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Islamisches Frauenbild und Sexismuskritik – Autoritätsanalyse statt Wertediskurs

Von Andrea Günter

Foto: Achim-Lueckemeyer_pixelio.de

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Als Reaktion auf die Übergriffe am Kölner Hauptbahnhof wird wieder einmal verstärkt das Gewalt repräsentierende Frauenbild des Islam diskutiert, wie es sich aus hierarchisierenden Geschlechteraussagen des Korans herauslesen lässt, zum Beispiel „Die Männer stehen über ihnen.“ Die Bedeutung des islamischen Frauenbildes wird zugleich sehr unterschiedlich eingeschätzt. Der wesentliche Unterschied liegt darin, ob das Frauenbild als Ursache für das Verhalten gegenüber Frauen verstanden wird oder aber als Symptom für etwas anderes. Diesen Unterschied festzuhalten, ihn zu entwickeln, kann neue Perspektiven für einen gerechteren Umgang im Geschlechterverhältnis eröffnen.

Warum kann ein Frauenbild nicht die Ursache von Verhaltensweisen gegenüber Frauen sein und warum kann es diese Verhaltensweisen nicht erklären?

Erstens: Bilder erzeugen grundsätzlich keine Determinismen. Wenn uns die Werbung alltäglich die neusten Großraumlimousinen oder Sportwagenmodelle vor Augen führt, lässt sich daraus nicht ableiten, dass alle eine solche fahren oder gar kaufen wollen, selbst dann nicht, wenn ein Modell gefällt. Im Gegenteil, wir wägen ab. Kann ich mir ein solches Auto leisten? Sogar Menschen, die die finanziellen Mittel dafür haben, überlegen sich aus den unterschiedlichsten Gründen bis hin zu ökologischen Erwägungen, ob sie ein solches tatsächlich haben wollen. Was nicht heißt, dass andere, die die nötigen Mittel nicht haben, sich nicht dafür verschulden können.
Aufgrund ihrer besonderen Weise, Realität nicht unmittelbar zu organisieren, zählen Bildnisse, seien es Gedankenbilder, seien es Gemälde, richtigerweise zum Bereich der Literatur und Kunst.

Zweitens: Kein Frauenbild einer Religion oder Kultur gilt absolut, ist monolithisch oder eindeutig. DAS Frauenbild des Islam gibt es ebenso wenig wie DAS des Christentums. In jeder Religion und in jeder Kultur lassen sich widersprüchliche Bilder, Ideale, Rollenerwartungen an Frauen finden. Häufig wird ein einzelnes solches Bild bereichsbezogen vereindeutigt. Etwa wird Frauen Selbstverantwortung abgesprochen, zugleich wird erwartet, dass sie den Haushalt selbstverantwortlich führen. Selbstverantwortung ist damit für eine Frau vorgesehen und nicht vorgesehen, sie kann bereichsbezogen ausgespielt werden.
Die Moral ist zweigeschlechtlich wie der Mensch, hat Frigga Haug von vielen Jahren diese Dynamik auf den Punkt gebracht. Ihre These besagt, dass für beide Geschlechter die gleichen Werte gelten, allerdings gelten sie für unterschiedliche Bereiche. Deshalb davon zu sprechen, dass wir im Westen unsere Werte durchsetzen müssen, ist aus feministischer Perspektive unzureichend, worauf noch ausführlicher eingegangen werden muss.
Die Zweigeschlechtlichkeit der Moral nun bringt es mit sich, dass Frauenbilder sich gezielt einsetzen lassen, einmal um Frauen zu lähmen, dann aber auch, um Leerstellen auszunutzen, Brüche voranzutreiben usw.

Drittens: Frauenbilder stellen also nicht einfach Inhalte dar, sie sind eine spezifische Weise des Realitätsbezugs und der Weltgestaltung. Sie gehen mit Formen und Praktiken einher, die die Leben der Geschlechter organisieren helfen sollen, indem sie bewerten, dabei ermutigen oder aber beschränken können.

Viertens: Als ein weiterer Aspekt ist zu beachten, dass Frauenbilder nicht einfach Frauen-, sondern immer auch Geschlechterbilder, also auch Männerbilder sind. Dass „die Männer immer über ihnen stehen“, ist mehr ein Männerbild als ein Frauenbild, wird aber als Frauenbild thematisiert, weil es gewohnter ist, von Frauenbildern als Männerbildern zu sprechen.

