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Rubrik handeln

Qualität im Management neoliberaler Zurichtung

Von Marita Blauth

Das 30-jährige Bestehen der TuBF Frauenberatung  in Bonn (Therapie, Beratung und Coaching für Frauen) in diesem Jahr hat deren Mitarbeiterin Marita Blauth zum Anlass genommen, die eigene Arbeit zu reflektieren. Die Mitarbeiterinnen der TuBF begleiten Frauen psychotherapeutisch  und  unterstützen sie dabei, ihre Bedürfnisse und Interessen zu  formulieren und zu vertreten, und sie haben ihren eigenen Arbeitskontext bewusst eigenverantwortlich gestaltet. Wir veröffentlichen die Analysen von Marita Blauth in drei thematischen Teilen: In diesem ersten Teil geht es um Qualitätsmanagement, im zweiten wird es um „Das Tun und das Lassen im Gewaltdiskurs“ gehen, und der dritte Teil beschäftigt sich dann mit den psycho-sozialen Aspekten der Verwertungslogik des Marktes.

© Petr Vaclavek – Fotolia.com

Als Team möchten wir in der TuBF eine hohe Qualität unserer Arbeit sicherstellen. Dabei setzen wir uns kritisch mit dem modernen „Qualitätsmanagement“ auseinander:

Infolge der neoliberalen Welthandelspolitik öffnete der EU-Binnenmarkt seine Grenzen nicht mehr nur für Güter (und noch lange nicht für alle Menschen), sondern auch für öffentliche Dienstleistungen. Der Dienstleistungssektor hat die höchsten Wachstumsraten und erwirtschaftet über sechzig Prozent des globalen Bruttosozialprodukts. Das weckt Begehrlichkeiten für Privatisierungen und grenzüberschreitenden Handel.

Dieser Handel mit Dienstleistungen machte Mess- und Vergleichbarkeit, vormals nur für industriell gefertigte Güter bekannt, nun auch für die Dienstleistungen nötig. Es entstand ein neuer Markt für dieses Mess- und Vergleichsinstrumentarium, das mit dem missverständlichen Begriff „Qualitätsmanagement“ belegt wurde.

Dieses Instrumentarium war anfänglich schwer durchschaubar, denn Qualität für die eigene Arbeit zu dokumentieren, war verführerisch. Es hat jedoch das Arbeiten im Sozialen und Gesundheitssektor erschreckend verändert und neues Denken in  Zertifizierungs- und QM Begriffen  konstituiert.

Psychische Belastung etwa wird nach der Norm DIN EN ISO 10075 erfasst. Die internationale Maßeinheit für Krankheit ist DALY („disability-adjusted life years“, auf deutsch: „behinderungsbereinigte Lebensjahre“). Dieser Wert berechnet Behinderung in Form von verlorenen Lebensjahren, multipliziert mit einem bestimmten Prozentwert je nach Höhe der Behinderung.

Um eine Maßeinheit für Lebensqualität zu konstruieren, wird also ein negativer Behinderungsindex angesetzt, der bei hohen Werten eine niedrige Lebensqualität beschreibt: eben das DALY. Das Konzept geht außerdem davon aus, dass die Belastung durch eine bestimmte Krankheit oder einen bestimmten Unfall überall auf der Welt dieselbe ist, und ignoriert komplett länder- und kulturspezifische Unterschiede.

Solche irrsinnigen Messinstrumente werden entwickelt, wenn Gesundheitsdienstleistungen zum global berechenbaren Geschäft werden sollen. Der „Club der Gesundheitswirtschaft“ drückt deutlich aus, worum es geht: Die Gesundheitswirtschaft solle der „größte deutsche Ökonomiezweig“, die „Leitbranche des 21. Jahrhunderts“ werden und will „Leistungen und Produkte der deutschen Gesundheitswirtschaft als Exportschlager vermarkten“ und die „Gesundheitswirtschaft in internationalen Märkten als Marke etablieren.“ (pdf)

Ob nun Gesundheit oder das Soziale als „Marke“ verkauft wird – die Folge ist, dass Myriaden von Controllern und Beraterinnen, die oftmals die fachlichen Arbeit überhaupt nicht beurteilen können, viel Geld damit verdienen, ihre Kosten/Nutzen-Rechnungen zum unhinterfragbaren Maßstab zu erheben, und sie vermitteln dabei so etwas wie: „Widerstand ist zwecklos.“

Manuel Derron schrieb schon 2003 in der Schweizerischen Ärztezeitung, solche Erzeugnisse des modernen Managements seien „eine erschreckend infantil-regressive Pseudophilosophie“. An Stelle einer vernünftigen und verantwortungsbewussten Kontrolle betriebseigener Qualität habe sich eine „fremdbestimmte, parasitäre Industrie gigantischen Ausmaßes“ dieses Bereichs bemächtigt. Beraterbüros, selbsternannte Experten und Zertifizierungsstellen seien wie Pilze aus dem Boden geschossen, ihre Aufdringlichkeit und Impertinenz habe ihnen normative Kraft verliehen, mit der Wirkung, dass heute kaum ein Unternehmen einen öffentlichen Auftrag erhält, ohne „das ebenso bedeutungslose wie exorbitant teure ISO-Zertifikat vorweisen zu können“. Derron hofft, dass sich die Erkenntnis durchsetzen wird, „dass das Qualitätsmanagement nichts Erhabeneres darstellt als einen gigantischen Verschleiß personeller, materieller, zeitlicher und finanzieller Ressourcen.“ (pdf) Es scheint, als habe sich diese Erkenntnis nicht durchgesetzt.

