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Rubrik heilen

#metoo: Ja, Männer, seid verunsichert … und schaut, wie genau daraus das Angemessene entsteht

Von Susann Tracht

Viel hab ich gehört von Männern, die verunsichert sind. Die nicht wissen, wie sie sich Frauen, die #metoo sagen, aber seit der Debatte auch Frauen gegenüber im Allgemeinen verhalten sollen. Die unsicher sind, wie sie sich als Teil der #metoo-Debatte verhalten sollen.

Ich habe das Thema eine Weile mit mir herumgetragen. Ich spreche als vergewaltigte Frau zu euch, wie es sich für mich anfühlt mit eurer Unsicherheit.

Und ich sage euch: Ja, Männer, seid einfach verunsichert. Ihr seid verunsichert. Also seid es, das meint: Zeigt es auch. Mehr ist dann gerade einfach nicht zu tun. Eure Unsicherheit ist die einzig angemessene Reaktion und vielleicht gar wahrhaftes Mitfühlen.

Flüchtet nicht vor der Unsicherheit, schiebt sie auch nicht weg, weil sie sich unangenehm anfühlt; weil sie Angst macht; weil sie nutzlos scheint. Flüchtet nicht in Lösungen, nicht in Erklärungen, nicht in Verdrängung, nicht in Themenwechsel. Bleibt „einfach“ da, bleibt in der Unsicherheit. Bleibt in der Ungewissheit und Unklarheit, was nun zu tun ist. Bleibt „einfach“ da und tut nichts.

Verunsicherung „einfach“ zulassen – und ja, das einfach ist bewusst in Anführungsstriche gesetzt – scheint nach außen hin passiv zu sein. Innerlich ist dies ein höchst aktiver Vorgang. Es bedeutet ein Gefühl, ein unangenehmes Gefühl, zuzulassen ohne etwas dagegen zu tun, ohne es abändern zu wollen, ohne einzugreifen, ohne zu bewerten. Denn ja, du bist verunsichert. Das ist okay. Du bist kein Versager deswegen, kein schlechter, kein minderwertiger Mensch.

„Einfach“ dalassen, sich verunsichern lassen, die Verunsicherung aufsteigen lassen, fühlen wie sich Verunsicherung anfühlt. Wie fühlt sich Verunsicherung an? Ist da eine Angst vor der Unsicherheit, am Nicht- genau-wissen-was- zu- tun- ist, am Nichtstunkönnen? Wo sitzt die Verunsicherung? Hat sie überhaupt einen festen Ort? Wo hat Unsicherheit speziell bei Männern Raum und welchen?

Erich Fromm schreibt: „Die Aufgabe, die wir uns stellen sollten, ist nicht, uns sicher zu fühlen, sondern in der Lage zu sein, Unsicherheit zu tolerieren.“

Die eigene Unsicherheit, das Nichtwissen radikal zulassen, es annehmen und daraus heraus handeln, ist ein ganz anderes „in-der-Welt-sein“.

Habt keine Angst vor der Unsicherheit. Jeder wirkliche Kontakt, jede wirkliche Berührung beinhaltet das Ungewisse, Unvorhersehbare. Leben, Lebendigkeit ist Unvorhersehbarkeit, Unsicherheit, und dies im angenehmsten wie unangenehmsten Sinne. Kontrolle loslassen und dem begegnen, was im Moment, im Jetzt ist. Innehalten und wahrnehmen. Atmen. (Da)sein. Zuhören, spüren … mit allen Sinnen dabei, auf Empfang und durchlässig sein.

Beobachtet, fühlt und nicht zuletzt staunt über die Kraft der Unsicherheit und Ungewissheit und die aus ihr resultierenden Erkenntnisse und Entscheidungen.

Es hat sehr viel mit Demut, mit Hingabe, Loslassen und Vertrauen zu tun. Es bedeutet, die Begrenztheit der eigenen Kontrollmöglichkeiten, die Begrenztheit dessen, was wir Autonomie nennen, anzuerkennen.

Und vielleicht ist es gar die Unsicherheit, die das wahrhafte Mitfühlen ist. Denn  Ohnmacht, Unsicherheit, Nicht-wissen- was- tun, Zweifel, Hilflosigkeit … all das sind Kerngefühle während und in der Verarbeitung sexueller Gewalt. Ich weiß aus erster Hand, wovon ich hier spreche.

Es ist unfassbar, was einem da geschehen ist. Es ist nicht verstehbar. Es ist das Unvorstellbare, das Unfassbare schlechthin. Erstarrung, Ohnmachtsgefühle, „wie von oben zuschauend“, Hilflosigkeit, Todesangst … all das findet nicht auf Verstandes- oder Verstehensebene statt. All dies passiert auf Instinktebene.

Eure Unsicherheit ist also das Beste, nicht weil es das Beste im Vergleich zu anderem ist, sondern das Beste, weil das der momentanen Situation rund um #metoo Eigene. Eure Unsicherheit ist damit und zugleich die einzige angemessene Reaktion. Angemessen deshalb, weil der Ursprung der Unsicherheit in dem Moment, in dem also, was sich gerade in Hinblick auf #metoo zeigt, liegt. Die Unsicherheit ist somit ursprünglich. Sie ist aus dem Zusammenhang rund um #metoo aus euch hervorgegangen.

