beziehungsweise – weiterdenken

Forum für Philosophie und Politik

Rubrik lesen

Das Leben leidenschaftlich lieben!

Von Bettina Schmitz

In ihrem jüngst erschienenen Buch hat Senta Trömel-Plötz das Leben von Mileva Einstein-Marić zum Anlass genommen, das Schicksal weiterer begabter Frauen zu erforschen. Vor etwa fünfzehn Jahren habe ich zum ersten Mal von Mileva Einstein-Marić erfahren. Die Autorin las im Amerikahaus in München aus ihren noch unveröffentlichten Wortstücken. „Wortstücke“, so lautet auch jetzt der Untertitel des Buches. Ich wusste damals nichts von Einstein-Marićs Bedeutung als Physikerin und von ihrem Leben als Frau / Ex-Frau eines Mannes, den wir heute als Genie zu betrachten pflegen. Die besondere, wissenschaftlich-poetische Darstellungsweise Senta Trömel-Plötz‘ hat mich schon damals sehr berührt. Mileva Einstein-Marićs Leben steht für die Leben vieler Frauen, deren Gaben und deren Begabungen Gefahr laufen, in den Arbeiten ihres Mannes aufzugehen oder für die es schwer war, sich neben dessen Werk zu entfalten. Ein besonders tragisches Beispiel hierfür bietet auch die Malerin Josephine Nivison-Hopper, die ebenfalls in dem Band gewürdigt wird. Und viele viele andere! Da uns die Namen der genialen Frauen, die uns Senta Trömel-Plötz in ihrem Buch nahebringt, leider immer noch viel zu wenig vertraut sind und gar nicht oft genug genannt werden können, werde ich sie am Ende noch (fast) alle nennen. Dem menschlichen, künstlerischen und intellektuellen Reichtum dieser Frauen und ihren Schicksalen ist das Buch gewidmet. In seiner Komposition greifen die Erzählungen ineinander, sodass die Wortstücke zu einem Ganzen werden, in das auch das Leben der Autorin eingewoben ist. Senta Trömel-Plötz ist eine der Begründerinnen der feministischen Linguistik im deutschsprachigen Raum. Damit hat sie unschätzbare Pionierinnenarbeit für heutige WissenschaftlerInnen geleistet und damals jede Menge Prügel aus dem patriarchal-akademischen Lager erhalten.

Mein Lesen des Buchs war somit das Wiederaufnehmen des Fadens und ein Wiederlesen. Die Darstellung von Mileva Einstein-Marić und den anderen genialen Frauen gefällt mir in dieser Fassung ausgezeichnet. Ich bewundere die Beharrlichkeit, mit der Senta Trömel-Plötz die wichtigen Fragen stellt, wie „Setzt männliche intellektuelle Produktivität Frauenarbeit und Frauenopfer voraus?“ Oder auch das Leitmotivische in den sich wiederholenden Sätzen „Dazwischen aber kam die Liebe“, „Das Leben leidenschaftlich lieben“ usf. So ziehen sich rote, bunte und leider auch schwarze Fäden durch den Text. Aus den Schicksalen der Frauen wird EIN Frauenschicksal, ohne dem Individuellen Gewalt anzutun. Gewalt ist diesen genialen Frauen schon viel zu viel angetan worden oder sie haben sich aus lauter Menschenfreundlichkeit und Liebe oder Verzweiflung auch noch selbst Gewalt angetan. Genau aus diesem Grund hatte ich mich zuerst sogar ein wenig vor der Lektüre gefürchtet, gerade weil ich wusste, worum es gehen würde, und eine sich ja doch nicht immer gerne damit konfrontiert, rundheraus gesagt, mit diesem Elend der begabten Frau! Doch Senta Trömel-Plötz gelingt es, schreibend, fühlend, (mit)denkend die Auseinandersetzung eben nicht als Konfrontation zu gestalten, sondern als eine Art poetische Meditation über die Leben, die Schicksale, über das Frauenschicksal, insbesondere das Schicksal der genialen Frau. Dazu gehört auch, dass sie genau diesen Begriff „genial“ verwendet, der lange Zeit für das männliche Genie reserviert zu sein schien! Eine könnte verzweifeln über den Geschichten! Doch ohne in irgendeiner Weise zu beschönigen, atmet der Text auch den Geist der Verbundenheit aller Wesen und wird so über die Dokumentation hinaus ein ganz eigenes Gewebe mit einem eigenen Leuchten.

