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Eine illegale Pfarrerin in der Schweiz

Von Juliane Brumberg

Nicht oft bin ich von einem Buch so begeistert, wie von jenem, das ich kürzlich geschenkt bekam – ohne besonderes Interesse für Pfarrerinnen oder für die Schweiz geäußert zu haben. Aber die Schweizer Pfarrerin Greti Caprez-Roffler, um die es in dem Buch geht, war eben auch eine Feministin. Das war der Anknüpfungspunkt für mich.

Von Feminismus steht zwar nichts in der Kurzfassung auf der Rückseite des Buches, doch beschreibt diese ziemlich gut, worum es in dem Buch geht: Am 13. September 1931 tut das Bündner Bergdorf Furna etwas, was zuvor noch keine Gemeinde der Schweiz gewagt hat. Es wählt eine Frau zur Pfarrerin: Greti Caprez-Roffler, 25 Jahre alt, Theologin und Mutter. Ein Skandal, der bis nach Deutschland Schlagzeilen macht. Nach ihrem Tod begibt sich die Enkelin auf die Spuren der ersten vollamtlichen Schweizer Gemeindepfarrerin. Sie stößt auf die außergewöhnliche Emanzipationsgeschichte einer Frau, die für sich in Anspruch nahm, was damals für viele undenkbar war: ihrer Berufung nachzugehen, Mutter zu sein, eine glückliche Liebe und eine erfüllte Sexualität zu leben. Eine Frau, deren Mut einen hohen Preis hatte, nicht nur für sie.

Was hat mich an diesem Buch nun so fasziniert? Von Anfang an der lebendige Erzählstil, und das bei einem Buch, das – unausgesprochen – auch den Anspruch hat, eine historische Biographie zu sein. Dann die Fülle der Zitate von Zeitzeug_innen sowie aus den vielen Briefen, die die Pfarrerin seit ihrer Jugend geschrieben und offensichtlich aufbewahrt hat. Aber auch ihre explizit positive und aufgeschlossene Haltung zur Sexualität, in der ich die Einstellung der Generation meiner Eltern wiedererkannte. Sexualität ja, sie ist nahezu etwas Heiliges – und gehört deshalb nur in die Ehe. Anrührend, wie Greti Capres-Roffler über dieses Warten-Wollen während Verlobungszeit geschrieben hat.

Vom Anfang bis zum Ende ist es ein wirkliches Vergnügen, zu lesen, wie hier eine Frau unter schwierigen Umständen ihrem Begehren gefolgt ist. Begleitet gleichzeitig von großen Zweifeln, ob eine Frau auf der Kanzel wirklich Gottes Wille ist. Auch viele Frauen aus dem Umfeld der Protagonistin glaubten das nicht. Und das ist das Andere, das ich – wieder einmal – in diesem Buch wahrgenommen habe: Wie stark der moralisierende Hintergrund einer kirchlichen Prägung Menschen und insbesondere Frauen unter Druck setzt und ausbremst.

Noch etwas gefällt mir an dem Buch: Die Autorin verherrlicht ihre Großmutter nicht, sondern schildert sie in all ihrer Ambivalenz. Dass genau diese Ambivalenz nicht außen vor bliebe, war auch ein Anliegen der Kinder von Greti Caprez-Roffler, die in dem Buch ausführlich zu Wort kommen. Sie hatte sechs Kinder, die sie ohne Zweifel liebte – und hat gleichzeitig als Pfarrerin gearbeitet. War sie eine gute Pfarrerin und eine gute Mutter? Die Antwort auf diese Frage ist gar nicht so wichtig, wichtig ist, dass sie sich beim Lesen unweigerlich stellt. Ambivalent auch, dass das, was die Pfarrerin für junge Frauen forderte, ein eigener Beruf und eine gute Ausbildung, bei dem Haus- und Kindermädchen ihres Haushalts ausblendet.

Erschienen ist das Buch im Limmat Verlag, dessen Bücher sich mit den kulturellen Entwicklungen in der Schweiz beschäftigen. Ein Förderverein trägt dazu bei, dass Lebensgeschichten und Autobiographien zu politischen und regionalgeschichtlichen Themen gedruckt werden können. Das Buch von Christina Caprez weist eindeutig über den regionalen Horizont hinaus. In der Schweiz wurde es vielfach besprochen und ist in die dritte Auflage gegangen. Ich wünsche ihm, dass es auch über die Schweizer Grenzen hinaus gelesen und reflektiert wird. Es lohnt sich und ist vergnüglich.

Christina Caprez, Die illegale Pfarrerin, Das Leben von Greti Caprez-Roffler 1906–1994, Limmat Verlag Zürich 2019, 392 Seiten, 44 €.

Autorin: Juliane Brumberg
Redakteurin: Juliane Brumberg
Eingestellt am: 05.02.2020
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