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Rubrik erinnern

Ein Sinn, der nur unter Frauen zirkulieren kann

Von Diana Sartori

Im sechsten und letzten Abschnitt des Textes „Warum Teresa“ von Diana Sartori geht es um das Teresa von Avilas Schreiben: Wie kann die lebendige Realität in Worte gefasst werden? Und was bedeutet es, nicht mit universalem Gültigkeitsanspruch zu schreiben, sondern konkret für die eigenen Mitschwestern?

Teil 1 – Ein kurzer Abriss von Teresas Leben
Teil 2 – Weiblicher Realismus am Beispiel Teresas
Teil 3 – Einen Ort für Wahrheit in sich finden und der Wahrheit einen Ort geben

Teil 4Einwohnende Annäherung an sich selbst
Teil 5 – Großes Begehren und praktikables Handeln

In ihren späteren Schriften ist die Bezugnahme auf die Tatsache der schon vorhandenen Beziehungen, die Teresa selbst angeregt hat und in denen das Phänomen ihrer Niederschriften sowohl eingeschrieben ist als auch begreiflich wird, das Fundament, das diese Schriften überhaupt erst ermöglicht und ihre Legitimität und sogar ihre Notwendigkeit begründet. So wird in den Klosterstiftungen sichtbar und evident, wie die große Anzahl und der Erfolg der Stiftungen der Unbeschuhten den Erzählungen Teresas zugrunde liegt. Die Niederschrift vom Weg der Vollkommenheit wiederum ist darin begründet, dass „die Nonnen dieses Klosters“ das Manuskript der Vita nicht lesen konnten, weil es sich in den Händen der kirchlichen Autorität befand, und „mich recht inständig [baten], ihnen etwas über den erwähnten Gegenstand zu sagen, so dass ich mich entschloss, ihnen zu willfahren.“ (CP, 19) Daraus ergaben sich die schon erwähnten Beobachtungen über den größeren Nutzen, den die Nonnen aus Teresas Schrift zogen, auch wenn sie, im Gegensatz zu den von Männern verfassten Unterweisungen, „schlecht geschrieben“ war. Doch diese Männer wussten zwar gut die Feder zu führen, aber sie wussten nicht, was für eine Frau wirklich wichtig ist.

Es gibt also eine gezielte weibliche Nachfrage nach Führung und Rat, die durch die schönen Traktate der Gelehrten nicht befriedigt werden kann, nämlich die der Nonnen des Klosters der Unbeschuhten. Diese Nachfrage findet ihre eigene, elementare Antwort in den Worten Teresas, die wie die Nonnen selbst eine Frau ist, nur älter und erfahrener. Eine Frau, die zudem ihren Mitschwestern Liebe entgegengebracht hat, was unerlässliche Bedingung für wahrhafte Kommunikation und Unterweisung ist. Teresa ist sich dessen völlig bewusst: „Ich weiß, dass es mir weder an Liebe noch an Verlangen fehlt, mein möglichstes dazu beizutragen, dass die Seelen meiner Schwestern im Dienste des Herrn recht große Fortschritte machen. Diese Liebe sowie mein Alter und die Erfahrung, die ich bezüglich einiger Klöster habe, können dazu beitragen, dass ich in kleinen Sachen das Rechte besser treffe als die Gelehrten.“ (CP, 20)

Unterwerfung unter das männliche Urteil

Der Weg der Vollkommenheit, der ein Beispiel für Teresas Strategie ist, sich auf Frauenbeziehungen zu berufen, um ihr eigenes Sprechen zu autorisieren, ähnelt in dieser Hinsicht auch ihrem Hauptwerk Die Seelenburg. Auch dort nennt Teresa als ersten Rechtfertigungsgrund für ihr Schreiben den Gehorsam gegenüber ihrem Beichtvater und Ordensoberen Pater Gracian. Willig unterwirft sie sich seinem Urteil, falls sie, unwissend wie sie ist und ohne böse Absicht etwas sagen sollte, das vielleicht nicht konform geht mit der Lehre der Heiligen Katholisch-Römischen Kirche, der sie aber immer treu war, ist und bleiben wird.

