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Du Mann. Ich Frau.

Von Gera Kessler

Begleitbuch zur Ausstellung

Begleitbuch zur Ausstellung

Endlich ist wieder eine leicht zugängliche Zusammenstellung von geschlechterkritischen Forschungsansätzen in der Archäologie verfügbar. Sie erschien als Begleitbuch zu der kleinen Ausstellung des Archäologischen Museums Colombischlössle in Freiburg/Breisgau vom 16. Oktober 2014 bis 17. Mai 2015. In dieser Ausstellung wurden u.a. verschiedene Interpretationsmöglichkeiten eines einzigen Fundzusammenhanges durch mehrere unterschiedliche Installationen bildhaft dargestellt. Dass eine solche Ausstellung notwendig und zudem so einmalig ist, zeigt, welche Defizite in Bezug auf die geschlechterkritische Deutung von archäologischen Funden und zugehörigen Hypothesen noch bestehen.

Das Begleitbuch ist eine Sammlung von Beiträgen verschiedener AutorInnen und bietet eine Fülle von Überlegungen, die geeignet sind, Bilder fester Rollenzuschreibungen in der Urgeschichte aufzulösen. Die Beiträge sind Einzelerörterungen aus dem riesigen Zeitraum der gesamten Urgeschichte, deren Darstellung in besonderer Weise auf Interpretationen angewiesen ist, u.a. deswegen, weil schriftliche Zeugnisse nicht vorhanden sind. In ihrer unterschiedlichen Angehensweise (vgl. den Beitrag von Sigrid Schmitz: „Das Gehirn von Jägern und Sammlerinnen -Evolutionäre Mythen für die Gegenwart“) und dem jeweils anderen Zeithorizont der Beiträge sind sie ein Abbild für das Forschungsgeschehen in der Archäologie und ihren angrenzenden Wissenschaften, das eine Unmenge an Puzzleteilchen zusammenträgt und nur manchmal die verschiedenen Teile zu einer Erkenntnis zusammenführen kann.

Jeder einzelne dieser Beiträge ist lesens- und wissenswert, wenn eine oder einer sich nicht nur für Urgeschichte interessiert, sondern sich darüber hinaus auch bewusst ist, dass die bisher auf unserem patriarchalen Blick beruhenden Aussagen über „Menschen“ nicht immer das darstellen, was es über Frauen in der Geschichte zu wissen gibt.

In dem Begleitheft zur Ausstellung wird einleitend der Gebrauch des Bildes von den „eiszeitlichen Jägern und Sammlerinnen“ thematisiert; einige Beiträge beklagen vor allem seine unkritische Übernahme in Lebenshilfe-Ratgebern, Filmen, Magazinen oder Alltagszusammenhängen; z.B. Brigitte Röder in ihrem umfassenden Beitrag „Der Jäger und die Sammlerin – Mit der Steinzeit die (Geschlechter) Welt erklären?“ oder Dominique Grisard: „Rosarot und Himmelblau – Die Farbe süßer Beeren und des Himmels bei prächtigem Jagdwetter oder warum Mädchen Rosa lieben“. Die dort zitierten Abhandlungen befassen sich jedoch nur selten mit der Urgeschichte, sondern benutzen diese im Sinne einer abgeleiteten, dabei aber nicht tragfähigen Autorität für die Untermauerung der eigenen Thesen und Theorien. Dass dies hier trotzdem diskutiert wird, hat wohl damit zutun, dass sich das Begleitheft (hauptsächlich) an Laien richtet.

Geradezu wohltuend ist es, wenn in anderen Beiträgen die Ursache für die ausufernde Übernahme solch einprägsamer Bilder dort angesiedelt wird, wo sie maßgeblich hingehört: in die jahrzehntelange einseitige Darstellung in der Fachliteratur. Jutta Leskovar schreibt in ihrem Beitrag „Bilder auf Töpfen – Bilder in Köpfen: Zur stereotypen Identifikation von Frauen und Männern auf szenischen Darstellungen der Hallstattzeit“ (Zitat S. 100): „Die Problematik vieler aktueller Interpretationen in der Fachliteratur besteht nun aber gerade darin, dass sie methodisch nicht abgesichert sind. Vielmehr stellen sie Projektionen von stereotypen, sich ewig gleichenden Vorstellungen über die Vergangenheit dar, darunter auch über Männer und Frauen, ihre Rollen und die Geschlechterverhältnisse“ und im Beitrag von Sibylle Kästner „Wenn die Sammlerin jagt und der Jäger sammelt – Geschlechterrollen neu besetzt“ heißt es (Zitat S. 184) : „Sehr beliebt ist außerdem der Rückgriff auf das Stereotyp ‚Frau-Sammlerin, Mann-Jäger’…. Archäologie und Ethnologie haben maßgeblich dazu beigetragen, dass die vermeintliche Universalie erhalten bleibt….Zum anderen führt die Fixierung auf Männer, der male bias vieler WissenschaftlerInnen, dazu, dass das, was Frauen tatsächlich mach(t)en, gar nicht wahrgenommen wird…“ (Hervorhebungen von mir). Dass Ausstellungen in den Museen und Lernstoffe in den Schulbüchern diesen lange von den jeweiligen Forschern vermittelten Bildern gefolgt sind, kann dann nicht mehr überraschen. Dieser Aspekt wird eingehend zusammen mit neueren Entwicklungen in Schulbüchern erörtert im Beitrag von Miriam Sénécheau S. 70: „Natürliche Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau? Rollenmodelle in Schulbüchern“. Und Monika Federer legt in ihrem Artikel „Wer lag in Nebenkammer VI? Fakt und Hypothese im Lebensbild“ dar, wie jede der möglichen Darstellungen eines gemeinsamen Grabfundes eines Mannes und einer Frau die Interpretation ihrer sozialen Stellung zueinander so festlegt, dass sie historisch falsch sein kann.

