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Rubrik leben

Nein! Wir Mütter sind nicht immer an allem Schuld!

Von Katharina Nachtsheim

Neulich traf ich eine Bekannte beim Einkaufen. Meine kleinste Tochter saß im Kinderwagen und war äußerst schlecht gelaunt. Sie nölte, wollte nicht im Wagen bleiben und irgendwie war einfach alles blöd. Auf die Frage, wie es uns denn so gehen würde, sagte ich: “Ach eigentlich ganz gut, aber die Kleine ist gerade irgendwie schlecht drauf.” Meine Bekannte nickte, sagte, sie kenne das und fragte: “Hast Du gerade schlimm Stress, so dass die Kleine Dich spiegelt?”

Ich weiß, meine Bekannte meinte das nicht böse, ganz sicher nicht. Sie wollte wahrscheinlich einfach nur helfen. Umso länger ich aber über diese Frage nachdenke, desto mehr ärgere ich mich über sie. Denn eigentlich heißt das mal wieder (überspitzt ausgedrückt): Du als Mutter bist wahrscheinlich schuld daran, dass das Kind schlecht drauf ist.

Und dem möchte ich jetzt einfach mal ein lautes “NEIN, wir Mütter sind nicht an allem Schuld” entgegen rufen.

Meine Tochter war schlecht drauf, weil ihr seit Wochen die Nase läuft und sie vielleicht einfach auch schon müde war. Und nicht, weil mir ein Abgabetermin im Nacken hängt.

Ich bin da jetzt einfach mal so vehement, weil mir – wenn ich darüber nachdenke – ganz viele Szenen einfallen, in denen wir Mütter für alles verantwortlich gemacht werden.

  • Fremdelt das Kind, liegt es wohl daran, dass die Mutter so schnell wieder arbeiten gegangen ist und das Kind dann umso mehr an der Mütter hängt, wenn sie da ist
  • Fremdelt das Kind, liegt es wohl daran, dass die Mutter sich entschieden hat, drei Jahre zu Hause zu bleiben und das Kind verzieht
  • Schreit das Baby am Anfang viel, ist die Mutter wohl unentspannt
  • Wirft sich das Kind wütend auf den Boden, liegt es wohl daran, dass die Mutter keine klaren Ansagen macht
  • Schläft das Kind nicht alleine ein, liegt es wohl daran, dass sie Mutter es nicht von Anfang an probiert hat
  • Isst das Kind nur ungern Gemüse, hätte die Mutter vielleicht früher mit Fingerfood anfangen sollen
  • Ist das Kind schlecht in der Schule, übt die Mutter wohl nicht genug Mathe mit ihm
  • Streiten sich die Geschwister, verteilt die Mutter vielleicht die Aufmerksamkeit nicht gerecht genug

Mich nervt das. Wie wäre es mit:

  • Fremdelt das Kind, liegt es vielleicht daran, dass das Kind einfach etwas schüchtern ist
  • Wirft sich das Kind wütend auf den Boden, macht es das vielleicht, weil es in der Trotzphase ist und es einfach gerade zu der Entwicklung dazugehört
  • Schreit das Baby am Anfang viel, kann es vielleicht einfach nicht anders und ist ein High-Need-Baby
  • Schläft das Kind nicht alleine ein, ist es vielleicht einfach noch nicht so weit
  • Isst das Kind nur ungern Gemüse, wird es auch so groß werden und Geschmäcker entwickeln sich ja noch
  • Ist das Kind schlecht in der Schule, liegt seine Begabung vielleicht eher im Lesen als in Mathe
  • Streiten sich die Geschwister, liegt es vielleicht daran, dass sie sich einfach gerade doof finden

Jeder unterschreibt sofort, dass unsere Kinder eigene Charaktere sind. Wir beziehen sie früh mit ein, wollen ihnen nichts überstülpen und glauben, dass sie ihre eigene Meinung haben. Wenn es aber mal schlecht läuft, sind sie plötzlich ferngesteuerte Wesen, die nur unser Verhalten spiegeln?

Keine Frage: Natürlich hat es eine Auswirkung, wie wir als Eltern uns verhalten. Natürlich überträgt sich manchmal die Anspannung der Eltern auf die Kinder. Natürlich entwickeln sich Kinder aus einem liebevollen Umfeld anders als Kinder, die unterdrückt werden oder für die Eltern nie Zeit oder ein nettes Wort haben. Aber der absolute Großteil von uns gibt doch jeden Tag sein Bestes und unseren Kindern fehlt es an nicht Grundlegendem.

Also vielleicht haben die Kinder eben einfach auch mal einen miesen Tag, eine blöde Phase – ohne dass wir Eltern daran schuld sind.

Wobei – eigentlich wird die Verantwortung oft eher nur an die Mütter abgegeben. Jedenfalls hat mich noch nie jemand gefragt: “Ist die Kleine vielleicht schlecht drauf, weil der Papa gerade Stress im Job hat..?”

Wenn bei der Kindererziehung etwas nicht rund läuft, werden häufig die Mütter dafür verantwortlich gemacht.

