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Schöne neue Welt der Fortpflanzung

Von Ina Praetorius

Hildburg Wegner hat Texte der US-amerikanischen Soziologin Barbara Katz Rothman über Schwangerschaft, Geburt und Gendiagnostik ins Deutsche übersetzt. Eine Rezension von Ina Praetorius.

Vor 25 Jahren warf die Debatte um Gen- und Reproduktionstechnologien hohe Wellen. Ich erinnere mich an Hunderte von Feministinnen, die zum Kongress „Frauen gegen Gen- und Reproduktionstechnik“ strömten, zu dem der Arbeitskreis Frauenpolitik der Grünen im April 1985 nach Bonn eingeladen hatte. Maria Mies hielt damals eine flammende Rede zum Thema „Wozu brauchen wir das alles?“, Resolutionen wurden verabschiedet, internationale Widerstandsnetze gegründet.

Heute gibt es noch ein paar Aktionsgruppen gegen Pränataldiagnose, In-vitro-Fertilisation und selektive Bevölkerungspolitik. Viele der damals Aktiven (ich auch) haben sich aber aus der Debatte zurückgezogen. Weil alles gesagt ist? Weil sowieso nichts mehr zu retten ist? Oder weil das Ganze vielleicht doch auch Vorteile hat?

25 Jahre danach…

Im Jahr 1985 bedeutete „Pränataldiagnose“ nichts als „Amniozentese“, Fruchtwasseruntersuchung. Heute sind viele junge Frauen der Meinung, Ultraschalluntersuchungen habe es „schon immer“ gegeben, es sei vollkommen normal, das Geschlecht des Foetus im vierten Schwangerschaftsmonat zu kennen und mittels einer einzigen Blutabnahme zig Routinetests „machen zu lassen“.

Die „Schwangerschaft auf Abruf“ (wie es die US-amerikanische Soziologin Barbara Katz Rothmann in ihrem gleichnamigen, 1989 erschienenen Buch nannte) ist weitgehend zur Normalität geworden. Denn in den meisten Fällen dienen die vielen Tests ja tatsächlich der Beruhigung der Schwangeren, „dass alles in Ordnung ist“.

Und wenn der Foetus sich dann doch als „genetischer Unfall“ (156) herausstellt? Dann ist die Schwangere nach wie vor im Wesentlichen  allein mit der Entscheidung, ob sie abtreiben oder ein – möglicherweise – behindertes Kind zur Welt bringen will. Wird man in 25 Jahren Foeten abtreiben, deren Erbmaterial darauf hindeutet, dass sie im Laufe ihres Menschenlebens drogensüchtig oder depressiv werden könnten?

Was hat sich verändert dadurch, dass Frauen gelernt haben, sich selbst als „Risiko“ und den Foetus als autonomes Wesen mit eigenständigen Rechtsansprüchen wahrzunehmen, zu dem sich mittels Ultraschallbild im ärztlichen Behandlungszimmer eine „Beziehung“ aufbauen lässt? Wie wirkt es sich auf diese Beziehung und auf das familiäre Bezugsgewebe aus, wenn schwangere Frauen sich, bevor sie die Testergebnisse in der Hand haben, vorsichtshalber „nicht zu sehr freuen“ (158)?

An welchem Punkt schlägt Geschlechtsbestimmung in Geschlechtswahl und ins gendermässige „Ausbalancieren von Familien“ (185) um? Und sind es nur die bösen „Anderen“ in China und Indien, die sich mittels fortschreitender Technik gesunde männliche Nachkommen sichern? Was geschieht, wenn der vermeintlich perfekte Nachwuchs sich dann doch, zum Beispiel durch einen Unfall, eine Behinderung zuzieht?

 …ein notwendiges Update

Schon seit Beginn der Debatte trägt Barbara Katz-Rothman mit ihren für eine breite Öffentlichkeit geschriebenen Texten dazu bei, solche Fragen ins öffentliche Bewusstsein zu tragen. Sie gehört nicht zu denjenigen, die sich resigniert aus der Debatte zurückgezogen haben. Hartnäckig, stets auf dem neuesten Stand und mit philosophischem Tiefgang ergreift sie noch immer Partei für die Freiheit der Frauen und für das „Hebammenmodell“ (40) der Geburt.

Dieses alternative Modell begreift Schwangerschaft und Gebären nicht als medizinisch zu kontrollierenden Produktionsprozess, in dem Mütter als stumme „foetale Umgebung“ fungieren, sondern als normale körperliche Aktivität und prinzipiell als eine „Reise ins Unbekannte“ (189). Diese immer wieder neu und anders aufregende Reise in die nächste Generation kann sorgsam begleitet, nicht aber im Sinne einer Herstellungslogik allseits abgesichert und nach Wunsch kontrolliert werden. Das “Hebammenmodell“ ist es, das es der Autorin – und damit auch uns Leserinnen und Lesern – erlaubt, im marktkonformen Wahn der Menschheitsperfektionierung bei allem widerständigen Engagement die Hoffnung und den Humor nicht zu verlieren.

Der Übersetzerin und Herausgeberin Hildburg Wegener ist es zu danken, dass jetzt eine aktuelle Sammlung von Texten Barbara Katz Rothmans in deutscher Sprache vorliegt, die an die Empörung der Anfänge der feministischen Bewegung gegen Gen- und Reproduktionstechnologie anknüpft und gleichzeitig Hoffnung auf eine menschliche Zukunft macht. Allen, die sich (wieder neu) bewusst machen wollen, was bei den technologischen Entwicklungen rund um die menschliche Generativität auf dem Spiel steht, empfehle ich die Lektüre dieser lehrreichen, locker und immer wieder überraschend amüsant geschriebenen Texte.

Barbara Katz Rothman, Schöne neue Welt der Fortpflanzung. Texte zu Schwangerschaft, Geburt und Gendiagnostik, herausgegeben und übersetzt von Hildburg Wegener, Frankfurt a.M. (Mabuse-Verlag) 2012, 198 Seiten, Eur 19.90

Autorin: Ina Praetorius
Redakteurin: Antje Schrupp
Eingestellt am: 29.08.2012
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