Glücklicherweise gibt es einige Beiträge, in denen andere Zusammenhänge und mögliche Aktivitäten von Frauen diskutiert werden, so z.B. bei Peter Jud: „Schmuck oder Waffen – Frauen und Männer in den Opferkulten der Eisenzeit“, der für die Beurteilung von religiösen Aktivitäten der Frauen in der schriftlosen Eisenzeit Mitteleuropas einen Vergleich mit den zeitlich später liegenden Kulturen in Griechenland und Rom wagt. Sehr detailliert zeigen neuere Fundinterpretationen die vielfältigen Möglichkeiten der Einordnung auch von eindeutig weiblich gekennzeichneten Bildnissen bei Helmut Schlichtherle: „Weibliche Symbolik auf Hauswänden und Keramikgefäßen: Spuren frauenzentrierter Kulte in der Jungsteinzeit?“. Neue Forschungsmethoden aus angrenzenden Wissenschaften und entsprechende Fragstellungen, dargestellt z.B. bei Kurt W. Alt / Brigitte Röder: „Der inkorporierte Alltag: Sterbliche Überreste als Zugang zur prähistorischen Geschlechter- und Kindheitsgeschichte“ ergeben neue Erkenntnisse über das Leben auch von Frauen und Kindern; so z.B. bei Doris Pany-Kucera / Hans Reschreiter „Im Berg statt am Herd? Hinweise auf Frauen- und Kinderarbeit im Salzbergwerk von Hallstatt vor über 2500 Jahren“.

So notwendig die Veröffentlichung solcher und anderer Fachartikel wie in diesem „Begleitbuch zur Ausstellung“ ist, so spürbar ist auch ein Unbehagen darüber, dass uns hier etwas vorenthalten wird, dem kein Raum in der Auseinandersetzung gegeben wird. Denn zuweilen hat man beim Lesen dieser Beiträge den Eindruck, dass überhaupt keine geschlechtsspezifischen Beschreibungen mehr zulässig sind, da fast jede Interpretation archäologisch nicht abgesichert sei (man wartet vielmehr auf weitere Ausgrabungen – die die Sicherheit dann auch nicht bringen können.)

In dem unglücklich gewählten Titel „Ich Mann. Du Frau.“ zeigt sich auch hier, dass es anscheinend schwer ist, Frauen als handelnde Subjekte von Geschichte zu denken: sie werden schon in der Überschrift mit einer Unterordnung angesprochen, die ihren Widerstand hervorrufen muss, auch wenn sie daran gewöhnt sind. Durch das Fragezeichen hinter „Feste Rollen seit Urzeiten?“ wird das Unbehagen nicht aufgehoben, da dort nur Rollen angesprochen sind. Eine Umkehrung Du Mann – Ich Frau würde zwar die Ich-Aussage und Eigenständigkeit der Frauen betonen, würde jedoch das im Patriarchat so geläufige Denken in Gegensätzen aufrecht erhalten. Die notwendige Diskussion über von Herrschaft unbelastete Gesellschaftsformen und Deutungsmöglichkeiten wäre dadurch noch nicht eröffnet. Dass hier nicht jenseits solcher Polarisierungen gedacht werden kann, zeigt sich z.B. im Beitrag von Helmut Schlichtherle, der glaubt, sich von anderen Deutungen abheben zu müssen (Zitat a.a.O. S. 134): „Auch die plausible Annahme, dass es im 4. Jahrtausend v.Chr. gesellschaftstragende, frauenzentrierte Kulte gab ….bedeutet nicht zwangsläufig, dass die gesellschaftliche, politische und religiöse Macht – wie für Matriarchate postuliert – ausschließlich in der Hand der Frauen gelegen haben muss“. Aus welchen antiquierten Quellen speist sich hier das „Wissen“ darüber, was Forscherinnen und Forscher mit anderen methodischen Ansätzen über Kulturen herausgefunden haben, für die das Kürzel „Matriarchate“ gewählt wird?

