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Singles, Co-Eltern und andere Familien

Von Silke Kirch

41KA7rHreBL._SX303_BO1,204,203,200_Es ist ein Thema, das polarisiert: Nach der Erkundung seines Lebens als alleinerziehender Vater mit seinem Buch „Fritzi und ich. Die Angst eines Vaters, keine gute Mutter zu sein“, legt Jochen König nun ein zweites Buch vor, in dem es – so der Untertitel – um „Singles, Co-Eltern und andere Familien“ geht.

Seine eigene Familie ist mittlerweile gewachsen; vielmehr: Der Autor hat sie erweitert. Denn Familienplanung ist für Jochen König ein ganz bewusster Prozess, der sich vor allem dadurch auszeichnet, Verantwortung übernehmen zu wollen, Verbindlichkeiten einzugehen, Fürsorge und Anteilnahme zu leisten. Jochen König hatte Lust, nicht nur Vater eines Kindes zu sein. Nun hat er ein zweites Kind, zusammen mit einer Frau, die in einer lesbischen Beziehung lebt. Für dieses Kind ist er nicht nur Samenspender, sondern Vater, der sich die Fürsorge mit den beiden Müttern teilt, ohne mit diesen zusammenzuleben.

Vielen Besprechungen von Jochen Königs neuem Buch reichen diese wenigen Informationen aus, um eine ganze Armada von Vorurteilen auf den Plan zu rufen: „Ein Kind braucht Mutter und Vater.“ „Ein Kind, ohne Liebe gezeugt, wie soll denn das gehen?“ „Kinder brauchen Werte. Kinder brauchen Sicherheit. Wo kommen wir denn da hin?“

Nun hat Jochen König allerdings nicht nur ein wenig den Vorhang zu seinem Privatleben gelüftet, um eine Angriffsfläche zu bieten, sondern er hat ein ganzes Buch geschrieben zum Thema Familie, und es ist ein ebenso kluges wie wunderbar unaufgeregtes Buch. Es gibt Auskunft darüber, dass wir längst in einer Entwicklung stehen, in der die traditionelle Familie – Vater, Mutter, Kind – nicht mehr das einzige Familienmodell ist, in manchen Städten sogar nicht einmal mehr das dominante Modell.  Lebenspartnerschaften ohne Trauschein, Ein-Eltern-Familien, Regenbogenfamilien, Patchworkfamilien, Adoptiveltern, Co-Eltern – sie alle gibt es, und es werden immer mehr.  Für viele von ihnen aber wird der wohltuende Standpunkt des erklärten Feministen Jochen König, der jede Form von Familie als vollwertig erachtet, eher ein Unikum sein, denn all die genannten Formen von Familie gelten nicht wenigen immer noch als Randgruppen und werden entsprechend diskriminiert.

Jochen König hält nun keineswegs ein Plädoyer für das eine oder das andere Modell, er befürwortet die Vielfalt, und es gefällt mir, dass er hierbei nicht polarisiert. Er hat Eltern-/Väter-/Mütter-Blogs gesichtet, Gespräche geführt, recherchiert. Sein unaufgeregtes Fazit: Wir können nicht davon ausgehen, dass die traditionelle Kleinfamilie für Kinder die einzig wahre, beglückende Form des Heranwachsens ist. Historisch betrachtet ist die Familie – und zwar bis in die nicht allzu ferne Vergangenheit hinein – sogar ein Ort der legitimierten Gewaltausübung der Eltern gegenüber den Kindern und des Mannes gegenüber der Frau gewesen. Warum, so die einnehmend einfache Frage des Autors, setzen Familienpolitik und Gesetzgeber die traditionelle Familie absolut, wenn es um das Kindeswohl geht? Eine unmittelbare Beteiligung an der Zeugung des Kindes ist bei Weitem keine Garantie für eine liebevolle Behandlung des Kindes oder existenzielle Fürsorgeleistungen, was im Hinblick auf die Abwesenheit vieler Väter unmittelbar deutlich wird.

Darüber hinaus bietet eine Ehe oder Liebesbeziehung nicht mehr Sicherheit als andere Beziehungen. Ganz im Gegenteil: Die Verantwortung für ein oder mehrere Kinder zu tragen führt – wie weithin bekannt sein dürfte – häufig zum Scheitern der Liebes- und Paarbeziehung. Warum also nicht diese Dinge auseinanderhalten und auf mehrere Schultern verteilen? So betrachtet können neue Formen der Familie der Vereinsamung und Überlastung Einzelner produktiv entgegenwirken. Das ist heilsam für Alt und Jung.

