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Rubrik leben

Sexy, sexy, sexy

Von Silke Teuerle

Das Objekt der Begierde

DickeFrauen“Ist doch sexy”, sagt die Verkäuferin, als ich zögernd aus der Umkleidekabine komme und mit Schrecken meinen Po betrachte. Ich wollte mir eine Schwimmshort kaufen, eben weil mein Hintern langsam nicht mehr ganz so sexy ist wie jene Short, die noch mehr Backe enthüllt als ein durchschnittlicher Bikini. Ich wollte verbergen, was nicht mehr einwandfrei glatt ist, eben schön und nicht sexy sein, aber das längerbeinige Herrenmodell, das ich dann anprobiere, verhüllt zwar, lässt mich mit dieser Luftbeule zwischen meinen Schenkeln jedoch so hermaphroditisch aussehen, dass es weder schön noch sexy ist. Dann muss meine noch winterschlaftrunkene Kondition eben auf andere Weise aufgemöbelt werden, beschließe ich frustriert.

“Ist ja nicht gerade sexy”, sagt mein Mann dann am Abend, als ich mich ganz hip in alten Leggings und überdimensioniertem Sweater vor meinem Kleiderschrank inmitten eines riesen Kleiderberges auf zwei neu erworbene Nordic Walking Stöcke stütze, um zu testen, was sich für diesen Zwitter aus kultiviertem Spaziergang und sportlichem Gerenne missbrauchen ließe. Das sagt er mir oft in der letzten Zeit. Wenn ich zum Beispiel wegen niedrigem Blutdruck kalte Füße habe und mit Strümpfen zum Negligé unter die Laken krieche. Und wenn ich nach getaner Arbeit in meine unförmige Lieblingshose mit Gummizug schlüpfe. Oder was man sonst so macht, weil man schon eine ganze Weile Bett und Tafel teilt und sich seiner Liebe sicher ist. Dann lässt man halt nur noch an besonderen Anlässen zu, dass einem ein String zwischen den Backen kratzt und ist nur noch gelegentlich sexy. Wobei auch diese Momente nicht unbedingt zu mehr Sex führen als meine Strümpfe.

Obwohl das doch der Sinn der Sache sein sollte. Sexy sein bedeutet schließlich Sex-Appeal haben, verrät das Wörterbuch, aufregend sein, erotisch attraktiv. Demnach müssten wir, bei all den Dekolletés, die einem draußen so begegnen, freien Bäuchen und muskelgespannten T-Shirts um die Männerbrust, recht aufgeheizt nach Hause kommen. Man hat aber festgestellt, dass die Deutschen auffallend wenig miteinander schlafen. Sexy sein ist in, nicht aber, dem auch die entsprechende Tat folgen zu lassen. Und schön sein ist out. “Das steht dir gut”, hört man kaum noch, auch wenn man argumentieren könnte, dies seien Modewörter und bezeichneten dasselbe Phänomen. Wenn ich rundfrage, kennen alle den Unterschied zwischen “sexy” und “schön” und benutzen diesen auch, wenn meist auch unbewusst. “Sexy”wird dabei höher bewertet.

Als ich meinen Mann frage, welchen Star er schön und welchen er sexy findet, dann antwortet er: “Penélope Cruz ist schön und Salma Hayek sexy.” Und Hayek ist sexy, weil er bei ihrem Anblick durchaus Lust hätte, mit ihr ins Bett zu gehen. Ein Angebot von Cruz würde er natürlich auch nicht ausschlagen, aber sexy findet er sie nicht. Sie müsste es ihm eben schon anbieten. Eine sexy Frau hingegen weckt Lust, direkt und ohne Nachfrage. Wer oder wie sie ist, interessiert dabei wenig. Mein Mann findet sogar Pamela Anderson sexy, ein Grund, an seinem IQ zu zweifeln. Aber Intelligenz gehört auch nur bei 23% der Männer zu wünschenswerten Eigenschaften möglicher Partnerinnen, das habe ich letztens in einer dieser intelligenzschonenden Zeitschriften beim Zahnarzt gelesen. Große Brüste und weiche Münder erfreuen da wohl mehr Männer”herzen”. Mit ihrem IQ hat das gar nichts zu tun.

Auf unserer Eigenschaftenwunschliste dürfte wohl kaum sein Brustkasten stehen. Derlei Körperlichkeiten interessieren uns Frauen nicht oder wir sind zumindest nicht daran gewöhnt, uns dafür zu interessieren. Dieser Schluss könnte nach einem Vergleich einer Frauenzeitschrift mit einem Männermagazin, das um ähnliche Äußerlichkeiten geht, auf jeden Fall gezogen werden. Ich habe mal grob gezählt: Ohne Autorenfotos, Reklame oder Zeichnungen bildet das Männerblatt, das mir gerade in die Hände fiel, 70 Männer ab und 34 Frauen (davon übrigens sieben in Lingerie und fünf oben ohne). Auf zehn Männer kommen also 4,8 Frauen. Das Frauenmagazin zeigt uns 75 Frauen und 13 (angezogene) Männer. Auf zehn Frauen kommen also schlappe 1,7 Männer. Der erste Mann taucht im Frauenblatt auf Seite 101 auf. Die Herren dürfen sich schon direkt auf dem Cover an einem Bikiniwesen erquicken.

