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Anderes Frau-Sein verstehe ich nicht – da haben wir doch etwas gemeinsam

Von Maria Coors

Es gelingt mir nicht so richtig, meinen biografischen Anfang mit dem Thema trans Geschlechtlichkeit zu finden. Klar ist, seit meiner Jugend sind mir trans Menschen begegnet. Seit meinem jungen Erwachsenenalter bin ich mit geschlechtertheoretischen Diskursen in Kontakt gekommen sowie mit feministischen Debatten zum Thema und den emanzipatorischen Anerkennungskämpfen. Seit einigen Jahren bin ich in persönlich enger Beziehung zu einem trans Menschen.

Ich erlebe es so, dass seit einigen Monaten eine eigentlich gar nicht neue Debatte um Geschlecht im deutschen Feuilleton tobt, die sich an der grundsätzlichen Existenz und teilweise an konkreten Leben von trans Menschen festmacht. Diese Debatte wird auch aus sich selbst als feministisch begreifenden Kreisen befeuert und verläuft für mich unerträglich gewaltvoll.

Schon lange versuche ich einen schreibenden Zugang zum Thema zu entwickeln und scheitere. Es gibt kaum ein Thema, dass mich gleichzeitig so wütend und traurig macht, dass mir alle Wörter im Hals stecken bleiben. Das ist keine produktive Wut. Ich versuche einen sachlichen Beitrag zum Thema und verhedder mich. Wissenschaftsjournalistische Überblicke zu aktueller Forschung, fundierte Erwiderungen auf trans-feindliche Polemiken, diskurstheoretische Einordnungen rechtspopulistischer Narrative und Erfahrungsberichte von trans Menschen aus mehreren Jahrzehnten gibt es. Das kann ich nicht besser oder anders schreiben.

Bei bzw-weiterdenken habe ich gelernt konsequent von mir auszugehen und von dort die Beziehung zu suchen. Was an so vielen Stellen meinem Denken und Schreiben geholfen hat, läuft hier gefühlt gegen die Wand. Ich fange bei mir selbst an, aber ich schaffe es nicht von hier aus, eine Beziehung zur anderen Seite herzustellen.

Was ist die andere Seite? Vielleicht liegt da (m)ein Denkproblem? Was mich so wütend macht sind Positionen, bei denen Menschen aus ihrem eignen Frau-Sein, das Recht oder sogar die Pflicht ableiten, andere Menschen in eine Geschlechtlichkeit zu zwingen, bzw. sie aus dieser gewaltsam auszuschließen. Ich verstehe das nicht. Ich verstehe das nicht!!

Liegt hier vielleicht die Differenz? Bei der eigenen Geschlechtlichkeit? Dem eignen Frau-Sein? Ich versuche es:

Ich bin eine Frau. Ich habe einen Frauennamen, der mir bei meiner Geburt auf Grund meiner primären Geschlechtsmerkmale gegeben wurde. Auch wenn ich mit diesem Namen per se ein bisschen fremdele und meine Eltern auch nicht so freundlich waren, mir einen zweiten oder dritten dazuzugeben (aber das ist mindestens eine andere Geschichte), nutze ich ihn immer noch. Er passt ausreichend zu mir. Die meisten anderen Menschen sehen mich als Frau – zumindest in dem Kulturkreis in dem ich aufgewachsen bin und nach wie vor lebe. Ich bin also eine cis Frau. Andere sehen mich als Frau und ich widerspreche dem nicht. Außerdem bin ich auch noch heterosexuell. Ich habe in meinem Leben fast ausschließlich mit Menschen geschlafen, die aufgrund ihrer primären Geschlechtsmerkmale bei Geburt einen männlichen Namen bekommen haben und diesen nach wie vor tragen und das passt für mich. Ich habe mit einem von diesen Männern zusammen ein Kind gezeugt und habe es auf die Welt gebracht. Jetzt bin ich die Mutter von diesem Kind.

Ich bin eine Frau, weil man mich immer als solche angesprochen hat und das bei mir bislang keinen Widerspruch hervorgerufen hat. Mein Frau-Sein ist kein starkes Gefühl, es ist eher die Abwesenheit eines starken Gefühls. Die Art und Weise aber, wie in meiner Umgebung über und mit Frauen geredet wird, wie mit Frauen umgegangen wird, wie Frauen kulturell und gesellschaftlich (nicht) repräsentiert werden und vieles mehr, das hat schon meinen Widerspruch hervorgerufen, ein starkes Gefühl. Das hat mich motiviert, das Frau-Sein nicht nur als Zuschreibung zu nehmen, sondern mir diese Zuschreibung anzueignen und im Austausch mit anderen, am Frau-Sein mitzuschreiben. Das ist mein Feminismus, mir mit euch zusammen die Freiheit erkämpfen_verteidigen_herstellen, meine eigene Frau zu sein. Mein Frau-Sein ist ein politisches.

