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Die Kirche als Paradies in dieser Welt

Von Antje Schrupp

In einer Serie fasst Antje Schrupp kapitelweise das Buch „Saving Paradise“ von Rita Nakashima Brock und Rebecca Ann Parker zusammen. Kapitel 4: Die Kirche als Paradies auf dieser Welt.

Christus als Weltenherrscher, hier in der Apsis der Kirche von Cefalu. Foto: Andreas Wahra, CC BY-SA 3.0.

In diesem Kapitel geht es darum, wie Paradiesbeschreibungen im 4. und 5. Jahrhundert einen Boom erlebten. In diesen Jahrhunderten veränderte sich der Charakter des Christentums stark, vor allem wegen seiner Anerkennung als römische Staatsreligion durch den römischen Kaiser Konstantin.

Schon im 2. Jahrhundert hatte Irenäus, Bischof von Lyon, die Kirche als „Paradies in dieser Welt“ bezeichnet. Die Anerkennung als Staatsreligion machte den christlichen Gemeinden möglich, Krankenpflege und Armenversorgung auf breitere Beine zu stellen, die Kirchengebäude wurden mit großen Paradiesbildern ausgeschmückt.

Das Paradies, so die verbreitete theologische Meinung damals, ist gleichzeitig auf der Erde und doch auch nicht „von dieser Welt“. Man kann, wenn man „christlich“ lebt (also entsprechend der „ethischen Anmut“ der Nachfolge Jesu – vgl. Kapitel 2), Spuren vom Paradies im Alltagsleben sehen und fühlen, am besten aber in der christlichen Gemeinschaft, also in der Kirche. Damit einher ging, dass sich die Einstellung zu den Bedürftigen eine andere war, als sie heute üblich ist: Ihnen kam eine aktive Rolle zu und keine passive, denn indem sie um Hilfe baten und sich versorgen ließen, gaben sie anderen die Möglichkeit, ihre Liebe und „ethische Anmut“ unter Beweis zu stellen.

Die „christliche Erlösung ins Paradies“ war also einerseits eine reale Erfahrung und ein realer Ort, aber andererseits auch eine Arbeit, die erst noch vervollständigt werden musste. Um das Paradies zu verwirklichen, brauchen Menschen Übung und Wissen, und dazu sollte eine spirituelle Praxis in den Gemeinden verhelfen. Im Zentrum dieses Konzeptes stand „Weisheit“, also die Fähigkeit, Gut und Böse, Richtig und Falsch zu unterscheiden. Dabei ist das materielle Leben (Essen, Pflege, Kleidung) nicht vom spirituellen Leben zu trennen.

Von Seite der Kirchengegner gab es diesbezüglich Vorwürfe, die Christ_innen würden Leute mit falschen Versprechungen (der materiellen Versorgung) zur Taufe überreden.

Theologen aus dieser Zeit betonen, dass das Paradies auf der Erde existieren kann, auch wenn die Welt mit ihrem Leid und den Konflikten erst einmal nicht danach aussieht. Jesus hatte den „Geist“ verkörpert, mit dessen Hilfe die Menschen wieder jene „Göttlichkeit“ erlangen können, die Adam und Eva verloren hatten. Das Paradies ist ein Teil der Schöpfung. Ein Kirchenlehrer, Ephrem, beschrieb es so, dass Jesus der „wahre Weinstock“ sei, der nicht abgeschnitten werden kann, weil seine Wurzeln fest im Himmel verankert sind, aber dessen Zweige bis auf die Erde reichen. Andere beschrieben Jesus als „Medizin des Lebens“.

Durch die Stellung als Staatsreligion vermischten sich allerdings politische und religiöse Fragen. Zum Beispiel war Christ_innen das Töten generell verboten, wer einen Menschen getötet hatte, konnte nicht an der Eucharistie (also am gemeinsam erlebten Paradies) teilnehmen. Als Kaiser Theodosius 390 ein militärisches Massaker befahl, wurde er deshalb von Bischof Ambrosius exkommuniziert, der damit drohte, wenn Theodosius am Abendmahl teilnehmen würde, könne die gesamte christliche Gemeinschaft nicht mehr „im Paradies schlemmen“. Theodosius akzeptierte das Verdikt und übte acht Monate Buße.