Tomasz Kurianowicz startet in seinem Artikel „Der verunsicherte Mann“ mit seiner Verwirrung, fragt sich dann, ob er als Mann das Ganze überhaupt nachvollziehen und demnach überhaupt etwas tun kann. Eine Freundin des Autors, die er in dem Text sinngemäß zitiert, macht sein Mitredenwollen wütend, denn sie sieht auch ihn als „Teil des Problems“, weil er „als Mann immer über eine Selbstsicherheit, über ein Identitätsprivileg verfügen würde, das [er] niemals zu reflektieren und abzulegen imstande wäre“, wodurch er eben nicht verstehen könne und daher auch nichts sagen sollte.

Tomasz Kurianowicz kommt letztlich zu einem anderen Ergebnis. Er meint, da nicht Geschlecht sondern das Menschsein bedeutsam ist, sei ein Zuwenden und Einfühlen in diesem Sinne also möglich. Dieses Einfühlen bleibe insofern immer begrenzt, da „mensch“ sich nie ganz in einen anderen einfühlen kann.

Sein Verweis auf die „gute Idee“, dass alle Menschen gleich und doch einzigartig sind und sich somit nie ganz in einen anderen einfühlen können, wirkt für mich im Rahmen von #metoo trennend. Diese „gute Idee“ wirkt trennend in Richtung der Frau, die Ungleichheit, die Entwertung erfahren hat.

Zudem ist diese „gute Idee“, weil sie ja so gut und dadurch unanzweifelbar ist, so machtvoll und genau damit wieder eine Entmachtungserfahrung der Frau mit ihren doch soweit von Gleichheit entfernten Erfahrungen. Die „gute Idee“ steht somit über der Realität der gefühlten Ungerechtigkeit seitens der Frau und der möglicherweise gefühlten Unsicherheit seitens des Mannes. Die Idee steht somit über der Realität der Menschen.

Das Ideal der Gleichheit steht auch zwischen der echten menschlichen Begegnung und zerstört dadurch die Realität des Momentes zwischen den Beteiligten und damit das der Situation  entspringende mögliche Neue.

Alle sind gleich, alle sind Menschen. Das ist auf der einen Seite unleugbar. Auf der anderen Seite aber werden real existente Geschlechterdifferenzen dadurch nicht als eben solche benennbar.  So etwas wie männliches und weibliches Verhalten gibt es ja auch gar nicht.

Aber, ist es Zufall, dass mehr Männer als Frauen in Führungspositionen sind und Frauen in gleichen Jobs weniger Geld als Männer verdienen? Ist es Zufall, dass Gewalt verschiedenster Form überproportional von Männern ausgeht und Männer erheblich häufiger Täter als Frauen zu Täterinnen werden? Frauen werden erheblich häufiger Opfer männlicher Gewalt, als umgedreht. Zufall? Gewalt als ein männliches Problem ernst zu nehmen und entsprechend zu handeln, würde eine Menge Gewalt verhindern. Was ist daran schlecht, Gewalt als männliches Problem zu benennen? Das ist schlicht messbar und wurde gemessen. Es gibt genügend Statistiken.

Gleichheit bedeutet für mich als Frau auch das Folgende: Frauen dürfen arbeiten wie auch Männer es dürfen. Frauen dürfen wählen wie auch Männer es dürfen. Frauen sollen gleichviel verdienen wie Männer. Frauen sind in der maskulinen Schreibweise mitenthalten … ach nein sie sollen ebenso wie die Männer genannt werden.

Alles darf ebenso wie bei den Männern sein. Was nun ist mit dem, was bei mir als Frau anders ist, was sich durch die Anpassung an die männliche „Norm“ gar nicht ausdrücken kann? Das, was Frauen qua Frausein an anderem gegenüber dem Männlichen beizutragen haben, hat innerhalb der Norm keinen Platz. Alltäglich zeigt sich das daran, das Ideen von Frauen „einfach“ nicht verstanden und dadurch „weggewischt“ werden. Damit meine ich Lächeln, Stirnrunzel o.ä. über ihre Art zu sprechen, ihre Weise auf Dinge zu blicken.

Ich schließe mit einem Zitat aus Clarissa Pinkola Estes Buch „Wolfsfrau“ (S. 377). Sie spricht von einem „jahrtausendealten Trauma, das erst heute in ein Frühstadium der Heilung eintritt. Der Argwohn gegen alles Männliche gründet sich auf die kollektive Erfahrung das Frauen wie Untermenschen behandelt werden.“

Autorin: Susann Tracht
Redakteurin: Antje Schrupp
Eingestellt am: 24.04.2018
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Kommentare zu diesem Beitrag

  • Ulrike Eichler sagt:

    Ein toller Text! Wunderbar, das Sekbstverständliche nicht als selnbstverständlich gelten zu lassen, nämlich die männliche Verunsicherung für eine unzumutbare und also klarerweise inakzeptable Folge der öffentlichen Zurückweisung sexueller Gewalt durch Frauen zu halten. Sobald dieser Konsens durchbrochen ist, wird alles auf die schönste Art einfach und die Klugheit wieder frei. Ein Labsal, das Beharren auf sexueller Differenz.
    Herzlichen Dank an Susann Tracht! Ulrike Eichler

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