Anderes Frau-Sein verstehe ich nicht. Ich verstehe nicht, wie das Gefühl eine Frau zu sein zusammenhängt mit dem Mutter-Sein oder Mutter-werden-Können. Mutter-Sein und Mutter-werden-Können ist für mich eine politische Tatsache, ein Gefühl ist nur das konkrete Mama-Sein (https://www.bzw-weiterdenken.de/2020/05/ich-bin-nicht-deine-mama-aber-soll-ich-mutter-sein/). Ich kann aber mitfühlen, dass das Frau-Sein-als-Mutter-Sein-Gefühl ein starkes Gefühl ist, eines, das Kraft gibt und stolz macht.

Anderes Frau-Sein verstehe ich nicht. Ich verstehe nicht, wie das Gefühl eine Frau zu sein damit zusammenhängt, den eigenen Körper als von männlicher Gewalt bedroht zu fühlen. Ich kenne männliche Gewalt. Aber es hat nichts mit meinem Frau-Sein-Gefühl zu tun. Eher mit meinem politischen Frau-Sein. Ich kann aber mitfühlen, dass das ein Gefühl ist, das im Körper steckt und das Sein immer mitbestimmt.

Anderes Frau-Sein verstehe ich nicht. Ich verstehe nicht, wie es ist, deutlich zu fühlen eine Frau zu sein, obwohl andere finden, dass das nicht stimmt. Ich kann aber mitfühlen, dass es scheiße ist, das eigene Gefühl abgesprochen zu bekommen. Ich kann mitfühlen, dass es lebensgefährlich ist, um notwendige medizinische Versorgung zu kämpfen, verbalen und körperlichen Angriffen ausgesetzt zu sein. Ich kann mitfühlen, dass es ermüdend ist, die eigene Existenz immer erklären zu müssen und sich gegen Projektionen zu wehren.

Ist das nicht das Verbindende am Frau-Sein? Das Wissen um gegenseitiges Nicht-Verstehen, um die Differenz, aber die Entscheidung zum Mitgefühl?

Es hilft aber nicht. Die Wand bleibt und auch die Wut. Ich verstehe feministische Angriffe auf trans Menschen nicht. Und mein Mitgefühl gilt den Frauen_Mädchen, Männern_Jungen und Menschen dieser Gesellschaft, deren geschlechtlich gefühlte Menschlichkeit angegriffen wird.

Autorin: Maria Coors
Eingestellt am: 01.04.2022
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Kommentare zu diesem Beitrag

  • Anne Newball Duke sagt:

    Liebe Maria, dein Text berührt mich tief. Vielen Dank für das Bewusstmachen von meines Erachtens so wichtigen Verstehensdefiziten, von der dieser Diskurs auch meinem Empfinden nach geprägt ist.
    Ich kann mir vorstellen, wie hart und leidvoll die Kämpfe von Frauen vor uns waren, um überhaupt sie selbst sein zu können, und wie viel wir – wir zwei – ihnen zu verdanken haben. Der Kampf ist noch lange nicht zu Ende, kann in einer weiterhin patriarchalisch geprägten Gesellschaft immer wieder Rückschritte erleiden siehe Polen usw., aber ja: wir profitieren bereits von den bisherigen Errungenschaften.
    Vielleicht kann uns ja eine beantworten, oder uns Möglichkeiten des Verstehens nahebringen: Warum geht diese (leidvolle) Erinnerung an die Notwendigkeit der politischen Kämpfe u.a. um körperliches Selbstverständnis (weg von patriachalischer Fremddefinition) usw. jetzt damit einher, trans Menschen ausschließen zu wollen/müssen? Was hat der eine Kampf mit dem anderen derartig zu tun, dass dies vonnöten erscheint? Welcher der jeweils ganz persönlichen Schutzräume, welche der jeweils eigens erkämpften feministischen Errungenschaften stehen auf dem Spiel durch den Kampf der trans Menschen um mehr Sichtbarkeit usw.? Wird dieser Kampf um Anerkennung und So-Sein-Dürfen als Konkurrenz empfunden? Was ganz genau daran wird als eindringend in den eigenen Schutzraum empfunden, und wo hinein ganz konkret wird eingedrungen? Wo wird das gespürt im Körper und warum? Da wir bei bzw – weiterdenken von uns ausgehend versuchen, uns auch Gedanken zu erarbeiten, wäre das für mich zumindest eine hilfreiche Erkundungstour; vielleicht auch unter die Schichten der Ausschließlust, die ich wie Maria oft empfinde, und wo ich die sich angegriffene Person dahinter aber nicht wirklich fühlen, und dadurch ihre Argumente auch nicht verstehen kann.

