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Rubrik Blitzlicht

“Prüde”, “verklemmt”, “humorlos”, “realitätsfern”, …

Von Dorothee Markert

Eigentlich wollte ich keine Leserinnenbriefe mehr schreiben, denn meine letzten wurden entweder nicht veröffentlicht oder so sehr gekürzt, dass mein Anliegen nicht mehr zu verstehen war. Doch als ich diesen Text in meiner Zeitung las, unter der Überschrift “Prüder zur Sonne. Heimatland, ist die Nationalhymne nicht geschlechtergerecht?”, schrieb ich einfach drauflos, weil ich die Art und Weise, mit der Veränderungsvorschläge von Frauen immer wieder abqualifiziert werden, einfach kein weiteres Mal unkommentiert hinnehmen wollte. Hier ist das Ergebnis, das inzwischen sogar in voller Länge veröffentlicht worden ist:

Stefan Hupka ist in der Badischen Zeitung nicht irgendwer. Und so erkläre ich mir auch, dass seine peinliche Glosse auf der ersten Seite abgedruckt wurde. Hätte Herr Hupka richtig recherchiert und vielleicht auch ein paar Forschungsergebnisse von Frauen einbezogen, dann könnte ihm nicht entgangen sein, dass im “Lied der Deutschen” wirklich nur Männer gemeint waren, weil Frauen damals weder als vollwertige Bürgerinnen noch als eigenständige politische Subjekte galten. Hätte er den Liedtext genau angeschaut, so müsste ihm aufgefallen sein, dass Frauen in der zweiten Strophe nicht einfach nur “untergebracht”, sondern zwischen Wein und Gesang als schöne deutsche Dinge dargestellt werden.
Wenn Männern der Vorschlag einer Frau nicht gefällt, scheint es ein Reflex zu sein, von Prüderie und Verklemmtsein zu reden – ich frage mich jedenfalls, wo bei diesem Thema der Bezug zur Sexualität sein soll.
Wir feiern dieses Jahr 100 Jahre Frauenwahlrecht, da wirken solche unüberlegten Reaktionen doch reichlich antiquiert. Auch die Haltung, es käme bei einer Hymne nicht darauf an, ob man versteht, was da gesungen wird, gehört in eine andere Zeit, als gedankenlos bestimmte Lieder mitgegrölt wurden, auch das Lied der deutschen Männer mit allen drei Strophen. Eine sprachliche Veränderung der Nationalhymne ist mindestens seit hundert Jahren überfällig, seit Frauen es mühsam durchgesetzt haben, sich an der Gestaltung der gemeinsamen Welt von Frauen und Männern beteiligen zu dürfen.

Und übrigens: “Muttersprache” heißt es, weil es immer noch überwiegend Frauen sind, von denen Kinder das Sprechen lernen, für den Begriff “Vaterland” gibt es dagegen keinen sachlichen Grund.

Autorin: Dorothee Markert
Eingestellt am: 13.03.2018
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Kommentare zu diesem Beitrag

  • Liebe Dorothee Markert,
    vielen Dank für diesen Leserinnenbrief!!!!

    Liebe grüße aus der Pfalz

    Martina Horak-Werz

  • super, ich freue mich an dieser Wucht und danke herzlich, weiter denken, weiterdenken, weiter handeln, weiter schreiben, weiter sein!
    herzliche Grüsse
    Adelheid

  • Fidi Bogdahn sagt:

    Jawollllllll !

  • Martin Mair sagt:

    Welche DemokratIn braucht heutzutage noch eine Nationalhymne. Habe ich noch nie gesungen (außer vielleicht in der Volksschule zwangsweise) ….

  • Bravo! Gut gebrüllt, Löwin!

  • -Ute Plass sagt:

    Prima Lesezuschrift :-). Besser noch, der Nationalhymne-Gesang wird zum Auslaufmodell.

  • Katja Dobrocsi sagt:

    Ich hab mich auch gefreut, den Beitrag zu lesen.
    Interessant auch, was in den Tagesschaunachrichten zum BGH-Urteil zur Kundin in Bankformularen kam. Gestern war den ganzen Tag auf meiner App direkt unter der Nachricht ein geschriebener Kommentar von Gigi Deppe zu lesen, den ich auch gut fand. Heute findet er sich nur noch als audio im Hintergrund https://www.tagesschau.de/multimedia/audio/audio-53525.html

  • Philipp-Schöllermann, Thea sagt:

    Einfach DANKE !

  • Nicole sagt:

    Toller Leserbrief und auch noch in voller Länge veröffentlicht. Top. :D

  • Amelie Himmel sagt:

    Spontan fiel mir gerade zu Deinem Satz : für den Begriff „Vaterland“ gibt es dagegen keinen sachlichen Grund … ein DOCH ein, es gibt einen sachlichen Grund.

    Ich behaupte mal, dass so wie ein großer Teil der Verantwortung in der Kindererziehung nach wie vor bei den Frauen liegt (Kommunikation), der Anteil der Männer nach wie vor in der Verantwortung für den Besitz liegt (Grundstücke, Land, Haus,Wohnungen) – daran hat sich meines Erachtens bei Familien mit Kindern wenig geändert. So jedenfalls kann meines Erachtens der Text der Hymne bis heute als gültig verstanden werden – verrückt und gewiss kein Grund irgendetwas zu besingen. Stimmt!

    Ich habe gerade erst die Seiten des bzw. entdeckt und finde sie sehr anregend.

  • Lovis sagt:

    Danke für Deinen Leserinnenbrief! Es gibt einen Grund für das Wort Vaterland. Eigentlich drei. Oben schon genannt, Besitz von Land, in Deinem Text beschrieben, die einzigen mündigen Menschen waren Männer, und früher bekamen Kinder natürlich unabhängig von der Staatsangehörigkeit der Mutter die des Vaters…
    lg

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