beziehungsweise – weiterdenken

Forum für Philosophie und Politik

Rubrik unterwegs

Auf dem Zündfunk-Netzkongress – der Republica des Südens

Von Cornelia Roth

Foto: Cornelia Roth

Foto: Cornelia Roth

Am 9. und 10. Oktober 2015 fand zum dritten Mal der Zündfunk-Netzkongress des Bayrischen Rundfunks im Münchner Volkstheater statt. Eine „Republica des Südens“ oder eine „Weisswurst-Republica“ hieß es später im Netz über die über vierzig Vorträge und Diskussionen – in Bezugnahme auf die jährliche Republica in Berlin, die größte Netzkonferenz Deutschlands.

Ein Flair von Selbstbestimmung, Teilen, Transparenz und Nichtanpassung begleitete das Programm der Konferenz. Eine ganze Reihe von Veranstaltungen auf der großen Bühne beschäftigten sich damit, wie sich die unbegrenzten Möglichkeiten des Netzes für Bürgerbewegungen von unten, für Flüchtlinge, für Aspekte guten Lebens einsetzen lassen.

Zunächst aber ging es um die Hindernisse:

Nach einer Schilderung des absurden, skurrilen und zugleich gefährlichen Vorgehens des Verfassungsschutzes gegen die Plattform netzpolitik.org, über das durch breite öffentliche Empörung der Präsident des Verfassungsschutzes fiel, ging es dann um das Wirken der Geheimdienste im Netz – um ihre Kontrolle und um den Datenschutz gegenüber den großen Internetkonzernen. Diese Veranstaltung war unbefriedigend, da der Einfluss der einzelnen Menschen nicht vorzukommen schien (außer durch hacken, was aber hier nicht thematisiert wurde). Die ehemalige Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger erzählte von der Schwäche des Geheimdienstkontrollausschusses, von dem neuen – positiven – EU-Gerichtsurteil, das den großen Internetkonzernen europäische Datenschutzstandards abverlangt, von der Dringlichkeit eines Whistleblowerschutzgesetzes. Ist es die Unlust, sich als Einzelne und Einzelner überhaupt die Mühe mit diesen Themen machen? Oder liegt es daran, dass die Gefahr des Datensammelns zu abstrakt ist, die Folgen jetzt nicht – noch nicht? erst im Falle autoritärer Bestrebungen? oder reicht schon ein Marktmonopol? – spürbar sind? Auch TTIP war ja erstmal ein trockener, obendrein geheimer Vertragsentwurf – und jetzt haben viele Menschen recht praktische Vorstellungen von den Folgen.

Dann aber ging es um das Teilen im Netz, durch das Netz: „Warum laufen Flüchtlinge im Dunkeln mit Handys hoch in der Luft im Wald herum?“ – „Weil sie keinen Netzempfang haben“. Daniel Domscheit-Berg, ehemaliger Sprecher von WikiLeaks, baut mit anderen NetzaktivitstInnen an einem flächendeckenden Netz für Flüchtlingsunterkünfte in Deutschland, einer Lebensnotwendigkeit für Flüchtlinge, wie sollen sie sonst den Kontakt zu den Zurückgebliebenen halten? Etwas, was in Zukunft als Selbstverständlichkeit gleich mitgeplant werden muss. Später auf dem Kongress war zu erfahren, wie unabdingbar ein Smartphone und eine Netzverbindung für die Flucht ist, vor allem wenn man nicht viel Geld hat.

Das Teilen als digitale Selbstermächtigung gegenüber denen, die auf Besitzrechte pochen: Dazu sprach der Schwede Peter Sunde, der die Blogspendenmöglichkeit flattr gründete wie auch die Tauschbörse The Pirate Bays, wegen der er auch einige Zeit im Gefängnis landete. Interessant war mir, wie er von „Narrativen“ sprach: neue Geschichten erzählen, zum Beispiel über das Netz als einem öffentlichen Ort, der allen ohne Besitzrechten gehört – und dann handelt man auch gleich so… Er sprach auch von der Angst vor technischer Weiterentwicklung, von der letztlich auch ihre Gegner immer profitiert hätten. Nun ja, dachte ich, und parallel Maßstäbe erarbeiten, wohin die Weiterentwicklung laufen soll und wohin nicht – im Sinne der Gemeinwohlökonomie. Ohne das ist es Blindflug.