Für den familiären Alltag und das Kindeswohl, so resümiert der Autor, seien die Aufgabenverteilung zwischen den Eltern, die Berufe der Eltern sowie das soziale Umfeld sehr viel bedeutsamer als das Geschlecht, die Intimbeziehung oder die sexuelle Orientierung der Eltern. Was zählt, sind Verantwortung, Fürsorge, Verbundenheit und Liebe, und die Liebe kann viele Gesichter haben. Mehrere verschiedene Bezugspersonen, die eine gute Beziehung zum Kind unterhalten und anbieten, können auch ohne näheres Verwandtschaftsverhältnis oder Trauschein ein stabiles, tragendes Umfeld bilden. Allein darauf kommt es an.

Ich habe Jochen Königs Buch nach den vielen, eher skeptisch beäugten Väterbüchern zum Thema „Meine Elternzeit“ (die viele Väter meist binnen eines Jahres ebenso frisch gebügelt verlassen, wie sie sie betreten haben) förmlich aufgesogen. Es freut mich, darin viele Gedanken umgesetzt zu finden, die ich mir als „alleinerziehende“ Mutter gemacht habe, etwa, dass Freunde, die keine Kinder haben, möglicherweise gerne verbindlich am Familienleben teilnehmen, sodass beide Seiten davon profitieren und dass diese Horizonterweiterung den heranwachsenden Kindern sehr gut tut. Jochen König sagt dies zwar nicht ausdrücklich, aber es liegt in meinen Augen auf der Hand, dass eine Öffnung der Kleinfamilie, eine Erweiterung der Bindungen und Beziehungen, den Blick auf das heranwachsende Kind als Individuum befreit. Denn ein Kind, das nicht nur auf Mutter oder Vater als enge Bezugspersonen angewiesen ist, lernt früher, seine Beziehungen selbständig einzugehen. Für mich als Mutter hat das immer bedeutet, schon sehr früh zu sehen, dass meine Kinder Menschen mit einer je ganz eigenen Geschichte sind, von der die gemeinsame Geschichte mit mir ein Teil ist. Für mich war das befreiend, auch deshalb, weil ich den Eindruck hatte, dass ich meine Kinder aus dieser Perspektive heraus  im Falle von Konflikten sehr viel besser unterstützen konnte. Diese Freisetzung des Individuums aus der traditionellen Familie mag manchen zu radikal und zu früh erscheinen. In meinen Augen jedoch kann Entwicklung immer nur so gut sein wie das Umfeld, das sie trägt – das ist unabhängig von der Familienform und nur abhängig von der Beziehungsqualität, für die wir als erwachsene Menschen die Verantwortung haben. Diesen Blickwinkel finde ich sehr überzeugend.

Jochen König schreibt unaufdringlich von der Lebenswirklichkeit unserer Kinder. E gelingt es ihm, die traditionellen Vorstellungen von Familie und die damit verbundenen Ideale zu hinterfragen, ohne tiefe Gräben zu graben, ohne Standpunkte zu zementieren oder sich in Positionsstreitigkeiten zu verwickeln. Ich finde, von dieser Haltung können auch Feministinnen gelegentlich profitieren. Er beobachtet klarsichtig, berichtet einfühlsam und stellt einfache Fragen. Diese Fragen umkreisen das Kind als Geschöpf, das unsere liebende Aufmerksamkeit und fürsorgliche Anteilnahme braucht. Sie umkreisen aber auch die ganz rudimentäre Frage, was wir überhaupt brauchen, um ein zufriedenes Leben zu führen. Gute Beziehungen, für die wir einstehen und uns einsetzen, spielen dabei eine große Rolle. Dieses Buch lenkt den Blick auf das menschliche Maß, das in den Diskursen über Familie, Vereinbarkeitsleistungen und Elternschaft häufig verloren gegangen ist.  Es macht aus Statusfragen Aufmerksamkeit für zwischenmenschlichen Anteilnahme und Verbundenheit. Es ermuntert dazu, nicht das Leben zu ändern, aber das Ändern zu leben. Es öffnet den Blick für den Reichtum der Beziehungen, in denen wir leben oder leben könnten. Das hat mich besonders angesprochen.

Jochen König: Mama, Papa, Kind. Von Singles, Co-Eltern und anderen Familien. Herder 2015, 16,99 Euro.

 

Autorin: Silke Kirch
Redakteurin: Antje Schrupp
Eingestellt am: 20.10.2015
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