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Not made in USA

Von Sandra Divina Laupper

Dies ist ein Text vom März 1996, aus der Nr. 25 der Via Dogana, der Zeitschrift des Mailänder Frauenbuchladens, verfasst von der Redaktion, vorangestellt ist eine Einführung der Übersetzerin.

Anmerkungen der Übersetzerin Sandra Divina Laupper

Schon seit über zehn Jahren gehöre ich zu einer Frauengruppe in Brixen – einer Kleinstadt in Südtirol, Italien, in deren Nähe ich lebe – , die ich 2005 zusammen mit anderen Brixner Frauen gegründet habe, und der wir den Namen „Baubò” gegeben haben. Beim Namen für diese Frauengruppe haben wir uns von einem Hinweis aus dem Buch Il bambino della notte der bekannten Psychologin Silvia Vegetti Finzi inspirieren lassen. Denn „Baubò” ist der Name einer weiblichen mythologischen Gestalt aus dem Geschichten-Zyklus um Demeter und Kore, die mit der  Mutterschaft in Verbindung gebracht wird – und die Mutterschaft war das Thema, das uns in dieser Gruppe, zumindest in den ersten Jahren, am meisten interessiert hat. Nach wie vor lesen wir in Baubò verschiedene Texte von Frauen, die wir aus dem Gesichtspunkt unserer persönlichen Freiheit besprechen.

Bei Baubò sind wir in der Zwischenzeit allerdings „nur” mehr zu viert. Dafür habe ich zusammen mit Barbara Ricci und Sonia Ravanelli, zwei Kolleginnen aus dem nahe gelegenen Bozen, eine Frauengruppe in dieser Stadt gegründet, da ich zwischen 2012 und 2016 in Bozen unterrichtet und mich regelmäßig mit ihnen, die genauso wie ich Lehrerinnen sind, getroffen habe. Diese Frauengruppe haben wir nach jener berühmten italienischen Feministin, die leider schon 1982 im Alter von nur 51 Jahren verstorben ist und die 1974 Sputiamo su Hegel/Wir spucken auf Hegel veröffentlicht hat, „Carla Lonzi” genannt. In dieser Gruppe beschäftigen wir uns hauptsächlich mit der Lektüre von Texten der Philosophie der Differenz (Diotima) bzw. von Carla Lonzi selbst.

Aber auch bei Carla Lonzi sind wir nur zu dritt! Deshalb ist die Idee entstanden, eine politische Praxis zu entwickeln, die uns erlaubt, uns vier Mal das Jahr (zu sechst) zu regelmäßig vorgesehenen Zusammenkünften – einmal in Brixen, zweimal in Bozen, einmal bei einer Bergwanderung in den nahen Dolomiten – zu treffen: alle Frauen von Baubò und alle Frauen von Carla Lonzi. Die Treffen in Bozen bereiten die Frauen von Carla Lonzi vor, das Treffen in Brixen und die Bergwanderung hingegen die Frauen von Baubò. Diese Treffen nennen wir „Marmot’”, was vom ladinischen Wort „marmota” (Ladinisch ist die Sprache der Dolomiten) kommt und „Murmeltier” bedeutet. Denn Murmeltiere spielen in den matriarchal geprägten Sagen der Dolomiten, wie sie Heide Göttner-Abendroth in ihrem Buch Frau Holle – Das Feenvolk der Dolomiten erzählt, eine nicht ganz nebensächliche Rolle – und sind einfach sympathische Tiere, denen wir bei einer unserer Bergwanderungen (auf den Lagazuoi) auch tatsächlich begegnet sind.

Warum erzähle ich das alles? Was hat das mit dem Text Not made in USA aus der Nr. 25 von Via Dogana  zu tun?

Wie gesagt, bei den Marmot’-Treffen handelt es sich um regelmäßig vorgesehene Treffen, die einen gewissen rituellen Charakter haben. Wir lesen zum Beispiel bei jenen beiden Zusammenkünften, die im Frühling vorgesehen sind (eines in Brixen, eines in Bozen), stets einige Texte vor, die wir dann miteinander besprechen. Der Text Not made in USA gehörte bisher – zusammen mit dem Artikel L’epifania della realtà von María-Milagros Rivera Garretas, der auch aus der Nr. 25 von Via Dogana stammt – jedes Mal dazu. Wir haben gemerkt, dass gerade die ritualhafte Wiederholung der Lektüre derselben Texte uns erlaubt hat, bei den Marmot’-Treffen ganz spontan neue Zusammenhänge und Verbindungen zu entdecken und zu vertiefen, die stets mit den Diskursen, die wir in Baubò bzw. in Carla Lonzi voranbringen, zu tun haben.