 

Autorin: Katharina Nachtsheim
Redakteurin: Juliane Brumberg
Eingestellt am: 09.12.2017
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Kommentare zu diesem Beitrag

  • Juliane Brumberg sagt:

    „Die meisten Frauen fühlen sich täglich wegen irgendetwas schuldig, ob als Mütter oder Kinderlose, ob als Töchter oder Opfer von Gewalt, ob als Ehefrauen oder Berufstätige.“ So wird das schon in dem vor mehr als 20 Jahren erschienen Buch von Christa Mulack „…und wieder fühle ich mich schuldig“ angekündigt. Für mich ist es eines der wichtigsten Bücher, das ich gelesen habe. Denn die Autorin weist nach, dass weder Erziehungs- noch Persönlichkeitsdefizite die Ursache des Problems sind, sondern ein patriarchalisches Schuldverständnis, das immer zu Lasten von Frauen funktioniert. Sie erklärt mythische Wurzeln weiblicher Schuldprobleme, schreibt über das Gewissen sowie echte und falsche Schuldgefühle und über die Tabuisierung männlicher Schuld. Und leider ist es heute noch genau so aktuell wie damals.

  • Vielen Dank für den interessanten Austausch- ich bin Alleinerziehende, Berufstätige (Flugbegleiterin, Lunayogalehrerin) Mama von 3 Schulkindern im Alter von 11,11 und 9 Jahren-
    ich weiss genau, wie es sich anfühlt, mit diesen Schuldgefühlen..
    es war ein langer Prozess über ich kann sagen, die letzten 10 Jahre, bis ich für mich diesen ganzen Schuld- und Schuldenberg nach und nach immer weiter abtragen und loslassen konnte-und ich denke, es ist wirklich so, wir Mütter sind nicht immer an allem Schuld- denn auch unsere Kinder sind eigenständige Individuen- FREIHEIT ist alles und zwar für alle Beteiligten.

  • Doris Weide sagt:

    1984 als Spätstudierende (41 J.) an der Uni Gießen, begegnete ich in einem Seminar mit Gast Prof. Dr. Eberhard Richter (Psychotherapeut) schrieb unter anderem “Patient Familie”. Danach hatte ich eine unglaubliche Wut in mir, denn Frau ist in der Familie an allem Schuld, so der Tenor.
    Ich fragte ihn, ob das wirklich seine Überzeugung sei und seine Antwort:
    “Heute würde er das nicht mehr schreiben, denn er hat inzwischen Kinder und erfahren, dass jedes Kind mit einer eigenen Dynamik auf die Welt kommt, d.h. eines schreit viel, anderes schläft viel usw.” Auch Prof. lernen dazu, habe ich mit Freuden festgestellt.
    Ich (74 J.) bin Mutter von drei Töchtern und Oma von zwei Enkeltöchtern. Mit großer Neugierde und Begeisterung lese ich Ihre “beziehungsweise-weiterdenken”. Danke!!!!

  • Hanne Hutzler sagt:

    Meine Hauptkritik ist, dass die väterliche Verantwortung auch bei diesem Artikel ebenso ausgeblendet bleibt wie überhaupt alles nur individuell gedacht ist.

  • Julia Mündel sagt:

    Mein Kleiner war letzte Woche schlecht drauf weil Papa weg war und ihm gefehlt hat.
    Mama war definitiv nicht Schuld!

  • Sandra Divina Laupper sagt:

    Hallo Katharina!
    Heute bin ich zufällig auf diesen Artikel gestoßen und musste schmunzeln, während ich ihn samt der nachfolgenden Kommentare las… Ich habe mich zurückversetzt gefühlt auf die Jahre zwischen 2004 und 2007…, als ich Mutter einer kleinen Tochter war, die freilich, da 2004 geboren, inzwischen 19 Jahre alt ist. Mit meiner Tochter hatte ich Riesenglück, denn sie war absolut unproblematisch. Essen, schlafen, kuscheln, mir beim Einkaufen und anderen häuslichen Tätigkeiten Gesellschaft leisten, oder auch beim Lesen, Schreiben oder beim Kaffeetrinken mit einer Freundin…. Alles kein Problem. Obendrein war meine kleine Tochter immer mit einer freundlichen Ausstrahlung ausgestattet, die alle (Erwachsenen) in ihren Bann zog – und bildhübsch! Aber ich wusste, dass das nicht selbstverständlich war, denn andere Mütter hatten mit ihren Babys bedeutend mehr Arbeit und Mühe als ich, und das war sicher nicht deren Schuld… ganz im Gegenteil, die schufteten sich mit bedeutend mehr Anstrengung als ich durch den Alltag! Es gab tatsächlich nichts, das ich irgendwie besser machte als andere Mütter, weshalb mir die vielen, vielleicht manchmal auch etwas neidischen, Komplimente, die ich für mein Töchterchen bekam, zwischendurch fast etwas peinlich wurden. Einmal habe ich mich bei einer guten Bekannten, die eine Tochter hatte, die nur ein Jahr älter war als meine, gegen die allzu übertriebene Anerkennung für meine (!) Verdienste gewehrt. Sie hat gleich verstanden, was ich meinte, aber sie hat mir augenzwinkernd gesagt: “Doch, doch, Sandra, du musst das schon akzeptieren, wenn die Leute dir Komplimente machen für deine Tochter, weil sie so nett ist… Denn wenn es anders wäre, wärst auch du Schuld!”
    Ich denke, diese Art von Komplizität unter Müttern, die sich mit Ironie und Selbstbewusstsein über die üblichen Gemeinplätze zum Thema “Mutterschaft” hinwegsetzt, ist wichtig, um als Frauen einen freieren Zugang zum Thema “Mutterschaft” zu bekommen.
    Liebe Grüße,
    Sandra

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