Vielleicht gibt es deshalb so wenig wirksame Empörung, weil das Versprechen, im sozialen Dienstleistungssektor „Rationalität und Wertmessbarkeit“ herzustellen, auf ein ganz spezifisches Bedeutungsraster fällt. Beziehungs- und Dienstleistungsarbeiten gehören in großen Teilen zu traditionellen Frauenarbeiten, die – je körpernäher, desto ungesicherter –  nicht oder schlecht bezahlt sind. Vielleicht erhofften sich manche zu Anfang, Qualitätsmanagementsysteme würden die vermisste Anerkennung garantieren, wenn die eigenen Leistungen erst in Qualitätshandbüchern, mit Siegel und Sternen zertifiziert, nach außen endlich sichtbar gemacht würden.

Doch die Realität sieht anders aus. Vielmehr wird auch diese Arbeit zunehmend über Leiharbeit und Ein-Euro-Jobs abgewertet. Und dass Privatisierungen zum Beispiel in Altersheimen und Krankenhäusern die Qualität verbessern würden, glaubt heute, wenn wir uns nur die Hygienebedingungen und den Personalstand ansehen, niemand mehr. (mehr hier)

In der TuBF „produzieren“ wir keine Gesundheit oder Heilung oder Ganzheit, sondern wir arbeiten an der hochsensiblen Schnittstelle zwischen Privatheit und Öffentlichkeit. Wir arbeiten mit intimen, privaten Erfahrungen aus komplexen Biographien lebendiger und sich verändernder Frauen, die sich in einem mehrdimensionalen sozialen System bewegen. Diese zwischenmenschlichen Prozesse lassen sich nicht einfach erfassen wie der DIN Wert beim Papierformat.

Hannah Arendt, politische Denkerin und Philosophin, hat großen Wert auf die Unterscheidung von Herstellen und Handeln gelegt und beschreibt das auf die ihr eigene Weise so: „Anders als im Herstellen, wo der Prozess des Herstellens einen klar erkennbaren Anfang und ein ebenso klar sich abzeichnendes Ende hat, er kommt zu Ende in dem Fertigfabrikat, hat der Prozess, der durch das Handeln entsteht, eigentlich überhaupt kein Ende; jedenfalls nicht eines, das der Handelnde vorhersagen und vorausbestimmen könnte, denn der Handelnde, im Unterschied zu dem Herstellenden, ist niemals mit dem eigentlichen Ziel seines Handelns, wie der Herstellende mit dem herzustellenden Ding, allein und ungestört. Er handelt in eine Menschenwelt hinein, in welchen ihm, da sich sein Handeln ja notwendigerweise auf andere Menschen bezieht, alles was er tut immer schon aus der Hand geschlagen wird bevor er sozusagen fertig ist. Das Äußerste, was er tun kann, ist die Dinge in eine gewisse Richtung zwingen, aber auch dessen kann er nie sicher sein, denn jedes neue, von einem anderen Menschen herrührende Handeln, ändert  mit einem Schlage alles. Und zwar nicht nur in dem Sinn, dass nun das Getane sich als vergeblich erwiese, sondern so, dass es in dem Gesamtprozess gleichsam an eine andere Stelle zu stehen kommt, also einen anderen Sinn erhalten kann.“ (aus: Hannah Arendt, Natur und Geschichte, Gespräch aus dem Jahre 1957 (Video)

Auf dem Symposium „Das Unbehagen in der Globalisierung. Ein Austausch über Ursachen psychischen Leids und emanzipatorisches Handeln“ von medico-international im Mai 2012 zitierte die Psychologin und Politikwissenschaftlerin Ariane Brenssell eine feministische Finanzexpertin aus der Schweiz, die den Vorschlag gemacht habe, wir bräuchten eine „Messguerilla“ gegen das Vermessen unseres  Alltags. Ariane Brensell sagte auch: „Wir brauchen Räume der Verständigung darüber, wie Herrschaft sich im Alltag reproduziert und wie wir daran teilhaben.“ (Audio anhören)

Auf diesem Symposium waren viele Fachkolleginnen und -kollegen, denen es am Herzen liegt, die politischen Zusammenhänge ihrer Arbeit zu reflektieren. Es wurde deutlich, dass wir öffentliche Räume brauchen, wo die Grenzen unserer therapeutischen, medizinischen oder sozialarbeiterischen Arbeit und die Fallstricke von Pathologisierung und Individualisierung besprechbar sind, jenseits von Mess- und Erfolgskriterien.

Autorin: Marita Blauth
Redakteurin: Antje Schrupp
Eingestellt am: 29.10.2012
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Kommentare zu diesem Beitrag

  • Herzlichen Dank für Ihre äusserst wertvollen Anregungen und Reflexionen,die bei mir einen Prozess des Nachdenkens angestossen haben – bin auch sehr dankbar für die Nennung der Quellen,die vielleicht im täglichen Widerstehen eine Unterstützung sein könnten!

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