Die Ursache der Wirkung von Frauenbildern liegt also jenseits von ihrem Bildinhalt. Deutlich wird das etwa in der Aussage der Türkin Hülya Yilmaz, die berichtet, dass in ihrem südtürkischen Umfeld die Koranaussagen über Frauen gar nicht bekannt seien, sondern uralte eingespielte Geschlechterpraktiken die Geschlechterverhältnisse steuern. Die Männer seien einfach gewohnt, recht zu haben und bedient zu werden.

Dennoch, Frauenbilder wirken. Diese Wirkungen sind aber weniger in dem Bild selbst zu suchen. Bilder sind nicht als Ursache zu sehen, sondern vielmehr als ein Symptom für Praktiken und Gewohnheiten zu behandeln. Ein Frauenbild ist sozusagen immer eine Satire in seiner Beziehung zur Geschlechterrealität wie übrigens jedes Bild von einer Religion auch; für Letzteres gilt dies auch, wenn es nicht explizit blasphemisch ausgearbeitet ist. Drängt sich da nicht die These auf, dass üble Frauenbilder dazu dienen könnten, die Schönfärbereien der Bilder über Religionen zu kompensieren? Je schlimmer die Frauenbilder, desto idealisierter ist nicht bloß der Mann, sondern mit ihm seine Religion? Und wenn die Bilder von Religionen kritisch sein dürfen, fallen dann die Frauenbilder umso frauenfreundlicher aus und erweisen sich Religionen als veränderungsfähig? Auf diese Weise können Wechselwirkungen zwischen Bildern und Praktiken gesichtet werden.

Was heißt es, entlang von Frauenbildern die Praktiken von gesellschaftlichen Verhältnissen zu untersuchen?

Für welche Gewohnheiten und Praktiken nun stehen frauenfeindliche, frauenunterdrückende, frauenverachtende Frauenbilder? In der Regel laden sie zu Bevormundung, Unterdrückung oder sogar Versklavung ein. Indem sie Männern erlauben, Frauen Anweisungen zu geben, sie die Selbstbestimmung der Frauen reglementieren, bilden sie eine politische Kultur ab. In dem beschriebenen Falle handelt es sich um eine Tyrannei. Das geht damit einher, die Tradition absolut zu setzen und Veränderungswünsche zu verdammen. Jegliche Veränderungsinitiativen werden niedergeschlagen, denn dafür müsste mann die eigene Position relativieren. Auf diese Weise ist die politische Struktur der Tyrannei mit autoritären Strukturen verbunden. Willkür ist Tür und Tor geöffnet. Gewalt als Mittel zur Durchsetzung des Willens von Einem oder von Wenigen ist die Konsequenz. So ist es auch kein Zufall, dass arabische Länder sich als besonders fortschrittsresistent erweisen und dies mit ihrem Umgang mit Frauen zu tun hat, wie das Genfer Weltwirtschaftsforum herausgearbeitet hat.

Beachtet man die politische Kultur, in die Geschlechterverhältnisse eingebettet sind, wird die Bedeutung einer Religion, welche Bilder auch immer sie erzeugt, zweitrangig. Auch in Bezug auf die Wirkweise einer Religion gilt, in welcher politischen Kultur sie praktiziert wird. So gibt es Kontexte, in denen eine Religion eine widerständige politische Größe innerhalb eines autoritär oder totalitär organisierten politischen Gebildes sein kann. Dann können sich autoritäre Züge einer Religion und eines politischen Gefüges gegenseitig bedingen, stärken und hochspielen, wie es beispielsweise in Saudi Arabien der Fall ist. So können autoritäre Strukturen als Norm und Notwendigkeit erscheinen. Oder aber nicht-autoritäre und nicht-totalitäre politische Gebilde stehen dafür ein, die Wirksamkeit totalitärer religiöser Systeme einzudämmen. Ein Islam, ein Christentum in einer demokratischen politischen Kultur ist ein anderer als ein Islam, ein Christentum in einer totalitären politischen Kultur. DEN Islam, DAS Christentum im Sinne einer Religion ohne politischen Kontext gibt es nicht.

Ein Frauenbild einfach einer Religion zuzuschreiben, führt dazu, einen Deckmantel über das politische System zu legen, in dem Geschlechtervorstellungen ihre Wirkung entfalten. Über die totalitären politischen Gebilde als Bedingungen von unterdrückenden Geschlechterverhältnissen muss nicht gesprochen werden, wenn der Religion die Schuld zugeschrieben werden kann. Weltpolitisch ist es für den Westen einfacher, eine Religion zu kritisieren. Die Staatsgebilde ins Zentrum der nötigen Kritik an autoritären und totalitären politischen Gefügen zu stellen, bringt äußerst komplizierte und verstrickte Beziehungen zwischen demokratischen und totalitären Gesellschaften zum Vorschein. Die Geschichte des Westens ist voll von solchen Verstrickungen. Wie können demokratische Nationen autoritären und totalitären gegenübertreten? Hier müssen neue Ideen entwickelt werden.