Die Kirchenführer versuchten also, auch in der Position der Staatsreligion die Trennung zwischen „Kirche“ (als Ort, wo das Paradies auf Erden erlebbar ist) und dem „politischen Imperium“ (das quasi zum Gegenbild des Paradieses wurde) aufrecht zu erhalten. Das Bild vom Paradies sollte weiterhin Korrektiv und Gegenpunkt der irdischen Macht sein. Mit dieser Unterscheidung beschäftigte sich auch Augustinus (354-430), vor allem in seinem Buch „Die Stadt Gottes“, wobei er sich gegen andere Kirchenväter stellte (z.B. Eusebius), die einen engeren Anschluss an die römischen Herrscher suchten.

Brock/Parker interpretieren auch die theologischen Auseinandersetzungen um die Natur Jesu in diesem Kontext. Beim Konzil von Nicäa (324) ging es darum, ob Jesus von gleicher Göttlichkeit ist wie Gott oder diesem untergeordnet. Das Konzil hatte Kaiser Konstantin einberufen, weil er eine einige Reichskirche haben wollte (die Bischöfe hatten zu diesem Punkt damals unterschiedliche Ansichten). Nach wochenlanger Debatte kam das Konzil – zum Ärger Konstantins, der wie seine Söhne Anhänger der unterlegenen Richtung blieb – zu dem Entschluss, Jesus sei von gleicher Göttlichkeit wie Gott, also diesem nicht untergeordnet. Brock/Parker sehen darin eine Bekräftigung, dass Christus höhere Autorität hat als der Kaiser (der nach römischem Verständnis ja auch von göttlichem Wesen war).

Hier wurde die Grundlage für den lang andauernden Konflikt zwischen Kirchenhierarchie und weltlicher Hierarchie gelegt, der für die westliche Geschichte so prägend war. Trotz der „guten“ (weil anti-imperialen und anti-militaristischen) Absicht dahinter beurteilen Brock/Parker diese Wendung kritisch, weil damit auch die gefestigte Macht einer „Kirchenhierarchie“ etabliert wurde, die unter anderem dann auch zum expliziten Ausschluss von Frauen führte (analog zum patriarchal organisierten römischen Reich).

In der Folge entstanden in der christlichen Welt zahlreiche Abbildungen von Christus als „Pantokrator“, also als Weltenherrscher, der ausgestattet ist mit Ornaten und Insignien der Macht – ein Bild, das nach und nach das des „guten Hirten“ verdrängte und in den orthodoxen Kirchen des Ostens immer noch vorherrschend ist (dort haben sich die späteren westlichen Kreuzesdarstellungen nie etabliert). Paradiesbilder waren in den Kirchen immer noch dominant, aber Jesus war jetzt sozusagen nicht mehr „mittendrin“, sondern thronte „obendrüber“.

Weiter zum Kapitel 5: Das Tor zum Paradies

Autorin: Antje Schrupp
Redakteurin: Antje Schrupp
Eingestellt am: 16.06.2012
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Kommentare zu diesem Beitrag

  • Else Shamel sagt:

    Inzwischen habe ich das Buch erwerben können – und lese mit Begeisterung. Die Sprache ist wunderbar, relativ leicht zu lesen – wenn ich auch, des wichtigen Inhaltes wegen, das Wörterbuch daneben liegen habe.
    Wenn ich die Stimmung der Texte und der Sprache schildern soll: dann in Farben: alles in hellem, warmem goldenem Licht mit sanftem hellem jungem Buchengrün…sehr klar und durchaus kritisch, aber in warmem, liebevollem Ton.Sehr zu empfehlen.
    Dank an Antje Strupp für die Vorstellung dieses Buches.

  • Gré Stocker-Boon sagt:

    Liebi Lüüt,

    Taufe (als Kind).
    Neuerdings gibt es in den Gemeinden auch noch den Aufruf und das Angebot die Kindestaufe als Erwachsene nochmals zu erneuern und damit zu bestätigen. Das heisst,und das ist meine Meinung,die Kirche/Behörden bemüht sich mit “renken und lenken”,die Menschen zu oft als “Suchende” oder Verloren zu sehen,statt sie Mitgestalten,Gestalten zu lassen, als jene die “Gefunden” haben und Glücklich sind.Dies gerne zeigen wollen in irgendeiner Art was für die Betreffende stimmt..Die KirchenleiterInnen müssen dann nicht immer auch noch meinen da herein mischlen zu müssen,damit sie schlussendlich das letzte Wort und Machtwort haben.

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