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Rubrik Blitzlicht

Wie war das mit den Freudensprüngen?

Von Juliane Brumberg

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Foto: jenafoto24-de_pixelio-de

Freudensprünge über das Ende des Patriarchats? Jetzt? Angesichts der Wahlerfolge rechter Gruppierungen in Europa und eines Mannes, der sich mit sexistischen Sprüchen brüstet, in Amerika? Ja, gerade in komplizierten Zeiten sind die Freudensprünge wichtig, wie Luisa Muraro schon vor 20 Jahren sehr schön beschrieben hat. Vor einem Jahr haben wir diesen Text  auf bzw-weiterdenken veröffentlicht. Damals schrieb ich in einem Kommentar, dass ich diesen Artikel so wichtig finde, dass er jedes Jahr einmal veröffentlicht werden sollte – nicht ahnend dass wir ihn in diesem Herbst besonders brauchen.

Ich möchte mit diesem Blitzlicht an den Artikel erinnern und an Luisa Muraros Empfehlung, unsere Zeit nicht mit dem Jammern über die Schlechtigkeit der Welt zu verbringen, sondern die Aufmerksamkeit auf das ersparte Leiden zu lenken, dem unsere Mütter und Großmütter in einer anderen symbolischen Ordnung noch ausgesetzt waren. Sie spricht von einem symbolischen Schutz, den wir unseren weiblichen Körpern geben, wenn wir dem Gedanken,  dass das Patriarchat ist zu Ende ist,  einen angemessenen Platz einräumen.

Ist es also sinnvoll, sich mit dem Lamentieren über die erwarteten Konsequenzen des Wahlausgangs in Amerika aufzuhalten? Im Sinne Luisa Muraros ist es zielführender, dem eigenen Begehren  nachzuspüren und sich um das zu bemühen, was durch mich in die Welt gebracht werden will. Gerade jetzt!

Autorin: Juliane Brumberg
Redakteurin: Juliane Brumberg
Eingestellt am: 01.12.2016
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Kommentare zu diesem Beitrag

  • Gertrud sagt:

    Das tut gut, ja – mit Klagen und Ängstigen ist nichts geholfen, sondern zusammenrücken und erst recht das tun, was durch mich ins Dasein will. Danke!

  • Ursula sagt:

    ich habe gleich innerlich einen Hüpfer getan.Danke, Juliane, für die Erinnerung

  • Esther sagt:

    Eine wichtige Erinnerung an einen wichtigen Text; -danke!

  • Ich danke und ergänze!Fragen einer denkenden Frau

    Der gemachte Mann – wer hat ihn gemacht?
    Der Mächtige – wer hält ihn an der Macht?
    Das Gemächt – wer macht es mächtig?
    (von Iris Welker Sturm)

    Natürlich auch die Frauen!

