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Lebenslange Leidenschaft für Frauengeschichte: Die Historikerin Irene Franken

Von Juliane Brumberg

Von der Frauenbewegung im letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts kennen wir einige wenige Gesichter, die sich die Medien herausgepickt haben und immer wieder hervorholen. Doch ohne die weniger prominenten vielen „Frauen aus der zweiten Reihe“ wäre der große Erfolg der Frauenbewegung nicht möglich gewesen. In einer kleinen Serie möchten wir auf bzw-weiterdenken über einige von diesen Frauen erzählen. Wie sind sie zu ihrem frauenpolitischen Engagement gekommen, was machen sie heute?
Wir freuen uns übrigens über Artikel oder Vorschläge zu weiteren Frauen, deren Leben wir hier vorstellen können.

Fotos: Juliane Brumberg

Auf meine Anfrage, sie in dieser Reihe vorzustellen, reagiert sie zögerlich: „Wir sind viele im Frauengeschichtsverein Köln und alle haben ihren Anteil an unserer erfolgreichen Arbeit.“ Doch ich lasse nicht locker, habe ich Irene doch schon vor Jahren als sehr klare Denkerin und innovative Historikerin im Netzwerk Miss Marples Schwestern, zu dessen Gründungsmitgliedern sie 1990 gehörte, kennengelernt. Die Geschichte von Frauen war damals ein gänzlich unbeackertes Feld und frau musste findig sein und Spürsinn haben wie die legendäre Detektivin und sich sozusagen mit der Lupe auf die Suche nach den Spuren machen, die Frauen in der Geschichte hinterlassen haben. Irene Franken tat dies im Kölner Frauengeschichtsverein, dessen Gründung im Jahr 1986 sie mit initiiert hat.
Hier wird seitdem nicht nur intensiv über die Geschichte von Frauen geforscht, sondern sie wird auch vermittelt. Zweimal im Jahr erscheint ein nicht gerade kleines Programmheft mit öffentlichen Film- und Vortragsangeboten, vor allem aber mit Rundgängen auf den Spuren von Frauen. Um die 15 Historikerinnen bieten derzeit ganz unterschiedliche Frauenstadtrundgänge an. Insgesamt sind über die Jahre an die 40 Themenführungen erarbeitet worden, die zusätzlich zu den öffentlichen Führungen jederzeit für Gruppen buchbar sind. Irene Franken hat zum Beispiel Geldgöttin, Verschwenderin, Bankerin. Frauen und Geld – ein Widerspruch?, Kölnerin oder Fremde? Migrationsgeschichte von Frauen oder ‚Schlummere sanft, teure Frau‘. Frauen auf dem Friedhof Melaten im Programm.

Gab es keine Frauen in der Geschichte?

Sie macht heute immer noch mit Leidenschaft das, womit sie vor über 30 Jahren begonnen hat und kann auf ein beachtliches Repertoire blicken. Wie kam es dazu, dass Irene sich auf Frauengeschichte spezialisiert hat? „Zunächst war es nicht unbedingt die Geschichte. Aber das Frauenthema interessierte mich schon mit 16, und zwar dadurch, dass mir zufällig ein Buch über die Benachteiligung von Mädchen in der Schule in die Hände gefallen war.“ Das hatte zur Folge, dass sie bei der Frauenbewegung so ziemlich von Anfang an dabei war, zunächst in der autonomen Frauenbewegung, in der sie 1976 Mitgründerin des Kölner Frauenzentrums war. Parallel dazu beschäftigte sie sich als Germanistik- und Geschichtsstudentin mit Frauen-Literatur. In der Geschichte dagegen war ihr nur eine einzige Frau begegnet. Grund genug, da einmal genauer hinzuschauen.

