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Kontenbewegung: Zur politischen Kultur des Grundeinkommens

Von Katrin Heinau

Am bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) beeindrucke sie, sagte Frigga Haug kürzlich, dass es immerhin eine Bewegung sei. Allerdings träten die Befürworter inzwischen imperialistisch auf. Mache sie eine Veranstaltung über die „Vier-in-einem-Perspektive“, so erhebe sich immer irgendwann jemand mit dem Vorschlag, nun über Grundeinkommen zu diskutieren.

Ich denke, von einer Bewegung trennt die Grundeinkommens-Befürworter erstens eine über die bloße Geldforderung hinausgehende gemeinsame Vision und zweitens eine Kultur. Die Verschiedenheit der Anhänger (und Anhängerinnen) scheint ihre Stärke zu sein. Und das ist sie auch, wenn man die steigende Zahl der Aktivisten und Sympathisantinnen betrachtet. So verschieden die Anhänger, so verschieden ist auch, was sich hinter ihrer Befürwortung verbirgt. Die Frage, wie ein Bündnis so Verschiedener aussehen kann, stellt sich dringend.

Schon seit längerem wird der Drogeriekettenchef Götz Werner als prominentes Gesicht der Bewegung wahrgenommen, und sein Finanzierungsmodell, das letzten Endes eine unternehmerfreundliche Radikalsteuerreform ist und mit Grundeinkommen meiner Ansicht nach gar nichts zu tun hat, gilt in der Bevölkerung als ein und derselbe Zusammenhang. Aber es ist gut, dass in der Grundeinkommensbewegung keine Parteidisziplin waltet. Aber welches Verhalten untereinander könnte sie ersetzen?

Das Netzwerk Grundeinkommen hat sich im Anschluss an das Basic Income Earth Network auf vier Grundsätze geeinigt: Demnach ist das BGE erstens ein existenz- und teilhabesichernder, steuerfinanzierter Betrag, dessen Höhe sich nach den regionalen Gegebenheiten richtet; zweitens ein individuell garantierter Rechtsanspruch, das heißt, es gibt keine Bedarfsgemeinschaften mehr, kein Partnerschaftsmodell wird bevor- oder benachteiligt; drittens wird es gewährt ohne Bedürftigkeitsprüfung; ohne Zwang zu Arbeit oder sonstigen Gegenleistungen, viertens hätte das BGE die Abschaffung von Hartz IV zur Folge, aber nicht die Abschaffung von Arbeitsvermittlung.

Diese Vier Punkte sind aber noch keine Vision, und eine gemeinsame Vision nicht haben zu wollen, führt nach meiner Beobachtung dazu, dass Protagonisten der Szene ihre Intelligenz dazu benutzen, einander charismatisch-rhetorisch oder möglichst aggressiv den programmatischen Sack überzuwerfen. Damit wird Energie nach innen verbraucht, anstatt nach außen gebraucht. Der Mangel an gemeinsam getriebener politischer Philosophie rächt sich, begünstigt Animositäten, Enttäuschungen und Feindschaften. Genervte Aktivistinnen räumen das Feld oder fühlen sich nicht zum engeren Kern einer Initiative gehörig. („Das ist ein Sprachwettbewerb“, sagte meine sechsjährige Tochter, die ich einmal zum Treffen meiner Berliner BGE Initiative mitnehmen musste, „wer am meisten redet, hat gewonnen!“)

Ist es typisch für gegenwärtige politische Gruppen, Gender-mainstreaming für bereits institutionalisiert zu halten und eigene blinde Flecken nicht mehr wahrnehmen zu wollen? Und gibt es einen Zusammenhang zwischen interner Unkultur und fehlender Vision?

Es wird meines Erachtens zu wenig Anstrengung unternommen, in Hinblick auf ein Bündnis Verschiedenheit zu denken. Und warum auch? Ist das in diesem Zusammenhang überhaupt möglich und sinnvoll? Sollen sich politische Gegner wegen einer Geldforderung zusammenschließen?