Die Aufforderung zum Schreiben kommt also von einem Mann, der ihr in der kirchlichen Hierarchie übergeordnet ist und der ihr damit Deckung bietet beim Schreiben und Lehren, also bei einer Tätigkeit, die bei Frauen nicht gern gesehen wird. Auch das abschließende Urteil schreibt sie scheinbar Männern zu, wenn nämlich jener Beichtvater und „gelehrte Personen“ beurteilen müssen, ob Teresas Worte mit der Kirchenlehre konform gehen oder nicht. Ein solches Urteil zu fällen, kommt einer unwissenden Nonne nicht zu, die nur ohne Arglist und in voller Aufrichtigkeit ausspricht, was sie weiß und glaubt. Andererseits kommt dieses ihr eigene Wissen direkt von Gott, weshalb sie selbst eigentlich nicht die Autorin ist. Darauf weist sie ihre Leserinnen ausdrücklich hin, wenn sie sagt, „dass das Gute, das ich etwa vorbringen werde, nicht von mir stammt.“ (C, 18)

Auftrag, Autorisierung durch die Hierarchie und Urteil werden von Teresa also genau bestimmt, und sie alle sind männlich. Angesichts eines solchen Aufgebots an männlicher Macht führt Teresa vor allem ein eher formales Bekenntnis ihres Gehorsams ins Feld und zeigt, dass Frauen im Hinblick auf die Urteilskriterien der Autoritäten frei von Verantwortung sind, weil ihre Autorisierung direkt von Gott kommt. Aber das ist nicht alles: „Einer von denen, die mir diesen Auftrag zum Schreiben erteilten, sagte mir, dass die Nonnen unserer Lieben Frau von Karmel das Bedürfnis hätten, über einige das Gebet betreffende Zweifel von jemand aufgeklärt zu werden. Nach seiner Ansicht würden Frauen die Redeweise von ihresgleichen besser verstehen, und in Anbetracht ihrer Liebe zu mir brächten ihnen meine Worte mehr Nutzen als die einer anderen Person. Ich werde darum in dieser Schrift nur zu ihnen reden, und dies umso mehr, als ich die Mitteilung, sie könnte auch noch anderen nützen, für Torheit halte.“ (C, 17 f.)

Das Vorwort der Seelenburg ist häufig interpretiert worden. Michel de Certeau zum Beispiel hat die Struktur dieser Passage aufgezeigt, die er als eine Art soziale Inszenierung des Namens des Vaters beschreibt, als eine männliche Ordnung, innerhalb derer ein weiblicher Diskurs stattfindet. Ein weibliches Wort steht also einem männlicher Akt der Einrahmung der Schrift gegenüber.

Viel wichtiger als die vermutete Weiblichkeit der Rede, die sich hier in die männliche Ordnung der Sprache einzuschleichen vermag, scheint mir jedoch, dass hier ein Bedürfnis nach Worten weiblicher Subjekte artikuliert wird, die in der existierenden männlichen Ordnung Orte des Lebens, des Sprechens und Schreibens eröffnen und beschreiben können und so den Entwurf einer anderen symbolischen und sozialen Ordnung umreißen. Dies wird in den zitierten Sätzen deutlich durch die Anfrage nach Erläuterung, die aus den von Teresa gegründeten Ordensklöstern kommt, und durch Teresas Fähigkeit, die eigene Schrift zu situieren und die Umstände zu umschreiben, die zu ihrer Beauftragung führten.

Diese Fähigkeit Teresas hat Rosa Rossi ans Licht gebracht. Sie hat die Konstruktion der Beauftragungsszene aus Teresas Blickwinkel analysiert und betont, dass die wichtigste Voraussetzung, unter der eine Frau einen Text schreiben konnte, diejenige war, dass der Auftraggeber männlich und die Adressatinnen weiblich waren. Rossi kritisiert, dass Teresas Worte oft zu wörtlich genommen werden, und betont stattdessen den Wert der literarischen Fiktion in ihrer Schrift, die notwendig war, weil sie unter Bedingungen schrieb, die den freien weiblichen Ausdruck verhinderten.