Autoritätskulturen und Geschlechterverhältnisse

Das Phänomen der Autorität beruht darauf, in Form von Bindungen Veränderungen zu gestalten. Nicht zufällig wird die Autoritätsbeziehung häufig über die Generationenbeziehung von Älteren und Jüngeren thematisiert. Die Älteren (und mit ihnen die Tradition) als Personifikation von Autorität zu verstehen, führt allerdings dazu, offensichtliche oder nötige Veränderungen zu unterbinden. Auf diese Weise entstehen autoritäre Verhältnisse bzw. werden sie gestärkt. Durch Personifikation und Vergegenständlichung („der Repräsentant einer Lehre hat Autorität“) wird ein Positionsinhaber, ein Repräsentant, eine Tradition, eine Religion, ein Ideal größer gemacht als es ist, während die anderen kleiner gemacht werden, als sie sind.

Diejenigen wiederum, die etwas Bestimmtes groß machen wollen, sind häufig bereit, sich kleiner zu machen als sie sind. Sie sind bereit, sich einem Führer unterzuordnen, ihre Mitgefühl und ihre Menschlichkeit aufzugeben, sogar ihr Leben zur Verfügung zu stellen. Auf diese Weise spielen die politische Form der Tyrannei und autoritäres Strukturen zusammen. Auf diese Weise repräsentieren frauenverachtende Frauenbilder tyrannische Gesellschaftssysteme. Und auf diese Weise bestärken solche Frauenbilder autoritäre Strukturen.

Menschen, die ihre Position absolut setzen wollen, Männer, die sich größer machen, indem sie Frauen kleiner machen, agieren mit Willkür. Sie werden letztendlich zu Gewalt greifen, weil auch Willkür nie absolut greift. Wollen sie nicht gewalttätig werden, müssen sie ihre Position relativieren.

Die Wirksamkeit des islamischen Frauenbilds oder andere fundamentalistische Frauenbilder in den Kontext ihrer politischen Kultur zu stellen, führt dazu, den politischen Kontext dieser Bilder genauer in den Blick zu nehmen. Autoritäre, tyrannische Willkürsysteme sind das Umfeld, in dem diese Bilder überhaupt ihre unterdrückende Wirkung entfalten können. Diese Wirkung betrifft mehr als die Geschlechterverhältnisse auf der persönlichen Beziehungsebene von Männern und Frauen, sie betrifft eine Gesamtgesellschaft entlang von Geschlechterverhältnissen und Geschlechterverhältnisse entlang von der politischen Kultur einer Gesellschaft.

Wer aus totalitären, autoritären, tyrannischen und Willkürsystemen zu entkommen versucht, der oder dem gelingt dies nur, wenn die damit einhergehenden Frauenbilder verändert werden. Wer diese nicht verändert, reproduziert die politischen Systeme auf der persönlichen Ebene. Wenn etwa ein Mann auf der Seite des Tyrannen steht, entkommt er der Willkürherrschaft nicht, kann ihr nicht entkommen. Vielmehr stärkt er sie, weil er sie durch sein Verhalten beständig reproduziert. So lässt sich erklären, warum es für Fundamentalisten naheliegt, sich Gewaltsystemen anschließen. Und warum Menschen, die autoritäre Strukturen gewöhnt sind, die Integration in demokratische Kulturen nicht gelingt. Aber auch, warum Menschen, deren Integration nicht gelingt, autoritäre Strukturen reaktivieren – und entsprechende Bilder von Geschlechterverhältnissen reinstallieren.

Allerdings, frauenunterdrückende Frauenbilder müssen eine solche Wirkung nicht automatisch erzeugen. Sie tun das dann nicht, wenn sie als Mittel zur Kritik der Geschlechterverhältnisse eingesetzt werden. Daraus kann ein autoritativer, demokratischer Diskurs entstehen. Dieser folgt der Logik, dass sich keiner kleiner, aber auch keiner größer macht, als er ist, und keinen anderen größer oder kleiner macht als dieser ist. Frauen sind dann so groß wie sie sind, sie sind nicht kleiner, ebenso wenig größer, als sie sind, auch nicht in Form von Frauenidealbildern. (Für Männer gilt natürlich das Gleiche.) Die politische Kultur, die damit einhergeht, ist eine Demokratie, allerdings eine, die nicht der Gleichheit, sondern eine durch Autorität getragene demokratische Kultur.