Dass sie nach dem Referendariat im Jahr 1981 keine Stelle im Schuldienst bekam, schmerzte sie nur begrenzt. Hatte sie doch bemerkt, dass ihr Herz mehr für die Erwachsenenbildung schlug. Also jobbte sie weiter im Frauenbuchladen und schrieb über die Kölner Frauengeschichte in der Feministischen Zeitschrift Kobra. Eine Leserin schlug damals vor: Macht doch mal eine Führung daraus. „Ich hatte festgestellt, dass es mehr Bücher über Kölner Brücken als über Kölner Frauen gibt“, berichtet Irene Franken. „Irgendwas stimmt hier nicht“, dachte sie, suchte sich eine Pädagogin und startete mit ihr im April 1985 den ersten Frauen-Stadtrundgang. „Das waren damals Ganztagsveranstaltungen mit einem Bus“, erzählt sie mit leuchtenden Augen. „Wir hatten dabei sogar die Möglichkeit, uns eine Stunde lang das Kölner Stadtarchiv erklären zu lassen, nachdem unser Anliegen dort anfangs auf großes Erstaunen gestoßen war. Wir wollten jedoch zeigen, woher wir unser Wissen hatten.“ Dabei handelte sich übrigens um jenes Stadtarchiv, das viel später, im Jahr 2009, in eine U-Bahn-Baustelle gestürzt ist.

Irene Franken (2.v.r.) bei einer Führung zur Kölner Migrationsgeschichte im Jahr 2013.

„Zu dieser ersten Frauenführung gehörte auch ein Stopp bei der NS-Gedenkstätte, die damals weitgehend unbekannt war“, fährt Irene Franken fort, „und zeitgleich mit einem Kölner Journalisten waren wir die ersten, die in Köln Sozialgeschichte auf der Straße vermittelt haben. Seitdem ging es nicht mehr länger nur um Kirchen und Burgen. Heute gibt es so viel Wissen und so viele Romane über die Kölner Geschichte, aber damals fing das alles erst an.“ Wie geschichtsträchtig diese vor 2000 Jahren von einer Frau, von der römischen Kaiserin Agrippina, mitgegründete Stadt am Rhein ist, zeigt sich selbst an einem trüben und windigen Novembertag. Rund um den Kölner Dom begegneten mir etliche Gruppen, die sich die Historie der Stadt erklären ließen. Dass dabei heute die Frauen nicht mehr zu kurz kommen, ist dem Kölner Frauengeschichtsverein mit Frauen wie Irene Franken zu verdanken.

Frauengeschichte im Schiff auf dem Rhein

Doch zunächst gab es einen „ziemlichen Einbruch“ für sie, weil ihre pädagogische Kollegin Gwen Edith Kiesewalter nach drei Jahren aus privaten Gründen die Stadt verließ und damit die ganztägigen Frauenführungen endeten. „Wir hatten immer alles zusammen gemacht und ich habe nie wieder eine Mitstreiterin gefunden, mit der ich so gut zusammenarbeiten konnte. Sie hatte den psychologischen Zugang zu den historischen Inhalten, weshalb wir schon ganz früh auch über Frauen als Täterinnen geforscht haben. Dafür bekamen wir große Anerkennung.“

Überhaupt ist der Kölner Frauengeschichtsverein sehr breit aufgestellt. Alles, was mit Frauen zu tun hat wird dort erforscht, vermittelt und archiviert. Dazu wurden schon 1987 einfache Räume in einer Tiefparterre-Wohnung in der Kölner Innenstadt angemietet. Seit 1998 gibt es eine frauengeschichtliche Rheinfahrt mit dem Schiff, 2010 hat der Verein mit einer Postkartenaktion den jährlichen ‚Freundinnentag‘ für den 9. September initiiert, zwei Reisen nach Auschwitz wurden organisiert und etliche Ausstellungen zu den unterschiedlichsten Themen, immer mit einem (frauen-) politischen Anspruch. Besonders hervorgehoben werden muss das Frauengeschichtswiki, das eng mit der Arbeit von Irene Franken verbunden ist. Eine Vielzahl von – vornehmlich Kölner – Frauen und Frauenvereinigungen ist hier zusammengestellt und kann nach dem Wiki-Prinzip im Internet aufgerufen werden. Der Kölner Frauengeschichtsverein arbeitet mit vielen Institutionen zusammen und ist gut vernetzt, z.B. mit den Schwulen- und Lesbenverbänden. „Die Ausstellung zu 25 Jahre Christopher-Street-Day war die am besten besuchte Ausstellung im Rathaus der letzten Jahre“, erinnert sich Irene Franken voller Stolz.