Schöpferin ihrer eigenen Freiheit

Ich glaube aber, dass in diesem Fall wörtliche Interpretation glaubhafter ist: Wenn es wahr ist, dass Teresa bei der Anfertigung des Vorworts unter Beweis stellt, dass sie beim Schreiben eine bestimmte Kunstfertigkeit anzuwenden weiß, dann ist das nicht bloß eine literarische Kunstfertigkeit, sondern vielmehr ein reales Dispositiv, durch das Teresa zur Schöpferin ihrer eigenen Freiheit wird.

Was Teresa tatsächlich gelingt, ist nicht nur, dass sie durch einen Trick den Skandal der eigenen literarischen Produktion akzeptabel macht, sondern sie ist in der Lage, die Bedingungen selbst, also den logischen und konkreten Ort der eigenen Worte, zur Welt zu bringen. Teresa erfindet keine Geschichte zu ihrer Rechtfertigung, sondern sie schreibt eine reale Geschichte, ihre Geschichte, und es ist ihr gelungen, zu deren Urheberin zu werden. Sie erzählt uns sogar noch, wie und wodurch ihr das gelang: „Frauen würden die Redeweise von ihresgleichen besser verstehen“ und „in Anbetracht ihrer Liebe zu mir“.

Es gibt einen Sinn, der nur unter Frauen zirkulieren kann, und dabei handelt es sich um etwas, das das Einander-Verstehen betrifft. Dank dieses gegenseitigen Sich-Verstehen-Wollens, der Liebe und des Vertrauens, das Bindungen stiftet, konstituiert sich trotz der Feindseligkeit der weltlichen Ordnung und der Festlegung durch das symbolisch Vorgegebene ein Kontext für eine Kommunikation, in der Sinnvolles bewirkt werden kann, das „von gewissem Nutzen“ sein kann.

Die Notwendigkeit, sich an ihresgleichen zu wenden

Wenn Teresa erklärt, sie wende sich nur an die Frauen, nur an ihre Nonnen, und für andere seien ihre Ausführungen nutzlos, dann gibt sie das nicht nur vor, sondern sie sagt die Wahrheit. Sich an ihresgleichen zu wenden, ist keine einschränkende Konstruktion, sondern vielmehr eine Notwendigkeit. Und diese Notwendigkeit zu akzeptieren und sich von der Illusion eines universellen Nutzens zu verabschieden, stellt wiederum eine weitere Bedingung dar, etwas anbieten und erlangen zu können, das von Nutzen ist.

Das alles hat mit dem zu tun, was ich anfangs über das zweite Unternehmen Teresas gesagt habe, nämlich die Gründung eines Ordens, und mit ihrer Strategie der Autorisierung, die zu ihrer Bezugnahme auf das Göttliche hinzukommt, nämlich die, einen weiblichen Kontext für die eigenen Worte zu aktivieren.

Im Hinblick darauf habe ich das Bild der beiden Burgen eingeführt: Während die erste Burg der Ort eines inneren Sich-Aufhaltens ist, eines Raumes, in dem man sich selbst nahe sein kann, lehren das Leben und die Worte Teresas, dass auch das Unternehmen einer zweiten Burg notwendig ist. Denn die zweite Burg ist die Ordnung, und das heißt zunächst das Kloster selbst. Es ist der physische und logische Ort, der das innere Wohnen erlaubt und dessen Bedingungen konstituiert. Die Klöster wiederum, die Teresa will, haben Klausur, und die Nonnen, die sich dafür entscheiden, wählen die Einsamkeit und das kontemplative Leben. Im Sinne ihrer Gründerin sind es aber keine abgetrennten und verborgenen Orte, wohin man fliehen kann. Es sind keine Verstecke.