  • Liebe Michaela Coors,

    so wie du schreibst, ist Frau-Sein für dich persönlich kein großes Thema. Das verstehe ich, mir geht es ähnlich. Du schreibst, es ist ein politisches Thema. Diese Trennung mag ich nicht besonders. Ich finde immer gut, wenn man das, was politisch geschieht oder was gedacht werden kann, persönlich begreift, denn nur so kommen wir zu Empathie und Mitgefühl.
    “Das Wissen um gegenseitiges Nicht-Verstehen, um die Differenz, aber die Entscheidung zum Mitgefühl” soll Frau-Sein ausmachen? Das verstehe ich nicht. Das ist in meinem Augen eine Fähigkeit, genau zu denken und Verbundenheit zu fühlen, die ich nicht am Geschlecht festmachen möchte.

    Es ist ja ein riesiges Feld, das in diesen Diskursen zu Transgender aufgemacht wird… Ich möchte hier ein paar Gedanken zum Frau-und-Mutter-Sein äußern. Deinen Wunsch nach Respekt und Mitgefühl allen Menschen gegenüber trage ich gerne mit.

    In ukrainischen Luftschutzkellern leben derzeit frisch von Leihmüttern geborene Säuglinge. Deren bisherige Mütter haben sich mit ihren Kindern nicht in Sicherheit, ins Ausland, bringen können, weil Leihmutterschaft in den umgebenden Ländern illegal ist und sie Strafen befürchtet haben. Da sie ihre Verträge erfüllt haben, vermute ich, dass sie ihre Kinder verlassen haben. Die reichen Bestelleltern bringen sich offenbar lieber nicht in Gefahr und belassen ihre Kinder unter diesen entsetzlichen Bedingungen in Lebensgefahr. Würde eine Mutter ihr Kind in solcher Gefahr alleine lassen? Kulturell geschah das im Frankreich des 18. Jahrhundert tagtäglich, schrieb Elisabeth Badinter in ihrer Untersuchung der kulturellen Entstehung von “Mutterliebe”. Die Säuglingssterblichkeit war immens hoch, Liebe zu zu kleinen Kindern nicht vorhanden. Ich finde diese Bindung, die kulturell über zwei Jahrhunderte in Europa entstanden ist, gut; sie ermöglicht Leben und vielen Kindern das Großwerden.

    Identität entsteht aus dem, was man tut. So entstehen Frauen, die sich als Mütter kennen und wertschätzen, weil sie mit ihren Körpern etwas getan haben, wozu kein anderes Geschlecht in der Lage ist, und weil sie dabei tätig geblieben sind, diesen kleinen Menschlein ein Leben zu ermöglichen.

    Vielleicht ist hier gerade eine gesellschaftliche Umkehr am Werk. Die vielen Kaiserschnitte in deutschen Geburtskliniken verhindern oft ein gelungenes Bonding, Reproduktionsmedizin hat mittlerweile große Akzeptanz und hohe Arbeitsanforderungen verhindern zeitintensive und damit innige Beziehungen zu Kleinkindern. Vielleicht erklärt dies das Fehlen oder Verschwinden des Sich-als-Frau-und-Mutter-Fühlens von Seiten junger Mütter? Es ist gesellschaftlich ja auch nicht mehr besonders anerkannt, sich um die Kleinsten zu sorgen. Frau gilt schnell als arbeitsscheu, ja faul, Carearbeit den jungen Frauen als Klotz am Bein.

    Du schreibst: “Mein Frau-Sein ist kein starkes Gefühl, es ist eher die Abwesenheit eines starken Gefühls.” Ein Sein, das ein Nicht-Sein ist? Das klingt sehr elegant. Ich verstehe das hier absichtlich nicht ganz richtig. Ist dieses Denken nicht gefährlich? Wie kann dieses Nicht/Sein politisch repräsentiert werden? Schweigend? Kennen wir das nicht irgendwoher?

    Birgit Kübler

  • Maria Coors sagt:

