gelöst hat.

Wenn ich mir erlaube, meine Care-Tätigkeiten in die „gute Arbeitszeit“ zu verlegen, wird mir zweitens bewusst, unter welchen Bedingungen ich sie mein Leben lang verrichtet habe, nämlich nach getaner Erwerbsarbeit, abends, am Wochenende und wenn ich in den Ferien zuhause blieb. Und so wird diese Arbeit ja von den meisten Erwerbstätigen verrichtet, falls sie nicht andere finden, die das für sie tun, ob aus Liebe oder für Geld. Das bedeutete, dass ich entweder todmüde war, wenn ich beispielsweise abends noch Wäsche aufhängte oder die Küche aufräumte. Oder ich ärgerte mich darüber, dass diese Tätigkeiten mir Zeit stahlen, die ich lieber für meine eigenen Projekte oder für Freizeitaktivitäten verwendet hätte. Ich wunderte mich allerdings oft darüber, was andere alles in ihrer Freizeit unternahmen, und beneidete sie wahrscheinlich auch, ohne dass mir das bewusst war. Es macht mich traurig, wenn ich daran denke, wie viel Zeit meines Lebens durch Ärger und Streit über Hausarbeit überschattet war. Ich denke, dass viele Partnerschaftsauseinandersetzungen über das Erledigen von Haus- und Familienarbeiten aus der Wut heraus entstehen, dass diese notwendigen Tätigkeiten einem Freizeit und Erholungszeit stehlen, die man dringend nötig hätte, und aus der Unterstellung (oder realen Beobachtung), dass der Partner oder die Partnerin sich zu wenig daran beteiligt. In diesem Kontext kann ich auch die Heftigkeit und Häme im Streit um das Betreuungsgeld besser verstehen, ebenso wie den Streit zwischen verschiedenen Strömungen in der Frauenbewegung mit zum Teil übler Abwertung vor allem der Haushalts- und Familientätigkeiten sowie der Tätigkeiten zur Selbstsorge: Wer tagsüber in der „richtigen“ Arbeitszeit Care-Arbeiten verrichtet und auch noch Zeit für Selbstsorge und die Gestaltung eines schönen Heims sowie für gemeinsame Aktivitäten mit den Kindern hat, weitet diese Arbeit aus der Perspektive berufstätiger Frauen nur unnötig aus, denn sie selbst bewältigen ja „das bisschen Haushalt“ noch zusätzlich zu ihrer Erwerbsarbeit. Dass nicht-erwerbstätige Mütter auch noch staatliches Geld bekommen sollen, empfinden sie daher als Skandal, vor allem solange das Problem der Kinderbetreuung in Institutionen noch unzureichend gelöst ist.

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Mit der Verwandlung meiner Care-Tätigkeiten in richtige Arbeit verändert sich drittens die Qualität dieser Arbeit zusammen mit meiner gesamten Lebensqualität. Ich verrichte sie nicht mehr müde, sondern in meiner vollen Kraft, ich stehe dabei nicht mehr unter Zeitdruck, ich merke, wie gern ich vieles davon mache, und kann diese Tätigkeiten oft sogar richtig genießen. Zunehmend kann ich es mir leisten, nicht nur das Dringendste zu erledigen, sondern auch das, was sonst immer liegen bleiben musste und was, wenn ich an Feiertagen oder in den Ferien zuhause blieb, dafür sorgte, dass ich in dieser Zeit nie zu irgendwelchen Freizeitaktivitäten kam und von Tag zu Tag schlechtere Laune hatte. So nähte ich neulich am helllichten Vormittag einen Knopf an einen Bettbezug an, als ich die Bettwäsche wechselte, der schon seit Jahren fehlt, was mich zwar immer gestört hat, doch die Zeit dafür wollte ich mir einfach nicht nehmen. Nach und nach trage ich auch andere derartige „Berge“ auf später verschobener Tätigkeiten ab und freue mich, dass sich damit die vorher immer mitgelaufenen Gedanken von „Ich sollte endlich mal…“ reduzieren. Wenn ich unterwegs Bekannte treffe oder wenn mich jemand anruft, nehme ich mir Zeit für ein Gespräch, ohne das Gefühl, dass mir damit die Zeit gestohlen wird, die woanders wieder fehlen wird. Und: Ich habe jetzt wirkliche Freizeit, nicht nur solche, die ich mir von der Schlafenszeit abknapsen muss.

