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Bücher über schwierige Beziehungen

Von Antje Schrupp, Michaela Moser

Zwei neue Bücher beschäftigen sich mit schwierigen Beziehungen in heutigen Zeiten. Lesetipps von Michaela Moser und Antje Schrupp.

Der Roman “Ich hatte vergessen, dass ich verwundbar bin” von Delphine de Vigan ist ein sehr spezielles leise Buch, das auf schöne – und irgendwie sehr ‘französische’ – Weise persönliche und gesellschaftliche Verhältnisse (unter anderem Mobbing) verknüpft. Mathilde, verwitwete Mutter von drei Kindern und bis vor kurzem gern und erfolgreich als Marketingassistentin arbeitend, wird nach und nach und ohne es selbst so wirklich mitzubekommen von ihrem Chef quasi kaltgestellt, bis hin zur vollständigen Erniedrigung und Drangsalierung. Thibault, der als Notarzt arbeitet, trennt sich von seiner Geliebten, die ihn nicht wirklich liebt oder ihre Liebe nicht so zeigen kann, wie er es braucht. Ob es die Begegnung mit ihm ist, die Mathildes Leben am 20. Mai eine Kehrtwendung ins Positive bringt – wie eine Wahrsagerin ihr vorausgesagt hatte, bringt zusätzlich eine feine Art von Spannung in dieses Buch über die menschliche Verwundbarkeit, auch von sehr selbstbewussten, reflektierten, kämpferischen Frauen und Männern. Empfehlung! (Michaela Moser)

Delphine de Vigan: Ich hatte vergessen, dass ich verwundbar bin. Droemer-Knaur 2010, 18 Euro.

Marlene Streeruwitz schildert in ihrem aktuellen Erzählband die Lebenssituationen von neun Frauen und elf Männern. Alle Geschichten haben denselben Aufbau. Jede Person steht vor einer wichtigen Entscheidung oder Begegnung, und ausgehend davon wird ihr Leben erzählt und wie es zu dieser Situation gekommen ist. Gemeinsam ist den Geschichten , dass die Konflikte und Probleme, um die es geht, jene große gesellschaftliche Veränderung widerspiegeln, die die Emanzipation der Frauen und der Feminismus mit sich gebracht haben. Und die die Welt offensichtlich nicht zum Paradies geführt haben. Da ist die junge Frau, die ohne Vater aufgewachsen ist, erzogen von einer selbstbewussten feministischen Mutter, und die nun – gegen den Rat der Mutter – ihren Vater treffen will. Da ist die Professorin, die früher aus feministischer Überzeugung heraus einer nur mittelmäßig begabten Studentin zur Professur verholfen hat und von eben dieser nun wegrationalisiert wurde. Da ist der Ehemann einer erfolgreichen Diplomatin, der fast die ganze Erziehungsarbeit für das gemeinsame Kind übernommen hat, ohne dafür wirkliche Anerkennung zu finden. Da ist die Tochter kurdischer Flüchtlinge, die ihren eigenen Weg gehen will, ohne sich mit ihrer Familie zu überwerfen. Aber es gibt auch die “Klassiker”, die klassische Ehefrau, die betrogene Geliebte, die ausgelaugte Selbstständige. Die Geschichten sind vor allem wegen der so zielsicher beobachteten Details lesenswert. Was in all diesen Beziehungen schief läuft, das ist nämlich weniger das “Große und Ganze”, als vielmehr die kleinen alltäglichen Einzelheiten. Es zeigt sich: Feminismus ist keine Theorie oder politische Strategie, die irgendwann zu paradiesischen Zeiten führt, sondern eine experimentelle Praxis, die eingeübt werden will. Warum die weibliche (und auch männliche) Freiheit auch in emanzipierten Zeiten ständig in Gefahr ist, macht Streeruwitz in ihren Erzählungen plausibel und anschaulich. (Antje Schrupp)

Marlene Streeruwitz: Das wird mir alles nicht passieren… Wie bleibe ich Feministin. Fischer 2010, 9,95 Euro.

Autorin: Antje Schrupp, Michaela Moser
Eingestellt am: 04.11.2010
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