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Rubrik erinnern

Großer Einsatz für die Frauenbewegung und gegen Rassismus

Von Juliane Brumberg

Von der Frauenbewegung im letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts kennen wir einige wenige Gesichter, die sich die Medien herausgepickt haben und immer wieder hervorholen. Doch ohne die weniger prominenten vielen „Frauen aus der zweiten Reihe“ wäre der große Erfolg der Frauenbewegung nicht möglich gewesen. In einer kleinen Serie möchten wir auf bzw-weiterdenken über einige von diesen Frauen erzählen. Wie sind sie zu ihrem frauenpolitischen Engagement gekommen, was machen sie heute?
Wir freuen uns übrigens über Artikel oder Vorschläge zu weiteren Frauen, deren Leben wir hier vorstellen können.

Eine Frau aus der zweiten Reihe ist Dagmar Schultz nicht, im Gegenteil. Doch über die Grenzen Berlins hinaus ist ihr Name eher weniger bekannt. Aber nahezu jede Feministin kennt den Orlanda-Frauen-Verlag, der erste Verlag, in dem ausschließlich Frauen publizierten. Dagmar Schultz hat ihn 1974 gegründet und 27 Jahre Jahre geführt: „Jede Frau verwaltete damals ihr eigenes Buch, das war etwas chaotisch. Also haben wir uns zusammengetan und das etwas gebündelt.“ Die Bücher des Verlags machten auf Missstände aufmerksam und setzten Themen: „1982 haben wir „Das bestgehütete Geheimnis: Sexueller Kindesmissbrauch“ von Florence Rush herausgebracht. Das hat eingeschlagen. Der Stern brachte zwei Titelgeschichten darüber.“ Zu den wichtigen Büchern aus dem Orlanda-Frauen-Verlag gehören viele von ‚women of colour‘ wie auch die ins Deutsche übersetzten Bücher von Audre Lorde, immer noch eine „Kultfigut“, sowie, von Dagmar Schultz herausgegeben, „Macht und Sinnlichkeit“ mit Texten von Audre Lorde und Adrienne Rich.

Wie kommt eine mitten im Krieg in Berlin geborene Frau dazu, Rassismus zu ihrem Thema zu machen? „Interesse an sozialen Fragen hatte ich schon immer und dadurch, dass ich ab 1963 in den USA studierte, in der Bürgerrechtsbewegung aktiv war, Black Studies kennengerlernt und später in Mississippi an einem schwarzen College unterrichtet habe, war mir die Problematik schon früh vertraut.“ Von Mississippi ging Dagmar Schultz im Rahmen eines Armutbekämpfungsprogramms nach Puerto Rico. Dort war ihre Aufgabe, über die Insel reisend, „Frauen mit viel zu vielen Kindern“ in die Familienplanung einzuführen.

Der Start ihres Lebens als Teil der Frauenbewegung war, zurück in den USA, 1967 die Teilnahme am ersten Speakout von Frauen gegen das Abtreibungsverbot in Madison/Wisconsin. „Dann, in Chicago in der Women’s Liberation Union, kam ich in eine Gruppe lesbischer Frauen und hielt am Columbia College Seminare zu Women’s Studies und zu „race and class“.

Alles Erfahrungen, die sie ab 1973, nach ihrer Rückkehr nach Berlin, in die sich dort entwickelnde Frauenbewegung einbringen konnte. Zurück gekommen war sie zunächst nur, um sich um ihre behinderte Schwester zu kümmern. Die Aussicht, nach ihrer Promotion in den USA an irgendeinem College in den Weiten Amerikas zu unterrichten, war ihr nicht erstrebenswert erschienen und das Bedürfnis nach finanzieller Sicherheit gering. „Das bedeutete, dass ich in Berlin erstmal gejobbt habe, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen, bis ich dann eine Stelle am John-F.-Kennedy Institut für Nordamerikastudien an der Freien Universität Berlin bekam und dort Fachdidaktik in der Lehrerausbildung unterrichtete. Meine Inhalte drehten sich um Migration und die Frauenthemen. Fachdidaktik interpretierte ich für mich so, dass ich mir Lehrerinnen an Gymnasien gesucht habe und mit einer von ihnen 1976 an der ersten Frauen Sommer-Uni in Berlin eine Veranstaltung zu Sexismus in der Schule gemacht habe.“ Das mündete in zwei Bände zu Sexismus in der Erziehung mit dem Titel „Ein Mädchen ist fast so gut wie ein Junge. Sexismus in der Erziehung“, natürlich im Orlanda-Frauen-Verlag.

