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Rubrik heilen, lesen

Beziehungen zur Welt der Pflanzen

Von Juliane Brumberg

Kräuterkunde ist mehr, als botanisches Wissen. Juliane Brumberg stellt ein Buch über Südtiroler Kräuterfrauen vor.

Kräuterfrauen_Cover_Neu.inddIn Südtirol, Kennerinnen bekannt als das Land der vielen heiligen Frauen auf den Altären in den kleinen Dorfkirchen, gibt es eine lebendige Frauenszene. Sie mischt sich politisch ein und sorgt dafür, dass die Kultur der Frauenbeziehungen in diesem einst vom Faschismus gebeutelten deutschsprachigen Landesteil Italiens nicht in Vergessenheit gerät und weiter gepflegt wird. Sichtbar werden die Aktivitäten der Südtiroler Frauen zum Beispiel in dem seit 20 Jahren bestens aufgestellten Meraner Frauenmuseum  und jüngst in einem neu erschienen Buch über Südtiroler Kräuterfrauen.

Dieser Titel ist eigentlich eine Untertreibung, denn bevor die Kräuterfrauen zu Wort kommen, gibt es eine brillante und gleichzeitig kompakte Einführung in die Medizingeschichte durch die Jahrtausende und in das Menschenbild, das den jeweiligen Heilkünsten zu Grunde lag. Klar und deutlich haben die Autorinnen herausgearbeitet, dass es durchaus andere Wege zum „Gesund-Werden“ bzw. „Gesund-Bleiben“ gab (und letztlich auch immer noch gibt), als die Methoden der heutigen analytischen naturwissenschaftlichen Medizin. Sehr bescheiden sind diese Kapitel als „Kleiner Ausflug in die Geschichte der Wahrnehmung der Kräuter“ und die „Geschichte der Frauen als Heilerinnen“ überschrieben.

Ein weiteres Einführungskapitel beschäftigt sich mit der lokalen Geschichte der Südtiroler Kräuterfrauen. In den abgelegenen Bergdörfern mit weiten Wegen zum Arzt in der Stadt waren die Menschen seit jeher darauf angewiesen, sich selbst zu helfen und mit der Kraft der Heilpflanzen zu arbeiten. Mit dem Straßenausbau und Aufkommen der Krankenversicherung ließ das Interesse an den Heilkräutern sichtlich nach. Erst in den letzten 20 Jahren erwachte das Interesse wieder und es hat sich im Zuge von Tourismus und Kräuterkursen sowie einer Hinwendung zu alternativer Medizin das neue Berufsbild der „Kräuterpädagogin“ etabliert. Viele Südtiroler Bäuerinnen haben diese Ausbildung absolviert. Allerdings verbietet die strenge Gesetzgebung ihnen, Kräuter offiziell als Heilmittel zu verwenden oder darauf hinzuweisen, wofür diese Kräuter traditionell heilsam ein können. Dieses Wissen verwenden sie nur in der Familie oder im engsten Freundeskreis. Sie beklagen die diesbezügliche Hoheit der Ärzt_innen und Apotheker_innen und bekommen die wirtschaftlichen Interessen der Pharma-Industrie voll zu spüren.

Nichtsdestotrotz haben die Südtiroler Kräuterfrauen sich ganz unterschiedliches Spezialwissen zu den Kräutern erarbeitet oder von den vorherigen Generationen übernommen. 18 von ihnen werden in kleinen, anschaulich bebilderten, Kapiteln vorgestellt. Die Kapitel tragen so liebevolle Überschriften wie „Die Pflanzen als Menschenfreunde“, „Die Natur als höchste Hochschule“, „Die Pflanzenflüsterin“ oder „Von Mitgeschöpfen, die nicht davonlaufen“. Und tatsächlich haben alle vorgestellten Kräuterfrauen eine besondere Beziehung zu den Pflanzen, die weit über das rein mechanische Sammeln oder Säen, Pflegen und Ernten hinausgeht. Und manchmal nehmen die Pflanzen auch die Beziehung zu den Menschen auf.

Faszinierend, wie Dora Somvi aus Lana erzählt, dass sich bei ihr, just als sie in die Wechseljahre kam, der Frauenmantel im Garten angesiedelt hat, obwohl sie in Lana weit und breit von keinem Frauenmantel, der sich irgendwo wild angesiedelt hat, weiß: „Das finde ich faszinierend. Sie zeigen dir mit großer Wahrscheinlichkeit, was du gerade brauchst.“

Und Maria Mairhofer aus Niederdorf meint: „Wir essen viel zu viel gezüchtete Sachen. Damit hängen wahrscheinlich auch unsere Entgleisungen und diese ganzen Wucherungen zusammen. Menschen nehmen zu wenig von der ursprünglichen Ordnungskraft der Wildpflanzen auf.“

Rita Frener vom Ploseberg hoch über Brixen ist überzeugt: „Die Pflanzen haben eine Seele und wirken auch auf unsere Seele. Nehmen wir die Arbeit mit der Salbeipflanze: Sie hat eine starke Ausstrahlung – zum einen wegen ihres Duftes, zum anderen, weil sie gut schmeckt. Das Salbeibeet zu jäten, entspannt uns. So wirken sich auch andere Kräuter während der Arbeit auf unser Befinden aus. Unsere freiwilligen Helfer bestätigen diese Erfahrung.“

In diesem Buch bekommen Expertinnen vielerlei weitere Anregungen und wer sich bislang nicht für Kräuter interessiert hat, wird nach diesem Buch aufmerksamer durch die Natur gehen.

Irene Hager, Astrid Schönweger, Alice Honigschmid, Südtiroler Kräuterfrauen, Ihr Leben, Ihr Heilwissen, Ihre Rezepte, LöwenzahnVerlag 2014, 255 S., 24,95 €, ISBN 978-3-7066-2536-4.

Autorin: Juliane Brumberg
Redakteurin: Juliane Brumberg
Eingestellt am: 16.06.2014
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