Zum ersten Mal in meinem Leben – leider etwas spät! – kann ich mir vorstellen, dass es Spaß machen könnte, mich selbst mit modischer Kleidung oder durch Schminken zu schmücken. Mir war immer unerklärlich, wie manche Frauen es schafften, sich auch noch Zeit zu nehmen, sich mit Mode zu befassen, zu shoppen, zum Friseur, zur Kosmetikerin oder zur Farbberatung zu gehen. Doch an ihrer Schönheit, Entspanntheit und Gepflegtheit hatte ich durchaus Freude. Wenn ich zurückdenke, waren das meistens Frauen, die nicht erwerbstätig waren oder die genug Geld verdienten, um sich die Care-Arbeiten von anderen abnehmen zu lassen.

Während ich solche Erfahrungen mache, lese ich fast täglich in der Zeitung, was staatlicherseits alles unternommen oder versprochen wird, um mehr Frauen zu mehr Erwerbsarbeit zu bringen, möglichst alle in Vollzeit, damit sie der Wirtschaft zu mehr Wachstum und dem Staat zum Füllen der Sozialkassen verhelfen. Ich sehe, wie in dieser Richtung Druck ausgeübt wird, indem Frauen vor der Altersarmut gewarnt werden, die ihnen aufgrund der neuen Unterhaltsgesetze ja auch tatsächlich droht, wenn sie nicht bereit sind, durch Erweiterung ihrer Erwerbs-Arbeitszeiten die schon beginnende Care-Krise weiter voranzutreiben, anstatt ihre Entscheidungen am guten Leben für sich und ihre Familien auszurichten. Daher bin ich sehr froh über die Initiative „Care-Revolution“, die hoffentlich eine breite Gegenbewegung auslösen wird. Dies wird aber nur gelingen, wenn erwerbstätige und in Vollzeit care-arbeitende Frauen sich in dieser Frage nicht mehr gegeneinander aufhetzen lassen. Voraussetzung dafür wäre aber, dass erwerbstätige Frauen damit aufhören, die von ihnen verrichtete Care-Arbeit – so wie ich – zum Verschwinden zu bringen, indem sie sie kleinreden, auch vor sich selbst, und sie “problemlos”, “mal schnell nebenher” erledigen, obwohl es ihnen selbst gar nicht gut damit geht.

Kommentare zu diesem Beitrag

  • Danke für den fabelhaften Text. Ich habe ihn bereits mehrfach auf Facebook geteilt… auch in unserer Gruppe Bewusste Frauen…

  • Ute Plass sagt:

    Ein ganz wunderbarer Beitrag zum großen Thema Care-Tätigkeiten. Ganz wichtig, dass du darauf aufmerksam machst, dass diejenigen, die Sorge-Fürsorge-Wohlfühlarbeit… leisten auch selber dieses Tun als wichtig und wertvoll anerkennen!
    Und du sagst sehr richtig: “Dies wird aber nur gelingen, wenn erwerbstätige und in Vollzeit care-arbeitende Frauen sich in dieser Frage nicht mehr gegeneinander aufhetzen lassen”. Meine Hoffnung lege ich ebenfalls in eine
    *Care-Revolution*. :-)

  • Antje Schrupp sagt:

    Mir ist neulich aufgefallen, dass zu Marx Zeiten der Begriff der “Lohnarbeit” noch sehr üblich war, worin ja die Erkenntnis steckt, dass die Lohnarbeit halt nur eine Untergruppe der gesamten Arbeit war (warum sind wir eigentlich nicht dahin zurückgekehrt und haben das “Erwerbsarbeit” erfunden)?

    Ansonsten kam mir beim Lesen die Frage, ob Marx selbst bereits von Reproduktionsarbeit spricht, oder nur von Reproduktionskosten? Wenn ich mich recht erinnere, war mir beim Lesen der einschlägigen Texte immer aufgestoßen, dass er unter “Reproduktion” nur die Kosten für Lebensmittel, KLeidung, Wohnung, Ersatzteile etc. fasst, aber gerade nicht die Arbeit, die darin notwendig ist. Aber natürlich ist das im marxistischen Diskurs generell anders, da ist dann die Reproduktionsarbeit selbst auch in den Fokus gerückt.