    Liebe Birgit Kübler,

    mein sehr persönliches (!) Frau-Sein ist ein politisches. Das ist keine Trennung. Insofern verstehe ich auch mein Frau-Sein nicht als Nicht-Sein, sondern durch die Vergemeinschaftung mit anderen Frauen als stark indenditätsstiftend. Was ich hier (und wahrscheinlich auch in anderen Zusammenhängen) wenig überzeugend finde ist die Erzeugung von Idendität durch die Abgrenzung_Herstellung vom Anderen (z.B. Männlichen).
    Und zu den historischen Entwickungen des Mutter-Seins: Du schreibst ja selbst, dass Mutterliebe kulturell erzeugt ist. Dem würde ich zustimmen und auch dem, dass es in vielerlei Hinsicht eine kulturelle Errungenschaft ist. Weniger zustimmen würde ich deiner pessimistischen Darstellung einer jüngeren Muttergeneration. Im Gegenteil erlebe ich es so, dass die Bindungstheorie in den vergangen Jahren in Deutschland erst wirklich den kulturellen Durchbruch auch in der Kleinkinderziehung erlangt hat. In meiner eigenen Kindheit in den 80-er und 90-er Jahren waren bspw. Co-Sleeping (statt Schlaftaining im eigenen Bett), Stillen nach Bedarf (statt nach der Uhr), Bonding nach Kaisergeburten usw. noch nicht Mainstream. Kindergartenkinder wurden nicht wochenlang eingewöhnt. Erziehungsratgeber handelten viel von Grenzen, Konsequenzen oder kindlichen Tyrannen…
    Und zuletzt: Tatsächlich fällt es mir schwer zu verstehen, wie du dazu kommst zu schreiben, dass kein anderes Geschlecht in der Lage ist, kleine Menschlein hervorzubringen. Trans Männer, nicht-binäre Personen und andere Geschlechter gebären Kinder…

  • Antje Schrupp sagt:

    Liebe Maria,
    Danke für deinen Text! Er macht für mich auch nochmal klarer, dass das Verstehen und Nicht-Verstehen immer auch eine historische Komponente hat.
    Du bist vermutlich schon eine Generation, die sich wirklich gar nicht mehr erinnern kann, dass Frausein einmal jedes Eigene abgesprochen bekommen hatte, wo jede nur mögliche Bedeutung von “Frau” patriarchal überwölbt war. Du hattest die radikale Praxis des Separatismus nicht mehr nötig, weil du schon “freies Frausein” auf dieser Welt vorgefunden hattest, du konntest dich bereits auf Frauen beziehen. Ich konnte das auch schon früh, seit ich 19 war und in die Stadt zog, wo es Feminismus gab.
    Aber es gab eine Zeit, in der das noch nicht möglich war (meine Kindheit), sondern die Kultur, die Welt, mir als einzig möglichen symbolischen Bezugspunkt das Männliche anbot (auch meine Mutter “vertrat” dies). Erst der Separatismus der Frauenbewegung, so glaube ich, hat diese symbolische Option eröffnet. Und die, die sich diesen schmerzhaften Prozess erst noch erkämpfen mussten, konnten das nur machen, indem sie “Eigene” Räume schufen, aus denen sie Männer ausschlossen. Und zwar alle Männer, ohne Ausnahme, auch die netten, auch die Genossen, auch die, die sich soft gaben usw. Ich glaube, das war der Punkt, an dem die Biologie so wichtig wurde. Das Gebären wurde als “Eigenes” entdeckt, usw.
    Ich finde das alles falsch, aber mir ist durch deinen Text klar geworden, dass ich es, anders als du, “verstehen” kann, auf einer gefühlsmäßigen Ebene. Und ich bin richtig froh, dass “ihr” (Jungen) das nicht mehr verstehen können müsst! Das ist Weltveränderung, die stattgefunden hat”

  • Antje Schrupp sagt:

    @Birgit – die Frage mit den Leihmutterschaften finde ich interessant und tatsächlich werden durch die Situation in der Ukraine Fragen aufgeworfen. Es ist klar, dass es derzeit problematisch geregelt ist, weil das Ergebnis ist, dass hier Babys in die Welt gesetzt werden, ohne dass eine Mutter da ist, die sich um sie kümmert.
    Ich denke aber nicht, dass die Rückkehr zu dem alten Römischen Gesetz “Mater Semper Certa est”, das die soziale Verantwortung (Mutterschaft) an die Tatsache des Gebärens geknüpft hat, wünschenswert ist. Es war ein patriarchales Gesetz. Sondern es ist eine Herausforderung an die Gesellschaft, wie wir “sichere Mutterschaft” gewährleisten können, ohne uns dabei auf die “Natur” zurückzuziehen. Also jetzt nicht, wie du es in deinem Kommentar tust, die Leihmütter oder die intendierten Eltern anzuklagen (“Würde eine Mutter so etwas tun?”), sondern pragmatische Lösungen zu finden, zum Beispiel die deutsche Regelung “Mutter eines Kindes ist die Frau, die es geboren hat” aus dem BGB auszusetzen, sodass die Schwangeren flüchten könnten, ohne dass sie damit automatisch per Gesetz zu Müttern (also Sorgeverpflichteten) für die von ihnen geborenen Kinder gemacht zu werden. Es ist keine Naturnotwendigkeit, dass diese Kinder jetzt elternlos sind, es ist strukturell und politisch hervorgebracht – und könnte sogar recht leicht geändert werden.
    Deinen Einwand, nach der Ernsthaftigkeit der Wunscheltern zu fragen, den finde ich aber richtig. Es gibt wohl auch welche, die trotz Krieg jetzt nach Kiew fahren, um die Kinder zu holen, aber die meisten nicht. Hier müssen Leihmutterschaftsverfahren sicher überdacht werden. Mein Vorschlag wäre, ein Menschenrecht für Babys auf eine “Mutter” (egal welchen Geschlechts) im Moment der Geburt zu konstatieren, und wenn die intendierten Eltern nicht anwesend sind, aber jemand anderes, der/die diese Rolle bereit ist zu übernehmen, können sie dann nichts dagegen tun. Was ich nicht okay finde ist, die Tragemutter automatisch in diese Rolle zu drängen. Ich würde aber zustimmen, dass sie diese Möglichkeit, die Mutterrolle zu übernehmen, haben sollte, wenn sie will (übrigens meiner Ansicht nach auch, wenn kein Krieg ist). Und so weiter.
    Was ich sagen will: Wir sollten neue Verfahren und Prozesse finden, wie Kinder und Eltern zusammenkommen, die nicht Kapitalismus- und Technologiegetrieben sind, aber auch nicht einfach ein “natürliches Gesetz der Mutterschaft” behaupten, sondern auf ethischen Werten gründen.

