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Care Revolution

Von Juliane Brumberg

Die feministische Sozialwissenschaftlerin Gabriele Winker hat eine Analyse zu der aktuellen Situation im Pflege- und Sorgebereich vorgelegt. Juliane Brumberg stellt das Buch „Care Revolution, Schritte in eine solidarische Gesellschaft“ vor. 

Foto: Rainer Sturm_pixelio.de

Nicht nur ein Frauenthema: Pflegebedürftige Mitmenschen   Foto: Rainer Sturm_pixelio.de

Die Care-Frage hat eine drängende Aktualität, nicht nur weil insbesondere Frauen davon betroffen sind, sondern weil die bestehenden Zustände unhaltbar sind und immer unhaltbarer werden. Neben der kürzlich hier vorgestellten Schrift „Wirtschaft ist Care“ von Ina Praetorius, die die ideengeschichtlichen Aspekte des Themas herausgearbeitet hat, ist jetzt ein weiteres Buch zur Care-Problematik erschienen.

Gabriele Winker, Professorin an der TU Hamburg-Harburg und Mitbegründerin des Feministischen Instituts in Hamburg, hat die derzeitige Situation der Pflege-, Sorge- und Reproduktionsarbeit aus marxistisch-kapitalismuskritischer Perspektive beleuchtet. In einer ausführlichen Analyse weist sie zunächst nach, dass das Maß an Unterstützung, das Menschen in unserer Gesellschaft bekommen, direkt davon abhängig ist, „ob sie als Arbeitskraft genutzt werden können beziehungsweise potentiell nutzbar sind“. Als Beispiel führt sie an, dass junge Eltern durch den Bau von Kinderbetreuungseinrichtungendarin unterstützt werden, möglichst in Vollzeit berufstätig zu sein, während staatlicherseits viel weniger Anstrengungen unternommen werden, die Situation im Pflegebereich von alten, dementen Menschen oder Behinderten zu verbessern. Darüber hinaus würde versucht, um Kosten zu senken „notwendige Care-Arbeit weiterhin insbesondere Frauen in den Familien aufzubürden, ohne dass ihnen die hierfür nötigen zeitlichen und materiellen Ressourcen zur Verfügung stehen“.

Die Autorin hält eine präzise Begriffsbestimmung für notwendig und unterscheidet zwischen Care- oder Sorgearbeit einerseits und Reproduktionsarbeit andererseits. Letzteres ist für sie das Gegenstück zur Lohnarbeit, also die unentlohnte Arbeit, die „meist in familiären Zusammenhängen und von Frauen ausgeführt, für die Reproduktion der Arbeitskraft notwendig ist.“ Der Begriff Care-Arbeit dagegen bezeichnet die Arbeitsinhalte, die konkreten Sorgetätigkeiten wie Erziehen, Pflegen Betreuen, Lehren usw. Diese finden entlohnt in staatlichen Institutionen sowie in Einrichtungen von Wohlfahrtsverbänden oder der Privatwirtschaft statt und außerdem unentlohnt, zum Beispiel in Vereinen und natürlich in den Familien. Beide Bereiche haben jedoch miteinander zu tun und stehen im Fokus der sogenannten Care-Revolution. Ziel dieser Care-Revolution ist – im Gegensatz zu unserem neoliberalen Wirtschaftssystem, das die Reichen reicher und die Armen ärmer macht – eine „grundsätzliche andere Organisation der Sorgearbeit“ hin zu einer solidarischen Gesellschaft.

Nach Einschätzung der Autorin erschweren derzeit  Angst und Resignation, Alternativen überhaupt zu denken. Sie plädiert trotzdem für eine politische Strategie, die nicht länger von ökonomischer Effizienz ausgeht, sondern die Menschen als grundlegend aufeinander Angewiesene begreift. Im Mittelpunkt stehen dann die Sorge umeinander und eine an Bedürfnissen orientierte Ökonomie.