  • Gudrun Nositschka sagt:

    Zu Antjes Frage nach den Begriffen der Lohnarbeit bei Marx und heutiger Erwerbsarbeit sehe ich darin den Unterschied, dass Marx seinen Fokus auf die Arbeiter/Arbeiterinnen als die Avantgarde der erhofften Revolution legte, während der Begriff Erwerbsarbeit ohne Emotionen daherkommt. Er umfasst bei uns alle Menschen, die für ihre Tätigkeiten Steuern zahlen müssen, auch wenn ich nur einige Gruppenführungen pro Jahr zu den Matronenheiligtümern mache:)
    Ansonsten sollten sich Frauen weder auseinandividieren noch gegeneinander aufhetzen lassen, auch nicht von Frauen!

  • “Daher bin ich sehr froh über die Initiative „Care-Revolution“, die hoffentlich eine breite Gegenbewegung auslösen wird”.
    Das wünsche ich mir auch! Und wie es stimmt, was im Artikel steht, lässt sich gar nicht mehr betonen, es ist nämlich immer die Frage, woher unser Arbeitsbegriff eigentlich kommt und was genau er umfasst? Und irgendwann merkt frau und man dann: Das ist gar nicht klar.
    Und dann steht frau und man da und weiß erst einmal nicht mehr genau, wo nun ansetzen…
    die Care-Revolution ist aber schon einmal ein guter Anfang:)

  • Antje Schrupp sagt:

    Mir fiel gerade noch etwas auf, angeregt durch den Blogpost: Wenn ich für Gäste koche oder eine Party feiere, dann verlege ich bewusst die Care-Arbeit in die “gute” Arbeitszeit, das heißt, ich nehme mir einen Tag oder Nachmittag speziell Zeit dafür. Beim Putzen oder Wäschewaschen oder Knöpfeannähen mache ich es bisher auch so, dass es irgendwo “dazwischengeschoben” wird.

    Aber was mir auffiel ist, dass ich selbst dann, wenn ich mir bewusst Zeit nehme, das nicht in meinen Kalender eintrage, in dem ich ansonsten Buch führe über meine Arbeitsprojekte. Also ich trage dort detailliert ein, für welche Projekte ich wann wie viel Zeit aufwende, auch für mein internes “Controlling”. Aber wenn ich Care-Arbeit mache – zum Beispiel heute aufwändig koche – dann steht da in meinem Kalender einfach: Nichts. Vielleicht werde ich das einmal ändern :)

  • Maria Munoz sagt:

    Danke für diese wunderbaren Reflexionen, die erstaunte “Selbst-Entlarvung” (ja, auch ich würde meinen, die meisten von uns (Frauen und Männer gleichermaßen) sind Opfer dieser ach so gängigen Wahrnehmung hinsichtlich des Themas “was ist eigentlich “wirkliche” Arbeit?) und das darauf folgende Selbst-“Training” und diesen wunderbaren Text. DANKE, DANKE, DANKE von ganzem Herzen.

  • F.M. sagt:

    Liebe Dorothee,
    herzlichen Dank für diesen Text. Wir sind Eltern von vier jungen Kindern. Bisher hörte ich mich selbst reden, dass ich jetzt zu Hause bin und nicht arbeite (nachdem ich drei Kinder parallel zu meiner selbständigen Tätigkeit geboren und gestillt habe…). Diesen Text habe ich geändert, und meine GesprächspartnerInnen stimmen mir immer zu, wenn ich dann eine kleine ironische Bemerkung bezüglich meiner “nicht Arbeit” hinzufüge.
    JA, lasst bitte die Stimmen der Eltern in der Care-Revolution deutlich mehr und lauter werden! Dieser suggerierte Wirtschaftsdruck zerreißt Familien. In meinem Umfeld sehe ich viele viele traurige Beweise dafür.

  • Dorothee Markert sagt:

    Schönes Beispiel, danke Antje! Bei mir steht natürlich auch keine Care-Arbeit im Kalender außer dem Heckenschneiden im Herbst, wofür ich richtig viel Zeit einplanen muss.