  • Birgit Kübler sagt:

    Liebe Antje,
    Mutterschaft ist kulturell bedingt, so wie alles, was wir leben. Besagter Satz war kursiv gesetzt, also mit Distanzierung, das zeigt ja auch der weitere Verlauf. Leider hat das Programm meine Schreibweise nicht übernommen. Somit klage ich hier gar niemanden an.
    Ich bin allerdings sehr pessimistisch, was Vereinbarungen über Sorge für Kinder angeht und habe die Befürchtung, dass es sich mit den Elternprojekten so verhalten wird, wie mit den Katzen in Studenten*WGs, die dann irgendwann frei und unterernährt herumlaufen bis jemand sich wieder ihrer erbarmt. Was aber auch nicht heißen soll, dass ich die Kleinfamilie generell als glücksbringend betrachte, denn das ist sie nicht.
    Wenn ich mir meine Verwandschaftsbeziehungen ansehe, dann sind es doch letztendlich die am längsten, bzw. immer wieder tragenden, auch, wenn man sich sehr fremd ist oder über Zeiten gar nicht mag. Wie erklärt sich das?

  • Birgit Kübler sagt:

    Liebe Maria,
    du schreibst: “Tatsächlich fällt es mir schwer zu verstehen, wie du dazu kommst zu schreiben, dass kein anderes Geschlecht in der Lage ist, kleine Menschlein hervorzubringen. Trans Männer, nicht-binäre Personen und andere Geschlechter gebären Kinder…”
    Mir fällt es schwer, diesen extrem körperlichen Prozess des Gebärens und der Geburt zu einem Gedankenspiel zu machen. Etwa: “Ich bin ein Transmann und nun bin ich… ” – ja was? Ich würde vorschlagen, dass der Transmann, in der Eigenschaft ein Kind auf die Welt zu bringen, eine Mutter ist. Ich bin ein Fan von Geschlechterfluidität, denn sie entspricht, meiner Erfahrung nach, am ehesten der Wirklichkeit.
    Kinder entstehen aus Eizelle und Samen, das eine aus einem biologisch weiblichen, das andere aus einem biologisch männlichen Körper. Das sind für mich Fakten. Für die Reproduktionsmedizin ist das nicht mehr faktisch so, denn da kommen die Keimzellen aus Reagenzgläsern und Kühlschränken. Du kannst mich so verstehen, dass ich old school bin, in den 60-ern geboren. Und, danke Antje, du erklärst sehr gut, woher wir damals kamen.
    Wie ich mich über die Biologie hinaus selbst geschlechtlich verorte, darin liegt große Freiheit. (Wenn ich darüber nicht in einen verbissenen Kampf darüber gerate, dass alle anderen mich so sehen sollen, wie ich mich sehe. Etwas, was im Leben sehr häufig, in vielerlei Hinsicht, nicht gelingt.)