Dass es im Verein über die Jahre auch zu Konflikten und Konkurrenzen kam, blieb nicht aus „und war zeitweilig bitter“ sagt Irene Franken, „wurde aber bewältigt“. Die Tragik ist eigentlich eine ganz andere. Der Kölner Frauengeschichtsverein finanziert sich über die Beiträge der rund 150 Mitglieder und Einnahmen bei Führungen. Für die organisatorischen Arbeiten wurden in der Anfangszeit ABM-Stellen eingerichtet, seit einiger Zeit gibt es ein bisschen Geld von der Stadt für die Verwaltungsarbeiten. Irene Franken jedoch ist ihrer Leidenschaft gefolgt. Sie hat Aufsätze und Bücher geschrieben, ihren Fokus auf die inhaltliche Arbeit im Verein gelegt, dabei unglaublich viel erforscht und erreicht, aber nur wenig Geld verdienen können. „Wenn ich meine Rundgänge auf eigene Rechnung angeboten hätte, wäre mehr Geld in meine Kasse geflossen, aber was wäre dann aus dem Verein geworden?“ So kommt es, dass eine hochverdiente und mit etlichen Preisen ausgezeichnete Historikerin jetzt mit einer relativ geringen Rente auskommen und auch in Zukunft ihren Lebensunterhalt durch zusätzliche Projektarbeit finanzieren muss.

Viele Frauenfiguren auf dem Rathausturm

Als ich sie nach etwas ganz Besonderem frage, was sie im Kölner Frauengeschichtsverein erreicht haben, bekomme ich eine interessante Antwort: „Wir haben hier in Köln einen Rathausturm, der schon in der Vergangenheit mit wichtigen Figuren aus der Kölner Stadtgeschichte geschmückt war. Nach der Zerstörung im zweiten Weltkrieg und dem Wiederaufbau wurde am Ende des vorigen Jahrhunderts eine Liste mit 124 Namen erstellt, die auf dem Rathausturm Platz finden sollten. Nur 5 davon waren Frauen. Wir haben erreicht, dass diese Liste auf 18 Frauen erweitert wurde. Dem war eine große öffentliche Diskussion vorausgegangen, in deren Verlauf der damalige Leiter des Stadtarchivs aus dem Entscheidungsgremium zurückgetreten ist. Uns wurde der Vorwurf gemacht wurde, die Geschichte zu quotieren. Diese Diskussion über die Frauenfiguren ist bis heute im kollektiven Gedächtnis verankert. Der Turm jedoch wird bei vielen Führungen genutzt. Am Beispiel der Frauenfiguren können wir verschiedene Aspekte sichtbar machen: zum Beispiel die Emigration einer Jüdin und einer politischen 1848erin, die Einwanderung von Glaubensverfolgten oder auch bestimmte Facetten frauenliebender Persönlichkeiten.“ Ein weiterer Erfolg des Frauengeschichtsvereins sind „sehr viele Frauen-Straßennamen, ein Thema an dem wir weiterhin dran sind.“

Immer wieder gibt es zunehmend auch junge Frauen, die sich für den Kölner Frauengeschichtsverein interessieren und zum Beispiel nach einem Praktikumsplatz fragen. „Oder Frauen, die Krimis schreiben, recherchieren dazu bei uns. Andere kommen im Rentenalter und freuen sich, dass sie endlich Zeit haben, hier mitzuwirken. Durch das gute Netzwerk, das wir um den Verein herum aufgebaut haben, können wir vielen geschichtsinteressierten Menschen Inhalte vermitteln. Im Stadtmuseum zum Beispiel hat man früher über unsere Forderung nach Berücksichtigung von Frauenthemen gelächelt, jetzt werden wir um Katalogbeiträge gebeten. Die Unkenrufe über den Niedergang der Frauenbewegung“ kann Irene Franken deshalb nicht teilen.

Mehr Infos:
Homepage von Irene Franken
Kölner Frauengeschichtsverein

Im Rahmen dieser Serie wurden bisher die Donaupriesterin Gisela Forster, die Feministin Barbara Linnenbrügger, die Malerin Waltraud Beck und die Professorin Monika Barz vorgestellt.

 

Autorin: Juliane Brumberg
Redakteurin: Juliane Brumberg
Eingestellt am: 16.11.2018
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Kommentare zu diesem Beitrag

  • Gudrun Nositschka sagt:

    Ich freue mich immer, wenn ich das neue Programm in Händen halte. Ich bewundere darin die Spannbreite der Vorträge und Führungen mit Inhalten, die weit über Köln und das Rheinland hinausstrahlen und kann Irene und allen Mitwirkenden nur danken.

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