Deshalb war es an der Zeit, diesen kurzen, aber signifikanten Text endlich ins Deutsche zu übersetzen!

 

Not made in USA

Nehmen wir vorweg, dass das Made in USA eine Marke ist und nicht etwa ein Land oder ein Volk, und dass es Vieles gibt, das ursprünglich aus den USA kommt und das bei uns zu Recht berühmt ist, vom Jazz zur Literatur, zum Kino, zum unabhängigen Journalismus, zu Kate Millett, bis zur Vorliebe für das Einfache, zur Fähigkeit, gegen den Strom zu schwimmen und – warum nicht – zu den Jeans.

So bezieht sich unser Not vor allem auf die Tendenz, das amerikanische Beispiel zu überschätzen und es zum Modell zu erheben. Diese Tendenz führt unter anderem dazu, selbst die amerikanische Wirklichkeit zu entstellen und sie als ärmer an Vielfalt dastehen zu lassen, als sie in Wahrheit wäre. In der Tat gibt es ein Not made in USA auch in den USA – und das ist kein Wortspiel – , da das Made in USA eine Auswahl an „Produkten” für den Export darstellt.

Aber das bedeutet nicht, dass es sich um die besten Produkte handelt. Zum Beispiel sind über den nordamerikanischen Feminismus viele Vorstellungen im Umlauf, die in Büchern verbreitet werden, die sich untereinander allzu sehr ähneln, wohingegen jene Ideen aus dem nordamerikanischen Feminismus, die in den verschiedenen politischen Praktiken lebendig sind, fast gar nicht im Umlauf sind. In jenem Not liegt noch eine weitere Bedeutung: Es erinnert uns daran, dass es auf der Welt viele Formen der Intelligenz, der Kultur, des zivilen Zusammenlebens gibt, die nicht die Marke „Made in USA” tragen.

Warum betonen wir das? Ist es nicht selbstverständlich? Es gibt einen Grund. Seit den 50er Jahren hat sich, wie bekannt, Italien (aus Bequemlichkeit sprechen wir von uns) in vielerlei Hinsicht amerikanisiert, im Guten wie im Schlechten, aber insgesamt war es auf jeden Fall ein lebendiger Prozess, der in mehrfacher Hinsicht vorteilhaft war. Das Problem ist, dass es keinen Austausch gegeben hat und auch immer noch nicht gibt. Die Praxis, die US-Amerikaner nachzuahmen, ist von den Nachgeahmten nämlich nicht dahingehend verstanden worden, dass sie auch eine Einladung zum Austausch war und – warum nicht – als Vorbild dienen sollte. Es scheint so, als ob es in der US-amerikanischen Gesellschaft einen unüberwindbaren Grad an geistiger Beschränktheit gäbe, ja, einen unüberwindbaren Grad an Engstirnigkeit, ein Mangel an Fühlern und Antennen, um die Zivilisation anderer zu verstehen. Genau so, mit diesen Worten, hat es ein Freund und Kenner der Vereinten Staaten, der Schriftsteller Guido Piovene, ausgedrückt.

Nicht einmal der Feminismus hat es bisher geschafft, diese Grenze zu verschieben, wie wir in Peking und Huairou feststellen konnten. Ohne eine andere Form des Austauschs als jene, die durch das Geld vermittelt wird, kommen wir früher oder später zu einer einheitlichen Form des Denkens – ja, zum Einheitlichen Denken schlechthin, das heißt zu einer Denkform, die beliebig sein kann, sofern sie mit der Marktwirtschaft kompatibel ist. Halten wir uns also das „Not made in USA” vor Augen! Um sie auf die Idee zu bringen, um selber nicht zu verarmen.

 

Autorin: Sandra Divina Laupper
Redakteurin: Antje Schrupp
Eingestellt am: 17.09.2016
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Kommentare zu diesem Beitrag

  • Renate Klein sagt:

    Und jetzt sind wir im Oktober 2016: U.S. Wahlkampf, eine bemerkenswert kompetente Frau gegen einen bemerkenswert idiotischen Mann, beide Made in USA. — Die Fähigkeit, sich auszutauschen hat auch etwas mit einer bestimmten Form von Mehrsprachigkeit zu tun. Die USA werden von Süden nach Norden zwar zweisprachiger, durch die neuen Generationen spanisch-sprechender Einwanderer, aber das Lernen von Fremdsprachen liegt im Argen, und diesen Lernen dient so oft (in erster Linie?) dem Austausch: ausländische Literatur und Zeitungen im Original lesen, sich mit Einheimischen ohne Dolmetscher unterhalten können. — Und jetzt noch Grüße an die Mitglieder der alpinen Marmota marmota von den Angehörigen der Marmota monax (z.B. in Maine, und die woodchuck oder groundhog genannt werden). -Renate

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