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Finanzkrisen entstehen nicht aus Gier, sondern aus Angst

Von Ina Praetorius

Christina von Braun analysiert in ihrer Kulturgeschichte des Geldes ausführlich die Dynamik dieses nur vermeintlich allgemeinen und neutralen Tauschmittels. Mit ihrer Verbindung von Patriarchats- und Geldkritik liefert sie viel Material für fruchtbare Debatten. Eine Rezension von Ina Praetorius.

Foto: Pegra – Fotolia.com

Christina von Braunist eine fleissige Leserin, und das ist gut so. Schliesslich will sie uns das Geld und damit ungefähr 6000 Jahre Weltgeschichte erklären. Kaum erschienen, wird ihr Buch auf dem Rückumschlag schon als „das unverzichtbare Grundlagenwerk“ angepriesen.

Und tatsächlich brauchen wir das, spätestens jetzt, in Zeiten der nicht enden wollenden Finanz- und Währungskrisen: ein ausführliches, engagiertes und gerade deshalb auch distanziertes Nachdenken über das nur vermeintlich allgemeine und neutrale Tauschmittel Geld.

Anders als die meisten Geldtheoretiker klammert Christina von Braun das Geschlechterthema nicht aus, sondern räumt ihm einen Platz in der Mitte ihrer Analysen ein, ohne dadurch andere Fragehinsichten – theologische, machtpolitische, technologie- und kunsthistorische, psychologische – zu vernachlässigen. Dass gefühlte fünfzig Prozent des 500 Seiten starken Buches zitiert sind, nicht nur, aber auch aus der gängigen „grossen“ Theorie – Simmel, Freud, Polanyi, Keynes, Sombart, Schumpeter, Galbraith, Bourdieu… – mindert zwar zuweilen den Lesegenuss, spricht aber für eine Autorin, die sich nicht mit fremden Federn schmückt und sich gründlich kundig macht, bevor sie eigene Thesen in die Welt setzt.

Geld – Opfer – Angst

Nicht Gier, sondern Angst ist laut Christina von Braun die wesentliche Ursache für Finanzkrisen. Und die Angst ihrerseits ist begründet in der Tatsache, dass insbesondere das hochabstrakte moderne Kreditgeld nicht auf realen Gegenwerten beruht, sondern auf Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der jeweiligen Gemeinschaft, die das Geld erschafft und braucht.

Von dieser These ausgehend untersucht die Kulturwissenschaftlerin zunächst die Ursprünge des Geldes in den Bedürfnissen des Tauschhandels, in staatlicher Herrschaft und im sakralen Opfer, wobei sie letzterem die bei weitem grösste Prägekraft für die Funktionsweise des Geldes bis in seine abstraktesten Formen zuschreibt.

Von den drei Quellorten Tempel, Palast und Markt ausgehend zeichnet sie die verschlungene Geschichte des Geldes nach: von der Kaurimuschel über die ersten mesopotamischen Münzprägungen, die hellenistisch-dualistische „Exkarnation“ des Geldes, die schliesslich in die Erfindung des Papier- und des elektronischen Buchgelds mündet.

Dass sich das Geld insbesondere im Okzident von seiner materiellen (zu Griechisch Meter = Mutter) Grundlage löst, verlangt den Geschlechtern Unterschiedliches ab: Während das Weibliche auf die Seite abgewerteter und kontrollbedürftiger Materialität gerät, verlangt die Entmaterialisierung des „Wesentlichen“ vom männlichen Körper eine symbolische Kastration im Sinne der Entwicklung „geistiger Potenz“, die zum Beispiel im Ideal des zölibatären Priesters, aber auch im Manager oder Banker, der nur noch für die Vermehrung des Geldes lebt, ihren Ausdruck findet. Laut Christina von Braun hat insbesondere die hellenistisch geprägte christliche Dogmatik, die – anders als das Judentum und der Islam – die Inkarnation des Nichtsichtbaren lehrt, das Modell geliefert für diese Machtübernahme abstrakter Ideen (Alphabet, Zeitmessung, Geld) über reale Körper.