Technische Weiterentwicklung: Die Netzaktivistin Anke Domscheit-Berg sprach zum 3D-Druck als dritter industrieller Revolution, und dieser Vortrag hat mich am meisten fasziniert. 3D-Druck bedeutet: Ich habe eine Idee oder einen Bedarf nach einem bestimmten Gegenstand, ich setze die Idee in eine Programmierung um, wähle das gewünschte Material und füttere mit beidem einen 3D-Drucker. Ich bekomme diesen Gegenstand ausgeführt in einem einzigen Bewegungsprozess des Druckers, möglicherweise ohne etwas auszuschneiden oder anzufügen. Dies hat weitreichende Folgen: Es ist idealerweise nur ein Arbeitsvorgang, es entsteht kein Abfall, jede gewünschte Variante ist sofort herstellbar. Anke Domscheit-Berg zeigte Fotos von Prothesen für Minenopfer, die auf einfachste Weise ganz individuell auf den Bedarf hin ausgedruckt werden. Autos, die bis auf den Motor wie aus einem Guss gedruckt werden mit allem drum und dran. Ein zweistöckiges Haus in Shanghai, das aus Bauschutt im 3D-Druck hergestellt wurde. Eine Tasche, die zusammengefaltet gedruckt wird mit drei zusammengefalteten kleinen Taschen darin… Es ist erst der Beginn. 3D-Druck erleichtert vieles und verändert zugleich vieles. Es ist klar, dass dies auch den Verlust vieler Arbeitsplätze bedeuten wird. Nicht ohne Grund sprach Anke vom bedingungslosen Grundeinkommen. Und dann steht angesichts dieser Möglichkeiten erneut die Frage danach, wem diese Produktionsmöglichkeiten zur Verfügung stehen und was damit gemacht wird.

Und noch ein wichtiger Punkt: Der Umgangston im Internet, die Gesprächskultur – um das Thema vornehm auszudrücken. Es ist nämlich nach wie vor ein ungelöstes Problem, dass sich bestimmte Menschen darauf spezialisieren, im Internet Hasstiraden einschließlich Gewalt- und Morddrohungen auf die loszulassen, die gerade nicht ihrer Meinung sind und sich öffentlich äußern, insbesondere geht es gegen Frauen, gegen people of colour, geht es um Sexismus und Rassismus. Dem widmete sich die Veranstaltung „Hass oder Inspiration?“, auf der die drei bekannten Bloggerinnen Anke Domscheit-Berg, Kübra Gümüsay und Anne Wizorek sprachen. Sie berichteten über ins Mark gehende Angriffe, über die Möglichkeiten, sich zu schützen und ermutigten die Zuhörerinnen, sich ja nicht aus dem Netz vertreiben zu lassen, sondern zu bloggen! Ein genauerer Bericht über diese Veranstaltung hier und auf www.frauenstudien-muenchen.de.

Linus Neumann, Mitglied des Computer Chaos Clubs beschäftigte sich ebenfalls mit diesem Thema und stellte Praktiken vor, bei denen versucht wird, den Schreibern der Hasstiraden vor allem so zu begegnen, dass sie sich selbst lächerlich machen. Eine interessante Möglichkeit bieten Catcha-Server, die anhand der Wortwahl Hass-Kommentare identifizieren und für LeserInnen unsichtbar machen, ohne dass die Hass-Schreiber dies bemerken können: Sie bekommen einfach keinerlei Resonanz mehr.

Spannende Aktionen wurden auf dem Kongress vorgestellt, wo sich das Leben online verschränkt mit dem Leben offline: Die Aktionen des Künstlerkollektivs Peng aus Berlin, die eine fiktiv-reale Aussteigeraktion für GeheimdienstmitabeiterInnen gestartet haben (samt einer Drohne, die über BND- oder Verfassungsschutzquartier Flugblätter abwarf…).

Dann die Koordination der ehrenamtlichen FlüchtlingshelferInnen in München über Facebook, von einem BR-Journalisten und einem Immobilienmakler, die spontan zu Aktivisten wurden, in einem Bus der Verkehrsbetriebe in Gang gebracht.

Es waren viele Frauen und viele Männer auf diesem Kongress, gefühlt im Gleichgewicht. Und ähnlich stellte es sich bei der Moderation der Veranstaltungen dar. Weniger bei den Referentinnen und Referenten, wo Frauen höchstens ein Drittel der Veranstaltungen bestritten. Dafür aber so einige Veranstaltungen mit viel inhaltlichem Gewinn – was mir Spaß gemacht hat.

Autorin: Cornelia Roth
Redakteurin: Antje Schrupp
Eingestellt am: 29.10.2015
Tags: ,

Kommentare zu diesem Beitrag

  • Elfriede Harth sagt:

    Wie schön, den Morgen mit einem Bericht zu beginnen, der die Zukunft als voller guter Möglichkeiten sieht, nicht nur als düstere Landschaft. Wie schön zu sehen, dass Zusammenarbeit wieder Möglichkeiten eines Gemeinwohls schafft!

Weiterdenken