ZetaDas weckt den Eindruck, als seien wir Leserinnen etwas narzisstisch angelegt. Allerdings trifft eine solche Selbstbezogenheit auch auf Männer zu. Denn wer eine Frau im Hinblick auf ihre erotische Anziehungskraft betrachtet, setzt sich damit in Relation zu ihr, dann geht es um die Geschehnisse hinter seinem Hosenschlitz und nicht um die Frau selbst. So wie es ja auch beim pfeifenden Bauarbeiter nicht darum geht, dass wir schön sind, sondern darum, dass er uns attraktiv findet und uns das auch dringend wissen lassen muss. Winkt das Objekt der Begierde, bevor er seine Lippen spitzt, dann guckt er ganz schnell weg und arbeitet fleißig weiter. Dann begehrt sie ja plötzlich ihn, und das ist schließlich nicht der Zweck der Übung.

Im Baubetrieb bei uns um die Ecke läuft schon seit Jahren ein pensionierter Bauarbeiter herum, und der winkt mir immer zurück, wenn ich ihn zuerst grüße. Wahrscheinlich kommt das durch seine inzwischen gesunkene Libido. Meinen Mann grüßt er aber trotzdem nicht. Ich vermute, er hat ihn nie bemerkt und kennt ihn gar nicht. Die amerikanische Journalistin Norah Vincent hat diesen feinen Unterschied erlebt, als sie ein Jahr lang als Ned durchs Leben ging. Während sie als Frau nichts anderes kannte, als von oben bis unten beguckt und taxiert zu werden, löste sie als Mann allgemeines Desinteresse aus. Sie beschreibt das als Respekt, mit dem Männer sich gegenseitig begegnen. Zu langes Anschauen würde als Provokation oder schwule Anmache erfahren.

Wir sind diese Provokationen längst gewöhnt und haben das Angeschautwerden zum allgemeinen Beurteilungskriterium entwickelt. Die Haut, die sich hinten an meinem Körper langsam nicht mehr so gestaltet, wie mir lieb ist, sehe ich zwar unter normalen Umständen nicht, denn mir kleben schließlich keine Augen am Po, zumindest keine eigenen. Jene uneigenen aber machen, dass ich mich auf der Suche nach passenden Kleidungsstücken, mit denen ich mich in die Öffentlichkeit begeben möchte, in der Umkleidekabine in rückenschädigende Positionen winde und wie eine Besessene auf meinen Hintern starre, mich in all die Blicke hinein versetzend, die ihn streifen könnten (und werden), anstatt gelassen wie mein Mann mein Bäuchlein über den Badehosenrand zu hebeln, gelassen “passt” zu murmeln und mich keines einzigen Blickes im Spiegel zu würdigen.

Scarlett Johansson, die vom For Him Magazine im letzten Jahr zur Nummer eins der “100 Sexiest Women in the World” gekürt und kürzlich auch vom Playboy als erotischste Frau betitelt wurde, findet das wahrscheinlich normal, denn sie meint, dass eine Frau nichts lieber hört, als dass sie sexy ist. Wenn man daneben den als größten Entertainer bekannten Robby Williams hört, der bemerkt, es sei wohl eine wissenschaftliche Tatsache, dass der Verstand des Mannes durch sein wichtigstes Stück dominiert wird, dann kann man sich ausrechnen, wie gut sich Männer und Frauen wirklich verstehen. Mein sexy Dekolleté zumindest führt bei meinem Mann aus Zeit- und Energiemangel zwar eher selten zu Sex, dafür aber zu einer Menge Unaufmerksamkeit. Ein vernünftiges Gespräch ist bei solchem Anblick auf jeden Fall nie möglich.

Hätte ich meine Zeit und Energie heute nicht in nervtötenden Umkleidekabinen verschwendet, dann würde mein Hirn das zumindest nun leisten können. Dann würde ich sogar meine mit unsexy Leggings geschmückten Beine um den Rumpf meines Mannes schlingen, meine ganze Aufmerksamkeit seinem wichtigsten Stück widmen und ihm zeigen, was erotische Anziehungskraft wirklich bedeutet. Aber ehrlich gesagt, möchte ich jetzt nur noch mein Durcheinander vorm Kleiderschrank beseitigen und ins Bett. Wieder ein beischlafarmes Paar, das in die Statistik eingeht.

Autorin: Silke Teuerle
Redakteurin: Silke Teuerle
Eingestellt am: 25.02.2007

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