Weiblichkeit hat im Zuge der Entstehung der dualistischen Ordnung das Andere zu repräsentieren und gerät auf die Seite abgewerteter und kontrollierter Materialität, was sich in so unterschiedlichen Praxen wie der Erfindung des Zinses als abstrahierter Fruchtbarkeit, weiblicher Geldabstinenz, Minderbewertung weiblicher Arbeit, Prostitution und schliesslich den Reproduktionstechnologien äussert. Christina von Braun bewertet das am Ende, im Ausblick, nicht nur negativ: „Ich gestehe, dass ich … eine gewisse Hoffnung auf die Frauen setze. Nicht dass ich an ein bestimmtes ‚Naturell’ der Frauen glaubte… Aber … in der Geschichte des … Geldes hatte der weibliche Körper nicht denselben Preis zu entrichten wie der männliche … Mag sein, dass es ihnen (den Frauen) deshalb auch leichter fällt, ihre Begeisterung für das Geld im Zaum zu halten und weniger Diensteifer zu entwickeln.“ (440)

Viel Material für die notwendige Transformation

Eine Fülle an aufschlussreichen Details hat Christina von Braun zusammengetragen, um zu zeigen, dass Geld weit mehr ist als die vom ökonomischen Mainstream noch immer behauptete blosse Recheneinheit: Die Tempelarchitektur neuzeitlicher Bankgebäude, Bulle und Bär, die Doppeldeutigkeit des Begriffs „Messe“, die Ähnlichkeit von Hostie und Münze zum Beispiel. Oder auch die Fruchtbarkeitsmetaphorik der Börsensprache, der ausufernde Kunstmarkt als „Pseudotranszendenz“, der ritualisierte Bordellbesuch nach erfolgreichen Börsendeals, das sprunghafte Wachstum des Psychomarktes in den boomenden Neunzigerjahren. Und sie verweist auch auf den Beitrag der Queer-Theorie zur Konstituierung des bindungslos-marktgängigen Subjekts und weist schliesslich auf die Tatsache hin, dass auch heute noch „Menschenopfer“ nötig zu sein scheinen, wenn fragiles Geld nach Beglaubigung sucht, sowie auf die Kommerzialisierung von „Leben“ im genetikbetriebenen Biokapitalismus. All das und noch viel mehr liefert Anschauungsmaterial für den Facettenreichtum des Mediums Geld.

Gefährlich wäre es, solche bis in scheinbar vom Geld unabhängige, oft als durchaus fortschrittlich empfundene Alltagspraxen reichende Dimensionen des Mediums Geld zu verleugnen – und damit auch die tiefgreifende kulturelle Transformation, die es bedeutet, die machtvolle Eigendynamik des Geldes so zu „kanalisieren“ (440), dass es seine positiven Wirkungen – soziale Mobilität, Demokratisierung, Freisetzung von Kreativität – (wieder) entfalten kann.

Dass der Berliner Professorin auch Verkürzungen unterlaufen, etwa wenn sie die Religionen auf ihre offiziellen Dogmensysteme reduziert oder in dem löblichen Bestreben, lauernden Antisemitismen und Antiislamismen entgegenzuwirken, nun ihrerseits alles Christliche zur Negativfolie aufbaut, sei ihr verziehen.

Begeisternd und zukunftsschwanger ist es vor allem, dass wir in den kommenden Jahren über eine Kulturtheorie des Geldes werden debattieren können, die den Bezug zu feministischen Debatten nicht verbirgt, sondern freilegt und auf konkrete Handlungsmöglichkeiten weist, die eine fruchtbare Verbindung von Patriarchats- und Geldkritik am Horizont erscheinen lassen.

Christina von Braun: Der Preis des Geldes. Eine Kulturgeschichte, Berlin (Aufbau-Verlag) 2012, 510 Seiten, 34 Euro.

Autorin: Ina Praetorius
Redakteurin: Antje Schrupp
Eingestellt am: 02.08.2012
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Kommentare zu diesem Beitrag

  • heli voss sagt:

    die tolle christina v. braun.
    danke für den Buchtipp!
    wie viel ich schon von dieser Prof. profitierte:
    geistiger Profit!
    nun: Mäuse-Futter; Kneten-Aufklärung,Gold-Verwertung!
    Danke,
    helivoss

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