Parallel dazu wurde sie 1974 gefragt, ob sie in einer § 218-Gruppe mitarbeiten wolle: „Ich war natürlich sofort dabei, wechselte dann zur Frauengesundheitsarbeit, wo wir die Selbstuntersuchung einführten und bald das Buch ‚Hexengeflüster. Frauen greifen zur Selbsthilfe‘ veröffentlichten und das erste Feministische Frauen Gesundheitszentrum gründeten. Dabei kamen mir die Erfahrungen in Puerto Rico zu Gute.“ 1980 veröffentlichte Dagmar Schultz in der feministischen Zeitschrift ‚Courage‘ einen Artikel mit dem Titel ‚Rassismus in uns selbst entdecken‘: „Das war 1980 in der deutschen Frauenbewegung ein ungewöhnliches Thema. Auch am Frauengesundheitszentrum waren wir übrigens ein rein weißes, deutschen Team.“ Dagmar Schultz lebte für ihre Leidenschaft, für die feministischen Themen, sowohl in der Freizeit als auch in ihrer Uni-Arbeit. „Das war durchaus mühsam und nicht immer einfach. Als meine Stelle 1986 auslief, sagten immerhin drei Professoren-Kollegen: ‚Das Schwarze Brett für die Frauen kann ja jetzt weg‘.“

Für sie folgte dann eine Zeit der Arbeitslosigkeit und der Geschäftsführung im Orlanda-Frauen-Verlag, weder auf Karriere noch auf Sicherheit ausgerichtet, stattdessen auch geprägt von der Freundschaft zu Audre Lorde, die sie 1980 auf der Weltfrauenkonferenz in Kopenhagen kennengelernt und noch während ihrer Uni-Zeit 1984 als Gastprofessorin zum ersten Mal nach Berlin eingeladen hatte. Luise Pusch beschreibt Audre Lorde als „eine Kultfigur für junge Feministinnen jeglicher Hautfarbe, lehrte sie uns damals neue Denkweisen, die uns heute als selbstverständlich gelten. Vor allem wies sie uns auf die Notwendigkeit hin, über unsere Unterschiede nachzudenken und zu sprechen, damit sie nicht trennende Kluft bleiben, sondern eine Quelle der Kraft und tieferen Verbindung werden.“ Und genau das war und ist ein Herzensanliegen von Dagmar Schultz. In meinen Augen war es wahrscheinlich der größte Verdienst, den Dagmar Schultz der deutschen Frauenbewegung geleistet hat, dass sie Audre Lorde nach Deutschland geholt hat.

Dank der Habilitation, die sie mittlerweile abgeschlossen hatte, folgte sie 1991 dem Ruf an die Alice-Salomon-Fachhochschule für Sozialarbeit und Sozialpädagogik in Berlin, wo sie bis zu ihrer Emeritierung 2004 blieb. Auch hier war sie für die Frauenthemen zuständig. „Das war befriedigend, was die Inhalte angeht und sehr unbefriedigend im Blick auf die Kommunikationsstrukturen. Wir waren ein rein weißes, deutsches Kollegium.“ Also setzte Dagmar Schultz sich mit Kolleginnen dafür ein, dass in die Bewerbungsausschreibungen der Satz aufgenommen wurde, dass Angehörige ethnischer Minderheiten sich gerne bewerben könnten. „Sich in mehreren Kulturen auszukennen, sollte als Qualifikation gelten, nicht die Anzahl der Veröffentlichungen.“ Außerdem verzichtete sie zeitweise auf ein Drittel ihrer Besoldung, um Frauen aus Minderheiten Gastprofessuren zu ermöglichen.