    (Leider ist fettgedrucktes verschwunden – hoffentlich findet ihr die Ergänzungen!)
    Herbst 2016 Diesen Artikel schrieb LuisaMuraro für die Zeitschrift der Libreria delle donne di Milano(Mailänder Frauenbuchladen) „Via Dogana“ im Herbst 1995
    Wenn irgendein Mann oder irgendeine Frau euch sagt, dies seien schlimme Zeiten, dann achtet darauf, von wem dieser Gedanke kommt. Er könnte von eurer Schwiegermutter kommen, nachdem sie drei Stunden beim Arzt warten musste, von einem Intellektuellen, der vom Weg abgekommen ist und nicht mehr weiß, wo er sich befindet, von einer Freundin, die sich in einem Flüchtlingslager engagiert oder von einem Jugendlichen, der Schwierigkeiten mit der Schule und dem Leben hat … Und dann lasst ihn herein, diesen Gedanken, und widmet ihm die Aufmerksamkeit, die euch dafür angemessen erscheint. Aber lasst ihn nicht den Raum einnehmen, der einem anderen Gedanken zusteht, und zwar folgendem: Dies sind die Zeiten, in denen das Patriarchat zu Ende geht, nach viertausend Jahren Geschichte und vielleicht noch einigen der Vorgeschichte. Es ist vorbei! Es ist vorbei! Es ist vorbei! Möglicherweise ist das nicht genau euer Gedanke, es kann sogar sein, dass es überhaupt nicht euer Gedanke ist. Aber falls ihr ihm einen Platz einräumt, anstatt den tausend Aussagen über unsere Zeiten eine weitere hinzuzufügen, werdet ihr dem weiblichen Körper einen symbolischen Schutz gegeben haben, ohne den es, meiner Befürchtung nach, keine wirksame Schranke gegen den Missbrauch gibt.
    Es ist nicht die Absicht der Via Dogana 23, das Ende des Patriarchats zu diskutieren oder zu beweisen, sondern diesem Gedanken einfach einen Platz einzuräumen. Wenn sich nämlich die Realität verändert, ohne dass wir diese Veränderung wahrgenommen haben, besteht die Gefahr, dass dies nur Verwirrung in den Köpfen zur Folge hat. Es gibt Feministinnen, sehr tüchtige Personen, die vor Verlangen nach Veränderung brennen, die aber nicht merken, dass die Veränderung bereits geschieht. Wie kommt das? Vielleicht ist es zu schnell gegangen, ist eine Antwort, aber die gilt nicht, denn das Patriarchat hat schon vor 200 Jahren angefangen, seinem Ende entgegenzugehen (Jane Austen, Leopardi), oder sogar schon vor 700 Jahren (Wilhelmina von Böhmen). Eine andere Antwort ist, es habe sich vielleicht nicht wirklich etwas verändert, und darauf folgt meistens eine Aufzählung von Benachteiligungen und Unrecht gegen Frauen auf der ganzen Welt, die leider lang und wahr ist. Diese Antwort ist heimtückisch, weil sie nur das Leiden in den Vordergrund stellt und uns dadurch das Bewusstsein für die Realität nimmt, die sich gerade zugunsten des weiblichen Geschlechts verändert. Eine weitere Antwort ist, die erwünschten Veränderungen kämen vielleicht nicht so, wie wir sie erwartet haben, so dass sie gerade von denen, die sie erwartet und vorhergesagt haben, nicht erkannt werden. Doch sie wären nicht gekommen, wenn sie nicht gewünscht und vorhergesagt worden wären, das ist sicher. Wenn euch jemand sagt, alles hänge von der tiefgreifenden Verwandlung des Produktivsystems ab, wisst ihr, dass das nicht wahr ist, weil es noch nie vorkam, dass das Produktivsystem sich selbst und unsere Lebensweise verändert hat ohne das Engagement, in dem Begehren in Handeln und in Worte umgesetzt wurde. Das Ende des Patriarchats hängt zweifellos auch von äußeren materiellen Gegebenheiten ab (Mittel zur Empfängnisverhütung, Arbeitsmarkt usw.), aber zusammen mit inneren materiellen Gegebenheiten (Praxis der Beziehungen unter Frauen, weibliche Liebe zum Nachdenken, weibliche Liebe zur Freiheit usw.) und mit moralischen Gegebenheiten wie dem Mut und der Kreativität derer, die uns den Weg geebnet haben. Seit Jahren, ja sogar seit Jahrhunderten oder Jahrtausenden gab es Frauen, die das Ende der männlichen Kontrolle über den weiblichen gebärfähigen Körper herbeisehnten und folglich in diesem Sinne handelten und sprachen, vom Schreiben und Flugblätter verfassen und kämpfen vom Vertrauen auf Jesus bis zur Psychoanalyse, von Wallfahrten bis zum Italienischen Frauenbund, von der Fabrikarbeit bis zum unermüdlichen Studium, von der Pille bis zur Frauengruppe.
