beziehungsweise – weiterdenken

Forum für Philosophie und Politik

Rubrik lesen

Zusammengestellt, was gern verschwiegen wird

Von Juliane Brumberg

13-0843_Umschlag.inddJuliane Brumberg empfiehlt ein neues Buch aus dem Christel Göttert Verlag zur weiblichen Seite der Ur- und Frühgeschichte.

Noch vor 20 Jahren wäre dieses Buch so nicht vorstellbar gewesen. 400 Seiten dick ist Barbara Obermüllers Zusammenstellung all der Spuren, die Frauen in der noch schriftlosen Zeit der Ur- Und Frühgeschichte hinterlassen haben. Bis fast zum Ende des zweiten Jahrtausends war dieser Bereich der Geschichtsforschung ganz und gar männlich dominiert, Frauen kamen nicht vor. Wenn doch, dann als nettes Beiwerk und in den Rollen, die sie im Patriarchat der Neuzeit einnahmen, zurückprojiziert in die Vorzeit.

Cover_Der weibliche Faden CoverEines der ersten 1995 im Christel Göttert Verlag erschienenen Bücher, Der weibliche Faden, Geschichte weitergereicht von Birgitta M. Schulte, zeugt von der zunächst vorsichtigen und dennoch selbstbewussten Annäherung an die lange unterschätzte Bedeutung der Frauen in der Frühgeschichte. Das immer noch überaus lesenswerte Buch stellt jene Forscherinnen vor, die als Erste den Paradigmenwechsel geschafft und benannt haben, wovon zahlreiche weibliche Abbildungen und Skulpturen zeugen: Das ursprüngliche Gottesbild war weiblich. Während Birgitta Schulte damals den weiblichen Faden knüpfte und die Forschungen von Marija Gimbutas, Felicitas D. Goodman und Marie E.P. König durch Interviews mit ihren Schülerinnen ans Licht holte, würde heute kein seriöser Wissenschaftler mehr dementieren, dass in unserer Vorzeit Frauen eine große kulturelle und religiöse Bedeutung gehabt haben und matriarchale Kulturen sehr wohl vorstellbar sind. Aber darüber forschen und publizieren tun sie immer noch wenig.

Letzteres, das Publizieren und Zusammenstellen der weiblichen Spuren, hat nun Barbara Obermüller übernommen und präsentiert in ihrem Buch eine unglaubliche Fülle der weiblichen Seite der Ur- und Frühgeschichte. Systematisch hat sie alle Epochen von der Altsteinzeit über die Jungsteinzeit, die Bronzezeit und dann die Zeiten der Keltinnen und Kelten, der Germaninnen und Germanen und schließlich die Zeit der römischen Besatzung in Europa vorgestellt und auf die Rolle der Frauen hin abgeklopft. Anschaulich beschreibt sie die besonderen Entwicklungsfortschritte der jeweiligen Epoche. Auch historisch vorgebildete Leserinnen nehmen hier etwas mit, staunen über die jahrtausendelangen weiblichen Kontinuitäten und sind erschrocken über die zerstörerische Kraft, mit denen der patriarchale Wandel gegen Ende der Bronzezeit um sich griff und das weitgehend friedliche Zusammenleben in egalitären Strukturen beendete.

Wer sich einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand verschaffen möchte, ist mit diesem Buch und seinen vielen Abbildungen überaus gut bedient. Im zweiten Teil sorgt die Autorin für eine Vertiefung des Themas, in dem sie speziell Ausgrabungen in Hessen betrachtet und sich an regionalen Beispielen erneut durch die Epochen hangelt. Wermutstropfen bleibt, dass auch Barbara Obermüller in die Falle tappt, ihre Vorstellungen vom Wirken der Frauen in die Vergangenheit zu projizieren. Immer wieder finden sich Formulierungen wie: „Möglicherweise wurde hier eine Priesterin bestattet.“ oder “…. könnten in Anwesenheit von Priesterinnen Rituale stattgefunden haben“ oder „Möglicherweise waren die Grandeln [Hirschzähne in Form weiblicher Brüste] für die Frauen ein Symbol für die Leben spendende Göttin und den weiblichen Zyklus….“ Das bleibt das Dilemma bei der Beschäftigung mit der Ur- und Frühgeschichte: Es gibt keine „Beweise“ in Form von schriftlicher Überlieferung, es bleibt immer bei Vermutungen.

Nichtsdestotrotz ist es ein wunderbar anschauliches Bild des Zusammenlebens der Geschlechter, das Barbara Obermüller hier an Hand einer riesigen Menge von Ausgrabungsfunden gezeichnet hat. Die Funde zeugen davon, dass Frauen in der Frühzeit eine andere Rolle gespielt haben, als die herkömmliche Geschichtschreibung uns jahrhundertlang weismachen wollte. Dieses neueste Quadrat aus dem Christel Göttert Verlag ist ein in jeder Hinsicht schwergewichtiger Beweis für die Kultur prägenden Leistungen von Frauen, und zwar sowohl in der Frühzeit, als auch in den letzten dreißig Jahren.

Barbara Obermüller, Die weibliche Seite der Ur-und Frühgeschichte, Christel Göttert Verlag 2014, 402 S., 29,95 €.

 Birgitta M. Schulte, Der weibliche Faden, Geschichte weitergereicht, Christel Göttert Verlag 1995, 212 S., 15 €.

Autorin: Juliane Brumberg
Redakteurin: Juliane Brumberg
Eingestellt am: 15.04.2014
Tags: ,

Kommentare zu diesem Beitrag

  • Dorothee Markert sagt:

    “Noch vor 20 Jahren wäre dieses Buch so nicht vorstellbar gewesen”. Danke für die informative Doppelrezension!

  • Sabrina Bowitz sagt:

    Hallo, von mir auch einen großen Dank für die Rezension, das Buch klingt wirklich sehr spannend! Es gibt so viel, was wir nicht wissen und was wir dann auch als “normal” ansehen oder “gesichert”.

Weiterdenken