Immerhin erläutern BGE-Befürworter in der Regel, es handle sich eigentlich um eine universalistische Forderung, auch wenn dies nicht immer gesagt würde; Grundeinkommen als das zum Leben und zur Teilhabe Notwendige sei ein Menschenrecht, das weltweit gelte. Dem schließe ich mich an. Einmal mehr ist der Begriff „bedingungsloses Grundeinkommen“ zu überdenken, klingt er doch immer ein wenig wie mit dem Rücken an der Wand. Eine Formulierung wie „soziale Garantien des Lebens“ (so Frigga Haug im Anschluss an Rosa Luxemburg) scheint mir zugewandter, zustimmungsfähiger und offener für die jeweiligen Gegebenheiten.

Aber noch einmal die Frage: Ist es denn eine Bewegung, wie Frigga Haug meinte? Ich denke nicht. Denn eine Bewegung ist von einer politischen Kultur der Aktivistinnen und Aktivisten geprägt, die sich in ihrer Beziehung untereinander äußert, und dies nicht nur zufällig, sondern die darin schon spiegelt und vorwegnimmt, was ihr gesellschaftliches Ziel ist, die also selbst bereits eine Praxis ist oder es im Verlauf wird. In der Frauenbewegung zum Beispiel haben Frauen in und durch die Bewegung gelernt, sich in stärkerem Maße auf andere Frauen zu beziehen. Diese Beziehungskultur zwischen Geschlechtsgenossinnen ist eine politische Praxis geworden und das ist denen, die sie betreiben, bewusst.

Welche politische Beziehung könnten die Anhänger und Anhängerinnen des BGE miteinander haben? Wäre das nicht eine der solidarischen Ökonomie, wirksamer und menschlicher sogar ohne Geld? Suppenkochaktionen für die Öffentlichkeit (und füreinander) gingen in diese Richtung. Im Allgemeinen wird hier wenig probiert, nichts riskiert. Der Einsatz für das BGE hat keine Praxis, sowenig wie es eine Theorie hat.

Aus der Diskussion in einer Mailingliste ging 2004 das Manifest „Gutes Leben“ hervor, worin die Verfasserinnen, heute zum Teil Redakteurinnen des Forums bzw-weiterdenken, Vorschläge für ein „sinnvolles Zusammenleben im ausgehenden Patriarchat“ unterbreiteten. Grundeinkommen hatte darin einen Platz, und auf dem Grundeinkommenskongress 2008 entdeckte ich das Manifest ebenfalls, als Flugblatt, und war fortan gestimmt mich zu engagieren.

Eine Vision wurde darin formuliert. Die Vision wäre nicht denkbar ohne die Analyse der historischen Situation: Das Patriarchat geht zu Ende. Arbeit, Leben aller Menschen ändern sich dadurch, haben sich schon geändert. Institutionen, die das Ende der Väterherrschaft nicht verdauen, werden an dieser Blase platzen. Das gilt für Initiativen, Vereine und Gruppen genauso. Die fälschlich so genannte Anarchie (wie schön, wenn es eine wäre!) ist Verantwortungslosigkeit der Erben der Väterherrschaft, und Unkultur ihrer Beziehungen ist ihr Zeichen. Das Gerede vom Backlash im Postfeminismus täuscht darüber hinweg, dass es nur eine Frage kurzer Zeitspannen ist, innerhalb derer auch diejenigen, deren persönliche Verhältnisse es noch verhindern, sich als Emanzipierte begreifen.

Zum Beispiel auf diese Weise scheint mir die Idee für ein Grundeinkommen sinnvoll in eine größere Vision eingebettet. Ich selbst habe mich innerhalb der Grundeinkommens-„Bewegung“ öfter – ja, was, positioniert? Der Angriff, den allein der Hinweis auf patriarchalen Schutt darstellt, und die Leugnung der historischen Situation macht es Frauen, die durch die Frauenbewegung und ihre Folgen sozialisiert wurden, in gegenwärtigen politischen Kontexten schwer. Sie erscheinen wie gestrig, sind aber gleichzeitig wie aus der Zukunft. Der Hebel ist lang, an dem sie sitzen, und sie überlegen gut, ob sie ihn betätigen. Geschlechtsneutralität scheint überall das Gebot, Differenz ist schwer hineinzutragen.

Männliche und weibliche Menschen in einer Bewegung an einem gleichzeitigen Ort – das hätte ich gern.

Autorin: Katrin Heinau
Redakteurin: Antje Schrupp
Eingestellt am: 10.03.2011
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