    Aber es waren durch alle Zeiten sehr viele Frauen, die ihre Mösenmacht kultivierten und durch ihre Macht über triebgesteuerte Männer an eigene Macht kamen… Wieso dies so kam, ist detailliert zu untersuchen und sehr interessant und aufschlussreich, aber zu diesem Thema nicht relevant!
    Als gesellschaftlicher Wandel hat das Ende des Patriarchats Zeit und Kraft gekostet …
    (viele Frauen sogar das Leben genommen!) und wird das alles auch weiterhin tun (– jedoch hoffentlich nicht mehr so viel weibliches Leben und Lebensmut!) Also: Lest weiter!!!
    Aber die symbolische Tatsache eines weiblichen Körpers, der nicht mehr für den privaten familiären oder den gesellschaftlichen Gebrauch nach den Entscheidungen von Männern bestimmt ist, habt ihr hier vor euch, in der unzerstörbaren Wahrheit dieser Worte. Es ist geschafft. Es ist zu Ende. Dies ist keine Krise, es ist das Ende. In unserer globalisierten Welt kann ein solches Ereignis nicht nur hier stattfinden und anderswo nicht möglich sein. Die Frauenkonferenz von Kairo 1994 hat das gezeigt und auch die von Peking wird es zeigen, darauf vertraue ich.
    Wenn es euch jedoch so vorkommt, als sei nicht alles oder nicht viel von dem eingetreten, was ihr euch für euch selbst, für eure Töchter oder für eure Geschlechtsgenossinnen gewünscht habt, die schwierigere Leben haben, wenn ihr denkt, dass es noch ungelöste Probleme gibt und viel zu große Dramen, um Freudensprünge zu erlauben, dann wage ich euch nicht zu widersprechen. Ich empfehle euch aber, dem ersparten Leiden Aufmerksamkeit zu schenken. Auf der ganzen Welt war bis vor wenigen Jahrzehnten eine Frau, die unverheiratet schwanger wurde, mehr oder weniger der sozialen Schande ausgesetzt. Heute ist das nicht mehr so, und wo es noch vorkommt, ist es möglich geworden, dass eine Lehrerin, eine Nonne, eine Sozialarbeiterin, eine ältere Schwester … verhindert, dass sich eine solche Barbarei wiederholt, wie sie mich in meiner Jugend mit Horror erfüllt hat. Deshalb ist mir heute nach Freudensprüngen zumute.
    Und wenn irgendjemand von einer Kanzel herunter oder von einem Fernsehschirm aus über die Schlechtigkeit unserer Zeiten jammert oder predigt und sie auf die Krise der Werte, seiner Werte, zurückführt, dann schlage ich euch vor, ihm zu verzeihen, indem ihr an die Angst der Männlichkeit bei ihrem schwierigen Übergang vom Geschlechtsprivileg in eine neue Situation denkt, an der noch alles oder fast alles neu zu entwerfen ist. Doch sicherlich müssen das sonderbare und zwiespältige „Werte“ sein, wenn meine, deine, wenn die weibliche Freiheit sie in eine solche Krise stürzen konnte.
    Das ist normal und sicher und bedenkenswert ist es, dass durch Jahrtausende hindurch der Frei- und Spielraum der unterschiedlichsten Frauen gewaltvoll und gesetzlich massiv eingeschränkt wurde durch die Macht des Patriarchats. So können und müssen wir verstehen, wieso nicht in Jahrzehnten diese langen Einschränkungen rückgängig gemacht werden können. Und je mehr wir verstehen – auch von den Unterschieden der weiblichen Lebensentwürfe – desto besser können wir verzeihen!
    Dies sind die Zeiten, in denen das Patriarchat zu Ende geht, nach viertausend Jahren Geschichte und vielleicht noch einigen der Vorgeschichte. Es ist vorbei! Es ist vorbei! Es ist vorbei! Machen wir also weiter! Töchter, Schwiegersöhne und Enkelkinder – wir sind auf einem guten Weg…

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