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Kinotipp: Frauen des 20. Jahrhunderts

Von Antje Schrupp

Der deutsche Titel „Jahrhundertfrauen“ ist ziemlich bescheuert, aber dieser Film ist sehenswert: In „20th Century Women“ (so heißt der Film im Original) lässt Mike Mills eine Zeit wieder aufleben, in der die Früchte der feministischen Revolution zum Greifen nahe schienen.

Die Geschichte spielt im Jahr 1979, also vor Tschernobyl und vor der so genannten „geistig moralischen Wende“ der 1980er, in denen Reagan, Thatcher, Kohl und Co. an die Macht kamen. Damals konnte man noch die Hoffnung haben, dass die von den 68ern und der Frauenbewegung angestoßenen gesellschaftlichen Veränderungen tatsächlich zu einer besseren, freieren, friedlicheren Welt führen würden.

Die Handlung entspinnt sich rund um den 14-jährigen Jamie (Lucas Jade Zumann), der eine Art Alter Ego des 1966 geborenen Regisseurs und Drehbuchautors ist – offenbar hat der Film teilweise autobiografische Züge. Beim Übergang vom Kindsein ins Erwachsenenalter ist Jamie von interessanten Frauen umgeben: Zunächst mal seine Mutter Dorothea (Annette Benning), alleinerziehende Mittfünfzigerin und eine typische weiße „Mainstream-Emanzipierte-Frau“, tüchtig und pragmatisch, ein bisschen nervig, häufig um sich selbst kreisend, aber bei all dem doch souverän und sympathisch. Dann die Untermieterin Abbie (Greta Gerwig), eine Punkerin in ihren frühen Zwanzigern. Sie ist Fotografin, kämpft mit einer Krebsdiagnose und gibt Jamie feministische Bücher über den weiblichen Orgasmus zu lesen. Und schließlich die 16-jährige Nachbarin Julie (Elle Fanning), mit der Jamie eine lange Kindheitsfreundschaft verbindet, die allerdings nun irgendwie in eine post-pubertär sexualisierte Periode überführt werden muss. Auch ein erwachsener Mann gehört zu der kleinen Gemeinschaft, nämlich William, ein weiterer Untermieter im Haus, ein untypischer Handwerker, der nur bedingt als männliches Vorbild taugt.

Die Geschichte behandelt die klassischen Themen, die mit dem Feminismus auf die Tagesordnung gekommen sind: Fragen weiblicher Autonomie, die Konstruktion von Männlichkeit, die Bedeutung von Beziehungen, die Verwebung von Care und Beziehungen, Sexualität und Liebe. Mich hat gefreut, wie differenziert Mike Mills seine Protagonistinnen darstellt, und wie gut es ihm gelingt, das Lebensgefühl der damaligen Zeit einzufangen. Wobei auch die großartigen Schauspieler_innen ihren Teil beitragen.

Aus der Rückschau von heute erscheinen mir die späten 1970er Jahre als ein goldenes Zeitalter, in dem es mit Frauenrechten und Freiheitsstreben unaufhaltsam immer weiter nach oben zu gehen schien. Die wichtigsten Kämpfe waren damals bereits gewonnen, aber die neoliberal-rechtskonservativen Rückschläge der 1980er noch Zukunftsmusik. Ich habe mir das – auch als Altersgenossin von Jamie alias Mills – jedenfalls gerne angeschaut.

Der Film kommt am 18. Mai in Deutschland ins Kino.

Autorin: Antje Schrupp
Eingestellt am: 16.05.2017

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