Teresa erklärt, sie bevorzuge die Einsamkeit. Allerdings gibt sie auch zu bedenken, dass „eine Person, die immer zurückgezogen lebt […] doch nicht weiß, ob sie Geduld und Demut besitzt“ und dass ein einziger Tag, „den wir in demütiger Selbsterkenntnis verlebt haben, auch wenn er uns viel Betrübnis und Mühseligkeiten gekostet hat, eine weit größere Gnade ist als viele Tage, die wir dem Gebete gewidmet,“ und folglich weitaus besser für uns. Außerdem wäre es „schlimm, wenn man das Gebet bloß in (verborgenen) Winkeln pflegen könnte.“ (F, 53) Das weiß Teresa nur zu gut, denn ihr Leben verlief lange Zeit in Eingeschlossenheit, in Isolation, in Untätigkeit, in Absonderung von der Welt. Deshalb hat sie bei der Gründung reformierter Orden nicht gezögert, Regeln zu brechen und ihre eigene Sicherheit sowie die anderer aufs Spiel zu setzen, sich also zur Protagonistin einer wirklichen Revolutionierung des Gleichgewichts der damaligen Kirche und einer großen spirituellen Erneuerungsbewegung zu machen. Und dies alles aus Notwendigkeit, aus Gehorsam und Nächstenliebe, um den göttlichen Willen zu erfüllen und zum größeren Ruhm des Ordens der Heiligen Jungfrau.

Der Orden als logischer und konkreter Ort der Stärke

Die zweite Burg Teresas ist also dieser Orden, und zwar so, wie sie ihn haben wollte, wie sie ihn gegründet und wie sie ihn eingerichtet hat. Er ist aber auch das Zeichen und Stückwerk für eine höhere Ordnung, die ihn transzendiert. Denn die Idee dieser Ordnung ist noch in einem viel weiteren Sinn zu verstehen. Der reformierte Orden Teresas begründet eine neue Ordnung der Realität, eine neue Ordnung der Welt, in der die Erfahrung und die Worte, die in Übereinstimmung mit der Wahrheit dessen stehen, was ist, Wert und Anerkennung erfahren. Diese neu gegründete Ordnung ist jetzt selbst eine Quelle von Autorisation und Stärke.

Während Teresa in der Phase der Ekstasen und in der Erzählung ihrer Vita zunächst die Wahrheit des von ihr Erlebten gegenüber ihrem Beichtvater verteidigte, der die kirchliche Ordnung repräsentiert, und sich Kraft aus Gottes Wort holte, so zieht sie ihre Stärke jetzt, beim Schreiben der Seelenburg, aus dem Verlangen ihrer Nonnen nach Worten und nach Belehrung, also aus einer anderen Ordnung, einer Ordnung, zu der sie gehört und die ihr entspricht.

Teresa hat es verstanden, reale Vermittlerin und Mutter dieser Ordnung zu sein, und Mutter wurde sie auch von ihren Nonnen genannt. Dabei beachtete sie bei all dem, dass sie nicht im Namen ihres bloßen eigenen Willens handelte, sondern aus Notwendigkeit, und betonte, dass sie nichts anderes getan hatte, als darin einzuwilligen, eine viel größere Vermittlerin und Mutter zu verkörpern, der sie den Namen Maria, Mutter Gottes, gab.

Sie ist die Vermittlerin, in deren Namen Teresa die Klöster führte und deren Kleid sie trug: „Auch ihr tragt dieses Kleid; lobpreiset Gott dafür! Denn ihr seid in Wahrheit Töchter dieser Herrin. Ihr müsst euch deshalb nicht schämen, dass ich so böse bin, da ihr eine so heilige Mutter habt. Folget ihr nach und erwäget, wie erhaben diese Herrin sein muss, welch ein Glück es ist, sie zur Beschützerin zu haben, da sogar meine Sünden und meine Armseligkeit es nicht vermochten, den Glanz ihres Ordens auch nur im geringsten zu verdunkeln.“ (C, 47)

Autorin: Diana Sartori
Redakteurin: Antje Schrupp
Eingestellt am: 12.05.2015
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