  • Judith sagt:

    Liebe Maria Coors,
    also, ich kann ja nur von mir ausgehen, wenn ich zu diesem Thema schreibe, und was es in mir auslöst; und ganz ehrlich es ist ein Thema das sehr viel Verwirrung in mir hervorruft.
    Eine Zeit lang habe ich verschiedene Bücher über/von Osho gelesen, und eine Aussage von ihm war: (aber er ist auch schon etliche Jahre tot);” Daß erste was wir bei einem Menschen wahrnehmen wenn dieser einen Raum betritt ist seine Geschlechtlichkeit”. Das war aber noch zu einer Zeit wo die Geschlechterrollen restriktiver waren, nicht soviel mit diesen gespielt wurde etc. Und das erste was wenn ein Mensch geboren wurde, ist wohl eine ähnliche Reaktion—> Hurra es ist ein Junge/ein Mädchen!
    Und bei denen das Geschlecht nicht so ausgeprägt war, also die jeweils weibl. bzw. männlichen Geschlechtsmerkmale, sogenante Zwitterwesen, wurden Mütter früher von ärztlicher Seite wohl dazu angehalten sich für eine Geschlechterrolle zu entscheiden, und das Kind dementsprechend zu erziehen, also die jeweilige Geschlechterrolle (weibl./männl.) ins Visier nehmend, und ansonsten das ganze schön geheim zu halten, was sich Göttin sei Dank ja auch geändert hat, zumind. zumeist denke ich doch mal.
    Wofür Alice Schwarzer wie ich vernehme stark kritisiert wird ist wohl das sie in ihrer Emma schreibt, Menschen besonders Frauen die Probleme mit ihrem Geschlechtszugehörigkeit haben, und oft ist damit die anerlernte Geschlechterrolle gemeint, und Einschränkungen, Ungerechtigkeiten die für einige damit einhergehen, sollten eine operative Umwandlung sehr kritisch beäugen, und sehr eingehend für sich selbst prüfen, ob dies stimmig ist, weil es auch etliche Frauen nachher bereut hätten, und Frauen eher für ihre Rechte weiter kämpfen sollten, z.B. für den gleichen Lohn für gleiche Arbeit.
    Also dies ist für mich schon auch einleuchtend. Und das sie das sagt, ist meiner Meinung nach völlig legitim.
    Meine beste Freundin fühlt sich nicht als Mann, aber wird von anderen immer wieder so wahrgenommen, weil sie manchen Klischees nicht entspricht, u.a. eine sehr tiefe Stimme hat.
    Mir fiel das nie so im übertriebenen Maße auf, und es stellt für mich auch kein Problem dar, weil ich vor allen ihre Großherzigkeit und Menschlichkeit schätze.
    Eigentlich kann von mir aus jeder Alles sein, solange niemand von sich denkt nur meine Art und Weise ist das non plus ultra!
    Aber drüber reden, nicht alles für sich behalten, auch den Mut haben nicht verstanden zu werden oder fehlinterpretiert zu werden usw. sind vielleicht ein guter Anfang bei aller Verwirrnis.
    Wer bin ich und wenn ja wie viele? (war Scherz…)
    meint Judith

  • Maria Coors sagt:

    Liebe Judith,
    danke für deinen ausführlichen und von-sich-ausgehenden Kommentar.
    Eigentlich wollte und will ich gar nicht so viel über Alice Schwarzer nachdenken, weil ich es ganz ungut finde, wie sie dieses Thema besetzt. Aber weil du sie nennst noch zwei Kommentare: Der Verweis auf Menschen, die ihre (medizinische) Transistion bereuen ist m.E. in zweifacher Hinsicht schwierig. 1. Sind das nach allem was man so an Empirie dazu hat tatstächlich nur sehr sehr wenige. und 2. Treffen Menschen einfach Entscheidungen auch ihren Körper betreffend, die sie im Nachhinein bereuen können. (Tatoos stechen, Rauchen, schwanger werden, nicht schwanger werden, bestimmte Medikamente nehmen etc.) Und ich finde gerade aus feminisischer Perspektive ist es gut zu überlegen, ob man sich daran beteiligt Frauen (und anderen Menschen) die Verfügungsgewalt über ihren eigenen Körper einzuschränken, weil man befürchtet, dass sie dann etwas Dummes damit machen. Ähnlich argumentieren ja auch diejenigen, die Frauen nicht zugestehen zu entscheiden, ob sie Kinder bekommen wollen, sich sterilisieren lassen wollen, einen Minirock oder ein Kopftuch anziehen wollen usw. Und das ist dann MEINE größte Kritik an Schwarzer: Sie beschränkt sich nicht auf vorsichtige Mahnungen zur “eingehenden Selbstprüfung”. Sondern sie bestreitet aktiv das Selbstbestimmungsrecht von konkreten Menschen und setzt ihre Diskursmacht dafür ein, diese Menschen so zu exponieren, dass diese in der Folge auch dem unmittelbaren Hass von Rechten ausgesetzt sind. Es waren nur ein paar Tage vom Emma-Artikel über die grüne Bundestagsabgeordnete bis zur Hassrede von Beatrix von Storch.

  • Judith sagt:

    Liebe Maria Coors,

    ja genau, so ist es daß ich von meinen Eindrücken, Wahrnehmungen schilderte.
    Ich finde Menschen sollten mehr einander zuhören egal wie diese “daherkommen”.