In ihrem Ruhestand hat Dagmar Schultz sich endlich ihrer Leidenschaft, dem Filme machen, gewidmet. Schon in ihrer Masterarbeit in den USA hatte sie sich seinerzeit mit der Rolle des Rundfunks und Fernsehens in Westafrika auseinandergesetzt, konnte jedoch danach ihren Traum, Dokumentarfilmerin zu werden, nicht umsetzen: „Mein Bewerbungsgespräch bei CBS oder NBC lief dann so, dass mich die Herren fragten: ‚Was meinen Sie denn, wofür wir hier Frauen einstellen?‘ Das war eine rhetorische Frage – und die Antwort: ‚Ja, als Reinemachefrauen und als Sekretärinnen‘.“

Bei dem 2007 herausgekommenen Film über die afrodeutsche Dichterin und Aktivistin May Ayim ‚Hoffnung im Herz – Mündliche Poesie‘, wirkte sie als Co-Produzentin mit. Es folgte ein großer dokumentarischer Film über die Berliner Jahre von Audre Lorde , der 2012 auf der Berlinale Premiere hatte und inzwischen auf 75 Festivals gezeigt wurde. Im Berliner Kino Lichtblick ist er jeden dritten Montag im Monat zu sehen. Er weckt, unter Anderem, Erinnerungen an die lebendige Frauen- und Lesbenszene im Berlin vor der Wende.
2016 produzierte sie die Audre Lorde in Berlin OnlineReise, die in den digitalen Medien mit Fotos, Text und Videos zu den Orten führt, an denen Audre Lorde gewirkt hat. Darüberhinaus ist es ihrer Initiative und Mitarbeit zu verdanken, dass das Archiv der Freien Universität Berlin ein Audre Lorde Archiv einrichtete sowie auch das May Ayim Archiv (in Teilen erschlossen) über die 1996 verstorbene Ghanaisch-deutsche Dichterin und Aktivistin, deren Gedichte und Essays sie schon früher im Orlanda Verlag veröffentlicht hatte.

Fotos: Juliane Brumberg

Auch im Alter von 77 Jahren ist Dagmar Schultz immer noch gerne im In- und Ausland unterwegs, um ihren Film persönlich vorzuführen und sich gegen Rassismus stark zu machen. Von ihrer Begabung für das Visuelle zeugt auch die Fotoshow auf ihrer Homepage.  Bei ihrer Ärztin, erzählt sie, hängen im ganzen Wartezimmer Fotos von ihr.

Und – typisch für Dagmar Schultz, zum Abschied gibt sie mir mit auf den Weg: „Und denkt daran, in Eurer Serie auch ‘women of colour’ der Frauenbewegung vorzustellen, es ist so wichtig, unsere Verschiedenheit einzubringen und sichtbar zu machen.“

Mehr Infos:
Dagmarschultz.com
Audre Lorde – Die Berliner Jahre
Audre Lorde in Berlin

Im Rahmen dieser Serie wurden bisher die Donaupriesterin Gisela Forster, die Feministin Barbara Linnenbrügger, die Malerin Waltraud Beck, die Professorin Monika Barz, die Historikerin Irene Franken und die Tagungsleiterin Herta Leistner vorgestellt.

 

Autorin: Juliane Brumberg
Redakteurin: Juliane Brumberg
Eingestellt am: 10.01.2019
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Kommentare zu diesem Beitrag

  • claudia von der tauber sagt:

    Was für ein wiedererinnerungsartikel für mich!!!
    Audre lorde und ihr offenes krebstage buch.
    Damals hatten wir ja noch kein internet und ich wußte nicht welche frau/en hinter dem verlag , orlando, stehen.
    Ich freue mich jetzt davon zu hören. Was für eine interessante, mutige frau.
    Hochachtungsvoll

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