  • Ute Plass sagt:

    “Die Müßiggängerinnen schiebt beiseite!
    Zum Verhältnis von Geschlecht und Arbeit im Feminismus

    Frauenbewegung und Arbeit – ein gar nicht so schwieriges Verhältnis”

    http://www.exit-online.org/textanz1.php?tabelle=schwerpunkte&index=3&posnr=2&backtext1=text1.php

  • Juliane Brumberg sagt:

    Liebe Dorothee, dein Artikel enthält viele interessante Aspekte. Mir scheint, ein Teil des Problems ist auch, dass Vieles, was wir tun, in unterschiedliche Bereiche und Bewertungen aufgespalten wird, anstatt es ineinander fließen zu lassen. Bezahlte Berufstätigkeit wird einerseits hoch bewertet, weil damit ja Geld verdient wird, also ist sie was wert. Gleichzeitig ist es eine „böse“ Zeit, denn sie strengt uns an und beraubt uns, wenn wir nicht zufällig freiberuflich tätig sind, einer Zeiteinteilung unter eigener Regie. Wir „müssen“ ja schließlich arbeiten, um Geld zu verdienen. Dabei macht die berufliche Arbeit (in Maßen) sehr oft Spaß und führt zu Befriedigung. Care-Tätigkeiten in der Familie, die auch sehr anstrengend sein können und sehr oft auch einer völlig freien Zeiteinteilung im Weg stehen, werden traditionell abgewertet, weil sie kein Geld bringen. Viele der Care-Tätigkeiten, zum Beispiel ein Baby wickeln, wenn es die Windeln voll hat, „müssen“ wir genauso tun, wie wir Geld verdienen „müssen“. Einerseits ist das Wickeln eines Babies eine unangenehme, weil stinkende Angelegenheit – und gleichzeitig kann es sehr vergnüglich sein, dabei mit dem Baby zu schäkern und es zum Lachen zu bringen. Ähnlich ist es mit der Pflegearbeit für alte Menschen. Manchmal ist sie lästig und manchmal ist sie unglaublich befriedigend, wenn z.b. Dankbarkeit für die Fürsorge zurück kommt. Oder beim Putzen. Einerseits nervt es und ist mühsam und anstrengend, aber es ist auch ein tolles Gefühl, wenn man sieht, was man nach ein oder zwei Stunden geschafft hat und alles wieder glänzt. – Und diesen ganzen Tätigkeiten wird dann die „wahre“ Freizeit gegenübergestellt, in der ich mich erholen kann und das tun, „was ich wirklich will“. Aber auch Freizeit ist manchmal nervig, wenn die Freunde, mit denen ich unterwegs bin streiten, wenn es regnet, gerade, wenn ich spazieren gehen will, wenn ich eine Sehenswürdigkeit anschaue und es eigentlich viel zu heiß dazu ist und ich nach einem faulen Urlaubstag ein völlig unbefriedigtes Gefühl habe.
    Worauf ich hinauswill. Unsere Leben ist sehr oft in kostbare Arbeitszeit für die angeblich wichtigen Dinge und zu wenig Zeit für Care-Arbeiten und Entspannung strukturiert. Dabei können eine Sitzung im Beruf, ein Schreibtisch-Vormittag oder die Pflanzarbeiten einer Gärtnerin anstrengend und entspannend/befriedigend gleichzeitig sein.
    Meine Vorstellung oder Vision ist, dass unser Leben ganz anders strukturiert sein müsste, und zwar anstatt um die Norm einer 40-Stunden-Woche als Vollzeitarbeit um die Grundstruktur einer Erwerbsarbeit von 25-30 Stunden-Woche für alle als Regelfall. Dann bliebe genug Raum für die angenehmen und weniger angenehmen Dinge der Care-Arbeit und zur Entspannung. Und gleichzeitig wären sowohl Berufstätigkeit als auch Care-Arbeit entspannter. Aber solange die Erwerbstätigkeit von der Gesellschaft und von uns selbst, wie Du es so schön beschreibst, als „höher“ und zugleich „böser“ bewertet wird, ist es noch ein weiter Weg bis dahin.