Stefanie Kölbl ist da in ihrem Beitrag „Alles nur Frauen? Menschendarstellungen in der Altsteinzeit“ vorsichtiger (Zitat S. 96): „Möglicherweise wurde in den beiden Geschlechtern kein Gegensatz, sondern eine Einheit gesehen. Dies könnte einen wichtigen Hinweis auf die Wahrnehmung und kulturelle Bedeutung des biologischen Geschlechts sowie auf das Verhältnis von Mann und Frau in der Jüngeren Altsteinzeit geben“. Trotzdem greift sie zu kurz, wenn sie einige Zeilen weiter schreibt: „Es ist sehr schwierig, sich den Männer- und Frauendarstellungen der Altsteinzeit völlig unvoreingenommen, ohne den Rucksack der modernen Geschlechterdiskussion zu nähern.“ Unser ‚Rucksack’ ist nur zu geringen Teilen die endlich in Gang gekommene ‚Geschlechterdiskussion’, sondern die seit Jahrtausenden (Streitfrage: wie vielen?) bestehende Infiltration mit Vorstellungen, die die Ausübung von Herrschaft bzw. Gewalt (nicht nur über Frauen) als kulturbegründenden und kulturtragenden Faktor propagieren.

‚Wissenschaft’ ist heute längst nicht mehr der ‚unvoreingenommene’ Blick, den angeblich objektive Experten auf einen Gegenstand werfen, um ihn dann anderen als Tatsache zu präsentieren. Die Geisteswissenschaften haben Methoden und Verfahren zur Verfügung gestellt, die es ermöglichen, den subjektiven, von der eigenen Welterfahrung geprägten Standort der ForscherInnen als notwendigen Faktor in die Untersuchungen und Schlußfolgerungen einzubeziehen. Diese Vorgehensweise könnte auch in der Archäologie zu tragfähigen Hypothesen und Resultaten führen, vor allem, wenn es um mögliche Interpretationen der archäologisch aufgedeckten Details geht. Die WissenschaftlerInnen in diesem Band scheinen einem Wissenschaftsbegriff anzugehören (der auch seine unbezweifelbaren Verdienste hatte und hat), in dem nicht die eigene Position reflektiert und in Fragestellung, Untersuchungsgegenstand und Interpretation einbezogen werden soll. Das Fehlen einer persönlichen Stellungnahme und der Diskussion der eigenen Haltung und Weltsicht der ForscherInnen, auch ihrer Position als Mann oder Frau im heutigen Wissenschaftsbetrieb, könnte der Grund dafür sein, dass einige der in den Beiträgen vorgeschlagenen Deutungsmöglichkeiten beliebig und spekulativ wirken.

Forschungsansätze, die die Subjektivität des eigenen Blicks in ihren Erkenntnisweg auch zur Geschlechterfrage in der Urgeschichte einbeziehen, sind daher in diesem Begleitheft nicht vorhanden. Da sie auch nicht diskutiert werden, liegt der Verdacht nahe, dass es einigen VerfasserInnen vor allem darauf ankommt, – bei aller wissenschaftlichen Ehrbarkeit – nichts über Frauen in der Urgeschichte zu sagen, das nicht von den maßgeblichen Größen ihres Faches akzeptiert werden könnte. Eine erfreuliche Ausnahme ist da Sibylle Kästner, die ihrer Sache sicher ist (a.a.O S. 192): „Bislang war die Erzählung einseitig auf Männer ausgerichtet und von der Vorstellung geprägt, dass Geschlechterrollen ahistorisch und statisch seien. Inzwischen liegt genug Datenmaterial vor, mit dessen Hilfe die Erzählung nicht nur umgeschrieben werden kann, sondern umgeschrieben werden muss – und zwar so umgeschrieben werden muss, dass neben Frauen und Kindern auch alte Menschen als Akteure sichtbar werden.“

Mein Interesse an der Geschlechterfrage in der Urgeschichte liegt jedenfalls darin, dass sich die jeweiligen Vorannahmen und Ausgangspunkte für Forschung gegenseitig ernst nehmen, dass sie sich – statt sich gegenseitig zu diffamieren – auf Augenhöhe begegnen und dann in einen Dialog eintreten. Die jeweils von der anderen Seite kommenden Anregungen könnten der eigenen Seite, der Geschlechtergeschichte und unser aller Urgeschichte (weitere) wertvolle Impulse und Erkenntnisse liefern.

Brigitte Röder (Hrsg): Ich Mann. Du Frau.

Feste Rollen seit Urzeiten? Rombach Verlag KG, Freiburg i.Br., 1. Aufl. 2014, 240 Seiten, 19,80

EUROISBN 978-3-7930-5114-5

Link zu einem weiteren Text über die Freiburger Ausstellung auf bzw-weiterdenken

Autorin: Gera Kessler
Redakteurin: Dorothee Markert
Eingestellt am: 24.06.2015
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