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Gott existiert, ihr Name ist Petrunya

Von Antje Schrupp

Ich verteile in diesem Forum häufiger Kinotipps, aber selten hat mich ein Film so fasziniert wie die Geschichte von Petrunya. Regisseurin Teona Mitewska, Drehbuchautorin Elma Tataragic und Hauptdarstellerin Zorica Nusheva ist hier ein wirklich grandioser Wurf gelungen.

Die Geschichte der jungen Frau Petrunya, die in einem nordmazedonischen Städchen für Aufruhr sorgt, weil sie am Dreikönigstag das geweihte Kreuz aus dem eiskalten Fluss fischt (was eigentlich nur Männer dürfen), ist auf so vielen Ebenen atemberaubend, spannend, intelligent und berührend, dass man gar nicht weiß, wo anfangen.

Die Geschichte basiert auf einem wahren Ereignis, aber es geht in dem Film um so viel mehr als um die Kritik an lächerlichen althergebrachten Männerritualen. Es geht vielmehr – wieder einmal – um die Frage, welche Handlungsmöglichkeiten Frauen am Ende des Patriarchats haben. Was passieren kann und was möglich ist, wenn eine Frau sich entscheidet, dort nicht mehr mitzumachen, sondern von nun an nach eigenen Regeln zu spielen. „Gott existiert. Ihr Name ist Petrunya“ ist als Filmtitel nicht nur ein Gag. Sondern wahr.

Dabei bringt der Film auch eine weitgehend unbekannte und unbeachtete Region Europas näher. Die Chancenlosigkeit junger Menschen im ländlichen Mazedonien, vor allem von Frauen, ist der Ausgangspunkt der Handlung. Petrunya (Zorica Nusheva) hat Geschichte studiert, aber damit kann sie hier nichts anfangen. Inzwischen ist sie 31 Jahre alt, wohnt wieder bei ihren Eltern, hat keine Arbeit und kein Geld. Sie fühlt sich hässlich, nutzlos, ausgelaugt. Auf der Suche nach Jobs erlebt sie Abwertung und sexistische Übergriffigkeit. Ihr spontaner Entschluss, auf der Jagd nach dem geweihten Kreuz mit den jungen Männern in den Fluss zu springen, ist keine emanzipatorische Provokation, sondern eine Kurzschlusshandlung aus dem Frust heraus.

Aber dann wird es spannend. Petrunya wird verhaftet und auf die Polizeiwache gebracht. Dort ist sie, wie in einem Kammerspiel, „dem System“ ausgeliefert, dem Patriarchat eben, das aus Staat einerseits und Kirche andererseits besteht, verkörpert durch den Polizeichef und den Priester. Gefühlte Unendlichkeiten sitzt sie in Wartezimmern herum oder wird verhört. In den ambivalenteren Nebenrollen der nette Polizist, dem das Ganze auch nicht behagt, der aber doch selbst in das Spiel verstrickt ist, und Petrunyas Mutter, die sie einerseits bekocht, andererseits aber auch selbst dazu beiträgt, ihre Tochter zu beugen. Und vor der Tür der wütende, sich radikalisierende brutale Jungmänner-Mob, der auch von den alten Patriarchen fast nicht mehr im Zaum gehalten werden kann.

Es ist großartig, Petrunya dabei zuzuschauen, wie sie dieses System auflaufen lässt. Und zwar tatsächlich ohne Kampf, ohne „weibliche Waffen“, ohne besondere Heldinnenhaftigkeit oder Mut, und übrigens auch ganz ohne Emanzipationsabsichten. Die feministische Journalistin aus der Stadt, die versucht, Petrunyas Geschichte für die „Sache der Frauen“ zu vereinnahmen, liegt eben auch daneben, Auch sie versteht nicht, worum es geht.  Von Szene zu Szene wartet man gespannt, wie es jetzt weitergeht mit Petrunya, mit dem Kreuz, mit dem Patriarchat.

Ein großartiges Drehbuch, eine großartige Hauptdarstellerin, eine großartige Regie. In Deutschland kommt der Film am 14. November ins Kino.

Autorin: Antje Schrupp
Eingestellt am: 11.11.2019

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