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Wiederentdeckung: Lotte Laserstein im Städel in Frankfurt

Von Jutta Pivecka

Lotte Laserstein (1898 – 1993)  gehört zu den vielen Malerinnen, die aus der Vergessenheit geholt werden müssen. Wie bei den meisten anderen lassen sich dafür, dass sie vergessen wurde, Sachgründe aufzeigen, die nichts mit ihrem Geschlecht zu tun zu haben scheinen. Laserstein wurde  Ende der 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts bekannt als realistische Porträtmalerin, nachdem die Avantgarden der Moderne längst das Figurative und Gegenständliche in der Malerei als rückschrittlich gebrandmarkt hatten. Laserstein war stolz auf ihre Ausbildung an einer professionellen Malakademie, der Hochschule für Bildende Künste in Berlin, die erst kurz zuvor begonnen hatte, auch Frauen auszubilden. Sie strebte von Anfang an den Beruf der Malerin an, nicht eine Existenz als Boheme-Künstlerin.

Und daher gehört Lotte Laserstein dann eben doch zu jener unendlich langen Reihe weiblicher Künstlerinnen, denen es gelang, zu ihren Lebzeiten große, auch wirtschaftliche Erfolge zu erzielen, die aber (vielleicht gerade deswegen?) nicht den Sprung in die Überlieferung, den Kanon der Kunstgeschichte schafften. Deshalb scheint mir auch im Falle Lasersteins das Vergessen zuletzt doch weniger mit der Zugehörigkeit zu einer bestimmten, aus der Rückschau mehr oder minder avantgardistischen Stilrichtung zu tun zu haben, als mit der Unvereinbarkeit des Modells vom „autonomen Künstler“ mit einer Frau als Kunstschaffender. Denn „die Frau“ hat im Zeichensystem dieses Künstlertypus die Funktion, ihm, dem Künstler, als Spiegel zu dienen. Das Bildnis der Frau dient der Repräsentanz des männlichen Künstlers selbst im Bild; es ist seine Subjektivität des Schauenden, die sich in ihrer Abbildung darstellt. Künstlerinnen haben sich seit je mit diesem Konstrukt auseinandersetzen müssen, wenn sie Bezug auf die reiche Geschichte figurativer Malerei nehmen wollten. „Die Frau“, „die Muse“ ist eine Leerstelle in diesem Schaffensprozess, die der “autonom gestaltende Mann” mit seinen Projektionen füllt. Eine malende Frau, eine Malerin, die sich selbst in Beziehung zu anderen Frauen darstellt, stört dieses patriarchale kunsthistorische Konstrukt nachhaltig.

Auch deshalb haben mich Lotte Lasersteins Selbstbildnisse als Malerin, die gegenwärtig in Frankfurt in einer Werkschau gezeigt werden, besonders fasziniert und interessiert. Annelie Lütgens nennt sie im Katalog zur Ausstellung „Selbstbewusstseinsbilder“. Laserstein zeigt sich mal androgyn mit Kurzhaarfrisur und weitem Malerkittel vor ihrer Staffelei, eine Katze im Arm (Selbstporträt mit Katze, 1928); aber inszeniert sich auch betont verspielt als Begleiterin der brechtschen Dramenfigur Meckie Messer mit Federn und lila Hut („Mackie Messer und ich“, 1932). Im Atelier zeigt sie sich mit ihrem Modell, der Freundin Traute Rose („Ich und mein Modell, 1929/30). Sie nimmt dabei Bezug auf traditionelle Bildkonzeptionen (Maler und Muse) und überwindet zugleich durch die körperliche Nähe und Gestik zwischen den beiden Frauen die gewohnte Hierarchie: Malerin und Modell erscheinen als gleichberechtigte, miteinander kommunizierende Freundinnen, die von der Betrachterin in einem intimen Moment gestört werden. „In meinem Atelier“ von 1928 sieht man Laserstein im Hintergrund an ihrer Staffelei arbeiten, während im Vordergrund nackt Traute Rose hingestreckt schläft. Das Bild erinnert an großformatige Akte von Giorgione oder Tizian, doch die intime Inszenierung auf der kleineren Fläche betont vielmehr die Vertrautheit zwischen den beiden Frauen.

Laserstein war nach Abschluss ihres mit Auszeichnung abgeschlossenen Studiums Ende der 20er Jahre schnell erfolgreich. Sie behielt ihre realistische, an akademischen Techniken geschulte Malweise bei, wandte sie aber auf moderne Sujets an, zeigte in ihren Porträts vor allem „moderne“ Frauen: sportlich, selbstbewusst, mit kurzem Haarschnitt und lässiger Kleidung. 1931 fand Lotte Lasersteins erste Einzelausstellung in der Galerie Gurlitt in Berlin statt. Zentraler Blickfang dieser Ausstellung war „Abend über Potsdam“, eine moderne Abendmahlszene auf einem Balkon mit Panoramablick über die Stadt. Die in ihren Gedanken melancholisch versunkenen Figuren erscheinen isoliert voneinander; sie sind trotz ihres Beisammenseins jedes für sich allein.

Nachdem 1933 die Nationalsozialisten an die Macht gekommen waren, endete Lotte Lasersteins Karriere in Deutschland. Als jüdische Künstlerin verlor sie die Möglichkeit zu öffentlichen Ausstellungen. 1937 gelang ihr die Flucht nach Schweden. In den Kriegsjahren porträtierte Laserstein Emigranten. Nach dem Krieg baute sie sich in Schweden eine Existenz als Malerin von Gesellschaftsporträts auf.

Die Ausstellung im Frankfurter Städel legt einen Schwerpunkt auf die Vorkriegsproduktion von Laserstein. Ihre einfühlsamen Porträts konzentrieren sich zumeist auf die Gesichter und Gesten der Menschen, die sie darstellen, statt Lokalkolorit zu entfalten. Gerade deshalb besitzen sie einen besonderen Zauber für heutige Betrachterinnen, die in diesen Gesichtern die Verfassung und Verfasstheit der Vorgängerinnen zu erkunden versuchen.

 

Lotte Laserstein. Von Angesicht zu Angesicht 19.9. 2018 – 17.3. 2019 im Frankfurter Städel 

Katalog

Autorin: Jutta Pivecka
Redakteurin: Jutta Pivečka
Eingestellt am: 21.10.2018
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Weiterdenken