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Rubrik Blitzlicht

Philosophinnen in Schulbüchern – Mangelware!

Von Marit Rullmann

In diesem Jahr besuchte ich nach längerer Zeit mal wieder beruflich die Didacta in Köln – die große Messe rund um Schule und Lernen. Ich nutzte die Gelegenheit nachzusehen,  was derzeit von und über Philosophinnen in den Unterrichtsmaterialien verschiedener Verlage zu finden ist.

Das Resultat  war ernüchternd: in den großen Verlagen, z.b. Buchner, Schöningh, Klett oder Reclam kommen sie nicht vor. Bei Klett und Buchner ist in einigen Schulbüchern zumindest die geschlechtersensible Unterrichtsgestaltung ein Thema. Wie sie jedoch ohne weibliche Denk-Vorbilder funktionieren soll, wird nicht erläutert.

Also fragte ich nach – nicht nur bei diesen Verlagen. Die zwischen offenem Desinteresse und „werde ich mal weitergeben“ schwankenden Reaktionen machten mich wütend. Ganz  besonders die Reaktion des Reclam-Verlagsvertreters. Zuerst war er irritiert wegen  meiner Frage nach den fehlenden Philosophinnen in den Unterrichtsmaterialien. Nachdem ich ihm zahlreiche bedeutende Philosophinnen genannt hatte, machte  er die „wohl mangelnde Nachfrage“, für deren Missachtung in den Schulbüchern verantwortlich. Toll! Zu dieser Zeit lief der viel besuchte Hannah Arendt-Film von Margarethe von Trotta bereits seit vier Wochen in den Kinos. Und Arendts Texte gehören in NRW seit 2012 als inhaltliche Vorgabe zum Abitur.

In den letzten 20 Jahren – u.a. seit Erscheinen der „Philosophinnen“ – hat sich viel getan: Philosophinnen wurden wiederentdeckt und ihre Texte häufig erstmals ins Deutsche übersetzt. Deren häufig verschwiegene und unterdrückte Textgeschichte ist Thema der Geschlechterforschung an zahlreichen – zumeist – ausländischen Universitäten. Seit dem Jahr 2000 wandert die Ausstellung „Liebhaberinnen der Weisheit“ durch das In- und deutschsprachige Ausland. Dazu kommen Veranstaltungsreihen mit dem Jahresleitthema Philosophinnen, wie etwa in diesem Jahr in Bremerhaven (oder 2012 in Ahaus).

In Geschlechtssensible Schulentwicklung MSW NRW, von 2006-2011 heißt es:

„Geschlechtsspezifische Sozialisationsprozesse werden vor allem beeinflußt

–       durch die vermittelten Unterrichtsinhalte und Themen,

–       durch die verwendeten Schulbücher und Lehrmittel.“

Wieso hat nicht längst eine Welle der Empörung im Allgemeinen (und von Lehrkräften im Besonderen) die Schulbuchverlage erreicht? Verbunden mit der Forderung, endlich dem aktuellen Stand der (Frauen)Forschung Rechnung zu tragen und nicht nur Kenntnisse über die „Großen Männer“ der Philosophiegeschichte zu vermitteln? Offenbar wagt keine Lehrkraft der Philosophie den Verlagen zu sagen, sie könnten ihre veralteten Schulbücher behalten.

 

Autorin: Marit Rullmann
Redakteurin: Dorothee Markert
Eingestellt am: 02.04.2013
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Kommentare zu diesem Beitrag

  • Rita Bubenhofer sagt:

    Liebe Frauen und interessierte Leser.
    ich besuchte im Jahre 1962 eine katholische Mädchensekundarschule in der Nähe von St.Gallen, gegründet anfangs 1900 von Frauen und Nonnen für Mädchen. ich ging ungern hin, hatte genug von Mädchenerziehung mit Handarbeit und Schönschrift. aber eine ältere Nonne mit Universitätsabschluss die Geschichte unterrichtete, verteilte uns eigene Skripts mit Frauen in der Geschichte wie Hildegard von Bingen, Theresa von Avila, Jeanne d’Arc, und viele mehr. sie erklärte und, dass die Frauen in den Geschichtsbüchern nicht erwähnt werden und sie wollte ihr Skript auch gerne veröffentlichen, bekam aber von der klösterlichen Oberauffsicht keine Erlaubnis aus welchen Gründen auch immer. leider finde ich diese Unterlagen nicht mehr, habe aber eine grosse Achtung heute vor Schwester Eugenia Maria.
    das zum heutigen Artikel. Rita B.

  • Christine Obermayr sagt:

    Ich unterrichte selber. In Fachliteratur und auf Seminaren ist leider nichts zu Frauen in den verschiedenen Bereichen zu finden. Bei einem Seminar über Religionskritik meinte der Vortragende auf Nachfrage nach Frauen in der Religionskritik ganz verblüfft: Ihm ist diese Frage noch nie gekommen, aber wenn er so überlegt, es gibt da niemand. Weil die Frauen gehören dann zur feministischen Theologie und das ist wieder was anderes.
    Die Seminarteilnehmerinnen und -teilnehmer gaben sich damit nicht zufrieden, was weitere Verblüffung hervorrief.
    Da auch in neuerer Fachliteratur nur die bekannten Männer rezipiert werden (irgendwie schreiben Männer anscheinend nur ab) und einzelne neue Philosophen/Ethiker/… dazukommen (wobei mir nie klar war, wie da die Auswahl passiert) gehe ich für meinen Unterricht dazu über, gezielt Frauen darzustellen. Zitate nehme ich fast ausschließlich von Frauen. Nur: Wirkliches Erstellen von Unterlagen ist riesiger Zeitaufwand, viele Namen/Gedanken/… sind mir auch nicht bekannt.
    Mein Wunsch wäre Kurzdarstellungen zu den verschiedenen Bereichen zu finden (In der Religionskritik eine Mary Daly, Dorothee Sölle, Ina Praeetorius und ???). In der Aggressionstheorie finden sich nur Männer, zum Thema Gewalt gibt es tolle Überlegungen von Galtung – ich hätte halt auch gerne eine Frau zum Rezipieren). Im Zusammenhang mit Technik, dem Bösen bin ich sehr froh um Hannah Arendt, zur Arbeit habe ich Simone Weil. …
    Aber wie können wir als Frauen Denkerinnen, Handelnde, Prophetinnen in den gesellschaftlichen Diskurs bringen. Ich vermute nur über Unterricht – da trifft es auf die breite Masse. Damit das gelingt, muss fix fertiges, einfaches Material – sofort zum verwenden – vorhanden sein. Wenn zukünftige Denker schon in der Schule mit entsprechenden Namen und Denkansätzen vertraut gemacht sind, dann können sie in ihrer Unilaufbahn wieder einfach rezipieren und vertiefen – und dann kommen auch Frauen vor, da die ja selbstverständlich dazugehören. Und dann haben wir auch in der Fachliteratur und etwas später auch in den Schulbüchern die Denkerinnen dabei.

    Nachbemerkung: Ich habe selber bei zwei Religionsbüchern mitgeschrieben. Es ist gar nicht so leicht, eine halbehalbe Verteilung zu finden. Stolz bin ich darauf, dass bei meinem zweitem Buch wirklich exakt die Hälfte der Bilder von Frauen sind, bei den Zitaten schaftten wir nur ein Verhältnis von 1 zu 2 – wir passten nämlich extra auf, auch Männer zu zitieren um kein unausgewogenes Verhältnis zu bekommen und weil wir nicht automatisch mitdokumentiert haben, verschätzten wir uns vom Gefühl her total.

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