Was damit gemeint ist? Autorität verdankt sich nicht einer absolut gesetzten Position – der Große – der Kleine –, sondern einer relativen Position: der Kleinere, Schwächere, Jüngere – der Größere, Stärkere, Ältere. Dieses Gefüge kann die Erfahrung einer Differenz erzeugen. Nicht der Große, Starke, Alte, hingegen der Größenunterschied, Stärkeunterschied, Altersunterschied wird bedeutsam. Wird dies getragen von einer Autoritätsambition, muss sich der Umgang mit dieser Differenzerfahrung daran ausrichten, dass beide Seiten ihre (relative) Position relativieren, und zwar so, dass Veränderung möglich wird und etwas Besseres, vielleicht sogar etwas Gerechteres entsteht. In diesem Verarbeitungsprozess sind beide Beteiligten gleichermaßen gefragt, eine Bevormundung würde den Bevormundeten kleiner machen als er ist.

Die Erfahrung von solchen Differenzen zu verarbeiten, ist etwas sehr anderes, als Werte zu vertreten. Es ist Werteordnungen regelrecht übergeordnet. Denn Werteordnungen können autoritär oder aber demokratisch praktiziert werden. Nach der Demonstration von den „eigenen“ Werten zu rufen, birgt deshalb die Gefahr, dem Autoritären Vorschub zu leisten, sich ihm wieder anzunähern, in einen Wettlauf darum einzutreten – die rhetorischen Sprechweisen der Rechten machen dies überdeutlich. Wenn, dann muss zu genau diesem Punkt der Unterschied aufgezeigt werden: Eine demokratische Kultur ist eine autoritative Kultur, was den Umgang gerade auch mit Wertetraditionen betrifft, keine autoritäre. Das heißt, sie folgt einem relativen Umgang mit ihren eigenen Werten und den Werteordnungen von anderen Kulturen. Damit muss sie weder ihre Werte noch die von anderen größer machen, aber auch nicht kleiner machen, als sie sind. Zugleich hat sie einen Maßstab, der aus dem Zusammenhang von Werteordnungen und politischen Systemen erwächst: eine Werteordnung darf einzelne weder größer noch kleiner machen als sie sind, Tut sie das, hat sie ihren moralischen Anspruch verwirkt.

Wie Werteordnungen miteinander ins Spiel kommen, erweist sich als ausschlaggebend: autoritär oder autoritativ. Das impliziert, nicht die eine oder die andere Wertekultur und -tradition retten zu wollen, sondern ein besseres Zusammenleben der Menschen anzustreben. Dies setzt Veränderungsbereitschaft voraus. Das Nadelöhr hierzu aber werden noch auf lange Zeit die Geschlechterverhältnisse bleiben.

 

 

Kommentare zu diesem Beitrag

  • Ursula sagt:

    Danke für diesen differenzierten Beitrag.

  • Silvia sagt:

    Ein sehr guter Beitrag, vielen Dank.

  • Ute Plass sagt:

    “Wie Werteordnungen miteinander ins Spiel kommen, erweist sich als ausschlaggebend: autoritär oder autoritativ. Das impliziert, nicht die eine oder die andere Wertekultur und -tradition retten zu wollen, sondern ein besseres Zusammenleben der Menschen anzustreben. Dies setzt Veränderungsbereitschaft voraus. Das Nadelöhr hierzu aber werden noch auf lange Zeit die Geschlechterverhältnisse bleiben.”

    Stimme diesem Fazit des Beitrages unbedingt zu.

  • Ulrike sagt:

    Liebe Andrea,
    sehr guter Artikel – bei dem Thema ‘Frauenbild’ muss sich unser Geschlecht leider auch an die eigene Nase fassen.
    Beispiel: in den meisten Fällen werden die Söhne und Töchter von der Mutter erzogen. Leider die Jungs oft zu kleinen Paschas und Mädchen zu zukünftigen Hausfrauen. Oder die Beschneidungsrituale in vielen afrikanischen Ländern ist – so meine ich – eine Tradition die von Großmutter zu Mutter zu Tochter gepflegt wird.
    3. Beispiel: wer stoppt die unerträgliche Frauke Petry mit ihren Äußerungen?
    Egal aus welcher Richtung: man versteckt sich mit seiner Unmenschlichkeit hinter Religion / Tradition / Politik, unabhängig vom Geschlecht.

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