Erreichbar sieht sie dieses Ziel nur über viele kleine Schritte, die „gegen machtvolle Interessen in Kämpfen durchgesetzt werden“ müssen. Einer dieser Schritte ist die Vernetzung der vielfältigen Care-Initiativen, von denen sie einige vorstellt. Ein weiterer Schritt könnte die Erlangung von Zeitsouveränität zur Ausübung der Sorgetätigkeiten und ein gewerkschaftlich unterstützter Kampf um Arbeitszeitverkürzung, zum Beispiel für junge Familien, sein. Außerdem fordert sie den Ausbau der sozialen Infrastruktur, insbesondere im Bildungs- und Gesundheitsbereich und eine deutlich höhere Entlohnung der Care-Arbeit und Demokratisierung und Selbstverwaltung im Care-Bereich über dezentrale gewählte Care-Räte.

Zu einer solidarischen Gesellschaft gehört Gabriele Winkers Meinung nach auch die Vergesellschaftung aller Produktionsmittel, da ja auch der Care-Bereich nach wie vor auf Güter und Geräte angewiesen ist. So ein grundlegender Systemwechsel sei aber nur möglich wenn die Menschen schon vorher als politische Akteur_innen eine konkrete Veränderung ihrer Lebensrealität durchgesetzt haben. Dabei greift sie auf Gedankengänge von Karl Marx zurück.

Winkers Vision ist eine Kultur des Miteinanders, die erlernt werden muss. Dabei wird immer wieder aufs Neue die Unterschiedlichkeit von Menschen klar. Sie benötigen nicht nur ein unterschiedliches Ausmaß von Sorge, sondern sind auch in unterschiedlichem Ausmaß bereit oder in der Lage, Sorgetätigkeiten zu übernehmen. Die Care-Revolution sieht sie als Transformationsstrategie für eine Gesellschaft an, die auf Solidarität und Achtsamkeit beruht und in der sich alle Menschen ihren Bedürfnissen gemäß entwickeln können.

Das Buch ist in dem Sinne kein Lesegenuss und auch nicht als solcher gedacht. Vielmehr handelt es sich um eine wissenschaftliche Auseinandersetzung, in der viele relevante Aspekte des Care-Themas akribisch und gründlich zusammengestellt wurden. Wer also sachliche Zahlen und Informationen zu dieser oft sehr emotional diskutierten Problematik sucht ist mit dem Buch von Gabriele Winker gut bedient.

Zum Weiterlesen:
Ina Praetorius über die erste Aktionskonferenz des Netzwerks Care-Revolution im März 2014 in Berlin
* Der Artikel Care aus dem ABC des guten Lebens
Webseite des Netzwerks Care Revolution


daz4edGabriele Winker, Care Revolution, Schritte in eine solidarische Gesellschaft, transcript Verlag Bielefeld 2015, 208 S., 11,99 Euro.

 

 

Autorin: Juliane Brumberg
Redakteurin: Juliane Brumberg
Eingestellt am: 13.04.2015
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Kommentare zu diesem Beitrag

  • Elfriede Harth sagt:

    Danke fuer die Besprechung dieses wichtigen Buchs. Bin auch gerade dabei, es zu lesen. Es kommt gerade rechtzeitig vor dem 1. Mai heraus, Tag, den das Nezwerk Care-Revolution zum Aktionstag der unsichtbaren Arbeit machen will. Ob das gelingt, haengt von uns allen ab. In verschiedenen Staedten, z.B. hier in Frankfurt am Main, wollen sich Gruppen von Care-Bewegten den traditionellen 1.-Mai-Demonstrationen anschliessen und dort fuer die Anerkennung der unsichtbaren Arbeit demonstrieren. Wir machen es aus der Perspektive des Bedingungslosen Grundeinkommens. Da fordern wir mehr Zeit und Geld, um uns der Arbeit widmen zu koennen, die uns notwendig und sinnvoll erscheint.

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