Gleichzeitig ist das Buch Ausdruck des Gesprächs, in dem sich die Autorin schon so lange mit so vielen Frauen befindet, nicht nur mit den Künstlerinnen, um die es hier vor allem geht, sondern auch mit Zeitgenossinnen, auch sie Künstlerinnen, Wissenschaftlerinnen, Freundinnen, die sie unterstützt haben. Vor- und Nachworte und viele kleine Wendungen im Text weisen darauf hin. Ihr Werk ist eingebettet in eine Art immerwährenden Gesprächsfluss, der freilich nicht von alleine besteht, sondern nur dann, wenn er gepflegt wird. Trömel-Plötz ist nicht nur eine Forscherin über Frauengespräche, sondern eine Frau, die diesen Austausch auch lebt. Und nicht zuletzt bekommt ihre persönliche Geschichte ganz selbstverständlich Platz im Buch und sie zeigt sich auf diese Weise als Schwester der Frauen, mit denen sie sich beschäftigt. So legen ihre eigene Lebenspraxis und die Zitate vieler anderer kluger Frauen bis hin zum berühmten Brief von Rosa Luxemburg aus dem Gefängnis Zeugnis ab von der leidenschaftlichen Liebe zum Leben, zu der es keine Alternative gibt; und von einer zutiefst menschlich-mitfühlenden Haltung mit allen lebenden Wesen – so eben auch mit dem Büffel aus Luxemburgs Brief.

Das Buch schreibt die vielen Bücher fort, in denen Künstlerinnen um ihre Geschichte ringen, um Anerkennung und Würdigung und zuallererst um die Möglichkeit, überhaupt arbeiten zu können. Mir fällt spontan „Ein eigenes Zimmer“ von Virginia Woolf ein, das im Jahr 2019 neunzigjährigen Geburtstag hatte und somit zehn Jahre älter ist als die Autorin der „Wortstücke“ . Möge diese Tradition Bestand haben und weiterwirken, so dass wir am Ende mehr hinterlassen als „Die Spur des Schiffs in den Wellen“[1]!

Nachtrag: als wäre es ein Zitat aus dem Buch höre ich im Radio zur Diskussion über die weggeworfene Skizzenmappe des Malers Gerhard Richter, dass er selbst die unsignierten Skizzen als Schund oder mit einem ähnlich abwertenden Ausdruck bezeichnet, einige davon seien gar nicht von ihm, sondern von seiner damaligen Frau Ema Eufinger. – In der Zeitung lese ich über den Schriftsteller Herrmann Lenz, dass seine Frau Hanne Trautwein, die, als die beiden sich kennenlernten, bereits einen Erzählungsband veröffentlicht hatte, ihrem späteren Mann zuliebe dann aufs Schreiben verzichtete, um sie beide von ihrem Gehalt als Sachbuchlektorin zu finanzieren.

Hier nun noch die versprochene Namensliste, unvollständig, im Buch sind noch viele mehr zu finden: Mileva Einstein-Marić, Sophie Taeuber-Arp, Julie Wolfthorn, Marie Bashkirtseff, Elen Luksch-Makowsky, Dora Hitz, Teresa Feodorwna Ries, Ida Boy-Ed, Elsa Asenijeff, Vally Wygodzinski, Marevna, Carmen Herrera, Josephine Nivison-Hopper, Paula Modersohn-Becker, Clara Westhoff-Rilke. Zitiert werden Gedichte u.a. von Else Lasker-Schüler, Rose Ausländer, Gabriela Mistral, Luisa Famos, Ricarda Huch, Gertrud Kolmar.

Was für ein schönes Buch und wie viele wertvolle Hinweise auf Werke und Künstlerinnen! Ich wünsche mir, dass Senta-Trömel Plötz‘ kluge und einfühlsame Auseinandersetzung mit den genialen Frauen unseren Blick schärft, wir immer aufmerksamer werden, sodass immer mehr dieser Frauen hinter ihren Männern auftauchen und den ihnen zustehenden Platz in unserer Vorstellung und damit auch in unserer Überlieferung einnehmen können.

Senta Trömel-Plötz, Mileva Einstein-Marić und andere geniale Frauen. Wortstücke, Christel Göttert Verlag, Rüsselsheim 2019, 228 S., 17 Euro.


[1] So lautet der Titel eines Buches der Malerin Gisela Breitling, auf die mich ebenfalls Senta Trömel-Plötz aufmerksam gemacht hatte, Oberbaumverlag 1980.

Autorin: Bettina Schmitz
Redakteurin: Juliane Brumberg
Eingestellt am: 30.12.2019
Tags:

Kommentare zu diesem Beitrag

Weiterdenken