  • Danke, Dorothee, dass du diesem wichtigen Thema der Selbstbeobachtung hinsichtlich unterschiedlicher Tätigkeiten einen Schubs gegeben hast. Das könnte eine ganze Denkumenta füllen! Vielleicht können wir tatsächlich mal eine dazu veranstalten. Mich beschäftigt die Frage auch seit Jahrzehnten. ich glaube nämlich auch nicht, dass wir die Tätigkeiten gesellschaftlich neu verteilen können, wenn wir das persönlich nicht hinkriegen. Gerade vorhin ist mir zum Beispiel dies passiert: Ich wusste irgendwie (so ca. um 10h, nachdem ich um 6h aufgestanden war und schon einige Informations- und Schreibtischarbeit getan hatte), dass ich hier etwas zu diesem Thema hinschreiben will, aber ich wusste noch nicht, was. Deshalb ging ich erstmal bügeln (so ca. um 10.15h). Das Bügeln hat mich dann so sortiert, dass ich jetzt weiss, was ich hier (um 11h) hinschreiben will, nämlich dies: an Tagen, an denen ich zuhause meine Zeit frei einteilen kann (das sind bei mir ziemlich viele) dienen mir Tätigkeiten wie Badputzen, Bügeln oder Aufräumen oft zur Klärung dessen, was ich dann schreibe. Wenn ich also irgendwo denkend oder formulierend nicht weiterkomme, gehe ich Hauhalt machen (oder auch duschen, spazieren, gärtnern…) Mit anderen Worten: es gibt an diesen frei gestaltbaren Tagen nicht mehr diese alte Trennung von “guter Arbeitszeit” und “Restarbeitszeit”, sondern das Verschiedene geht sinnvoll ineinander über, so ungefähr wie Juliane es als “Vision” beschreibt. Wenn dieses Ineinanderübergehen wirklich – immer öfter – gelingt, macht es mich glücklich. Socialmedia mit seinen unterschiedlichen Möglichkeiten, sich zu äussern, trägt übrigens viel zu diesem immer besseren Gelingen bei. Und jetzt gehe ich gleich kochen (am Montag meistens im Sinne von kreativer Resteverwertung). Und dann fahre ich nach Zürich zu einer Besprechung mit anschliessender Party… Und so weiter…

  • Ute# sagt:

    Sehr guter Text. Dem möchte ich anfügen, dass wir Hausfrauen das soziale Netz sind. Damals , als ich noch überwiegend Hausfrau war, habe ich das meiste im Haushalt selbst erledigt sodass die anderen Familienmitglieder wie der erwerbstätige Ehemann und die in der Ausbildung oder Schule befindlichen Kinder nach Feierabend tatsächlich Feierabend hatten. Nur ich nicht. Ich bekam auch nie Geld. Ich hatte die meiste Arbeit und das wenigste Geld und die schlechteste Freizeit.Meine Arbeit war “selbstverständlich” und wurde nur dann wahrgenommen, wenn sie nicht gemacht ist. Es ist zum Verzweifeln. Die Kinder gehen auf Konzerte und ich blieb daheim weil ich mir keine Karte leisten konnte, da ich keinen Ferienjob hatte und auch keine Verwandten die mir ein Taschengeld spendiert hätten. Ich fühle und fühlte mich wie ein Putzlumpen der mit eben diesem zu putzen hat. Ist jemand krank, bin ich die Krankenschwester und der Hilfsarzt (“unsere” Ärzte fragen sogar wie ich bestimmte Krankheiten so gut kurierte ..) Hat jemand in der Schule , Uni, Ausbildung Probleme, klar Mama kann Mathe auf Hochschulniveau. Ebenso in Physik, Chemie und Biologie, aber auch in ‘zig anderen Wissensgebieten. Ist was kaputt, kannst Du es reparieren? Der Beruf “Hausfrau” ist ein Beruf, der sich aus vielen anderen Berufen zusammensetzt. Das muss die Politik endlich anerkennen: mit einem Kosten deckenden Kindergeld (und der Staat weiß bei Pflegeeltern sehr wohl was der Unterhalt eines Kindes kostet). Und einem Lohn für die Mütter der mehr als die Hälfte vom Mindestlohn sein sollte. Aber akut sollte das Großziehen von drei Kindern in der Rente wie ein vollständiges Erwerbsarbeitsleben gewichtet werden. Ich bekomme für die Lebensleistung acht leibliche Kinder erfolgreich geboren und großgezogen zu haben eine Rente um dreihundert Euro im Monat, und als Private Vorsorge konnte ich mir nur den billigsten Tarif einer Pflegeversicherung leisten. Die Arbeit im Haushalt ist eine der wichtigsten Arbeiten einer Gesellschaft. Und Hausfrauen dürfen nicht weiter wie Sklaven behandelt entlohnt werden…

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