    Ich finde aber wo du dann schreibst, und dafür daß du garnicht über Frau Schwarzer reden willst, gehst du aber sehr auf sie ein, und auch wenn du ihren Standpunkt nicht für gut heißt, (was für mich durchaus okay ist, ich verkläre sie jetzt auch nicht!) finde ich es dann unschön zu sagen: ähnlich argumentieren Menschen usw. die z.B. Schwangerschaftsabrüche nicht für gut heißen usw. (deine Aufzählungen kennst du selber).
    …und genau daß finde ich wiederum gefährlich, daß vieles (meist unschönes) dann anderen schnell unterstellt wird. Sie dann wiederum in eine Ecke gedrängt werden, in eine Schublade gesteckt werden, was sogar nicht von Toleranz spricht.
    Mir erscheint es ein bisschen wie ein Phänomen unserer Zeit, oder war das schon immer so?
    Ich finde Menschen sollten lernen insgesamt einander besser zuzuhören und auch da eine
    Meinungs-Vielfalt gelten zu lassen.
    Auch jemaden mit anderer Meinung und Erfahrung da stehen zu lassen.
    Was meinst du dazu? Ich meine daß jetzt nicht besserwisserisch, sondern es sind Gedanken, die mir schon des öfteren in den Sinn kamen und die ich jetzt hier mal formuliere.

    Gut gemeinte Grüße von Judith

  • Maria Coors sagt:

    Liebe Judith,

    mmh. Also, in Ecken drängen und in Schubladen stecken ist nicht gut, das sehe ich ähnlich. Zwei Probleme bzw. Herausforderungen stellen sich m.E. bei der Sache mit der Toleranz und der Meinungsvielfalt. Und da würde ich auch sehr gern ein bisschen weg von Frau Schwarzer, weil ich dir auch darin zustimme, dass diese Herausforderungen aus irgendeinem Grund in den letzten Jahren präsenter geworden sind im öffentlichen Diskurs. Und zwar: 1) Die Unterscheidung zwischen einer Meinung bzw. einem Standpunkt, die natürlich jedem*r zustehen und der argumentatitven Angreifbarkeit von diesen. Also ja, jede*r hat ein Recht auf die eigene Meinung und die Äußerung dieser aber es besteht kein Recht darauf, dass dieser Meinung/Standpunkt nicht argumentativ widersprochen wird. 2) Wenn eine Meinung darin besteht, andere Menschen in ihrem Menschsein abzuwerten, darf Toleranz m.E. nicht darin bestehen diese Meinung mit gleicher Wertschätzung wie jede andere zu behandeln. Den Menschen, der sie äußert, ja, aber eine solche Meinung darf ich begründet eben auch als Hass und Menschenfeindlichkeit bezeichnen.
    Und so würde ich auch meine Angriffe auf Schwarzers Standpunkte sehen: Das Verweigern von Selbstbestimmung/Freiheit von Menschen mit dem Argument, dass diese Menschen einen schlechten Gebrauch von dieser Freiheit machen könnten, finde ich meistens ein schwaches Argument, im Fall von geschlechtlicher Selbstebestimmung wie auch bei reproduktiver Selbstbestimmung und anderswo. Das dezidierte und öffentliche Nicht-Respektieren der geschlechtlichen Selbstbezeichnung und der eigenen Benennung einer konkreten öffentlichen Person in unserer gegenwärtigen gesellschaftlich-politischen Situation, die u.a. durch reale rechte Gewalt gekennzeichnet ist, von einer Person wie Schwarzer, die ein Profi in öffentlicher Kommunikation ist, empfinde ich als unverantwortlich menschenfeindlich.

  • Judith sagt:

    …also “Menschenfeindlich” ist ein großes Wort, und auch eine große Unterstellung an einen Menschen…
    Vielleicht teile ich auch nicht immer die Meinung von Frau Schwarzer, aber ich habe sie noch nie menschenfeindlich erlebt, dafür finde ich ihre Auseinandersetzung mit den verschiedensten Themen zu differenziert, ihre Herangehensweise zu filigran, was ich manchmal gerade bei der jetzt nachkommenden Generation Frauen vermisse.
    Sorry, ich sage es mal ganz knallhart! Es ist eine Verurteilung! Ist das menschlich?
    Und ich finde damit sollte man ein bisschen vorsichtiger umgehen. Und es ist eine Art und Weise der Kommunikation die sehr häufig praktiziert wird, und mir überhaupt nicht gefällt!

  • Birgit Kübler sagt:

    Liebe Judith, liebe Maria,
    soeben habe ich mir Alice Schwarzes neu erschienene “Streitschrift” mit den Untertiteln: “Was ist eine Frau? Was ist ein Mann?” bestellt. Sie wird folgendermaßen angekündigt: “Mit diesem Sammelband wollen die beiden Herausgeberinnen aufklären. Aufklären über den Unterschied zwischen einem schwerwiegenden, psychisches Leiden erzeugenden Konflikt aufgrund der tiefen Überzeugung, im falschen Körper zu leben, und dem aktuellen Trend, bereits Geschlechterrollenirritation für »Transsexualismus« zu halten.”
    Es ist schon so, dass da von einem sehr überheblichen Standpunkt aus geurteilt werden soll, was was ist. Wohlgemerkt: WAS was ist. Menschen als Dinge betrachten? Ungeheuerlich!
    Ich bin sehr gespannt auf diese Schrift, auch wenn ich jetzt schon weiß, dass mir ab und an die Hutschnur platzen wird. Es ist eine Gelegenheit, das, was da gerade geschieht, besser zu verstehen und vielleicht auch weiter zu denken, WEIL es thematisiert wird. Ich hoffe sehr, dass es zu einer Auseinander(und zusammen)setzung kommen darf und diese nicht gleich von Denkverboten erstickt wird. Auch, wenn ich mir gut vorstellen kann, dass dies für eine große Anzahl Menschen eine heftige und sicherlich auch kränkende Herausforderung sein muss. Aber es geht ja um etwas: Wie können die Möglichkeiten, sich anders als binär geschlechtlich zu definieren, gesellschaftliche Repräsentanz finden?
    Was mich betrifft: Mir wird von fast jeder Seite aus zu sehr biologistisch argumentiert.
    Was ich sehe: eine Kultur der Unzufriedenheit mit Geschlechtszuschreibungen, die in meinen Augen ihre volle Berechtigung hat (Stichwort: Gewalt) mit Lösungsvorstellungen, die auch mich sehr oft sehr traurig machen, weil ich sehe, dass es nicht unbedingt glücklicher macht, wenn jemand die größte Zeit ihres*seines Lebens damit verbringt, körperlich etwas darzustellen, was der körperlichen Verfassung zuwider läuft.
    Ich erlebe das meist mit Frauen, die das Altern nicht akzeptieren können und ihre Körper mit sogenannten “Schönheits”OPs herrichten wollen und dabei schlimm zurichten. Sie wollen als schöne (junge) Frauen wahrgenommen werden. Wen wundert es, wenn dies nun auch junge Frauen für ihre völlig entgegengesetzten Zwecke nutzen?

  • Maria Coors sagt:

    Liebe Judith,

    es ist ein Urteil, keine Verurteilung. Und vielleicht ist es in deinen Worten auch ein “knallhartes” Urteil. “Menschfeindlichkeit” ist jedenfalls in erster Linie ein politikwissenschaftlich gut fundierter Fachterminus.
    Nachkommende Generation Frauen, junge Frauen, Boomer-Frauen, alte Frauen…manchmal finde ich sozologisch fundierte Aussagen über bestimmte Frauengenerationen hilfreich, wie auch diese Diskussion z.B. bei Antje zeigt.

  • Judith sagt:

    Eigentlich habe ich dem nichts hinzuzufügen, (Haarspaltereien und wer hat jetzt recht, nützen dem allgemeinen Umgang ja nicht wirklich), außer daß ich mich doch als eine Alice Schwarzer-Fanin outen möchte. Ich bin ihr so dankbar, wie sie sich für Frauen stark gemacht hat, und bereit war so unglaublich viel Gegenwind entgegenzunehmen, in Zeiten, wo Frauen nochmal so unendlich viel mehr ihr Menschsein abgesprochen wurde, wie in dieser, und wir auch auf ihren Schultern stehen. Dieses Bashing ihrer Person gegenüber kann ich nicht nachvollzuziehen.
    Ich mache da jedenfalls nicht mit!

  • Hannelore Hutzler sagt:

    Ich finde die Diskussion sehr interessant und weiterführend, vermisse aber einen Aspekt, den ich nicht biologistisch nennen möchte, sondern auf die Sozialisation von Menschen bezogen, die sich in ihre Körper einschreibt.
    Wir haben ja keine Spaltung zwischen unseren einzelnen Aspekten, sondern haben Sozialisationserfahrungen, die mit unserer jeweiligen Gesellschaft zu tun haben, in unsere Körper aufgenommen. Der Körper ist eben nicht einfach etwas Biologisches, sondern bereits selbst politisch-gesellschaftlich-biografisch geformt. M.E. gibt es eine zunehmende Verachtung dieser Erfahrungen, die sich auch in der Formung des Körpers (besonders wohl immer noch bei alternden Frauen) zeigt. Dabei wird der Körper wie eine Art Rohmaterial betrachtet und nicht wirklich mit all seinen Erfahrungen geliebt.

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